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BERICHT/002: Kernfusion und Plasmaforschung - Fortschritts- und Entwicklungsfragen ... (SB)


Pressereise zur Startvorbereitung für den Wendelstein 7-X & Plasmaphysik im All und auf der Haut

Teil 2: Besuch des Leibniz-Instituts für Plasmaforschung und Technologie (INP) in Greifswald am 18.8.2015

"Plasma inside"

Das Stichwort Plasmen lenkt die Phantasie zunächst einmal in Richtung Weltraum. Man denkt dabei an unendliche Weiten, an Science-Fiction und kosmische Reisen durch fremde Dimensionen und Materien, die nur mit futuristischen, hochentwickelten Techniken und Plasmaantrieben möglich sind, über die bislang kein Mensch verfügt. Aber wohl kaum einer denkt dabei an ein mit Weltmetropolen verglichen weder Groß- noch Kleinstadt zu nennendes, malerisches 56.000-Seelen-Städtchen am "Ende der Welt" sprich: der nordöstlichsten Universitätsstadt Deutschlands.

Foto: © 2015 by Schattenblick

Plasmastrahl im Labor des INP
Foto: © 2015 by Schattenblick

Ob sich das in naher Zukunft ändert, hängt unter anderem auch davon ab, inwiefern und wofür Plasmaforschung am Standort Greifswald genutzt und von einer breiteren Öffentlichkeit als das wahrgenommen wird, was sie in einigen Aspekten bereits zu sein verspricht: ein Füllhorn von forschungsbasierten Lösungsvorschlägen zu den zahlreichen globalen Herausforderungen und gesellschaftlichen Problemen unserer westlichen Welt. Das scheint ein hoch gestecktes Ziel für ein kleines Forschungszahnrädchen an der Nabe einer Entwicklung zu sein, die - was die Zerstörung unseres Planeten betrifft - durch menschliche Hand und Forschung bisher aus dem Ruder geraten ist und die sich durch Qualifizierung einer weiteren Idee in die gleiche technologiegenerierte Richtung wohl kaum aufhalten lassen wird.

Problemlösungsbedarf gibt es genug, angefangen bei der herkömmlichen und alternativen Energiegewinnung über schwindende Ressourcen, Umwelt-, Luft- und Wasserverschmutzung, die Versorgung der Weltbevölkerung mit Nahrungsmitteln und unbekannte Infektionskrankheiten, bis hin zu multiresistenten Keimen und anderen neuen Krankheitserregern (z.B. Prionen), von denen man nie zuvor gehört hatte.

Darüber hinaus nehmen aber auch die Folgeprobleme zu, die mit den bisherigen, manchmal übereilten Antworten und schnellen Lösungen auf solche Herausforderungen einhergegangen sind, wie der verantwortungslose Gebrauch von Düngemitteln und Pestiziden zur Steigerung der Agrarproduktion oder der exponentiell ansteigende Verbrauch von Arzneimitteln (Hormonen, Schmerzmitteln und Antidepressiva), die im Wasserkreislauf landen. Die Zivilisation fordert hier ihren Tribut: Menschen leiden in einem Maß an komplexen Streßerscheinungen und Stoffwechselstörungen, die man vor Jahren noch nicht kannte. Man könnte auch den zerstörerischen Raubbau des Menschen nennen, der seinen wachsenden Bedarf an Bodenschätzen mit ausgeklügelter HighTech in immer unzugänglicheren Gebieten und größeren Erd- (Fracking) oder Meerestiefen (Tiefseeöl) zu decken sucht, und für eine kurze Produktionssteigerung einen gewaltigen instrumentellen Aufwand wie entsprechend tiefgehende Folgeschäden mit möglicher Meer-, Grund- oder Trinkwasserkontamination in Kauf nimmt. Im Widerspruch zum eigenen Anliegen der Plasmaforschung läßt sich bei genauerem Hinblick in fast allen aufwendigen "High"-Techniken ein kleines bißchen "Plasma" finden und sei es nur, daß die Oberfläche von zum Beispiel Fracking-Bohrköpfen korrosionsbeständiger oder widerstandsfähiger gemacht bzw. veredelt werden konnte. Das nennt man dann Ressourceneffizienz.

Am zweiten Tag der Pressereise, zu der die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) eingeladen hatte, um über die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten der Greifswalder Plasmaphysik, die hier von drei Institutionen vertreten wird, dem Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP), dem Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie (INP) sowie dem Institut für Physik (IfP) der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald zu informieren, ging es um die wenig spektakulären Plasmatechnologien, bei denen sogenannte Kalte oder Niedertemperaturplasmen zur Anwendung kommen. Ein erster Eindruck: Plasmaforschung verspricht auf breiter Ebene nicht mehr und nicht weniger als eine Steigerung und auch den weiteren Erhalt des Lebensstandards der westlichen Zivilisation, der sich auf einem bestimmten technologischen Stand aufbaut, welcher zum einen eine Qualifikation schon bekannter Technologien ausmacht und zum anderen den größeren Teil der weniger entwickelten Welt ausklammert, die aber vor den gleichen Problemen steht.

Doch zunächst einmal - ehrlich gefragt -, was ist überhaupt ein Kaltes Plasma?


Ein Cocktail aus sechs Komponenten

Obwohl die Plasmaforschung behauptet, daß 99 Prozent der sichtbaren Materie aus Plasma bestehen, weiß kaum einer, was sich hinter der Bezeichnung verbirgt. Im Grunde wird den drei Aggregatzuständen, die jeder kennt, "fest" (Kristallgitter, hohe Ordnung), "flüssig" (noch elastisch verbundene Moleküle, verformbarer Zustand), "gasförmig" (einzelne Moleküle, hohe Unordnung) in der Reihenfolge ein vierter Aggregatzustand noch größerer Unordnung hinzugefügt, der durch eine weitere Energiezufuhr erreicht werden kann: Plasma.

Diesen Aggregatzustand könne man laut Prof. Dr. Klaus-Dieter Weltmann, Direktor des INP sowie Leiter des Forschungsbereichs Umwelt und Gesundheit, als einen Cocktail aus sechs Komponenten verstehen (Ionen- und Elektronengas, Wärmestrahlung, moderate UV-Strahlung, Licht, elektromagnetische Felder und sogenannte "Radikale", mit denen "reaktionsfreudige Atome mit ungepaarten Elektronen" gemeint sind, die aber nur kurz auftreten, um sofort mit anderen Spezies weiterzureagieren), die sich entsprechend nutzen oder variieren lassen. Das besondere Know-How der angewandten Plasmaphysik liege dabei in der genauen Rezeptur dieses Cocktails. Je nachdem, was damit gemacht werden soll, braucht der Plasmaphysiker mal mehr von diesem oder jenem ...

Der Eindruck, hier würde etwas zur Harmlosigkeit versoßt, was bei genauerem Hinsehen ganz anders aussieht, kommt nicht von ungefähr. Jede einzelne Komponente kann bei entsprechender Dosierung mit hochreaktiven und zerstörerischen Prozessen in Verbindung gebracht werden, mit denen der Laie keinen hautnahen Umgang haben möchte. Entsprechend vorsichtig wird der Begriff "Radikal" in der Öffentlichkeit meist nur in Zusammenhängen verwendet, in denen man über Stoffe spricht, die den Beschleuniger meist unerwünschter chemischer (oder Stoffwechsel-)Prozesse unschädlich machen können. Im Rahmen von Plasmaphysik, in der man u.a. auch die Radikale nutzt, wird hingegen häufiger von "angeregten Spezies" gesprochen. Ob sich der "Cocktailmix" als aggressiv, schädlich oder hochpotent nutzbar erweist, ist in der Plasmaforschung wie in vielen anderen Forschungsbereichen vor allem eine Frage der Dosierung. Allein "nur harmlos", ist er nicht.


"Wir tun Gutes und können es auch erklären"

Prof. Weltmanns Ansicht nach sind Plasmen bereits so weit verbreitet, daß man einem Großteil der Gegenstände des alltäglichen Bedarfs das Label "Plasma inside" aufprägen könnte, zumal an beinahe jedem industriellen Produktionsschritt an irgendeiner Stelle ein Computer oder vielmehr Pentiumprozessor beteiligt ist. "Ohne Plasma kein Pentium", meint Weltmann, denn etwa 80 Prozent aller Herstellungsschritte der mikroskopisch "kleinen schwarzen Käfer in jedem Rechner", sprich Computerchips oder Mikroprozessoren, basieren auf plasmagestützten Verfahren. Dies ist ein Grund dafür, daß Plasmen ihren festen Platz in der Werkzeugkiste der High-Tech-Industrie haben.


Mit einem Plasmastrahler fährt Professor Weltmann über seinen eigenen Handrücken. - Foto: © 2015 by Schattenblick

Professor Weltmann demonstriert die Anwendung von Plasmen auf der Haut mit einem bereits zugelassenen Prototyp.
Foto: © 2015 by Schattenblick

Plasmen stecken nicht nur in der Elektrotechnik oder Informationstechnologie, sie sind auch bei der Herstellung bzw. Beschichtung von so profanen Dingen wie PET-Getränkeflaschen beteiligt, um z.B. die Kohlensäure in der Limonade zu halten. Oberflächlich betrachtet verbindet die Gemeinsamkeit, mittels Plasmatechnik verändert worden zu sein, die Plastiktüten der Verpackungsindustrie, die dadurch erst bedruckbar werden, ohne daß die Farbe abrutscht, mit den künstlichen Hüftgelenken, die dadurch schneller ins Körpergewebe einwachsen, sogar mit Textilien, die wie GorTex nach Bedarf wasserabweisend oder -anziehend gemacht werden und auch mit Brillen oder Hochleistungsoptiken, deren Oberflächenqualität dadurch schlicht verbessert wird. Plasmagestützte Oberflächentechnologien erzeugen Materialien für Brennstoffzellen oder für die Photovoltaik. Energieeffiziente Lichtquellen wie Energiesparlampen oder Xenonscheinwerfer leuchten aufgrund von Plasmenbildung.

Plasmatechnologien werden bereits heute als indirekte, grüne Verfahrenstechnik für die Herstellung von Katalysatoren zur Abgasreinigung verwendet, ihre direkte schadstoffabbauende Wirkung in Gasen oder Abwässern wird ebenfalls erforscht und erprobt. Die Liste der plasmagestützten Antworten auf technische Probleme scheint kein Ende zu nehmen und ihr Potential, "Gutes zu tun", wie es Prof. Dr. Jürgen Kolb, Leiter des Forschungsschwerpunkts Dekontamination des INP unprätentiös zusammenfaßte, scheint noch lange nicht ausgeschöpft zu sein.


Unspektakuläre Beiträge - große Wirkung

Das 1992 gegründete INP (Institut für Niedertemperatur-Plasmaphysik e.V., vormals Institut für Gasentladungsphysik der Akademie der Wissenschaften der DDR und seit 2007 Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie e.V.) ist das Standbein der Greifswalder Plasmaforschung im Niedertemperaturbereich, die mit dem Institut für Physik, in dem es schwerpunktmäßig um die hierfür notwendige Grundlagenforschung geht, ihren universitären Anker findet. Als Leibniz Einrichtung wird hier die Zusammenarbeit und der Gedankenaustausch der 180 bis 200 beschäftigten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus Physik, Chemie, Mathematik, Biologie, Medizin, Pharmazie und Ingenieurwissenschaften, Hand in Hand mit hochspezialisierten Technikerinnen und Technikern sowie Labor-Fachkräften gefördert und nach dem Motto "von der Idee bis zum Prototyp" auch der Erforschung der Grundlagen bis zur Anwendung in genaugenommen 49 Laboren auf über 4.240 Quadratmetern sehr viel Licht, Raum und ... Plasma gegeben, mit thematischen Einschränkungen allerdings:

Da sich die Forschungsprojekte und Themen an ihrem Vermarktungspotential orientieren, stehen aktuell Kalte Plasmen für die Veränderung von Materialien, für alternative Energietechniken, Umwelttechniken und Gesundheit im Mittelpunkt des Interesses des Greifswalder Standorts. [1] Dazu kommt ein weiterer Schwerpunkt, der zum Thema Umwelt und Energie gerechnet werden muß. Hierbei geht es darum, Produktions- und Verfahrenstechniken, in denen thermische Plasmen (zwischen 10.000 bis 15.000 Grad Kelvin, 9.700 bis 14.727 Grad Celsius) auftreten können, d.h. bei Lichtbogen-, Plasma- und Plasmahybridschweißverfahren oder Plasmabrennern zum Trennen, Abscheiden und Beschichten Energieverluste zu vermeiden und eine größere Effizienz zu erreichen. Aktueller Hintergrund ist die Energiewende in Deutschland, welche die Schaltgerätetechnik durch den erforderlichen Ausbau des Stromnetzes (meist Wechselstrom), um zusätzliche Ferntransportleitungen, um Offshore-Windenergie (Gleichstrom) an das Netz zu binden oder um lokale Netze einzubinden (Smart Grids oder Niederspannungsgleichstrom), vor zahlreiche neue An- und Herausforderungen des Ein- und Umschaltens stellt. Das INP entwickelt und testet u.a. funktionsstabile Schalter für die Hochspannungstechnologie und will mit seiner Forschung auf allen Spannungsebenen dafür sorgen, daß das Risiko von Entladungen reduziert wird.


Leuchtendes Plasma im Labormaßstab erzeugt - Foto: © 2015 by Schattenblick

Aufwendige Apparatur ...
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Ein Meßbecher mit 100 ml wässriger Lösung - Foto: © 2015 by Schattenblick

... befreit geringe Mengen Wasser von Arzneistoffen
Foto: © 2015 by Schattenblick


Plasma hilft, wo andere Therapien versagen

Ein besonderes Zugpferd des INP ist derzeit das Projekt Plasmamedizin, die sich aber noch in der Erprobung befindet, wie Prof. Weltmann betonte. Bereits die ersten Ergebnisse seien vielversprechend. Mit einem gerade entwickelten therapeutischen Gerät, das entfernt an einen Zahnarztbohrer erinnert, aber aus dem nur ein 40 Grad warmes, leicht auf der Haut prickelndes Plasma entströmt, zeige sich bereits, "daß der Plasma-Einsatz bei der Wundheilung in vielen Fällen eine Hilfe für die Patienten ist, bei der andere Therapien erfolglos geblieben sind", meinte er. Das Plasma hat nicht nur eine keimtötende Wirkung, die auch bei sogenannten multiresistenten Problemkeimen keine Unterschiede macht, Plasma scheint auch die Selbstheilungskräfte anzuregen und sorgt für eine schnellere Wundheilung und Anregung der Zellteilung. Nach entsprechender klinischer Prüfung könnten Plasmen die Behandlung von problematischen Wunden bei Tumorpatienten oder Diabetikern, deren Wunden erfahrungsgemäß schlecht heilen, oder auch die generelle Therapie infektiöser und entzündlicher Hauterkrankungen erleichtern. In der Zahnmedizin können Plasmen die Oberflächen von Zahnimplantaten so verbessern, daß sie sich unproblematisch ins Gewebe einfügen, ein Heilplasma könnte anschließend helfen, die Wunde wieder zu schließen. Biofilme an Zahnoberflächen könnten inaktiviert oder entfernt werden. Auch die Prävention von Infektionserkrankungen mittels Plasmen im Bereich der für minimal invasive Eingriffe bevorzugten Endoskopie wird am INP untersucht. Die Verbesserung des Hautdurchdringungsvermögens für die Applikation von Medikamenten ist angedacht. Bis solche medizinischen Anwendungen aber auch von den Krankenkassen anerkannt werden, müssen sie ihren therapeutischen Zusatznutzen noch beweisen. Bis dahin bezahlen die Patienten die bereits zugelassenen Therapiemöglichkeiten als sogenannte "IGeL" ("Individuelle Gesundheits- Leistungen") aus eigener Tasche.

Ein weiterer Themenschwerpunkt ist die Dekontamination von Transportwegen und Verpackungen in der Lebensmittelindustrie mittels Plasmen. Auch Obst und Gemüse soll mit Plasmen schonend haltbar gemacht werden, um damit die Nahrungsmittelhygiene zu verbessern und durch Lebensmittel verursachten Infektionen vorzubeugen. Welche Umwelterscheinungen oder anthropogene Manipulationen allerdings heute in der Landwirtschaft dazu führen könnten, daß Nahrungsmittel bereits nach der Ernte mit Keimen kontaminiert sind oder den Menschen unfähig machen, auf natürlichem Wege damit fertig zu werden, gerät in der Vielfalt positiver oder hoffnungmachender Perspektiven durch die innovative Plasmaforschung ein wenig in den Hintergrund aufkommender Fragen.

Ein weiterer Fokus plasmamedizinischer Forschungen, auf die das INP große Hoffnungen setzt, ist die gleichermaßen mit Angst und Hoffnung besetzte Tumortherapie. Im Anschluß an den chirurgischen Eingriff bleiben oft noch einzelne Krebszellen oder -Zellnester an den Wundrändern zurück, erklärte Prof. Weltmann, vor allem in neuralgischen Bereichen wie an Blutgefäßen oder anderen Geweben, in denen der Chirurg nicht weitreichend schneiden kann, um lebensgefährliche Schäden zu vermeiden. Diese sind letztlich der Grund dafür, daß ein sogenanntes Rezidiv entsteht und erneute Operationen notwendig werden.

Physikalische Plasmen scheinen - das haben einige Experimente bereits feststellen können - Zellen nicht nur absterben zu lassen, sondern den programmierten Zelltod, also eine sogenannte Apoptose zu induzieren. Das sei für sie die bedeutendste Entdeckung in der letzten Zeit gewesen, betonte die Leiterin der Abteilung Plasma-Lifesciences im INP Dr. Sybille Hasse, daß Prof. Hans-Robert Metelmann [2] auf Ultraschallbildern seiner Patienten eine sichtliche Auflösung der verbliebenen Tumorzellnester wenige Tage nach der Plasmabehandlung erkennen konnte. Allerdings können die Forscher bislang nicht genau erklären, welche Mechanismen die Krebszelle dazu veranlassen. Sicher weiß man bislang nur, daß die Dauer der Plasmaeinwirkung dabei eine Rolle spielt. Eine längere und starke Plasmadosis läßt aber auch gesunde Zellen absterben, so daß von Selbstversuchen abzuraten ist.


Forschung ohne Knalleffekte?

Mit der noch bestehenden Unsicherheit über den genauen Wirkmechanismus läßt sich aber auch die Sorge über mögliche Risiken und Nebenwirkungen, auch mutagene oder cancerogene Schädigungen durch Ionen-Energie, Radikalenwirkung oder freiwerdende Strahlung nicht vollständig ausräumen. Analog zur Wirkung von Schadstoffen im Niederdosisbereich könnte sich ein schädigender Einfluß bei derart schwach freiwerdender Ionenenergie und Strahlung, erst in der Daueranwendung zeigen. Bisher, so betonte Dr. Sybille Hasse, gebe es dafür "keinerlei Anhaltspunkte". Sie untersuchen im Labormaßstab Wirkungen und Nebenwirkungen von physikalischem Plasma auf biologische Systeme. Dabei konzentrieren sich die Forscher auf die sich in plasmabehandelten Gewebeproben abzeichnende Stoffwechselveränderung im Bereich der Regulationsebenen der Zelle. In den Zusammensetzungen der Gene, Proteine, aber auch in den sichtbaren mechanischen und stoffwechselchemischen Veränderungen, im Aussehen, in der Bewegung und im Verhalten der Zellen und ob Enzyme ein- oder ausgeschaltet werden, ob Oxidationsprozesse stattfinden oder ähnliches suchen die Forscher einen Nachweis für die Plasmawirkung zu finden, um erste Rückschlüsse auf eine medizinische Anwendung oder im Bereich der Dekontamination zu ziehen.

Eine offene Frage bleibt dabei, ob sich allein durch den Vergleich von Genen und Proteinen alle auch durch Plasma veränderte Wirkungen in irgendeiner sichtbaren Weise widerspiegeln und auffinden lassen.

Auch die notwendige und optimale Zusammensetzung des Plasma-"Cocktails" ist derzeit noch in der Erprobung. Plasma entzündet sich im Edelgas Argon, das hier meistens wegen der Reproduzierbarkeit verwendet wird [3], aber da es in einer Luftumgebung stattfindet, bilden die Moleküle der Umgebungsluft, Stickstoff, Sauerstoff u.a. Gase, eine nicht eindeutig bestimmbare Größe, die jedoch ebenfalls Einfluß auf die Zusammensetzung des Plasmas hat. Wirkkomponenten sind letztlich Sauerstoff und Hydroxyl-Radikale und alle möglichen Stickstoff-Sauerstoff-Verbindungen. Ionisierte Gase zeichnen sich dadurch aus, daß alle darin enthaltenen Spezies miteinander reagieren können und somit jede damit denkbare Verbindung kurzfristig und wirkkräftig entstehen kann. Damit wären zumindest theoretisch auch toxische Verbindungen denkbar, die an der Plasmawirkung beteiligt sind. Eine schädigende Wirkung wurde aber bisher nicht festgestellt.

In Zukunft hofft man den Prozeß kontrollierbarer zu machen. So könnte man beispielsweise durch gezielte Zugabe von Stickstoff oder Sauerstoff zum Arbeitsgas Argon die Konzentration von bestimmten Spezies im Plasma, wie Sauerstoffradikale oder Stickstoffmonoxid ("NO"), das bei der Blutgefäßneubildung eine Rolle spielt, erhöhen.

"Je mehr wir davon verstehen, um so besser können wir das einstellen", meinte die Laborleiterin. Und genau hier besteht noch ein ebenso großer Forschungsbedarf wie auch tatsächlich noch faktische Unsicherheit.

Prof. Weltmann machte deutlich, daß dem INP daran gelegen ist, keine falschen Hoffnungen zu wecken, ehe nicht genauere Versuchsergebnisse vorliegen. Das Greifswalder Institut hat bereits ein Unternehmen "Neoplas tools" ausgegründet, das bereits zugelassene "Plasmajets" für den klinischen Gebrauch vertreibt.

Von den Ergebnissen der dadurch verbreiteten Plasmamedizin und ihrer Darstellung in der Öffentlichkeit hängt viel ab: Ein positiver Nachweis der direkten, spürbaren Anwendung von Plasmen und ihre medizinische Wirkung könnte den Durchbruch der Plasmaforschung für ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit bedeuten und über die breite Akzeptanz der gesamten Plasmaforschung entscheiden, die sich bisher relativ unbemerkt mit kontinuierlichen Fortschritten, aber auch unkritisiert und unhinterfragt mit ihren Erkenntnissen in allen Bereichen des Alltags ausgebreitet hat.

Das könnte sich analog zu bestimmten Produkten der Agrarchemie, Gentechnikforschung, Biotechnologie oder auch zur Kernforschung schlagartig ändern, die sich teilweise heute noch als vermeintliche Weltverbesserungstechnologien und potentielle Lösungslieferanten für die Kernprobleme dieser Welt anbieten, zeitweise sogar als komplett unschädlich galten (man denke an Glyphosat aus dem Bereich Agrarchemie oder Contergan aus dem Bereich Medizin), aber bei dem wachsenden Wissen über ihre Unkontrollierbarkeit, über ihre Risiken und die zahlreichen, bereits in der Umwelt hinterlassenen Veränderungen und ausstehenden, ungelösten Fragen in der eigenen Forschung zunehmend in die Kritik geraten sind.

Plasmaforschung sollte, ganz nach dem Leitgedanken der Pharmazie "Keine Wirkung ohne Nebenwirkung", nicht unhinterfragt begleitet werden.


Anmerkungen:

[1] Weitere Berichte und Interviews zur Pressereise und speziellen Themen u.a. des INP finden sich unter dem kategorischen Titel "Kernfusion und Plasmaforschung".

[2] Prof. Dr. Hans-Robert Metelmann ist Direktor der Klinik und Poliklinik für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie / Plastische Operationen in Greifswald.

[3] Auch andere Plasmagase wie Helium oder auch nur die Umgebungsluft sind als Ausgangsplasmen denkbar. Allerdings ist laut INP die Luftzusammensetzung bereits in den unterschiedlichen Städten Deutschlands so verschieden, daß sich die Zusammensetzung der Plasmen nicht vergleichen lasse, deshalb habe man sich hier für Argongas entschieden, um die Ergebnisse reproduzierbarer zu machen.


23. August 2015


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