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SCHLESWIG-HOLSTEIN/1860: Schleswig-Holstein hat gewählt - Die Analyse (Landtag)


Der Landtag Schleswig-Holstein
Parlamentszeitung Nr. 05 - Mai 2012

Schleswig-Holstein hat gewählt
Die Analyse



Wahlabende in Schleswig-Holstein sind lang und spannend. So war es nach den Urnengängen 2005 und 2009, und so war es auch am 6. Mai 2012. Bis kurz nach Mitternacht wurde im Landeshaus gehofft und gebangt - erst dann stand das vorläufige amtliche Endergebnis fest. Demnach verlor die schwarz-gelbe Koalition zwar ihre Mehrheit, das linke Lager aus SPD, Grünen und SSW konnte aber nur teilweise profitieren. Hauptgewinner waren die Piraten, die vor allem junge Wähler erreichten und nun erstmals in das Landesparlament einrücken. Die Linke verpasste den Wiedereinzug klar.


Das Landesverfassungsgericht hatte die vorgezogene Neuwahl wegen Mängeln im alten Wahlgesetz angemahnt. Das neue Wahlrecht, das im letzten Jahr verabschiedet worden war, hat verhindert, dass die Sollstärke des Parlaments erneut durch Überhangs- und Ausgleichsmandate überschritten wird: Der Landtag besteht wieder aus 69 Abgeordneten. Überschattet wurde der Urnengang von der niedrigsten Wahlbeteiligung in der Geschichte des Landes. Die Quote lag bei 60,2 Prozent.


CDU stärkste Kraft, aber de Jager bleibt draußen

Zum dritten Mal in Folge wurde die CDU stärkste Kraft. Die 30,8 Prozent Stimmenanteil bedeuten allerdings ein Minus von 0,7 Punkten gegenüber der letzten Wahl und einen Tiefstwert seit 1950. Ihre Hochburgen hatte die Union einmal mehr in den ländlichen Regionen, insbesondere an der Westküste. Das landesweit beste Zweitstimmenergebnis gab es mit 37,5 Prozent im Wahlkreis Dithmarschen-Nord, wo der Abgeordnete Karsten Jasper mit 44,6 Prozent auch die meisten Erststimmen für seine Partei einfuhr. Demgegenüber fiel die Union in vielen städtischen Wahlkreisen noch hinter die niedrigen Werte von 2009 zurück und holte etwa in Flensburg, Kiel und Lübeck nur rund 20 Prozent der Zweitstimmen. Die Negativmarke betrug 18,6 Prozent auf dem Kieler Ostufer.

Laut der Wählerbefragung der "Forschungsgruppe Wahlen" am Wahltag kamen die CDU-Stimmen vor allem von den über 60-Jährigen und den Selbstständigen. Jeweils 38 Prozent dieser Gruppen machten demnach ihre Kreuzchen bei der Union. Demgegenüber erhielt die CDU bei den unter 30-Jährigen und den Arbeitern nur unterdurchschnittlichen Zuspruch. Hauptargument für die Wahl der CDU war demnach die Kompetenz in den Bereichen Finanzen und Wirtschaft. Laut dem Institut "Infratest Dimap" verlor die CDU Wähler an SPD und Piraten, konnte aber ehemalige FDP-Anhänger zu sich herüberziehen.

Wie nach der Wahl 2009, so besteht die CDU-Fraktion auch in der kommenden Wahlperiode ausschließlich aus den direkt gewählten Wahlkreisabgeordneten. 22 CDU-Kandidaten setzten sich in ihren Wahlkreisen durch - genauso viele Sitze stehen der Union nach ihrem Zweitstimmenanteil zu. Entsprechend kam die Landesliste nicht zum Zuge. Leidtragende sind unter anderem die Nummern eins und zwei der Liste, Spitzenkandidat Jost de Jager und Landtagspräsident Torsten Geerdts. Beide gehören dem neuen Landtag nicht an. De Jager hatte keinen eigenen Wahlkreis, Geerdts unterlag in seiner Heimatstadt Neumünster der SPD-Bewerberin Kirsten Eickhoff-Weber.


Sozialdemokraten holen auf, vor allem in den Städten

Die SPD konnte gegenüber ihrem Allzeit-Tief vor zweieinhalb Jahren fünf Prozentpunkte zulegen und landete diesmal nur knapp hinter der Union. Das Ergebnis von 30,4 Prozent ist dennoch das drittschlechteste in der Landesgeschichte. Immerhin gelang es den Sozialdemokraten, einige Wahlkreise zurückzuerobern, die 2009 an die CDU gefallen waren, etwa in Flensburg, Neumünster und Elmshorn. Zudem holte die SPD in zwei ländlichen Regionen (Plön-Nord/ Malente und Ostholstein-Nord) die Direktmandate. Zwei Rekorde verbuchten die Sozialdemokraten im traditionellen Arbeiterbezirk Kiel-Ost. Hier holte die SPD mit 41,3 Prozent das landesweit höchste Zweitstimmenergebnis aller Parteien in einem Wahlkreis, und der Abgeordnete Bernd Heinemann verteidigte hier sein Direktmandat mit 49,1 Prozent - auch dies eine Bestmarke bei dieser Wahl. Den niedrigsten Wert verzeichnete die Partei im Wahlkreis Südtondern mit 22,7 Prozent - fast 20 Punkte hinter der CDU.

Wie bei der Union, so waren auch in der SPD-Wählerschaft die über 60-Jährigen besonders stark vertreten. 35 Prozent in dieser Altersgruppe wählten sozialdemokratisch. Das geht aus den Zahlen der "Forschungsgruppe Wahlen" hervor. Bei den 18- bis 45-Jährigen waren es hingegen nur 24 Prozent. Arbeiter und Angestellte, vor allem Gewerkschaftsmitglieder, entschieden sich überdurchschnittlich häufig für die SPD, insbesondere wegen deren Bildungs-, Arbeitsmarkt- und Familienpolitik. Die SPD zog laut "Infratest Dimap" auch ehemalige FDP- und Grünen-Wähler an, verlor aber Stimmen an die Piraten.


Grüne erreichen Bestwert - bei Frauen besonders erfolgreich

Die Grünen konnten ihren Bestwert von 2009 noch um einen knappen Prozentpunkt aufstocken und erreichten mit 13,2 Prozent ihr bestes Ergebnis bei einer Schleswig-Holstein-Wahl. Erstmals seit der Wahl 1996 sind sie damit wieder drittstärkste politische Kraft im Lande. Besonders erfolgreich waren die Grünen in den Großstädten, vor allem in der Nähe der Unis: In Kiel-Nord und Kiel-West holten sie jeweils 19,7 Prozent der Zweitstimmen, in Lübeck-West waren es 18,3 Prozent. In den beiden Dithmarscher Wahlkreisen und in Ostholstein-Nord gab es hingegen nur einstellige Ergebnisse.

Die "Forschungsgruppe Wahlen" sieht vor allem Jungwähler und die mittlere Altersgruppe zwischen 30 und 60 als treue Grünen-Wähler. Und: Die Grünen sind laut Infratest Dimap als einzige Partei bei Frauen beliebter als bei Männern. Die mit Abstand größte Kompetenz wird der Partei in der Energiepolitik zugemessen - 43 Prozent aller Wähler trauen hier den Grünen am meisten zu. Zahlreiche ehemalige schwarz-gelbe und Linken-Wähler zog es zu den Grünen, die aber Stimmen an die SPD und die Piraten abgaben.


Liberale trotzen Umfragen: Großer Jubel trotz Verlusten

Die FDP büßte gegenüber 2009 massiv Stimmen ein - ihre Wähler liefen laut "Infratest Dimap" in Scharen zu allen anderen Parteien über. Dennoch herrschte am Wahlabend Feierstimmung bei den Liberalen, hatten verschiedene Umfragen sie zuletzt doch deutlich unter der Fünfprozenthürde gesehen. Der Stimmenanteil von 8,2 Prozent bedeutete zudem das zweitbeste Ergebnis seit 1947.

Den stärksten Wert fuhren die Liberalen im Wahlkreis Stormarn-Süd mit 10,4 Prozent ein. In Ostholstein-Süd, Pinneberg-Nord und Segeberg-West landeten sie nur knapp unter zehn Prozent. Schwächer schnitten die Freien Demokraten hingegen in den großen Städten ab: In Kiel-Ost holten sie nur 5,3, in Kiel-West 6,2 und in Lübeck-Ost 6,3 Prozent.

Wie CDU und SPD profitierte auch die FDP überdurchschnittlich von den Stimmen der über 60-Jährigen (elf Prozent), während nur fünf Prozent der unter 30-Jährigen Anhänger der Liberalen waren. Selbstständige und Beamte wählten nach Angaben der "Forschungsgruppe Wahlen" besonders häufig FDP. Für zwei Drittel der FDP-Wähler war der Spitzenkandidat Wolfgang Kubicki ein entscheidender Faktor.


Piraten entern den Landtag: Gewinne im ganzen Lande

Die Piraten waren die große Überraschung der Landtagswahl. Sie konnten ihren Stimmanteil gegenüber 2009 mehr als vervierfachen und landeten - 162 Stimmen hinter der FDP - ebenfalls bei 8,2 Prozent. Die Internet-Partei zog damit nach Berlin und dem Saarland in das dritte deutsche Landesparlament hintereinander ein. Die Piratenpartei ist die insgesamt zwölfte Partei, der seit 1947 der Sprung in den Schleswig-Holsteinischen Landtag gelungen ist.

Die Piraten verzeichneten gleichmäßig im ganzen Land starke Zuwächse. Ihre Wähler kamen laut "Infratest Dimap" in beinahe gleicher Zahl von allen anderen Parteien. Ihnen gelang in allen Wahlkreisen der Sprung über die Fünfprozenthürde. Mit 10,2 Prozent in Kiel-Ost holten sie zwar ihr bestes Resultat in einer Großstadt, sie waren aber auch in ländlichen Regionen erfolgreich (jeweils 9,0 Prozent in Steinburg-Ost und Dithmarschen-Süd).

Die Wählerschaft der Piraten ist vornehmlich jung und männlich: Mit 20 Prozent waren sie die drittstärkste Kraft bei den unter 30-Jährigen, nur knapp hinter SPD und CDU. 20 Prozent der männlichen Erstwähler entschieden sich für die Piraten. Über 60-Jährige sind hingegen laut den Wahlforschern kaum unter ihren Anhängern. Drei Viertel der Piraten-Wähler gaben Unzufriedenheit mit den anderen Parteien als Grund für ihre Wahlentscheidung an - nur ein Viertel wählte die Piraten wegen ihrer Inhalte.


SSW im Norden zweistellig - im Süden kaum Stimmen

Der SSW holte 4,6 Prozent und damit sein bestes Ergebnis seit 1950 - mit einem deutlichen Nord-Süd-Gefälle. In den Kreisen Nordfriesland und Schleswig-Flensburg lag die Partei der dänischen Minderheit fast durchgehend im zweistelligen Bereich. Als bestes Ergebnis im Land erreichte der SSW 18,6 Prozent der Stimmen in der Stadt Flensburg. Südlich von Eider und Nord-Ostsee-Kanal lässt der SSW-Anteil stark nach, und in den Kreisen Stormarn und Herzogtum Lauenburg stimmten maximal zwei Prozent der Wähler für den SSW.

Die SSW-Wählerschaft rekrutiert sich laut "Forschungsgruppe Wahlen" gleichmäßig aus allen Alters- und Berufsgruppen. Insbesondere von der CDU und den Grünen sind Anhänger zum SSW gewechselt, heißt es bei "Infratest Dimap".


Die Linke gescheitert: Aus nach nur einer Wahlperiode

Mit einem Stimmenanteil von 2,2 Prozent verpasste die Linke den Wiedereinzug in den Landtag deutlich. Die Partei verlor insbesondere in ihren städtischen Hochburgen an Zuspruch und verfehlte landesweit die Fünfprozenthürde. Noch nie zuvor seit ihrer Gründung 2007 war die Linkspartei aus einem deutschen Landesparlament geflogen. Ein Faktor für den Misserfolg waren laut "Forschungsgruppe Wahlen" die niedrigen Vertrauenswerte für das Spitzenpersonal auf Landes- wie auf Bundesebene. Nach den Zahlen von "Infratest Dimap" konnten alle anderen Parteien bis auf die FDP enttäuschte Linken-Wähler zu sich herüberziehen.


"Sonstige" holen 2,5 Prozent

Auch die Familienpartei (1,0 Prozent), die Freien Wähler (0,6) und die Maritime Union (0,1) scheiterten an der Fünfprozenthürde. Die NPD spielte mit 0,7 Prozent ebenfalls keine Rolle.

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ANTEILE DER ZWEITSTIMMEN
(IN %)

CDU: 30.8
SPD: 30.4
Grüne: 13.2
FDP: 8.2
Piraten: 8.2
SSW: 4.6
Die Linke: 2.3
Sonstige: 2.4

GEWINNE UND VERLUSTE IM VERGLEICH ZUR LANDTAGSWAHL 2009
(IN %)

CDU: -0.7
SPD: +5.0
Grüne: +0.8
FDP: -6.7
Piraten: +6.4
SSW: +0.3
Die Linke: -1.1
Sonstige: -3.7

SITZVERTEILUNG

CDU: 22
SPD: 22
Grüne: 10
FDP: 6
Piraten: 6
SSW: 3
Gesamtsitze: 69


Kasten

69 ABGEORDNETE - DAS LAND SPART MILLIONEN

Der neue Schleswig-Holsteinische Landtag wird deutlich weniger kosten als der alte. Da nur noch 69 statt wie vorher 95 Abgeordnete im Parlament sind, fallen pro Jahr knapp 2,7 Millionen Euro weniger an Diäten und Altersversorgung an.

Die Regelgröße des Landtages liegt bei 69 Abgeordneten. Allerdings stieg die Zahl nach der Wahl 2009 an, weil Überhangund Ausgleichsmandate anfielen. Am 6. Mai gab es jedoch eine Punktlandung. Dies liegt auch am neuen Wahlrecht, das der Landtag letztes Jahr auf Drängen des Landesverfassungsgerichts beschlossen hat. Kernpunkt: Die Zahl der Wahlkreise wurde von 40 auf 35 heruntergefahren.

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Quelle:
Der Landtag Schleswig-Holstein, Nr. 05 im Mai 2012, S. 3-6
Mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2012