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KULTUR/152: Museum der Sinne - Kultur- und Erdgeschichte barrierefrei erleben (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 2/2014

Eine interaktive Ausstellung für alle Besucher!
"Museum der Sinne. Kultur- und Erdgeschichte barrierefrei erleben!"

Von Julia Kruse



"Was soll ich als Blinder in einer Ausstellung im Museum? - Da gibt es ja gar nichts für mich!" Diesen Gedanken äußerte ein Kollege, der bei uns im Haus als Telefonist arbeitet. Damit spricht er anderen Menschen mit Behinderungen aus der Seele und charakterisiert gleichzeitig die Situation in vielen deutschen Museen, in denen Barrierefreiheit aus verschiedenen Gründen noch nicht realisiert wordem ist.


Im Roemer- und Pelizaeus-Museum gab die Überlegung des Kollegen den Impuls zur Errichtung der barrierefreien und interaktiven Dauerausstellung "Museum der Sinne. Kultur- und Erdgeschichte barrierefrei erleben!"

Die Ausstellung wurde konzeptionell auf die Bedürfnisse von Menschen mit und ohne Behinderungen ausgerichtet und ermöglicht das in der UN-Konvention von 2008 verankerte Recht auf kulturelle Teilhabe für alle Menschen.

Um das Ausstellungsprojekt realisieren zu können, mussten finanzielle Mittel eingeworben werden. Nach entsprechender Antragsstellung wurde das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung als Hauptsponsor gewonnen. Zahlreiche weitere Unterstützer, insbesondere lokale Stiftungen und Verbände, konnten mit ins Boot geholt werden. Als ebenfalls sehr wichtig erwies sich die fachliche Hilfe von Vertretern mehrerer Behindertenverbände. Für ihren Einsatz wurde eigens ein "Runder Tisch" unter Leitung der beiden Kuratorinnen gegründet.


Konzept:

Das "Museum der Sinne" bildet neben seiner Präsentation als barrierefreie Dauerausstellung - die eigenständig und aktiv für jeden Besucher erfahrbar ist - auch einen Knotenpunkt zu den anderen Dauerausstellungen des Mehrspartenhauses. Denn sie ermöglicht den Besuchern, sich einen Einblick bzw. Überblick über das im Haus vorhandene breite Ausstellungsspektrum zu verschaffen. Den Schwerpunkt bilden hier die alten Hochkulturen Ägyptens, Perus, Chinas sowie die Erdgeschichte und Geschichte der frühen Menschheit. Alle Themen werden unter den Aspekten "Mensch", "Technik" und "Lebenswelt" dargestellt. Entsprechend der finanziellen Möglichkeiten ist langfristig geplant, Elemente dieser neuen Ausstellung in den Dauerausstellungen fortzusetzen.


Realisation der Barrierefreiheit:

Das Prinzip der Barrierefreiheit zeigt sich in der Ausstellung insbesondere in den zahlreichen Informations- und Orientierungsebenen:

  • Der Audioguide informiert über die Highlights der Ausstellung und enthält neben den Objektinformationen auch die nötigen Wegbeschreibungen. Er aktiviert sich selbsttätig beim Annähern an ein Objekt. Die Texte des Audioguides geben auch Menschen mit einer Sehbehinderung einen Eindruck von der jeweiligen Highlight-Station.
  • Die auditiven Informationen werden durch taktile Bodenleitlinien für Blinde und sehbehinderte Menschen ergänzt. Sie dienen dem Benutzer eines Langstockes als Wegweiser zwischen dem Empfangsbereich mit Audioguide-Ausgabe und dem Ausstellungsraum sowie zwischen den verschiedenen Themen und Kulturen in der Ausstellung. Sie sind so gestaltet, dass sie kein Hindernis für Rollstuhlfahrer darstellen.
  • Im Inforaum des "Museums der Sinne" befindet sich ein großformatiger Übersichtsplan zur Ausstellung. Dieser ist sowohl farbig als auch mit tastbaren Strukturen für Blinde und Sehbehinderte versehen. Für Rollstuhlfahrer ist dieser taktile Ausstellungsplan unterfahrbar.
  • Im Ausstellungsraum wurde auf geeignete Rangierbreiten sowie Sicht- und Greifhöhen für Rollstuhlfahrer geachtet.
  • Sechs Informationsmonitore, die sogenannten "Guides", geben einen Überblick über die einzelnen Bereiche der Ausstellung. Neben der reinen Textebene vermitteln sie die thematischen Inhalte akustisch und in Form eines Gebärdensprachfilms.
  • Die Texte der Ausstellung stehen in Großschrift, Brailleschrift und in "Leichter Sprache" zur Verfügung.
  • Die Gliederung der Ausstellung in verschiedene Themenbereiche wird optisch durch ein Farbkonzept unterstützt.
  • Zahlreiche Installationen bieten die Wissensaufnahme mit verschiedenen Sinnen, wie z. B. dem Tast-, Seh-, Geschmacks-, Geruchs- oder dem Hörsinn.
  • Originalgetreue Repliken von Objekten aus den Dauerausstellungen des Roemer- und Pelizaeus-Museums und anderer Museen erlauben es, diese nicht nur anzusehen, sondern auch haptisch zu erfahren.
  • Mitmachstationen ermöglichen das Ausprobieren von handwerklichen Techniken, wie z. B. das Schreiben von Hieroglyphen auf Papyrus.
  • Im "Museum der Sinne" wird für die Wissensvermittlung das Zwei-Sinne-Prinzip genutzt, so dass immer mindestens zwei Informationsebenen bedient werden.

Der Grundgedanke der Barrierefreiheit, der in der Ausstellung "Museum der Sinne" seine Umsetzung findet, steigert die Attraktivität der Ausstellung für alle Besucher: So erhalten beispielsweise Kinder über die modifizierten Greif- und Sichthöhen ebenfalls einen besseren Zugang zu den Objekten und Installationen. Darüber hinaus kommt der ebenerdige Zugang zum Ausstellungsraum, die vermehrt vorhandenen Sitzmöglichkeiten im Ausstellungsbereich und Textinformationen in Großschrift nicht nur Besuchern mit speziellen Bedürfnissen entgegen, sondern z. B. auch der wachsenden Gruppe älterer Besucher. Dementsprechend wurde ein "Design for all" realisiert, das sich den jeweiligen Ansprüchen und Fähigkeiten der Besucher anpasst!


Zielsetzung

Mit Umsetzung des Ausstellungsprojekts hat sich das Roemer- und Pelizaeus-Museum ein Alleinstellungsmerkmal in der deutschen Museumslandschaft geschaffen.

Es hat sich im Sinne der Inklusion zum Ziel gesetzt, Kultur- und Erdgeschichte auch Menschen mit Behinderungen dauerhaft und gleichberechtigt zugänglich zu machen.

Der rege Zuspruch ab dem ersten Tag der Eröffnung hat gezeigt, dass dieses Ziel erreicht wurde und sich die enormen Anstrengungen zur Realisation der Ausstellung auf jeden Fall gelohnt haben. Positiv anzumerken sind auch die Anfragen anderer Museen, die sich für das Konzept interessieren.

Entscheidend für den langfristigen Erfolg einer Ausstellung ist natürlich auch ein entsprechendes Vermittlungsangebot: Es wird ein umfangreiches museumspädagogisches Programm präsentiert, welches z.B. Fachführungen, ebenso wie Führungs- und Workshopangebote für Menschen mit und ohne Behinderungen umfasst. Nähere Informationen erhalten Sie unter www.rpmuseum.de.

Besuchen Sie das Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim und lernen Sie das "Museum der Sinne" selbst kennen! Wir freuen uns auf Ihren Besuch!


KONTAKT

Roemer- Und Pelizaeus-Museum Hildesheim
Am Steine 1-2, 31134 Hildesheim
Tel.: 05121-93690, www.rpmuseum.de

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Quelle:
Selbsthilfe 2/2014, S. 24-25
Zeitschrift der BAG SELBSTHILFE e.V.
Herausgeber: Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
BAG SELBSTHILFE
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Telefon: 0211/3 10 06-0, Fax: 0211/3 10 06-48
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Internet: www.bag-selbsthilfe.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2014