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PROJEKT/584: Mehr als Kaffee und Kuchen (LHZ)


Lebenshilfe Zeitung, Nr. 2 - Juni 2009

Mehr als Kaffee und Kuchen

Menschen mit geistiger Behinderung engagieren sich für Mitbürger in Nethphen


In vielen Läden bleiben Lebensmittel übrig. Menschen, die arm sind, freuen sich über preiswertes Essen. Darum hat sich die Lebenshilfe in Netphen "NETI" ausgedacht. NETI ist die Abkürzung für Netphener Tisch. Bei NETI arbeiten Menschen mit und ohne Behinderung zusammen. Sie holen Lebensmittel, die übrig sind, von Supermärkten und Geschäften ab. Die Leute von NETI verkaufen dann Milch, Brot, Obst und anderes Essen für wenig Geld. Für nur 50 Cent kann sich jeder mitnehmen, was er braucht. Nach dem Einkauf sitzen die Gäste oft noch bei Kaffee und Kuchen zusammen.


Es ist schon halb drei nachmittags; und in knapp zwei Stunden werden viele Gäste hier sein: bei NETI, dem Netphener Tisch. Er ist zu einer wichtigen Adresse für viele Netphener geworden, die nicht viel Geld im Portemonnaie haben. Für diese Gäste haben sich das Lebenshilfe-Center Netphen und die Siegener Tafel zusammengetan.

Hektik kommt nicht auf, denn man arbeitet Hand in Hand zusammen. Viele der ehrenamtlich Engagierten haben eine geistige Behinderung, andere nicht. Manche waren von Anfang an dabei. So wie Alexandra Schneider und Erika Schmidt. Sie haben die Idee sogar mitentwickelt. "Eines ist klar", betonen Armin Herzberger, Leiter des Lebenshilfe-Centers und Initiator von NETI, und seine Kollegin Yvonne Veyhl: "Die geistig behinderten Helfer arbeiten hier genauso selbstständig wie ihre nicht behinderten Mitstreiter."

So groß, wie das Angebot inzwischen ist, braucht man jeden Helfer. Erst passte NETI noch in den kleinen Empfangsraum des Lebenshilfe-Centers, das der Landesverband NRW in der Lahnstraße unterhält. Doch inzwischen ist NETI ins Foyer der benachbarten Georg-Heimann-Halle umgezogen. NETI wächst, und so ist Arbeitsteilung angesagt: Ein Teil des Teams kocht Kaffee und bereitet die Tische vor, ein anderer schwingt sich in den VW-Bus: NETI bekommt sein "Material" von seinem Kooperationspartner, der Siegener Tafel. Dort müssen die Lebensmittel abgeholt werden. Hinfahren, einladen, ausladen, auspacken, Lebensmittel vorsortieren und arrangieren: Das ist schnell gemacht, weil hier alle mit Konzentration und viel Schwung bei der Sache sind. Als letzter Akt der Vorbereitung wird der CD-Spieler angeworfen, zwei gehbehinderte Damen besetzen die Kasse - und schon kommen die ersten Netphener herein.

Jeder zahlt 50 Cent und wählt seine Lebensmittel. Viele Gäste lassen es sich danach noch bei Kaffee und Kuchen gut gehen. Der Raum ist bald erfüllt von Gesprächen. Und schon kommt noch ein ganzer Schwung Leute herein: Der Arbeitstag in der nahe gelegenen Werkstatt für behinderte Menschen ist beendet, und da geht man gern noch bei NETI vorbei. Einige kommen als Gäste, aber andere - nach einem harten Arbeitstag! - machen hier ihre "zweite Schicht" hinter den Ausgabetischen. Und nun wird es richtig bunt: Der Werkstattrat disputiert mit dem Anarchisten aus dem betreuten Wohnen; die Dame mit der Mini-Rente erzählt von ihren Enkeln. Wer zu NETI kommt, nimmt mehr mit nach Haus als nur Lebensmittel.


"Ich will eben helfen"

Wenn man Erika Schmidt fragt, warum sie so viel Arbeit in den Netphener Tisch steckt, sagt sie: "Na, ich will eben helfen." Eine Antwort, die fast alle ehrenamtlich Tätigen geben, wenn sie nach ihrem Engagement gefragt werden. Auch für Armin Herzberger ist dies das Motto: "Es ist doch normal, wenn Menschen mit geistiger Behinderung sich für Andere einsetzen! Volle gesellschaftliche Teilhabe ist für mich klar definiert: Menschen mit Behinderung sollen ein Leben leben können, das sie auch so leben würden, wenn sie keine Behinderung hätten. Dazu gehört es, von der örtlichen Gemeinschaft unterstützt zu werden, aber genauso auch etwas zurückzugeben."

Bürgerpflicht also. Dass diese in Netphen nicht als Zwang verstanden wird, merkt man sofort an der Stimmung der Gäste. Sie freuen sich über die Lebensmittel: "wenn man nicht so viel Rente hat, ist das ganz klasse". Doch genauso wichtig ist, wie die Lebensmittel angeboten werden: Bei NETI gibt es kein Schlangestehen und man fühlt sich nicht als Bittsteller: "Man wird hier herzlich empfangen", so ein Besucher.

Die Freundlichkeit liegt wohl an der Haltung der NETI-Macher zu ihrem ehrenamtlichen Job. Jeder sieht genau, was er von seiner Arbeit hier hat - auch wenn es mal stressig wird. Dabei ist die Herausforderung für die meisten das Wichtigste: Es herrscht nicht immer die gewohnte Routine; im Kontakt mit den unterschiedlichen Gästen müssen immer neue Situationen bewältigt werden. Alexandra Schneider mag die Abwechslung: "Mal dies, mal das, mal spüle ich, mal koche ich Kaffee, immer etwas anderes. Das macht Spaß."

"Immer mit Menschen zu tun zu haben" finden auch Marita und Mario interessant an ihrer Tätigkeit bei NETI. Selbstbewusst sagen sie: "Wir können viel mehr!" Und inzwischen haben sie immer mehr Gelegenheit, dies zu zeigen.

NETI lädt jeden 2. und 4. Dienstag im Monat von 16.30 bis 18 Uhr zur Tafel, im Foyer der Georg-Heimann-Halle in der Jahnstraße. Kommen Sie doch mal vorbei!

Kontakt:
Armin Herzberger oder Yvonne Veyhl
Tel. 02738/303355

lhz


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Quelle:
Lebenshilfe Zeitung, Nr. 2/2009, 30. Jg., Juni 2009, S. 3
Herausgeber: Bundesvereinigung Lebenshilfe
für Menschen mit geistiger Behinderung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juni 2009