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FORSCHUNG/1015: Wie man Elektronen entlang chemischer Bindungen verschiebt (idw)


Forschungsverbund Berlin e.V. - 25.11.2013

Wie man Elektronen entlang chemischer Bindungen verschiebt



Mit Femtosekunden-Röntgen-Blitzen haben Berliner Forscher die Bewegung von Elektronen in einem starken elektrischen Feld direkt und räumlich aufgelöst abgebildet. Bewegte Röntgenbilder von kristallinem Lithiumhydrid zeigen, dass die elektrische Abstoßung der Elektronen entscheidenden Einfluss auf die Bewegungsrichtung der Elektronen hat.

Ein ionischer Kristall ist eine regelmäßige Anordnung von postitiv und negativ geladenen Ionen im Raum. Ein Prototypmaterial ist das uns bekannte Kochsalz Natriumchlorid (NaCl) mit würfelförmigen Elementarzellen. Dieser Würfel enthält positiv geladene Na+ Ionen, denen ein Elektron fehlt, das jeweils an ein negativ geladenes Cl- Ion abgegeben wurde (Bild 1). Ein weiteres Material mit Kochsalzstruktur ist Lithiumhydrid (LiH) bestehend aus Li- und H-Atomen. Im Gegensatz zum ionischen Kochsalz Na+Cl- berechnen sich die Ladungen bei Lithiumhydrid wie Li0.5+H0.5-, eine Art Mischvariante zwischen dem ionsichen Fall Li+H- und dem kovalent gebundenen Fall Li0+H0-, in dem die Atome neutral bleiben. Das spezielle Verhalten von LiH hat seinen Ursprung in den starken, elektrischen Kräften zwischen allen geladenen Teilchen im Kristall. Die räumliche Anordnung der Elektronen ist durch die Minimierung der elektrischen Gesamtenergie bestimmt. Bei Anlegen eines äußeren elektrischen Feldes werden die Elektronen in Bewegung versetzt, die ebenfalls stark durch die räumlichen Korrelationen aller Elektronen beeinflusst wird. Obwohl Elektronen-Korrelationen ein Thema zahlreicher theoretischer Publikationen sind, sind direkte experimentelle Einsichten in dieses wichtige Thema bislang sehr spärlich.

Ein Forscherteam am Max-Born-Institut konnte nun erstmals solche Elektronen-Korrelationen direkt in Raum und Zeit beobachten, indem es die Elektronenbewegung in Form einer zeitabhängigen Landkarte der Elektronenverteilung erfasste. In den Experimenten werden die Elektronen durch ein sehr starkes elektrisches Feld in Bewegung gesetzt, welches nur in einem sehr kurzen Zeitinterval von 50 fs (1 fs = 10-15 s) mittels eines optischen Lichtimpulses an den LiH-Kristall angelegt wird. Die veränderte Elektronenverteilung wird mittels 100 fs langen Röntgenblitzen, die an der Probe gestreut werden, gemessen. In der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Physical Review Letters http://prl.aps.org/abstract/PRL/v111/i21/e217401 [111, 217401 (2013)] präsentieren Vincent Juvé, Marcel Holtz, Flavio Zamponi, Michael Wörner, Thomas Elsässer und Andreas Borgschulte zeitabhängige Elektronendichte-Landkarten, die eine extrem schnelle Verschiebung von elektronischer Ladung von den Li0.5+ zu den H0.5- Ionen über eine Distanz von 0.2 Nanometer (1 nm = 1 Milliarstel Meter) zeigen. Dieses völlig unerwartete Verhalten bedeutet, dass das Material bei Anlegen eines elektrischen Feldes mehr ionisch wird. Diese Beobachtung steht im Gegensatz zum üblichen Verhalten ionischer Systeme, etwa von LiBH4 oder NaBH4.

Da das elektrische Feld des optischen Impulses seine Richtung alle 1.3 fs wechselt, wird das Elektron zwischen zwei Ionen etwa mit einem Prozent der Lichtgeschwindigkeit (c = 300.000 km/s) hin und her gezogen. Nach dem optischen Impuls kehrt das Elektron zurück und die ursprüngliche Elektronverteilung ist wieder hergestellt. Qualitativ lässt sich die unerwartete Elektronenbewegung folgendermaßen erklären: Das elektrische Feld beschleunigt die Elektronen in einer Weise, dass sie gleichmäßiger über die Elementarzelle verteilt werden. Da Li ursprünglich mehr Elektronen hat, führt diese Umverteilung zum Verlust von Elektronen.

Aufgrund der sehr kleinen Anzahl von Elektronen in LiH tragen alle Elektronen zu diesem Effekt bei, sodass die Elektronenverteilung sehr empfindlich auf Korrelationseffekte ist, was theoretische Berechnungen bestätigen. Die Manipulation von Elektronenverteilungen mittels starker elektrischer Felder stellt eine interessante Möglichkeit dar, die Matrialeigenschaften auf sehr kurzen Zeitskalen zu kontrollieren, welche beispielsweise in ultraschnellen elektrischen Schaltern technische Anwendung finden könnte.

Weitere Informationen unter:

http://prl.aps.org/abstract/PRL/v111/i21/e217401
- Originalveröffentlichung

http://www.fv-berlin.de/news/wie-man-elektronen-entlang-chemischer-bindungen-verschiebt?set_language=de
- Pressemitteilung (mit Formeln)

http://www.mbi-berlin.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution245

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Forschungsverbund Berlin e.V., Gesine Wiemer, 25.11.2013
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. November 2013