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BUNDESTAG/6636: Heute im Bundestag Nr. 389 - 21.06.2017


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 389
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Mittwoch, 21. Juni 2017, Redaktionsschluss: 16.50 Uhr

1. Experten uneins über EU-Sozialpolitik
2. Sorge um Rückgang der Schwimmfähigkeit
3. Geschlechtliche Menschenrechte
4. Ausgleichsflächen für Pipeline-Bau


1. Experten uneins über EU-Sozialpolitik

Europa/Anhörung

Berlin: (hib/JOH) Das von der EU-Kommission im April vorgelegte Reflexionspapier zur sozialen Dimension Europas hat am Mittwochnachmittag in einer öffentlichen Anhörung des Europaauschusses gemischte Reaktionen bei Experten hervorgerufen. Während die einen begrüßten, dass die Europäische Union sich des Themas verstärkt annehme, da wirtschaftliche Rechte zunehmend Vorrang vor sozialen Rechten bekommen hätten, warnten andere vor einer Kompetenzübertragung auf die europäische Ebene und negativen Folgen. Sie sahen bei sozialpolitischen Entscheidungen in erster Linie die Nationalstaaten in der Verantwortung.

Nach Ansicht von Professor Eberhard Eichenhofer von der Friedrich-Schiller-Universität Jena erinnert das Kommissionspapier an das der EU letztlich zugrunde liegende sozialpolitische Motiv, das schon der frühere britische Premierminister Winston Churchill 1946 in seiner Züricher Rede beschworen habe. Es sei gut, dass sich die EU dieser Zweckbestimmung versichere und vergewissere. Wenn nicht alle EU-Mitgliedstaaten in dieser Frage handeln wollten, sei ein Europa der zwei Geschwindigkeiten immer noch besser, als nichts zu tun, befand er. "Das gemeinsame Handeln der Vielen ist besser als das Nichtstun aller."

Frank Schmidt-Hullmann, Hauptabteilungsleiter Politik und Grundsatzfragen bei der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), kritisierte die zunehmende "Dominanz von Binnenmarktfreiheiten über soziale Regulierungen" in der EU. Das sei in den Nationalstaaten anders. "Wenn wir Europa wieder sozial machen möchten, müssen wir es wieder so konditionieren, wie es in den einzelnen Staaten üblich ist", betonte er. Wirtschaftliche Rechte dürften keinen Vorrang vor Menschenrechten haben.

Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, befand, dass die Zielsetzung einer stärkeren Konvergenz in der Europäischen Union "deutlich unter die Räder" gekommen sei. Er begrüßte daher das Vorhaben der Kommission, eine europäische Säule sozialer Rechte zu schaffen, mit deren Hilfe faire und gut funktionierende Arbeitsmärkte und Sozialsysteme unterstützt werden sollen. Er warf ihr jedoch mit Blick auf die Austeritätspolitik in Griechenland und Eingriffe, etwa in das Streikrecht, widersprüchliches Handeln vor. Statt einer glaubhaften Strategie für das soziale Europa von morgen habe die Kommission eine reine Absichtserklärung vorgelegt. Dabei müsste der europäische "Spar-, Lohnsenkungs- und Deregulierungswettlauf" dringend gestoppt werden.

Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), hielt den drei Sachverständigen entgegen, dass eine europäische Sozialpolitik nicht unbedingt effizienter sein müsse. "Eine weitere Verrechtlichung der Spielräume, die eine lebendige Sozialpartnerschaft ausfüllen können, ist kontraproduktiv", urteilte er. Kampeter warf der Kommission eine "Überinterpretation der Verträge" vor und sprach von dem Versuch, Souveränität auf die europäische Ebene zu transferieren. Sein Rat an die Abgeordneten: "Springen Sie nicht der Kommission bei, sondern verfolgen Sie vernünftige subsidiäre Ansätze."

Auch der Vorstand der Stiftung Marktwirtschaft, Professor Michael Eilfort, sah die vorrangige sozialpolitische Kompetenz bei den Mitgliedstaaten. Die Autonomie kleinerer Einheiten sei einer zentral administrierten und regulierten europäischen Sozialpolitik vorzuziehen, da es regional unterschiedliche Präferenzen gebe, betonte er. Außerdem könnten EU-weit einheitlich geregelte soziale Leistungen die Wettbewerbsfähigkeit wirtschaftlich schwächerer Regionen beeinträchtigen und sie ökonomisch überfordern.

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2. Sorge um Rückgang der Schwimmfähigkeit

Sport/Ausschuss

Berlin: (hib/HAU) Der Rückgang der Schwimmfähigkeit bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland ist bedenklich. In dieser Einschätzung waren sich die am Mittwoch zur Sitzung des Sportausschusses geladenen Experten einig. Aus Sicht der Vertreter der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen, der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) und des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV) sind die Ursachen für diese Entwicklung vielfältig. Genannt wurden unter anderem die Schließung von Bädern sowie deren Umwandlung vom Ausbildungsbad zum Spaßbad sowie Probleme beim Schulschwimmen.

Das Schulschwimmen stelle eine Basis dar, um den Kindern das Schwimmen beizubringen, sagte Reinhard Rasch, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen. Der Föderalismus erweise sich hier jedoch als Problem. Zum einen, da es 16 Lehrpläne mit völlig unterschiedlichen Herangehensweisen und Zielstellungen gebe. Zum anderen existierten keine belastbaren Zahlen zum Bäderbestand, kritisierte Rasch. Bundesweit gebe es bei 50 Prozent der deutschen Bäder einen Sanierungsbedarf, der sich auf 4,5 Milliarden Euro summiere, sagte der Vertreter der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen, die Mitglied in der Anfang 2017 neu gegründeten "Bäderallianz Deutschland", einem Zusammenschluss führender Verbände und Institutionen des Badewesens und Schwimmens in Deutschland, ist.

Die Frage, ab welchem Alter Kinder sicher schwimmen können sollten, müsse breit diskutiert werden, forderte DLRG-Vizepräsident Detlev Mohr. Nach Ansicht der DLRG sollte der Schwimmunterricht nicht erst bei Zehnjährigen beginnen, sagte er. Mohr machte deutlich, dass der Prozess der Bäderschließungen weiter anhalte. Die Zahl der neuen Bäder könne den Abbau nicht ausgleichen. Mohr verwies zudem auf repräsentative Umfragen der DLRG, wonach 60 Prozent der Kinder nicht das Kriterium der Schwimmfähigkeit erfüllten. Sorge mache der DLRG auch, dass nach jahrelangen Erfolgen der Prävention in den letzten beiden Jahren die Zahl der Ertrunkenen signifikant angestiegen sei.

Etwa die Hälfte aller Kinder kann nach Aussage von DSV-Vertreter Wolfgang Hein am Ende der Grundschulzeit nicht ausreichend schwimmen. Zu tun habe dies mit Bäderschließungen. Aber auch die Umwandlung zu Freizeit- und Spaßbädern sorge für den Verlust von Trainingszeiten für Vereine und Schulen, beklagte Hein und forderte, den Vereinen die Wasserflächen zurückzugeben. Der Vizepräsident des Deutschen Schwimm-Verbandes machte zugleich auf die Problematik aufmerksam, dass private Schwimmkurse zunehmen würden, weil öffentliche Schwimmflächen abnehmen. Dies habe aber mit dem sozialen Gedanken nichts zu tun, weil sich nicht alle Familien teure private Kurse leisten könnten.

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3. Geschlechtliche Menschenrechte

Inneres/Antrag

Berlin: (hib/STO) "Geschlechtliche und sexuelle Menschenrechte gewährleisten" lautet der Titel eines Antrags der Fraktion Die Linke (18/12783), der am Donnerstag erstmals auf der Tagesordnung des Bundestagsplenums steht. Wie die Fraktion darin ausführt, sieht das Transsexuellengesetz (TSG) eine sogenannte kleine und eine sogenannte große Lösung vor. Die "kleine Lösung" ermögliche den Betroffenen eine Vornamensänderung, die "große Lösung" führe zu einer "personenstandsrechtlichen Anerkennung". Einer der Hauptkritikpunkte am bestehenden TSG sei "aus Sicht der Betroffenen die Begutachtung, der eine rasche Angleichung des Vornamens und des Personenstands entgegensteht".

Die Bundesregierung soll dem Antrag zufolge unter anderem einen Gesetzentwurf vorlegen, mit dem "die bisherige verpflichtende psychiatrische Begutachtung zur Vornahme einer Vornamens- oder Personenstandsänderung" ersatzlos entfällt. Ferner soll nach dem Willen der Fraktion damit zugleich "die derzeitige Praxis der frühkindlichen Operationen zur Herstellung von Geschlechtseindeutigkeit" gesetzlich unterbunden werden. "Operationen zur Herstellung der Geschlechtseindeutigkeit sind nur mit Einwilligung der Betroffenen zulässig", heißt es in der Vorlage weiter. Daraus folge, dass keine Operationen an Intersexuellen vor der Einwilligungsfähigkeit zulässig sind.

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4. Ausgleichsflächen für Pipeline-Bau

Wirtschaft und Energie/Antwort

Berlin: (hib/PEZ) Über Ausgleichsmaßnahmen beim geplanten Bau der Nord Stream 2-Pipeline ist der Bundesregierung zufolge noch nicht abschließend entschieden. Die vom Vorhabenträger Nord Stream 2 AG vorgeschlagenen Kompensationen würden noch erörtert; die zuständigen Genehmigungsbehörden würden danach eine Entscheidung treffen, antwortet die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke (18/12754, 18/12504). Es handele sich um fünf Flächen im Einzugsgebiet des Greifswalder Boddens.

Bei den Ausgleichsmaßnahmen sollen Landwirte Ackerland in Grünland umwandeln. Die Fragesteller gingen davon aus, dass es sich dabei um 1.200 Hektar hochwertigen Ackerboden handelt und Landwirte deswegen existenziell bedroht sind. Die Bundesregierung erklärt nun, nach ihrer Kenntnis sollen hochwertige Ackerböden nicht mehr betroffen sein.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 389 - 21. Juni 2017 - 16.50 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juni 2017

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