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FRAGEN/161: UN-Behindertenrechtskonvention - Hohe Anforderungen an die Gesellschaft (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 3/2009

INTERN
Hohe Anforderungen an die Gesellschaft
Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention

Von Elisabeth Fischer


Die UN-Behindertenrechtskonvention ist seit März 2009 für Deutschland verbindlich. Infolgedessen soll der Staat die Konvention einhalten und aktiv umsetzen. Es geht darum, die Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen in Deutschland überall zu verwirklichen. Inwieweit die UN-Konvention zum Schutz der Rechte behinderter Menschen in die deutsche Wirklichkeit übertragen wird, das soll die unabhängige Monitoring-Stelle beim Deutschen Institut für Menschenrechte e.V. in Berlin überwachen und begleiten. Dr. Valentin Aichele ist Leiter der Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention.



Dr. Valentin Aichele (38)

... hat am 1. Mai 2009 die Leitung der unabhängigen Monitoring-Stelle im Deutschen Institut für Menschenrechte übernommen. Aichele ist seit 2005 Wissenschaftlicher Referent am Deutschen Institut für Menschenrechte. Er studierte Rechtswissenschaften in Marburg (Lahn), Mannheim und Leipzig. 1999 legte er den "Master of Laws" an der Universität Adelaide, Australien, ab und promovierte 2002 an der juristischen Fakultät der Universität Mannheim über das Thema "Nationale Menschenrechtsinstitutionen". Aichele ist Völkerrechtsexperte mit dem Schwerpunkt wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte.


FRAGE: Herr Dr. Aichele, wenn ich möchte, dass mein Kind mit Down-Syndrom eine Regelschule besucht, und die Schulbehörde mir ausschließlich den Besuch einer Förderschule ermöglicht, bin ich dann bei Ihnen richtig, wenn ich die inklusive Bildung meines Kindes einklagen will?

ANTWORT: Ja und Nein. Die Monitoring-Stelle interessiert sich zwar grundsätzlich für Einzelfälle, denn die können wichtige Hinweise auf strukturelle Defizite und Probleme geben. Wir gehen diesen Informationen gegebenenfalls nach und integrieren sie in unsere thematische Arbeit. Allerdings kann die Monitoring-Stelle Personen nicht rechtsberatend, gleich einem Rechtsbeistand, unterstützen oder ihnen helfen, ihr Recht durchzusetzen. Das ist für manche Personen, die uns anrufen oder anschreiben, überraschend. Es wird aber nach Erklärungen verständlich, dass wir grundsätzlich anders arbeiten. In der täglichen Praxis helfen wir aber den Leuten, die Hilfe zu finden.

FRAGE: Die UN-Behindertenrechtskonvention macht deutlich, dass in vielen Bereichen Handlungsbedarf besteht. Gibt es eine Prioritätenliste?

ANTWORT: Die UN-Behindertenrechtskonvention stellt hohe Anforderungen hinsichtlich der Gleichstellung von behinderten und nicht behinderten Menschen im gesellschaftlichen Bereich, vor allem hinsichtlich der Möglichkeiten zur selbst bestimmten Lebensgestaltung und sozialer Inklusion. Alle Fragen sind gleichermaßen wichtig - eine Herausforderung für die staatlichen Organe, die die Umsetzungspflicht haben. Die Prioritäten müssen die politisch Verantwortlichen setzen. Die Monitoring-Stelle will darauf achten, dass Umsetzungsprozesse grundsätzlich partizipativ und transparent ablaufen, wie das die UN-Behindertenrechtskonvention vorsieht. Das Arbeitsprogramm der Monitoring-Stelle steht zwar noch nicht fest, doch es ist jetzt schon klar, dass die Stelle die Umsetzung zum Recht auf inklusive Bildung intensiver begleiten wird. Hier stehen die allermeisten Bundesländer unter erheblichen Handlungsdruck. Darüber hinaus sind uns Querschnittsthemen der Konvention besonders wichtig, Themen, die die gesamte Konvention und damit alle Lebensbereiche durchziehen und alle Menschen mit Behinderungen betreffen. Zum Beispiel das Konzept der angemessenen Vorkehrung Partizipation etc.

FRAGE: Wie sieht die Überwachung und Begleitung der UN-Behindertenrechtskonvention aus?

ANTWORT: Es sind ja die staatlichen Organe in Bund und Ländern, die verpflichtet sind, die Konvention einzuhalten. Die Monitoring-Stelle hat dem gegenüber den Auftrag, aus unabhängiger Position genau hinzuschauen und auf der Grundlage der UN-Behindertenrechtskonvention Vorschläge zu unterbreiten, wie die Rechte besser eingehalten werden können oder was zu ihrer verbesserten Umsetzung erforderlich ist. So will die Monitoring-Stelle zu ausgewähltem Themen Berichte, Studien oder Stellungnahmen veröffentlichen, Veranstaltungen für unterschiedliche Zielgruppen organisieren, Öffentlichkeitsarbeit betreiben etc. Es soll zudem eine barrierefreie Webseite zur UN-Behindertenrechtskonvention aufgebaut werden und in unserer Bibliothek wird ein barrierefreier Arbeitsplatz entstehen.


Das Deutsche Institut für Menschenrechte wurde im März 2001 auf Empfehlung des Deutschen Bundestages gegründet. Es informiert über die Lage der Menschenrechte im In- und Ausland und trägt zur Prävention von Menschenrechtsverletzungen sowie zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte bei.

www.institut-fuer-menschenrechte.de


FRAGE: Ich habe auf Ihrer Homepage gelesen, dass "menschenrechtsbezogene Bildungsarbeit" zu Ihren Aufgaben gehört. Was muss ich mir im Fall der UN-Behindertenrechtskonvention darunter vorstellen? Wer soll gebildet werden?

ANTWORT: Menschenrechtsbezogene Bildungsarbeit bezieht sich auf Trainings, Schulungen, Programme, Konferenzen etc., wo Menschen über Menschenrechte lernen, wo ihre Überzeugungen und Handlungskompetenzen gestärkt werden, wie sie ihre Rechte und die Rechte anderer besser einfordern können. Eine wichtige Aufgabe besteht darin, auch Menschen mit Behinderungen mit diesen Angeboten zu erreichen. Bei der inhaltlichen Vermittlung der Menschenrechte ist es überdies erforderlich, dass die pädagogische Praxis selbst frei von Benachteiligung sein sollte und der Respekt vor den Rechten anderer auch gelebt wird

FRAGE: Sie haben am 10. September in Ihrem Haus einen Fachtag zum Projekt "Diskriminierungsschutz: Handlungskompetenz für Verbände" durchgeführt. Was ist das für ein Projekt?

ANTWORT: Mit dem Projekt "Diskriminierungsschutz: Handlungskompetenz für Verbände" soll die Handlungskompetenz von Verbänden als Akteure des Diskriminierungsschutzes gestärkt und eine menschenrechtliche Kultur der Chancengleichheit und Nichtdiskriminierung im Verbandsbereich, aber auch innerhalb der Gesellschaft insgesamt gefördert werden. Verbände können hier einen wichtigen Beitrag leisten und insbesondere bei der Durchsetzung eines effektiven Rechtsschutzes gegen Diskriminierung eine große Rolle spielen.

FRAGE: Zu den Aufgaben des Deutschen Instituts für Menschenrechte gehört auch die internationale Zusammenarbeit mit anderen nationalen Menschenrechtsinstitutionen und Menschenrechtseinrichtungen der Europäischen Union, des Europarats, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und der Vereinten Nationen. Wie sieht die Zusammenarbeit im Fall der UN-Behindertenrechtskonvention aus?

ANTWORT: Von besonderer Wichtigkeit ist für mich die Zusammenarbeit mit dem internationalen Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen bei den Vereinten Nationen. Dieser UN-Fachausschuss hat den Auftrag, die Umsetzung in Deutschland von internationaler Warte aus zu überwachen. Der Auftrag ist damit mit dem Mandat der Monitoring-Stelle nahezu identisch. Beide ziehen am selben Strang, erfüllen ihre Aufgaben teilweise auch im Zusammenspiel, wenngleich sie unterschiedliche Funktionen haben. Hier ein Beispiel, was das konkret bedeuten kann: Deutschland muss den ersten Bericht zur Umsetzung im Jahr 2011 vorlegen. Im Staatenberichtsverfahren ist es üblich, dass zivilgesellschaftliche Organisationen Parallelberichte - teilweise auch als "Schattenberichte" bezeichnet - dem Fachausschuss zustellen. Die Monitoring-Stelle sieht es als Ihren Auftrag an, die Nichtregierungsorganisationen in Deutschland bei der Parallelberichterstattung fachlich zu beraten oder zu begleiten. Möglichst viele Organisationen sollten möglichst professionell berichten, um eine gute Grundlage für die kritische Auseinandersetzung des Fachausschusses mit dem Regierungsbericht zu legen. Denkbar ist überdies, dass die Monitoring-Stelle einen eigenen Bericht für den Fachausschuss erstellt. Im Übrigen möchte die Monitoring-Stelle bei der Nachbereitung der Empfehlungen des Fachausschusses an die deutsche Regierung eine Rolle spielen. Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat Erfahrung mit entsprechenden Prozessen, auf die die Monitoring-Stelle zurückgreifen kann.

FRAGE: Ist eigentlich geplant, dass die Monitoring-Stelle auf ewig die Rechte behinderter Menschen in Deutschland überwachsen soll?

ANTWORT: Die Umsetzungsverpflichtung der staatlichen Organe ist schon jetzt sehr konkret, weil Bund und Länder bereits kurz nach dem Inkrafttreten geeignete, zielgerichtete und wirksame Maßnahmen zur Umsetzung der Konvention treffen müssen und damit nicht lange zögern können, ohne hinter den Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention zurückzubleiben. Auch wenn sich Umsetzungserfolge erst in der Zukunft einstellen mögen, Deutschland muss heute schon ganz konkrete Schritte gehen. Die soziale Wirklichkeit ändert sich permanent und damit werden auch die Fragen, wo, wie, wann und warum eine Person aufgrund einer Beeinträchtigung von gesellschaftsbedingten Strukturen behindert wird, wohl nie abschließend beantwortet sein. Allein aufgrund des technischen Fortschritts stellen sich immer wieder neue Fragen hinsichtlich der Barrierefreiheit, ein Beispiel ist das Internet. Ich gehe davon aus, dass die UN-Behindertenrechtskonvention ihre Sprengkraft auch zukünftig entwickeln wird. Selbst wenn wir in den nächsten Jahren viel erreichen sollten, an die Konvention kann nicht ein für allemal ein Haken gemacht werden.


KONTAKT: Deutsches Institut für Menschenrechte - Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention - Zimmerstraße 26/27 10969 Berlin Tel.: (030) 25 93 59-450 Fax: (030) 25 93 59- 59 Mau: monitoring-stelle@ institut-fuer-menschenrechte.de


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Quelle:
Selbsthilfe 3/2009, S. 12-13
Zeitschrift der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
Herausgeber: BAG Selbsthilfe
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Tel.: 0211/31 00 6-0, Fax: 0211/31 00 6-48
E-Mail: info@bag-selbsthilfe.de
Internet: www.bag-selbsthilfe.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Oktober 2009