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MEDIEN/246: Der inneren Stimme beraubt - Aus für die Zeitschrift "Selbsthilfe" (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 1/2015

Der inneren Stimme beraubt -
Das Ende der Zeitschrift "Selbsthilfe" ist besiegelt.

Klartext von Dr. Martin Danner


Die Zeitschrift "Selbsthilfe" hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten eine zentrale Rolle für die Selbsthilfebewegung chronisch kranker und behinderter Menschen eingenommen. Sie war und ist die innere Stimme der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe, die Seele der verbandlichen Öffentlichkeitsarbeit und ein Spiegel der Entwicklungstendenzen, wichtiger Fixpunkte und bedeutsamer Erfolge der Selbsthilfearbeit.


Verbandsarbeit sichtbar machen - Identität schaffen

Begreift man die Öffentlichkeitsarbeit als das geplante und dauerhafte Bemühen, gegenseitiges Verständnis und Vertrauen sowie gegenseitige Kommunikation, Akzeptanz und Kooperation zwischen einem Verband und der Öffentlichkeit aufzubauen und zu pflegen, dann wird deutlich, dass die Zeitschrift "Selbsthilfe" gleich in mehrfacher Hinsicht wichtige Funktionen zu erfüllen hat:

Zum einen geht es natürlich um die Öffentlichkeitsarbeit nach innen, nämlich darum, interne Kommunikationskanäle zwischen der BAG SELBSTHILFE und ihrer Mitgliedschaft zu schaffen und auszubauen. Zum anderen verdeutlicht die Verbandszeitschrift aber auch das gemeinsame Selbstverständnis der Selbsthilfebewegung und grenzt diese somit ab von anderen Verbänden und Institutionen. Es ist eben etwas anderes, irgendeine Zeitschrift zur Gesundheits- oder Behindertenpolitik zu lesen als das eigene Medium. Insofern kommt der Verbandszeitschrift nicht nur die Macht der inneren Stimme, sondern auch der identitätsstiftende Charakter für alle Selbsthilfeorganisationen zu.


Selbsthilfe in ihrem zeitlichen Kontext und mit ihren wichtigen Meilensteinen verständlich machen

Darüber hinaus stellt die Zeitschrift auch so etwas wie das institutionelle Gedächtnis der Bewegung dar. Die Ausgaben der "Selbsthilfe" beschrieben Quartal für Quartal wichtige Ereignisse und Erkenntnisse der Selbsthilfe. "Kennst Du Deine Geschichte nicht, dann kennst Du Dich selbst nicht."

Daher kommt der Verbandszeitschrift auch eine ganz entscheidende Rolle zu, um Erfahrungen und Haltungen vergangener Zeiten zu dokumentieren und das dahinterstehende Wissen auch für die Zukunft nutzbar zu machen. Die Zeitschrift "Selbsthilfe" ist daher durchaus so etwas wie die Seele der Selbsthilfebewegung in Deutschland.

Nach dem Gesagten wirkt die zentrale Botschaft dieses Hefts besonders brutal und schockierend:

Die Zeitschrift "Selbsthilfe" wird nach 33 Jahren Ende 2015 eingestellt werden.

Die Gründe hierfür sind vielfältig, beruhen auf politischen Entscheidungen und finanziellen Zwängen, an denen die BAG SELBSTHILFE trotz der zentralen Bedeutung der "Selbsthilfe" für den Verband nicht vorbeikommt:


Projektitis kontra Nachhaltigkeit

Zunächst einmal ist zu konstatieren, dass sowohl Zuwendungsgeber der öffentlichen Hand als auch die Förderung durch Krankenkassen nach § 20c SGB V sich bewusst gegen eine Förderung nachhaltiger Maßnahmen entschieden haben. Eine Verbandszeitschrift ist nun einmal kein Projekt, das spätestens zum Jahresende abgeschlossen ist, sondern ein nachhaltiges Medium des Verbandes. Üblicherweise soll so etwas aus der "Kassenartenübergreifenden Gemeinschaftsförderung" nach § 20c SGB V mitfinanziert werden. Diese Förderart wurde der BAG SELBSTHILFE - freilich ohne tragfähige Begründung - einfach aus der Hand geschlagen. Auch die öffentliche Hand fördert unter bestimmten Voraussetzungen einzelne Schriften, aber nicht die Herausgabe einer fortlaufenden Zeitschrift.


Masse statt Klasse

Doch auch innerhalb der Selbsthilfebewegung nahm die Zeitschrift "Selbsthilfe" stets eine ganz spezielle Stellung im Kontext der Verbandszeitschriften ein: Multiplikatoren im Gesundheits- und Sozialwesen, Universitäten und andere Bildungseinrichtungen im sozialen Bereich nutzten und nutzen die Zeitschrift gerne und intensiv, um sich über die aktuellen Entwicklungen und Herausforderungen der Selbsthilfe zu informieren. Im Hinblick auf die einzelnen Mitglieder der Selbsthilfeverbände stehen aber die indikations- und verbändespezifischen Medien ganz im Zentrum der internen Öffentlichkeitsarbeit.

Dies hatte und hat zur Folge, dass die Zeitschrift zwar über eine Vielzahl namhafter und gewichtiger Abonnentinnen und Abonnenten verfügt, dass aber die breite Masse chronisch kranker und behinderter Menschen kaum erreicht werden konnte. Ohne eine ausreichende Zahl an Abonnentinnen und Abonnenten und - davon abhängig - auch ohne eine hinreichende Anzahl von Anzeigenkunden, bleibt die Zeitschrift wirtschaftlich betrachtet ein Zuschussgeschäft.

Letzteres ist schließlich das entscheidende Stichwort, das der "Selbsthilfe" den Todesstoß versetzen musste.


Zukunft ungewiss: Sparkurs lähmt die Handlungsfähigkeit der BAG SELBSTHILFE

Wir haben in diesem Heft bereits im vergangenen Jahr über die schwierigen finanziellen Rahmenbedingungen berichtet, denen sich die BAG SELBSTHILFE stellen muss.

Diese Situation macht auch schmerzhafte Einschnitte erforderlich.

Dabei geht es eben nicht nur darum, Überflüssiges sein zu lassen oder Effizienzreserven zu nutzen. Auch Teile der verbandlichen Arbeit, die durchaus wichtige Funktionen übernehmen, sind von den gebotenen Einsparmaßnahmen betroffen. Dies ist nicht nur Grund zur Betroffenheit, sondern durchaus auch zur Trauer.

Dennoch möchten wir an dieser schmerzhaften Stelle nicht in Trauer verharren, sondern die verbleibenden Ausgaben bis zum Jahresende nutzen, um neben der aktuellen Berichterstattung wichtige Meilensteine aus der Geschichte dieser Zeitschrift - wenn man so will Schlüsselausgaben der "Selbsthilfe" - Revue passieren lassen und auch den Vertreterinnen und Vertretern der Mitgliedsverbände Gelegenheit geben, ihre Sicht auf unsere gemeinsame Zeitschrift zu dokumentieren.

In diesem Sinne möchte ich Sie alle einladen, die lange Erfolgsgeschichte der "Selbsthilfe" mit uns gemeinsam zu Ende zu schreiben. Senden Sie uns Ihre Stimmen zur Zeitschrift Selbsthilfe oder senden Sie uns Ihre Beiträge, die in den letzten Ausgaben Platz finden sollen.


Autor Dr. Martin Danner ist Bundesgeschäftsführer der BAG SELBSTHILFE

*

Quelle:
Selbsthilfe 1/2015, S. 8 - 9
Zeitschrift der BAG SELBSTHILFE e.V.
Herausgeber: Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e.V.
BAG SELBSTHILFE
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Telefon: 0211/3 10 06-0, Fax: 0211/3 10 06-48
E-Mail: info@bag-selbsthilfe.de
Internet: www.bag-selbsthilfe.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2015

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