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BUNDESTAG/5734: Heute im Bundestag Nr. 248 - 28.04.2016


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 248
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Donnerstag, 28. April 2016, Redaktionsschluss: 10.01 Uhr

1. Standards für humanitäre Hilfe
2. Situation der Kakaobauern im Blick
3. Über den Nutzen der Raumfahrt
4. Reform des Urheberrechts


1. Standards für humanitäre Hilfe

Menschenrechte/Anhörung

Berlin: (hib/AHE) Experten befürworten die Durchsetzung von Qualitätsstandards im Bereich der humanitären Hilfe, mahnen jedoch weitergehende Reformen im internationalen Hilfssystem an. Das zeigte eine öffentliche Anhörung des Menschenrechtsausschusses.

Cornelia Füllkrug-Weitzel (Brot für die Welt / Diakonie Katastrophenhilfe) nannte das heutige System der humanitären Hilfe nicht "angemessen" und auch nicht "nachhaltig". Viel zu stark läge das Heft des Handelns nach wie vor bei den großen internationalen Organisationen und Hilfswerken. "Das ist das falsche Paradigma." Es komme entscheidend darauf an, viel stärker als bisher die lokalen und nationalen Akteure einzubinden. Hinzu träte die Notwendigkeit, mehr Prävention zu betreiben in dem Sinne, dass Gesellschaften dabei unterstützt würden, Resilienzen auszubilden, also auf Katastrophen und humanitäre Notfälle vorbereitet zu sein. Solche präventiven Projekte zur "Selbsthilfefähigkeit" und "Selbstwirksamkeit" aber würden durch internationale Geber bisher kaum finanziert.

Volker Gerdesmeier (Deutscher Caritasverband) begrüßte den "Core Humanitarian Standard", der 2014 nach einem breiten Konsultationsprozess unter humanitären Organisationen entstanden sei. Eine stärkere Überprüfung der Qualität der geleisteten Hilfe sei auch mit Blick auf die gewachsene Zahl von Hilfsorganisationen geboten. Gerdesmeier warnte aber vor der Erwartung, mit höheren Qualitätsstandards automatisch mehr Effizienz zu erreichen: Bereits heute bestehe ein größerer Teil der Arbeit von Hilfsorganisationen im "Abklappern von Fragebögen" und dem "Aufblähen von Antragsarbeit" - Ressourcen, die der Organisation dann bei der eigentlichen Hilfsarbeit vor Ort fehlen würden. Wer höhere Qualitätsstandards einfordere, müsse auch mehr Geld für die humanitäre Hilfe in die Hand zu nehmen. "Wir müssen mehr investieren", sagte Gerdesmeier.

Corinna Kreidler (Freie Gutachterin) unterstrich, dass es vor allem darauf ankommen, die Relevanz humanitärer Hilfe zu messen - also zu fragen, ob die Hilfe dem Bedarf der Betroffenen entspricht. Die Hilfe müsse dort hinkommen, wo die Not am größten sei - dazu gehörten auch "vergessene Konflikte" und damit verbunden der politische Mut, Prioritäten zu setzen. Es wäre zudem viel gewonnen, wenn UN-Hilfswerke stärker "sachorientiert als mandatsorientiert" zusammenarbeiten würden, um etwa Doppelstrukturen zu vermeiden. Kreidler machte zudem den Vorschlag, die Vergabe öffentlicher Mittel stärker an Zertifizierungsprozesse für Hilfsorganisationen zu koppeln.

Manuela Roßbach (Aktion Deutschland Hilft) betonte, dass im internationalen humanitären System viel Wissen, Erfahrung und Potential vorhanden sei. Die Schwierigkeit bestehe aber darin, das vorhandene Wissen über Standards und ihre Anwendung durch Hilfsorganisationen und helfende Akteure zu verbreiten und vermitteln. Hinzu komme, dass heute vieles technisiert und mit Kennzahlen gemessen würde. Eine der wichtigsten Qualitäten von Hilfsorganisationen - die Arbeit von Mensch zu Mensch - sei aber so nicht immer zu messen.

Hansjörg Strohmeyer (Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen, OCHA) sprach von einem Wendepunkt für die internationale Staatengemeinschaft: Der Bedarf an humanitären Hilfsleistungen habe sich in den vergangenen Jahren drastisch erhöht, ebenso die Dauer der Einsätze. "Verschleppte langwierige Krisen sind heute der Normalfall, nicht mehr die kurzfristigen und akuten", sagte Strohmeier. Hinzu komme, dass angesichts von Klimawandel und der absehbaren demographischen Entwicklung der Bedarf in den kommenden Jahren weiter steigen dürfte. Für die Staatengemeinschaft müsse es deshalb vor allem darum gehen, den Bedarf nach humanitären Hilfsleistungen durch Konfliktbearbeitung und -verhütung zu verringern oder nach Möglichkeit überhaupt erst gar nicht entstehen zu lassen.

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2. Situation der Kakaobauern im Blick

Parlamentarischer Beirat für nachhaltige Entwicklung/Ausschuss

Berlin: (hib/HAU) In ihrem Bemühen für die Schaffung besserer Arbeits- und Lebensbedingungen für Kakaobauern in Afrika benötigen Initiativen wie das "Forum Nachhaltiger Kakao" politische Unterstützung - etwa beim Kampf gegen Korruption. Das machte der Vorstandsvorsitzende Wolf Kropp-Büttner während einer öffentlichen Sitzung des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung deutlich. Das Forum Nachhaltiger Kakao, eine Multi-Stakeholder-Initiative, in der sich mittlerweile fast 70 Akteure aus der Kakao- und Schokoladenindustrie, dem Lebensmittelhandel, der Zivilgesellschaft und der Bundesregierung zusammengeschlossen haben, verfolge das Ziel, mittelfristig eine nachhaltige Lieferkette Kakao zu erreichen, sagte Kropp-Büttner.

Dabei sei man innerhalb von vier Jahren gut vorangekommen. Der Anteil nachhaltig erzeugten Kakaos in den in Deutschland verkauften Süßwaren sei von 3 Prozent im Jahr 2011 auf 39 Prozent im Jahr 2015 gestiegen, sagte der Vorstandsvorsitzende. Um die Situation der Kakaobauern zu verbessern führe seine Organisation Trainings in den Ländern Elfenbeinküste, Ghana und Nigeria durch und zertifiziere nachhaltig wirtschaftende Kooperativen. Das Projekt Pro-Planteurs etwa habe 20.000 kakaoproduzierende Familienbetriebe und ihre Organisationen, mit einem Fokus auf Frauen und junge Kakaobauer als Zielgruppe.

Friedel Hütz-Adam vom Institut für Ökonomie und Ökumene "Südwind", ebenfalls Mitglied im Forum Nachhaltiger Kakao, verwies auf die Problematik, dass die Kakaobauern das Training teilweise nicht umsetzen können oder wollen. So werde die Aufforderung, Harthölzer als Schattenpflanzen anzubauen oft mit dem Verweis auf die bei der Regierung der Länder liegenden Einschlagrechte für Harthölzer abgelehnt. Auch die Aufforderung, den Bestand durch das Fällen alter Kakaobäume und den Anbau neuer Bäume zu sichern, treffe nicht immer auf Verständnis.

Hütz-Adam ging auch auf den Hinweis aus dem Kreis der Abgeordneten ein, wonach der Anteil an den mit einem entsprechenden Siegel für fairen Handel gekennzeichneten Produkten im Schokoladenbereich geringer sei, als die nachhaltig produzierte Menge. Es gebe Hersteller, so der Experte, die das Siegel wieder entfernt hätten, weil die Verbraucher darauf negativ reagiert hätten. Seien die Verbraucher zuvor davon ausgegangen, den etwas höheren Preis für eine bessere Qualität zu zahlen, hätten sie durch das Siegel den Eindruck gewonnen, den Aufpreis dafür zu zahlen und so vermehrt vom Kauf Abstand genommen.

Wolf Kropp-Büttner räumte ein, es sei nicht möglich, einen bewusst gezahlten Aufpreis für den Kauf von Schokolade in Deutschland "eins zu eins" an die Kakaobauern durchzureichen. Dem stehe beispielsweise schon die Abschöpfung durch die Regierungen in den afrikanischen Ländern entgegen, die den Bauern den Kakao abkauften und damit einen gewisse Existenzsicherheit böten, jedoch nur 60 bis 70 Prozent des aktuellen Weltmarktpreises dafür zahlen würden. "Eigentlich sollten sie die Spanne in den Bau von Schulen und Straßen investieren, tun das aber oft nicht", beklagte er. Hier, so Kropp-Büttner, müsse die Politik Einfluss auf die betroffenen Partnerländer nehmen. Ebenso müsse sie sich gegen die Korruption stellen, die es auf allen Ebenen in den produzierenden Ländern gebe.

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3. Über den Nutzen der Raumfahrt

Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung/Ausschuss

Berlin: (hib/ROL) "Die Raumfahrt geht über nationale Grenzen hinweg." Das sagte Professor Jan Wörner, Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation (ESA), zur Eröffnung des Fachgesprächs "Die Blue Dot-Mission - Sechs Monate Forschung und Leben im Weltall" des Ausschusses für Bildung Forschung und Technikfolgenabschätzung unter Leitung der Ausschussvorsitzenden, Patricia Lips (CDU), am Mittwochabend in Berlin. Dort stellte Jan Wörner die ESA vor. Zur ESA gehören 22 Mitgliedsstaaten in Europa. Aufgabe der ESA ist es, das gemeinsame europäische Weltraumprogramm mit einem Gesamtbudget von 5,2 Milliarden Euro zu konzipieren und umzusetzen. Raumfahrt gehöre schon jetzt zum Tagesgeschäft in der Gesellschaft. Dazu gehört Erdbeobachtung, Telekommunikation, Navigation, Grundlagenforschung und eben auch bemannte Raumfahrt. Durch die Kommerzialisierung des Weltraums würden sich neue Rollen für die Industrie ergeben.

Im Rahmen der ISS-Expeditionen 40 und 41 hatte der deutsche ESA-Astronaut Alexander Gerst ein halbes Jahr lang im Weltraum gelebt und geforscht und war zusammen mit seinen zwei Kollegen, dem russischen Kosmonauten Maxim Surajew und dem NASA-Astronauten Gregory Reit Wiseman, an Bord einer russischen Sojusrakete im kasachischen Baikonur auf seine Reise in den Orbit gestartet und im November 2014 auf die Erde zurück gekehrt.

Wörner strich heraus, wie wichtig die internationale Zusammenarbeit sei - eben gerade auch in Krisenzeiten. Die Mission mit Alexander Gerst war kurz nach der Krimkrise gestartet und war dennoch jenseits der politischen Probleme auf der Erde im Orbit ohne Probleme verlaufen. "Wenn Sie fragen, was ist der Return of money?", so Wörner, dann sei die Antwort nicht nur in den reinen Forschungsergebnissen zu suchen, "sondern vor allem im Return of values. Ich weiß, dass die United States of Europe gerade im Moment in weiter Ferne sind, aber die United Space in Europe, die gibt es."

Die Astronauten hatten bei ihrer ISS-Mission unzählige Experimente in Physik, Biologie, menschlicher Physiologie, Strahlungsforschung und der Erprobung neuer Technologien im europäischen Weltraumlabor Columbus durchgeführt, einem Labor, das einem ganzen Universitätslabor gleiche, wie Gerst deutlich machte. Eines der Highlights unter den Experimenten sei der elektromagnetische Levitator (EML), ein Behältnis zu behälterlosen Erforschung des Schmelz- und Erstarrungsverhaltens metallischer Proben unter Schwerelosigkeit. Von diesen Experimenten erhoffen sich die Wissenschaftler Verbesserungen im industriellen Gussverfahren oder in der Krebsforschung oder auch in der Forschung für klimaresistente Pflanzen.

Alexander Gerst, der unter 8.000 Kandidaten ausgewählt worden war und 165 Tage bei 2.500 Erdumrundungen in der ISS-Raumstation verbracht hatte, machte in seinem Vortrag deutlich, wie wichtig es für die Forschung sei, die Perspektive zu verändern, da die Astronauten eben nicht mehr Teil der Erdatmosphäre seien. In der Schwerelosigkeit könnten Experimente gemacht werden, die auf dem Boden nicht darstellbar seien.

Gerst, der wie seine Kollegen mit einem Training von 6.000 Stunden auf die Mission vorbereitet worden war, sagte: "Oft suchen die Wissenschaftler mit ihren Experimenten nach einem bestimmten Ergebnis, aber heraus kommen würde dann ein ganz andere Entdeckung." Bei Gerst hatte sich während der Zeit auf der ISS beispielsweise die Haut verjüngt - ein überraschender Befund, den die Wissenschaftler in große Aufregung versetzt habe und an dem nun weiter geforscht werde.

Gerst, eigentlich Geophysiker und Vulkanologe, zeigte den Ausschussmitgliedern nicht nur Bilder von der Erde ohne Grenzen, von Sandstürmen über der Sahara und dem Verlauf von Meeresströmungen in Neuseeland, er verdeutlichte vor allem, dass Raumfahrt eine Investition in die Zukunft für die Menschheit sei und sagte: "Aus der Ferne gesehen ist unser Planet nur ein blauer Punkt, ein zerbrechliches Raumschiff für die Menschheit. Wir müssen das Universum verstehen, in dem wir leben, um unseren Heimatplaneten zu schützen." Gerst betonte, wie wichtig es ihm sei vor, allem die nächste Generation von Wissenschaftlern für die Raumfahrt zu gewinnen und zu inspirieren. Auf die Frage, was man wie in Zukunft mit Raumfahrt erreichen könnte, gab Gerst die Antwort: "Die Raumfahrt steht etwa da, wo die Fliegerei vor 100 Jahren stand. Wir sind eine Spezies von Entdeckern. Grenzen gibt es nicht."

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4. Reform des Urheberrechts

Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung/Antrag

Berlin: (hib/ROL) Wissenschaft und Forschung können immens von den digitalen Möglichkeiten profitieren, da Wissen wächst, wenn es geteilt wird. Modernes Lernen, Lehren und Forschen ist auf ein bildungs- und forschungsfreundliches Urheberrecht angewiesen. Doch noch immer bestehen urheberrechtliche Hindernisse, die Studenten, Lehrenden, Lernenden und Wissenschaftlern den Zugang zu Wissenschafts- und Bildungsmaterialien erschweren. Das schreiben Bündnis 90/die Grünen in ihrem Antrag (18/8245).

Eines der Hindernisse bestünde darin, dass bis heute eine umfassende Bildungs- und Wissenschaftsschranke im deutschen Urheberrecht fehle. Sie würde es Lehrenden, Lernenden und Forschenden erleichtern, publizierte Werke jedweder medialer Art für den nicht gewerblichen, wissenschaftlichen Gebrauch grundsätzlich genehmigungsfrei und ohne Einschränkungen zu nutzen. Ziel müsse sein, den für Bildung und Wissenschaft notwendigen Zugang zu digitalen Werken unter angemessenen und für alle Seiten fairen Bedingungen zu gewährleisten. Zugleich soll nach Auffassung der Grünen eine solche Regelung ermöglichen, die digitalen Potenziale für Bildung und Forschung in der Breite nutzen zu können.

Seit nunmehr über sechs Jahren hätten die letzten beiden Bundesregierungen unter Führung der Union eine Bildungs- und Wissenschaftsschranke im Urheberrecht (unter anderem als Teil des sogenannten "Dritten Korbs" der Urheberrechtsreform) angekündigt und noch keine entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt.

Bündnis 90/Die Grünen fordern die Bundesregierung auf, unverzüglich einen Gesetzentwurf für einen allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke im Urheberrecht vorzulegen. Sie soll einen umfassenden Zugang zum Wissensbestand praxistauglich regeln und vereinfachen und die zulässige Vervielfältigung und öffentliche Zugänglichmachung eines veröffentlichten Werkes für Lehr- und Lernzwecke oder für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung ermöglichen, wenn die Nutzung in ihrem Umfang durch den jeweiligen Zweck geboten ist und keinen kommerziellen Zwecken dient. Zudem soll ein zeitgemäßer Bildungsbegriff zugrunde gelegt werden, der sich als dynamischer, lebenslanger, offener, integrativer und kollaborativer Prozess versteht. Ferner soll dafür gesorgt werden, dass unter angemessenen und für alle Seiten fairen Bedingungen, die Verleihbarkeit digitaler Inhalte durch wissenschaftliche Bibliotheken ermöglicht wird, und zwar unabhängig von welchem Ort die Ausleihe beziehungsweise dann die Nutzung erfolgt.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 248 - 28. April 2016 - 10.01 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2016

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