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MELDUNG/390: Deutschlandweite Informationstour von Bipolar erkrankten Künstlern (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 1/2014

"Bipolar Roadshow"
Deutschlandweite Informationstour von Bipolar erkrankten Künstlern

Von Prof. Martin Schäfer




Die Deutsche Gesellschaft für Bipolare Störungen e.V. (DGBS) geht im Mai 2014 erstmals mit der "Bipolar Roadshow" auf die Reise. Mit einem kulturellen Programm zum Thema Bipolare Störungen in acht deutschen Städten möchte sie eine breite Öffentlichkeit erreichen, um auf die besondere Problematik von Menschen mit einer Bipolaren Störung aufmerksam zu machen. Anders als z.B. mit Fachvorträgen versucht dieses Programm, das Publikum auf einer eher emotionalen Ebene zu erreichen und die Informationen sozusagen "subkutan" zu verabreichen. Denn drei selbst bipolar betroffene Künstler, die Musiker Martin Kolbe und Rudolf Holgerson sowie der Autor Sebastian Schlösser, erzählen in Songs und mit einer Buchlesung von ihren Erfahrungen mit der Psychiatrie und der Bipolaren Störung. Auch sind die Aufklärung durch einen Facharzt zu den wichtigsten Aspekten einer Bipolaren Störung sowie die Präsentation der jeweils örtlichen Selbsthilfegruppen Teil der Roadshow.


Was ist eine Bipolare Störung

Bipolare Störungen wurden früher als manisch-depressive Erkrankungen bezeichnet. Menschen mit einer Bipolaren Störung unterliegen extremen, willentlich nicht beeinflussbaren Schwankungen in Stimmung und Antrieb. Dies lässt sich in keiner Weise vergleichen mit "normalen" Befindlichkeitsschwankungen, wie sie jedermann kennt, denn eine Bipolare Störung umfasst in extremer Form die gesamte Skala menschlicher Empfindungen, vom euphorischen, getriebenen Hoch einer Manie bis zur verzweifelten Hoffnungslosigkeit einer Depression. Die Erkrankung verläuft in Phasen bzw. Episoden. Zwischen den krankhaften Hochs und Tiefs liegen Zeiten der völligen "Normalität", die mitunter Jahre andauern können.


Hohe Suizidrate

Die Dunkelziffer der nicht Diagnostizierten und dadurch auch nicht Behandelten wird auf etwa 50% geschätzt. Angesichts der mit dieser Erkrankung einhergehenden hohen Suizidalität ist dies eine fatale Tatsache: Etwa ein Drittel aller Betroffenen begeht mindestens einen Suizidversuch, ungefähr 15% nehmen sich tatsächlich das Leben. Auch die sozialen Folgen sind oftmals verheerend; ein Großteil der Erkrankten kann nicht mehr am Arbeitsleben teilnehmen, Freundschaften und Beziehungen zerbrechen, teilweise führt dies bis zum sogenannten "sozialen Tod". Laut WHO beträgt der Anteil bipolar Betroffener in der Bevölkerung 2 bis 3%, das heißt, allein in Deutschland gehen die Zahlen in die Millionen. Dazu kommen die Familienangehörigen und Freunde, die oft unter den Symptomen der Erkrankung ebenso leiden wie die Betroffenen selbst. Noch immer vergehen im Schnitt sechs bis acht Jahre, bis die zutreffende Diagnose gestellt wird.


Gut behandelbar

Eine Bipolare Störung kann in der Regel gut behandelt werden. Psychotherapie, der Besuch einer Selbsthilfegruppe, Psychoedukation (bei der die verschiedenen Aspekte der Erkrankung sowie Bewältigungsstrategien vermittelt werden) und Medikamente - dies sind die wichtigsten Bausteine für einen gelungenen Umgang mit der Erkrankung. Auch hier gibt es eine große Bandbreite: Während einige Betroffene mit nur wenigen oder sogar ganz ohne Medikamente der Bipolaren Störung begegnen können, sind andere auf die dauernde Einnahme von Psychopharmaka angewiesen, oft mit den bekannten und befürchteten Nebenwirkungen. Bei vielen Betroffenen dauert es lange, bis die richtige Therapie gefunden ist.


Bipolare Störung hat prominente Gesichter

Der überdurchschnittlich hohe Anteil von bipolar betroffenen Menschen, die in kreativen Berufen arbeiten, legt nahe, dass es eine Verbindung zwischen der Bipolaren Störung und Kreativität gibt. Dies ist jedoch nicht durch Studien belegt. Trotzdem ist die Liste von bekannten Kreativen, die mit dieser Erkrankung in Verbindung gebracht werden, beeindruckend. Es ist zwar heikel, lange Jahre nach dem Ableben eine verlässliche Diagnose zu stellen, aber bei Künstlern wie Vincent van Gogh, Michelangelo, Hermann Hesse, dem Maler Edvard Munch oder dem Komponisten Robert Schumann liegt angesichts des Lebensverlaufs die Vermutung einer Bipolaren Störung sehr nahe. Auch bei den Schriftstellerinnen Sylvia Plath und Virginia Woolf oder dem Maler Jackson Pollock gilt die Diagnose als relativ sicher. In der jüngeren Vergangenheit sind vor allem Kurt Cobain und Amy Winehouse zu nennen. Die Zahl der prominenten bipolar Betroffenen, die sich aktuell offen zu ihrer Erkrankung äußern, nimmt in letzter Zeit zu. Die Schauspieler Catherine Zeta-Jones, Stephen Fry und Jean-Claude van Damme oder die Sängerin Sinead O'Connor sind nur einige Beispiele.


Stigma

Noch immer gilt es als Makel, eine psychische Erkrankung zu haben. Zwar hat der tragische Tod durch Suizid des ehemaligen Fußball- Nationaltorwarts Robert Enke viel dazu beigetragen, offen über Depressionen oder Burnout zu sprechen. Dennoch gelten andere seelische Erkrankungen wie Schizophrenie, Borderline oder eben Bipolare Störungen weiterhin als angsteinflößend und bedrohlich. Das Bild des "gefährlichen Irren" ist immer noch in vielen Köpfen, befeuert von Hollywood-Filmen wie "Shining" oder durch alte Edgar-Wallace- Verfilmungen, in denen Klaus Kinski die Rolle des Wahnsinnigen virtuos, aber sehr tendenziös verkörperte. Dabei ist durch Studien bewiesen, dass Betroffene keineswegs häufiger Gewaltverbrechen begehen als der Durchschnitt der Bevölkerung, sie sind hingegen überdurchschnittlich oft Opfer von Gewalttaten.


Roadshow als Brücke zwischen Erkrankung und Kunst

Mit der "Bipolar Roadshow" soll eine Brücke zwischen der Erkrankung und der künstlerischen Tätigkeit geschlagen werden. Mit ihrem selbstbewussten öffentlichen Auftreten bei der "Bipolar Roadshow" möchten die beteiligten Künstler Sebastian Schlösser, Martin Kolbe und Rudolf Holgerson ein Zeichen setzen und zur Entstigmatisierung beitragen. Die Buchlesung und die Songs befassen sich allesamt mit der eigenen Erkrankung der Vortragenden; auf diese Weise werden die extremen Erfahrungen verarbeitet und die Zuhörer können an diesem Prozess teilhaben.

Denn nur wenn offen darüber geredet wird und die Betroffenen zu diesem vermeintlichen Makel stehen, kann das Stigma nach und nach überwunden werden. Über eine psychische Erkrankung zu sprechen sollte eines Tages so selbstverständlich sein wie sich über Diabetes, Bluthochdruck oder Allergien zu unterhalten.


AUTOR:
Prof. Martin Schäfer, 1. Vorsitzender der DGBS
www.dgbs.de


Die "Bipolar Roadshow" kommt:
Samstag, 24.5.2014 nach Berlin, Passionskirche
Sonntag, 25.5.2014 nach Hamburg, Hörsaal A1 beim Bahnhof Dammtor

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Quelle:
Selbsthilfe 1/2014, S. 28-29
Zeitschrift der BAG SELBSTHILFE e.V.
Herausgeber: Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e.V.
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Die "Selbsthilfe" erscheint mit 4 Ausgaben pro Jahr.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Mai 2014