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FORSCHUNG/483: Klimageschichte im Eis (idw)


Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung - 09.04.2019

Klimageschichte im Eis

In der Antarktis wollen europäische Forscher wichtige Klimadaten aus den letzten 1,5 Millionen Jahren analysieren


In einem Projekt der Europäischen Union haben Forscher von 14 Institutionen in zehn europäischen Ländern im Eis der Antarktis drei Jahre lang nach einem Ort gesucht, an dem sie am besten die Klimageschichte der letzten 1,5 Millionen Jahre untersuchen können. Das Ergebnis hat das Konsortium Beyond EPICA - Oldest Ice (BE-OI) unter Leitung von Olaf Eisen vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven heute auf einer Tagung der "European Geosciences Union" in Wien vorgestellt.

Ausgewählt haben die Forscher einen der kältesten, trockensten und leblosesten Plätze, die es auf der Erde gibt: "Little Dome C" liegt drei Stunden Schneemobil-Fahrt (30 Kilometer) von der Antarktis-Station Dome Concordia entfernt, die Frankreich und Italien auf dem Eis des Wilkes-Landes in einer Höhe von 3233 Meter über dem Meeresspiegel betreiben. Niederschläge beobachten die Forscher dort kaum einmal, und im Jahresdurchschnitt liegen die Temperaturen bei minus 54,5 Grad Celsius. Wärmer als minus 25 Grad wird es dort sehr selten und im Winter fallen die Temperaturen manchmal unter minus 80 Grad.

Wo heute die Concordia-Station steht, bohrten Forscher zwischen 1996 und dem Dezember 2004 im Rahmen des europäischen EPICA-Projektes (European Project for Ice Coring in Antarctica) 3270 Meter tief ins das Eis der Antarktis. Mit genauen Analysen der so erhaltenen Bohrkerne konnten Forscher die Klimageschichte der vergangenen 800.000 Jahre zuverlässig rekonstruieren. "In dieser Zeit wechselten sich lange Kaltzeiten mit kürzeren warmen Epochen in einem Rhythmus von ungefähr hunderttausend Jahren ab", erklärt AWI-Forscher und BE-OI-Projektkoordinator Olaf Eisen. Da in diesem Eis auch winzige Bläschen eingeschlossen sind, die noch Luft aus der Zeit enthalten, in der das Eis sich bildete, können die Klimaforscher darin den Gehalt der wichtigen Treibhausgase Kohlendioxid und Methan messen. Und sie finden klare Zusammenhänge: War das Klima auf der Erde kalt, gab es viel weniger Kohlendioxid und auch weniger Methan in der Luft als in wärmeren Epochen.

Aus den Jahrhunderttausenden vor dieser Zeit haben die Forscher bisher allerdings keine Eisbohrkerne, in deren Luftbläschen sie den damaligen Gehalt der Treibhausgase messen könnten. Gerade in dieser Epoche aber hat sich der Rhythmus stark verändert, in dem sich Kaltzeiten und wärmere Perioden abwechseln: "Vor mehr als 1,2 Millionen Jahren dauerte ein solcher Zyklus nur etwa 40.000 Jahre, ausgelöst durch regelmäßige Änderungen in der Neigung der Erdachse. Danach folgte eine 300.000 Jahre lange Übergangszeit, bevor vor rund 900.000 Jahren dann der Hunderttausend-Jahre-Rhythmus begann", erklärt Olaf Eisen.

Diese Entwicklung kennen Klimaforscher aus Untersuchungen der Sedimente, die sich in diesen Zeiten am Meeresgrund abgelagert haben. Solche Analysen liefern Hinweise auf die damaligen Temperaturen und auf die Massen der Eispanzer, die in diesen Zeiten über der Antarktis, über Grönland und zeitweise auch über Nordamerika und dem Norden Europas lagen. Daten zu den Treibhausgasen Kohlendioxid und Methan und deren Zusammenhänge mit der Entwicklung des Klimas erhalten die Forscher dagegen nur aus den Luftbläschen, die in dieser Zeit im Eis eingeschlossen wurden.

"Es gibt daher sehr gute Gründe, nach den 800.000 Jahre alten EPICA-Proben bis in mindestens 1,5 Millionen Jahre altes Eis zu bohren", erklärt Olaf Eisen. Damit könnten die Forscher nicht nur die Klimazusammenhänge der "mittleren Pleistozän-Übergangszeit" untersuchen, sondern auch den davor liegenden 40.000-Jahre-Rhythmus. Da die im Eis enthaltenen Moleküle im Laufe vieler Jahrtausende ein wenig diffundieren und so die Analysen "verschmieren", suchen die Forscher Eis mit einer höheren Auflösung, in dem zehntausend Jahre Klimageschichte in einem mindestens einen Meter langen Bohrkern stecken, in dem das Verschmieren eine geringere Rolle spielt.

In den vergangenen drei Jahren suchten die Forscher aus zehn europäischen Ländern, unterstützt von Kollegen aus den USA, Australien, Japan und Russland, in der Antarktis im BE-OI-Projekt daher Eis, das diese Kriterien erfüllt. Bei Flügen über die Antarktis analysierten sie mit Radarstrahlen die unter der Oberfläche liegenden Schichten des Eises, die sie mit bis zu 400 Meter tiefen Probebohrungen auch direkt untersuchten. Aus diesen Ergebnissen schlossen die Forscher auf die Verhältnisse in tieferen und damit älteren Schichten. Dabei kristallisierte sich der "Little Dome C" als bester Kandidat für mindestens 1,5 Millionen Jahre altes Eis heraus, das in seinen ältesten Bereichen noch eine gute Auflösung hat und das unter dem riesigen Druck der darüber liegenden Massen auch an seiner Basis nicht schmilzt.

Gibt die Europäische Union wie erhofft grünes Licht für die zweite Phase von BE-OI, werden die Forscher koordiniert von Carlo Barbante von der Universität von Venedig auf dem "Little Dome C" ein Feldcamp aufbauen, in dessen Containern die Mannschaft während der Bohrungen in recht einfachen Verhältnissen leben wird. Voraussichtlich Mitte November 2021 kann dann eine Bohrung beginnen, mit der zehn Zentimeter dicke Eiskerne gewonnen werden. In drei Antarktissommern soll diese Bohrung dann jeweils von Mitte November bis Anfang Februar fortgesetzt werden, bis 2024 eine Tiefe von 2730 Metern erreicht wird, in der das Eis mindestens 1,5 Millionen Jahre alt sein dürfte. Im Jahr 2025 sollten die ersten Daten der Bohrkern-Analysen vorliegen, aus denen das internationale Forscherteam dann die Zusammenhänge zwischen den Treibhausgasen und dem Klima in der "mittleren Pleistozän-Übergangszeit" und den davor liegenden Epochen untersuchen wollen.


Hintergrundinformationen:
BE-OI ist der europäische Beitrag für die weltweite Suche nach der geeigneten Stelle für eine Eisbohrung. Das Konsortium übernimmt die Vorstudien für die Standortwahl rund um Dome C und Dome Fuji, beides potentiell geeignete Regionen in der Ostantarktis. Weitere Wissenschafts-Konsortien untersuchen im Rahmen von IPICS (International Partnerships in Ice Core Sciences) andere Lokationen. Dieses Projekt wird gefördert von der Europäischen Union im Horizon 2020 Forschungs- und Innovationsprogramm unter der Förderungsnummer 730258.

Mitglieder im BE-OI-Konsortium:

  • Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI, Deutschland), Koordination
  • Institut Polaire Français Paul Émile Victor (IPEV, France)
  • Agenzia nazionale per le nuove tecnologie, l'energia e lo sviluppo economico sostenibile (ENEA, Italy
  • Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS, France)
  • British Antarctic Survey (NERC-BAS, Great Britain)
  • Universiteit Utrecht - Institute for Marine and Atmospheric Research (UU-IMAU, Netherlands)
  • Norwegian Polar Institute (NPI, Norway)
  • Stockholms Universitet (SU, Sweden)
  • Universität Bern (UBERN, Switzerland)
  • Università di Bologna (UNIBO, Italy)
  • University of Cambridge (UCAM, Great Britain)
  • Kobenhavns Universitet (UCPH, Denmark)
  • Université Libre de Bruxelles (ULB, Belgium)
  • Lunds Universitet (ULUND, Sweden)


Das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) forscht in der Arktis, Antarktis und den Ozeanen der gemäßigten sowie hohen Breiten. Es koordiniert die Polarforschung in Deutschland und stellt wichtige Infrastruktur wie den Forschungseisbrecher Polarstern und Stationen in der Arktis und Antarktis für die internationale Wissenschaft zur Verfügung. Das Alfred-Wegener-Institut ist eines der 19 Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution188

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, 09.04.2019
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. April 2019

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