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FORSCHUNG/790: Vom Licht gekühlt (DFG)


forschung 4/2010 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Vom Licht gekühlt

Von Ulrich Vogl und Martin Weitz


Mit Laserbeschuss entwickeln Physiker eine leistungsfähige Methode, die Temperatur von atomaren Gasen bei sehr hohen Drücken abzusenken. Das eröffnet der Materieforschung neue Wege - und kann langfristig sogar zur Entwicklung neuer Gefrierschränke führen.


Physiker sind bereits seit Jahrzehnten von der Idee begeistert, Materie mit Licht zu kühlen. Doch eine Lichtkühlung scheint unserer Alltagserfahrung zu widersprechen. Denn üblicherweise wird bei der Bestrahlung von Materie mit Licht ein Großteil der in der optischen Strahlung enthaltenen Energie in Wärme umgewandelt. Das führt zur Aufheizung, bekannt vom sommerlichen Sonnenbaden ebenso wie vom Laserschweißen.

So war es ein ungewöhnliches Gedankenexperiment, das der deutsche Physiker Peter Pringsheim 1929 anstellte, als er seine Idee vorstellte, Materie - er dachte zunächst an Natriumdampf - mit Licht zu kühlen. Natriumatome haben zwei besonders starke optische Übergänge, die sogenannten Natrium-D-Linien, die auch für die gelbe Farbe moderner Straßenbeleuchtungen verantwortlich sind. Pringsheim schlug nun vor, Natriumdampf mit Licht, das auf den niederenergetischen der beiden Übergänge, der sogenannten D1-Line, abgestimmt ist, zu bestrahlen.

Normalerweise leuchten atomare Gase energieneutral auf der zuvor eingestrahlten Wellenlänge. Würde nun aber Energie aus der thermischen Bewegung des Gases in Anregungsenergie umgewandelt, was Pringsheim durch Stöße zwischen den Atomen möglich erschien, sollten die Atome Licht auf der höherenergetischen der beiden D-Linien, der sogenannten D2-Line, abstrahlen. Das Ergebnis: Die abgestrahlten Photonen nehmen zusätzliche, aus der atomaren Bewegung stammende Energie mit sich. So kann mehr Energie aus dem Natriumdampf entweichen, als durch das eingestrahlte Lichtfeld geliefert wird. Dies bedeutet nichts anderes, als dass sich das Gas abkühlt.

Zu Pringsheims Zeiten konnte eine Lichtkühlung von Materie noch nicht realisiert werden. Mit der Erfindung des Lasers, einer spektral besonders reinen und leistungsstarken Lichtquelle, rückte einige Jahrzehnte später die Idee einer optischen Kühlung erstmals in den Bereich des experimentell Möglichen. Den größten Einfluss auf die weitere Forschung hatte dabei der Vorschlag der "Doppler-Kühlung" verdünnter atomarer Gase, ein Verfahren, das 1975 von Theodor Hänsch und Arthur Schawlow vorgeschlagen und bald darauf von russischen und US-amerikanischen Forschern experimentell realisiert wurde.

Bei Gasen ist die Temperatur ein Maß für die mittlere Geschwindigkeit der Atome. Anders gesagt: Je heißer ein Gas ist, desto schneller bewegen sich die Atome. Bei der Doppler-Kühlung werden Atome, die einem Laserstrahl entgegenkommen, über den Doppler-Effekt in Resonanz geschoben und durch Lichtdruck abgebremst. Mittels mehrerer Lichtstrahlen konnten sehr verdünnte Atomwolken auf Temperaturen von nur einigen Millionstel Grad über dem absoluten Nullpunkt gekühlt werden. So entwickelte sich das sehr erfolgreiche Feld der Physik ultrakalter atomarer Gase, deren weithin bekannter Höhepunkt die 1995 erreichte Bose-Einstein-Kondensation sein dürfte. Auf diesem Forschungsgebiet wurden bis heute sechs Nobelpreise vergeben.

Mitte der 1990er-Jahre konnte ein anderer Ansatz zur Kühlung mit Licht an festen Stoffen, also Festkörpern, verwirklicht werden: die sogenannte Anti-Stokes-Kühlung. Hier wird Materie abgekühlt, wenn die Energie der vom Festkörper abgestrahlten Photonen im Mittel höher ist als diejenige der eingestrahlten Photonen. Für die Festkörper-Laserkühlung müssen in sehr reine Gläser gezielt Atome seltener Erden mit geeigneten optischen Übergängen eingebracht werden. Die tiefsten bislang erreichten Temperaturen liegen bei - 130 Grad Celsius.

In unseren Arbeiten untersuchen wir eine Laserkühlung von atomaren Gasen bei sehr hohen Drücken, typischerweise dem 200-fachen des üblichen Umgebungsdrucks. Damit liegt die Gasdichte etwa zehn Milliarden Mal über den in Experimenten zur Doppler-Kühlung verwendeten Parametern. Dabei geht es ähnlich wie bei der Festkörperkühlung um eine Kühlung von makroskopischer Materie.

Konkret wird ein Gemisch aus atomarem Rubidiumgas und einer hohen Konzentration von Argon verwendet. Rubidium ist ein Alkalimetall und damit chemisch ähnlich dem in der Arbeit von Pringsheim diskutierten Natrium. Durch das beigemischte Edelgas werden die Spektrallinien des Rubidiumatoms stark verbreitert: Bei Gasdrücken von 200 bar liegt die Druckverbreiterung der Spektrallinien des optisch aktiven Rubidiumatoms in der Größenordnung der thermischen Energie des Gases. So wird der Energieaustausch zwischen dem Lichtfeld während der Anregung des Rubidiumatoms und der bei Stößen zwischen Rubidiumatomen und Argon übertragenen Bewegungsenergie effizient. Eine Verwendung eines Edelgas-Alkaliatom-Gemisches zur stoßinduzierten Laserkühlung war 1978 von den Physikern Paul Berman und Stig Stenholm vorgeschlagen worden. Mit Gasen bei Normaldruck konnte jedoch nie eine Kühlung beobachtet werden.

Zur Laserkühlung des Hochdruckensembles wird in unseren Bonner Experimenten Laserlicht verwendet, dessen Wellenlänge mit 815 Nanometern einige Nanometer länger ist als die D-Linien des Rubidiumatoms (bei 780 und 795 Nanometern). Die Energie der eingestrahlten Photonen ist also eigentlich nicht hinreichend, um Rubidiumatome anzuregen. Dies ändert sich aber, wenn ein Rubidiumatom mit einem Argonatom zusammenstößt. Das Rubidiumatom wird gestört, seine Übergangsenergien verschieben sich ein wenig, und zum Zeitpunkt der Kollision wird weniger Energie als normal benötigt, um ein Elektron des Rubidiumatoms in einen angeregten Zustand zu heben. Das Rubidium-Argon-Paar spannt gleichsam eine Feder, während die Atome aufeinanderprallen.

Nach dem Zusammenstoß normalisieren sich die Elektronenumlaufbahnen im Atom. Um auf der hohen Umlaufbahn zu bleiben, fehlt dem Elektron etwas Energie. Diese wird der Bewegungsenergie des Atoms entzogen, das dadurch langsamer wird. Sowohl Rubidium- als auch die Argonatome werden abgebremst; die Temperatur des Gases verringert sich. Der angeregte Zustand des Rubidiumatoms zerfällt nach einigen Nanosekunden wieder in den Grundzustand, und das Atom steht dann für weitere Zyklen des Laserkühlprozesses zur Verfügung. Um die Kühlung nachzuweisen, musste eine hohe Rubidiumdichte gegeben sein. Rubidium ist bei Raumtemperatur ein weiches Metall, über dem sich erst bei 350 Grad Celsius ein ausreichend hoher Rubidiumdampfdruck bildet. Dieser erlaubt es, das Gas mit dem Laser zu kühlen.

Die Abkühlung, durch Laserstrahlung erzielt, konnte erstmals anhand von Experimenten mit einer Wärmebildkamera gezeigt werden. Dabei war die Kamera auf eines der optischen Fenster der verwendeten Hochdruckzelle gerichtet. Infolge des Wärmetransports durch das Fenstermaterial erwarteten wir, dass eine Temperaturabsenkung im Gas auch zu einer, wenngleich deutlich kleineren, Temperaturänderung des Zellenfensters führt. Im Experiment ließ sich mit der Wärmebildkamera eine Abkühlung des Zellenfensters nahe dem Kühllaserstrahl beobachten (nebenstehende Abbildung), was einen sehr direkten qualitativen Nachweis der stoßinduzierten Laserkühlung erlaubte. Experimentell wurde die Temperaturänderung später im Gas selbst untersucht. Die Kühlung verändert auch die optische Dichte des Gases. Dichteveränderungen in Gasen sind es auch, die Erscheinungen wie der Fata Morgana oder dem "Mirage-Effekt" (Spiegeln über erhitzten Straßenoberflächen) zugrunde liegen.

Im Experiment wurde das durch einen ersten Kühllaserstrahl bewirkte Temperaturprofil mit einem zweiten Testlaserstrahl abgetastet. Dabei konnten eine Temperaturänderung von 66 Grad Celsius im Zentrum des Kühllaserstrahls gemessen und die grundsätzliche Wirksamkeit des Verfahrens nachgewiesen werden.

Die Kühleffizienz, also das Verhältnis von eingestrahlter Lichtleistung und Kühlleistung, beträgt etwa vier Prozent, was um einen Faktor von mehr als 10 000 oberhalb der Kühleffizienz von Experimenten zur Doppler-Kühlung von verdünnten Gasen liegt. Bei einer eingestrahlten Lichtleistung von drei Watt entspricht dies etwa 100 Milliwatt Kühlleistung. Der Grad der erreichten Temperaturabsenkung in der nicht isolierten Gasprobe ist in diesen Grundlagenexperimenten durch die Wärmeleitung nach außen bestimmt. Jüngste Messungen deuten darauf hin, dass mit höheren Gasdichten und einer stärkeren Fokussierung des Kühllaserlichts eine Abkühlung des Gases auf deutlich kleinere Temperaturen erreicht werden kann.

Das neue Kühlverfahren könnte helfen, neue Materiezustände zu schaffen. Bei schneller Abkühlung bleiben Gase bei Temperaturen gasförmig, bei denen sie eigentlich bereits flüssig oder sogar fest wären. Ähnliche Effekte kennt man von Wasser, das bis auf -42 Grad Celsius heruntergekühlt werden kann, ohne dass es gefriert. Wenn die Abkühlung sehr schnell geschieht, sind sogar noch tiefere Temperaturen möglich. "Unterkühlte" Flüssigkeiten und Gase zeigen sehr interessante Eigenschaften. Vorangebracht würden die Experimente, wenn es gelänge, Gase mit dem stoßinduzierten Laserkühlverfahren zu kühlen, die bereits bei Raumtemperatur gasförmig sind, zum Beispiel viele molekulare Gase. Damit ließe sich die zur Verdampfung der Rubidiumatome erforderliche anfängliche Aufheizung vermeiden. Technisch interessant könnte das Laserkühlverfahren für das Entwickeln neuartiger Mini-Kühlschränke sein oder auch zur Kühlung von Infrarotdetektoren oder astronomischen Kameras beitragen.


Dr. Ulrich Vogl
forscht nach seiner Promotion in Bonn nun am National Institute of Standards and Technology in Gaithersburg/USA.

Prof. Dr. Martin Weitz
forscht und lehrt an der Universität Bonn.

Adresse: Institut für Angewandte Physik der Universität Bonn, Wegeler Str. 8, 53115 Bonn

DFG-Förderung im Rahmen der Forschergruppe 557
"Light Confinement and Control with Structured Dielectrics and Metals".

www.iap.uni-bonn.de/ag_weitz/index.html
http://licht.physik.uni-bonn.de


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Quelle:
forschung 4/2010 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, S. 23-25
mit freundlicher Genehmigung der Autoren
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2011