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FORSCHUNG/897: Was die Materie zusammenhält (RUBIN)


RUBIN - Wissenschaftsmagazin, Frühjahr 2012
Ruhr-Universität Bochum

Komplexe Kräfte effizient berechnen
Was die Materie zusammenhält
Physiker berechnen mit der effektiven Feldtheorie, welche Kräfte in Atomkernen wirken

von Evgeny Epelbaum

Atomkern und Elektronen kann man sich noch vorstellen. Doch auch der Atomkern ist nicht unteilbar. Seine Bausteine sind nicht nur elektrisch geladen, sondern haben weitere Eigenschaften, die Physiker mit Farben bezeichnen und die ihre Bindungen beeinflussen. Für ihren Zusammenhalt ist ein kompliziertes Wechselspiel von Kräften verantwortlich. Forscher der Theoretischen Physik um Prof. Dr. Evgeny Epelbaum begeben sich mit komplexen Berechnungen auf ihre Spur. Dabei werden sie gefördert durch den European Council Starting Grant "NuclearEFT: Nuclear Physics from Quantum Chromodynamics".


Die Frage nach dem Aufbau der Materie beschäftigt die Menschen seit der Antike. Die Vorstellung, dass die Materie aus unteilbaren Grundbausteinen - griechisch "a-tomos" - besteht, von denen es nur eine kleine Anzahl unterschiedlicher Typen geben sollte, geht zurück auf den griechischen Philosophen Leukipp (um 450-360 v. Chr.) und seinen Schüler Demokrit (460-371 v. Chr.). Dieser Grundgedanke erwies sich als richtig: In der Tat besteht die uns umgebende, in Gaswolken, Sternen und Planeten sichtbare Materie aus ladungsneutralen Atomen, die ihrerseits aus negativ geladenen Elektronen und positiv geladenen Atomkernen aufgebaut sind. Es ist also die elektromagnetische Wechselwirkung, die für die Bindung der negativ geladenen Elektronenhülle am positiv geladenen Atomkern und damit für chemische Eigenschaften der Atome verantwortlich ist. Während Elektronen nach heutigem Wissensstand keine innere Struktur besitzen, also wirklich Elementarteilchen sind, sind Atomkerne aus positiv geladenen Protonen und elektrisch neutralen Neutronen aufgebaut, zusammenfassend Nukleonen genannt. Sind die Nukleonen ähnlich wie Elektronen strukturlos, oder können sie vielleicht in noch kleinere Teile zerlegt werden? Und was hält die Protonen und elektrisch neutralen Neutronen in einem Atomkern zusammen?

Die in den späten 1960er-Jahren durchgeführten Streuexperimente, in denen Protonen mit hochenergetischen Elektronen beschossen wurden, lieferten Hinweise auf ihre innere Struktur, die einen Aufbau aus noch kleineren Teilchen nahelegten. Die Bestandteile des Nukleons bezeichnet man als Quarks und Gluonen (s. Abb. 2); ihre Wechselwirkung wird durch die Quantenfeldtheorie der starken Wechselwirkung (Quantenchromodynamik, QCD) beschrieben (s. Info). Die Quarks und Gluonen spielen eine ähnliche Rolle wie Elektronen und Photonen in der Quantenelektrodynamik (QED): Quarks sind die - nach heutigem Wissensstand - strukturlosen Materieteilchen, deren starke Wechselwirkung durch masselose Gluonen vermittelt wird. Analog zu elektromagnetischen Kräften zwischen elektrisch geladenen Teilchen wie Elektronen und Protonen beschreibt die QCD die starke Wechselwirkung zwischen den Quarks. Zusätzlich zur elektrischen Ladung gibt es in der QCD drei unterschiedliche Ladungsarten, die man mit "Farben" bezeichnet. Diese Farbladung führt zu einer Wechselwirkung der Teilchen untereinander. Die Selbstwechselwirkung der Gluonen und die große Stärke der Kräfte verkomplizieren die Theorie enorm und führen zu einer Reihe faszinierender Phänomene, die man in der Welt der Photonen und Elektronen (Quantenelektrodynamik) nicht beobachtet.

© Ruhr-Universität Bochum

Abb. 2: Der positiv geladene Atomkern besteht aus positiv geladenen Protonen und neutralen Neutronen. Beide wiederum sind aus noch kleineren Bausteinen aufgebaut, den sogenannten Quarks und Gluonen. Die Gluonen vermitteln die starke Wechselwirkung zwischen den Quarks.
© Ruhr-Universität Bochum

So stellt sich heraus, dass farbgeladene Quarks und Gluonen nicht einzeln beobachtet werden können, sondern nur in farbneutralen Komplexen vorkommen, in denen sich die einzelnen Farbladungen gegenseitig aufheben, den sogenannten Hadronen. Diese Eigenschaft bezeichnet man als "Confinement". Der genaue Mechanismus, der zum Confinement führt, ist noch nicht verstanden und eng mit einem der sieben vom Clay Mathematics Institute (Cambridge, USA) festgesetzten Millenium-Probleme verbunden.

Eine andere interessante Eigenschaft ist die Tatsache, dass die Masse von Nukleonen sich nicht einfach durch die Summe der Massen ihrer einzelnen Teile (d.h. Quarks) ergibt, sondern hauptsächlich durch die Bindungs- und Bewegungsenergie der stark wechselwirkenden Quarks und Gluonen generiert wird. Die Masse der Atome ist im Gegensatz dazu zu mehr als 99 Prozent durch die Massen ihrer Teile gegeben.

Die Aufklärung der inneren Struktur, der Eigenschaften und der Dynamik von Hadronen zählt zu den größten Herausforderungen der modernen Physik. Die Stärke der Wechselwirkung zwischen Quarks und Gluonen wird durch die sogenannte Kopplungskonstante bestimmt. Kleine Werte dieser Kopplungskonstante (also schwache Wechselwirkung), ermöglichen die Verwendung der in der Physik üblichen Störungstheorie, die lange Zeit als einziger theoretischer Zugang zur Berechnung von Beobachtungsgrößen in der Quantenfeldtheorie galt. Kopplungskonstanten sind jedoch energieabhängig: Die QCD-Kopplungskonstante nimmt bei hohen Energien ab, sodass man hochenergetische Reaktionen, wie zum Beispiel den Aufprall von hochenergetischen Elektronen auf Protonen, störungstheoretisch berechnen kann. Bei kleinen Energien, die etwa den typischen kinetischen Energien der Nukleonen in einem Kern entsprechen und damit zum Verständnis ihrer Struktur relevant sind, wird die QCD-Kopplungskonstante groß, sodass die üblichen störungstheoretischen Methoden nicht anwendbar sind.

Ein alternativer, systematischer Zugang ist möglich, wenn man das Raum-Zeit-Kontinuum durch ein endliches Gitter darstellt. Die möglichen Positionen der Quarks werden dabei durch eine endliche Anzahl von Punkten in einem Gitter vorgegeben. Diese Gitterformulierung ist ein geeigneter Ausgangspunkt für numerische Simulationen von hadronischen Beobachtungsgrößen durch eine stochastische Näherung. Sie wird insbesondere für die Bestimmung der statischen Eigenschaften von Hadronen von Grund auf, wie etwa ihrer Massen, erfolgreich angewandt.

Da der numerische Aufwand solcher Simulationen sehr schnell mit der Größe des Gitters wächst, sind die Anwendungen derzeit meistens auf die Eigenschaften einzelner Hadronen beschränkt. Einen alternativen und komplementären Zugang bieten effektive Feldtheorien (EFT), bei denen man das Problem dadurch vereinfacht, dass man irrelevante Phänomene ignoriert und dabei in Kauf nimmt, dass sich die Gültigkeit der Berechnung auf einen kleinen Bereich beschränkt. Die daraus resultierende, effektive Beschreibung ist nur in einem bestimmten Energie- bzw. Abstandsbereich gültig.

Dieser Grundgedanke ist ein wohlbekanntes Prinzip in der Physik: So stellt beispielsweise die aus der Schule bekannte Formel für die Anziehungskraft unserer Erde, F = m*g, eine Näherung des Newtonschen Gravitationsgesetzes dar. Sie gilt nur für Abstände zwischen einem Körper und der Erdoberfläche, die im Vergleich zum Erdradius klein sind. Die allgemeingültige Formel des Gravitationsgesetzes ist komplizierter.

Wie kann man diese Ideen auf hadronische Systeme anwenden? Der entscheidende Aspekt liegt in der Tatsache, dass die Dynamik von Hadronen, z.B. beim Zusammentreffen von zwei Protonen mit niedriger Energie, nicht unmittelbar von Vorgängen abhängt, die im Inneren des Protons zwischen Quarks und Gluonen ablaufen. Die Beschreibung solcher Systeme ist daher viel effizienter (und einfacher) möglich, wenn man Hadronen als Ganzes betrachtet und nicht als zusammengesetzte Objekte mit einer komplizierten Struktur. Völlig analog lässt sich beispielsweise in der modernen Quantenchemie die Struktur von Atomen und Molekülen sehr präzise bestimmen, ohne dafür Informationen über den Aufbau des Kerns oder des Nukleons verwenden zu müssen.

Die vereinfachte Beschreibung der Quantenchromodynamik bei niedrigen Energien erzielt man durch die Einführung einer sogenannten effektiven, hadronischen Lagrangefunktion. Lagrangefunktionen legen in der Physik die Eigenschaften eines Systems oder einer Theorie wie der Quantenelektrodynamik oder der Quantenchromodynamik vollständig fest. Die effektive Lagrangefunktion enthält alle möglichen Wechselwirkungen, die mit der zugrundeliegenden Theorie (d.h. der QCD) verträglich sind. Jede Wechselwirkung wird dabei mit einer Kopplungskonstante multipliziert, die ihre Stärke bestimmt. Solche Konstanten sind durch die QCD bestimmt und können - in gewissen Fällen - mittels Gittersimulationen berechnet werden. Alternativ lassen sie sich auch an experimentelle Daten anpassen.

Anders als mit der Quantenchromodynamik können hadronische Beobachtungsgrößen mit der effektiven Theorie in vielen Fällen durch die übliche Rechenmethode der störungstheoretischen Reihe annäherungsweise berechnet werden. Dabei tritt in jeder Ordnung der Entwicklung eine endliche Anzahl von Wechselwirkungstermen auf, sodass man in der Praxis immer nur endlich viele Kopplungskonstanten bestimmen muss. Der universelle Charakter der effektiven Lagrangefunktion ermöglicht anschließend Vorhersagen über unterschiedliche hadronische Reaktionen wie etwa das Zusammentreffen zweier Protonen mit niedriger Bewegungsenergie.

Effektive Feldtheorien haben sich in der letzten Zeit zu sehr wichtigen theoretischen Werkzeugen etabliert und werden heute in verschiedenen Bereichen der Kern-, Hadronen- und Teilchenphysik eingesetzt. Die Anwendung auf Reaktionen mit mehreren Nukleonen bedarf, wegen der großen Stärke der nuklearen Wechselwirkung, einer Modifikation und erfolgt in zwei Schritten.

Zuerst wird die quantenfeldtheoretische Formulierung auf das einfacher zu behandelnde, quantenmechanische n-Teilchen-Problem reduziert. Dabei wird die Dynamik von n Nukleonen durch die Schrödingergleichung beschrieben, eine Grundgleichung für die Dynamik von Quantensystemen. Die diese Dynamik bestimmenden Kräfte zwischen den Nukleonen können - ausgehend von der effektiven Lagrangefunktion mittels der störungstheoretischen Reihe - systematisch hergeleitet werden.

Dabei treten zwei unterschiedliche Mechanismen auf: Die Wechselwirkung zwischen weiter voneinander entfernten Nukleonen entsteht durch Austausch von einem oder mehreren virtuellen Pionen (s. Info), die im Vergleich zu anderen Hadronen eine sehr kleine Masse besitzen. Die typische Lebensdauer solcher virtueller Austauschteilchen ist invers proportional zu ihrer Masse: je leichter das Teilchen, umso größer seine Lebensdauer und, entsprechend, auch die zurückgelegte Strecke (also die Reichweite der Kraft). Die Mechanismen, die bei kurzen Distanzen wirken, wie zum Beispiel der Austausch von schweren Mesonen (s. Info), können bei niedrigen Energien nicht einzeln unterschieden werden und werden deshalb durch Kontaktkräfte dargestellt (s. Abb. 3).

© Ruhr-Universität Bochum

Abb. 3: Die Wechselwirkung zwischen den Nukleonen (als durchgehender Strich dargestellt) wird im Wesentlichen durch die Kräfte zwischen zwei Teilchen bestimmt. Sie können kleine Reichweiten haben (als Punkt dargestellt) oder langreichweitig sein (gestrichelte Linien = Pionenaustausch).
© Ruhr-Universität Bochum

Die effektive Feldtheorie liefert dabei zum ersten Mal ein theoretisches Argument für die Dominanz der Zwei-Nukleon-Kräfte (s. Abb. 3), die vorher immer ad hoc angenommen wurde. Physiker in aller Welt nutzen die von unserer Arbeitsgruppe hergeleiteten Kräfte zur Berechnung nuklearer Systeme.

Im zweiten Schritt muss die n-Teilchen-Schrödingergleichung gelöst werden, um experimentell gemessene Beobachtungsgrößen wie etwa Bindungsenergien von Kernen zu berechnen.

Beide Aspekte sind weltweit hochaktuelle Forschungsthemen und werden im Rahmen des mit dem ERC Grant "NuclearEFT: Nuclear Physics from Quantum Chromodynamics" geförderten Projekts untersucht. Im Vordergrund stehen dabei zum einen die Drei-Nukleon-Kräfte. Ihre Bedeutung ist durch experimentelle Daten für die Nukleon-Deuteron-Streuung belegt, die mit nur Zweiteilchenkräften theoretisch nicht beschrieben werden können. Als Deuteron wird der aus einem Proton und einem Neutron bestehende Atomkern des Deuteriums, 2H, bezeichnet. Durch Verwendung der effektiven Feldtheorie erhofft man sich, die Struktur der Drei-Nukleon-Kräfte quantitativ zu verstehen. Dies ist notwendig, um fundamentale Fragen zur Entstehung der Elemente, Grenzen der Stabilität für neutronen- oder protonenreiche Kerne und die Evolution der Sterne zu beantworten.

Um detaillierte Aussagen über die Struktur von Drei-Nukleon-Kräften machen zu können, muss man die Berechnung der störungstheoretischen Reihe zu hohen Ordnungen fortsetzen. Dabei wird in der EFT neben den Pionen und Nukleonen auch die erste Anregung des Nukleons berücksichtigt. Die laufenden theoretischen Studien werden durch ein Experiment am COSY-Beschleuniger im Forschungszentrum Jülich unterstützt, in dem Deuteronen mit Protonen beschossen werden, sodass die Deuteronen zerfallen.

Ein weiteres Forschungsthema ist interessant für die Astrophysik: Es umfasst die Untersuchung der Wechselwirkung zwischen Hyperonen bzw. Nukleonen und Hyperonen. Hyperonen sind "seltsame" Baryonen (s. Info), die mindestens ein StrangeQuark enthalten. Die Wechselwirkung ist die Grundlage zum Verständnis der Eigenschaften von Hyperkernen - Atomkernen, die neben Nukleonen auch Hyperonen enthalten. Hyperkerne kommen auf der Erde nicht vor, können aber in Beschleunigern in Experimenten erzeugt werden. Sie zerfallen durch schwache Wechselwirkung innerhalb von etwa 10-10 Sekunden. Für die Quantenchromodynamik ist das aber eine lange Zeit, und sie eröffnen viele neue Möglichkeiten für die Untersuchung der Physik der stark wechselwirkenden Materie. Durch das Studium von Hyperkernen erhofft man sich neue Einsichten in die Kernstruktur und insbesondere in den Aufbau der Neutronensterne. So wird vermutet, dass der innere Kern von Neutronensternen aus Hyperonen bestehen könnte. Experimentelle Untersuchungen von Hyperkernen werden derzeit an verschiedenen Forschungseinrichtungen in Deutschland (GSI in Darmstadt, MAMI in Mainz) und weltweit (FINUDA in Italien, Jefferson Lab in den USA, KEK in Japan) durchgeführt. Auch am zukünftigen FAIR-Forschungszentrum in Darmstadt sind von der PANDA-Kollaboration unter Beteiligung von Forschern der Ruhr-Universität Experimente mit Hyperkernen geplant.

Ein anderer Schwerpunkt bezieht sich auf das quantenmechanische n-Teilchen-Problem. Während Drei-Teilchen-Streuung - zum Beispiel der Zusammenprall eines beschleunigten Protons mit einem Deuteron - heutzutage "routinemäßig" berechnet werden kann, stellt bereits das Vier-Teilchen-Streuproblem eine bislang ungelöste Herausforderung dar. Dieses Problem soll mit Hilfe neuer Algorithmen und moderner Supercomputer bewältigt werden, was eine neue Dimension in der Wenig-Teilchen-Physik eröffnen würde.

Eine weitere interessante Entwicklung, die wir in Zusammenarbeit mit Dr. Hermann Krebs (Bochum), Dr. Timo Lahde (FZ Jülich), Prof. Dean Lee (North Carolina, USA) und Prof. Ulf-G. Meißner (Bonn) und unter Verwendung des Jülicher Supercomputers JUGENE durchführen, nutzt die aus den QCD-Gittersimulationen bekannte Methodik, um Eigenschaften von leichten Kernen zu studieren. Dabei wird die effektive Feldtheorie für ein endliches Raum-Zeit-Gitter formuliert. Die zeitliche Evolution eines n-Nukleon-Zustandes kann in dieser Formulierung anhand von stochastischen Simulationen berechnet werden, woraus sich die Grundzustandsenergie sowie die ersten Anregungsenergien bestimmen lassen.

Als Höhepunkt konnten wir mit dieser Methodik den vom englischen Astrophysiker Fred Hoyle 1954 theoretisch vorhergesagten und kurz danach experimentell entdeckten angeregten Zustand des Kohlenstoffs 12C zum ersten Mal berechnen.

Dieser nach Hoyle benannte Zustand mit der Anregungsenergie von etwa 7,65 MeV liegt sehr nahe an der Schwelle des sogenannten Alpha-Zerfalls von 12C. Diese Eigenschaft ist für seine Rolle als "Katalysator" bei der Produktion von Kohlenstoff aus drei Alpha-Teilchen (d.h. Helium-Kernen) in den Sternen verantwortlich (Abb. 4). Ohne den Hoyle-Zustand, gäbe es viel weniger Kohlenstoff in unserem Universum und daher auch kein Leben, wie wir es kennen.

Seit Jahrzehnten gilt der Hoyle-Zustand als wesentliches Indiz für die Vorstellung, dass die Naturkonstanten im beobachtbaren Universum anscheinend genau so und nicht anders aufeinander abgestimmt sein müssen, da wir sonst nicht hier wären, um das Universum zu beobachten (Anthropisches Prinzip). "Für den Hoyle-Zustand heißt das: Er muss genau diese Energie haben, die er hat, weil es uns sonst nicht gäbe", sagt Prof. Meißner. "Wir können jetzt berechnen, ob in einer veränderten Welt mit anderen Parametern der Hoyle-Zustand im Vergleich zur Masse von drei Heliumkernen tatsächlich eine andere Energie hätte." Falls die Anregungsenergie des Hoyle-Zustands in einer veränderten Welt deutlich anders wäre, würde sich nicht ausreichend 12C für die Entstehung von Leben bilden. Dies würde für das Anthropische Prinzip sprechen.

Insbesondere sind weitere Studien geplant, um die Sensitivität der Anregungsenergie des Hoyle-Zustandes gegenüber einer Variation der Quarkmassen in der QCD zu untersuchen.


Prof. Dr. Evgeny Epelbaum,
Institut für Theoretische Physik II, Lehrstuhl Hadronen- und Teilchenphysik


info

QUANTENCHROMODYNAMIK UND TEILCHENEIGENSCHAFTEN

Das Standardmodell der Elementarteilchenphysik ist eine physikalische Theorie (Eichtheorie), die bekannte Elementarteilchen und drei der vier bekannten Fundamentalkräfte der Natur (außer der Gravitation) beschreibt: die starke, die elektromagnetische und die schwache Wechselwirkung. Die Quantenchromodynamik (QCD) ist ein Bestandteil des Standardmodells. Sie beschreibt die starke Wechselwirkung zwischen farbgeladenen Quarks und Gluonen. Gebundene Zustände von Quarks und Gluonen bezeichnet man als Hadronen. Man unterscheidet anhand ihres Eigendrehimpulses (Spins) zwischen Teilchen mit halbzähligem Spin (Baryonen) wie Protonen und Neutronen und ganzzähligem Spin (Mesonen) wie Pionen.

Quarks haben neben ihrer elektrischen und ihrer Farbladung noch weitere Eigenschaften, die Physiker als "Flavour" bezeichnen. Es existieren sechs Flavours, darunter auch "Strange". Strange-Quarks sind schwerer als diejenigen, aus denen die uns umgebende Materie aufgebaut ist.

Obwohl Hadronen - Komplexe aus Quarks und Gluonen - bezogen auf ihre Farbladung neutral sind, gibt es zwischen ihnen eine Restwechselwirkung, die auf die starke Wechselwirkung zwischen ihren farbgeladenen Bestandteilen zurückzuführen ist. Diese Restwechselwirkung zwischen Protonen und Neutronen ist für ihre Bindung in Atomkernen verantwortlich.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. 1: Prof. Dr. Evgeny Epelbaum rechnet: Mittels verschiedener Vereinfachungsstrategien wie der effektiven Feldtheorie wenden er und sein Team die Quantenchromodynamik auf konkrete Fragen der Hadronenphysik an. So vereinfacht werden sie für Hochleistungsrechner handhabbar.

Abb. 4: Der Hoyle-Zustand, ein angeregter Zustand des Kohlenstoffkerns, wurde schon vor über 50 Jahren vorhergesagt und experimentell nachgewiesen. Die Existenz dieses Zustands ist für die Bildung von Kohlenstoff in unserem Universum verantwortlich und damit Basis für alles Leben. Erst vor Kurzem ist seine theoretische Berechnung mit Hilfe der effektiven Feldtheorie gelungen. Dieser Zustand ist vergleichbar mit einem Bergpass, über den man von einem Tal ins andere gelangt: von drei Kernen des Gases Helium zum viel größeren Kohlenstoffkern. Diese Verschmelzungsreaktion findet im heißen Inneren der Sterne statt. Gäbe es den Hoyle-Zustand nicht, hätten im Weltall nur sehr wenig Kohlenstoffkerne und damit auch andere höhere Elemente wie Sauerstoff, Stickstoff und Eisen entstehen können.

Den Artikel mit Bildern finden Sie im Internet im PDF-Format unter:
http://www.ruhr-uni-bochum.de/rubin/rubin-fruehjahr-2012/pdf/beitrag03.pdf

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Quelle:
RUBIN - Wissenschaftsmagazin, Frühjahr 2012, S. 22-29
Herausgeber: Rektorat der Ruhr-Universität Bochum
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Mai 2012