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SCHLESWIG-HOLSTEIN/1871: Erste Regierungserklärung vor dem Landtag (Landtag)


Der Landtag Schleswig-Holstein
Parlamentszeitung Nr. 06 - Juni 2012

Erste Regierungserklärung vor dem Landtag
Albig will neue Diskussionskultur / CDU und FDP: "inhaltsleeres" Programm



Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) strebt eine neue "politische Kultur mit Dialog, Transparenz und Teilhabe" an, um das Land voranzubringen. Einen Tag nach seiner Wahl warb er in seiner ersten Regierungserklärung vor dem Landtag fast 90 Minuten lang um Zustimmung für die von Sozialdemokraten, Grünen und SSW im Koalitionsvertrag fixierten Pläne. Albig lud Bürger, Kommunen und Verbände, aber auch die Opposition ein, "konstruktiv und partnerschaftlich" mitzuarbeiten und "neue Horizonte" für das Land zu erschließen. Schleswig-Holstein habe das Potenzial, in den Bereichen Bildung, Wirtschaft und Energieversorgung in der deutschen Spitze mitzumischen, so Albig. Allerdings sei aufgrund der schwierigen Haushaltslage nicht jedes Ziel der "Nord-Ampel" sofort zu erreichen. Lob für den versöhnlichen Ton von Albigs Antrittsrede zollte auch die neue schwarz-gelbe Opposition. Die joviale Art des Regierungschefs dürfe aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass seine Koalition mit einem "inhaltsleeren" und "rückwärtsgewandten" Regierungsprogramm an den Start gehe.


Albig kündigte Investitionen in KiTa, Schule und Hochschule an. "Wir können es nicht akzeptieren", wenn der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz nicht eingehalten werden kann, so Albig. Das Land dürfe sich hier "nicht aus der Verantwortung stehlen und die Kommunen allein lassen". In einem ersten Schritt will sich das Land deshalb an den Betriebskosten beteiligen, ab 2013 mit 15 Millionen Euro. Bis 2017 soll die Summe auf 80 Millionen anwachsen. Er wolle auch die KiTa-Gebühren abschaffen, aber aufgrund der Haushaltslage "geht das noch nicht". Um den "Schulfrieden" wiederherzustellen, rief Albig Lehrer, Eltern und Schulträger auf, die "ausgestreckte Hand" anzunehmen und sich an einer "Bildungskonferenz" zu beteiligen.

In der Verkehrspolitik kündigte Albig "viel mehr Realismus und Pragmatismus" im Vergleich zur schwarz-gelben Vorgängerregierung an. Dies gelte etwa für die umstrittene Autobahn A20, die nach dem Willen der Koalition zunächst nur bis zur A7 weiter gebaut werden soll. Damit beende die Koalition "eine politische Lebenslüge", denn der Bund habe "nicht den Hauch einer Ahnung", wie der Weiterbau und die geplante Elbquerung finanziert werden sollen. Gleiches gelte für die Fehmarnbelt-Querung: Die Kosten für die Hinterlandanbindung seien nicht absehbar. Berlin müsse hier "endlich Klarheit" schaffen.

Damit Schleswig-Holstein zum Top-Energiestandort werden kann, müssten die Stromtrassen zügig ausgebaut werden. "Wir dürfen nicht vor dem Wut-Bürger und der Wut-Wirtschaft einknicken", mahnte Albig. Die Bevölkerung rief er auf, sich an den Planungen für den Bau der Stromleitungen zu beteiligen und die Energiewende nicht durch eine "Verneinungs-Beteiligung" zu Fall zu bringen.

Angesichts der öffentlichen Kritik an der erstmaligen Regierungsbeteiligung des SSW betonte Albig, Schleswig-Holstein habe eine Tradition der "klugen, besonnenen Minderheitenpolitik". "Unser Land ist reif für diesen Schritt", sagte Albig und verwies darauf, dass die Mehrheit der Menschen "genau von dieser Regierung regiert werden möchte".

Callsen: Finanzpolitischer "Kurs ins Niemandsland"

In seiner direkten Antwort warf der neue Oppositionsführer Johannes Callsen (CDU) der Regierungskoalition vor, "trotz der vielen netten Worte" keine konkreten Lösungsansätze zu nennen. Callsen befürchtete, dass der von Albig angebotene Dialog mit den Menschen zur "Worthülse" wird: "Sie sind für mehr Beteiligung, aber ihre Entscheidung steht bereits vor der Beteiligung fest." In der Verkehrspolitik biete die Koalition "Stücke aus dem Tollhaus". Die Stadtregionalbahn Kiel, "die selbst in der Region nicht gewünscht wird", erhalte nun landespolitische Priorität. Dagegen würden die Hinterlandanbindung der Fehmarnbelt-Querung und der Weiterbau der A20 blockiert; der Lübecker Flughafen werde einfach abgeschrieben.

Callsen kritisierte auch, dass die Koalition statt der ursprünglich geplanten 1.400 nur noch 700 Lehrerstellen abbauen will. Das werde die Qualität an den Schulen nicht verbessern, koste aber zusätzliches Geld. Grundsätzlich verspreche die Koalition viele teure Einzelmaßnahmen ohne ein Gesamtkonzept zur Finanzierung vorzulegen. "Sie fahren einen finanzpolitischen Kurs ins Niemandsland", attackierte Callsen die Regierungsbank.

Stegner: Koalition hat eine "gemeinsame Idee"

Die Koalition habe eine "gemeinsame Idee für die Zukunft Schleswig-Holsteins", betonte der SPD-Fraktionsvorsitzende Ralf Stegner. Eine zentrale Rolle spiele die Bildung. Sie entscheide über "Lebenschancen". Als Schwerpunkte nannte Stegner das längere gemeinsame Lernen, mehr Inklusion und eine ausreichende Unterrichtsversorgung auf dem Land. Die Zukunft liege dabei in einem zweigliedrigen Schulsystem. Dies zeige sich auch in den anderen Bundesländern, verteidigte Stegner den anvisierten Umbau der Regionalschulen zu Gemeinschaftsschulen, der von Union und FDP abgelehnt wird.

Stegner kündigte zudem an, eine Reihe der schwarz-gelben Kürzungen aus der letzten Wahlperiode zurückzunehmen. "Frauenhäuser und Blindengeld sind für uns keine Almosen, sondern notwendige Mittel, um möglichst vielen in Schleswig-Holstein ein eigenständiges Leben zu ermöglichen." Und: Bürgerbegehren sollen erleichtert sowie das Wahlalter auf 16 Jahre heruntergesetzt werden.

Von Kalben: Politik muss auf die Menschen zugehen

"Wir wollen in historisch schwierigen Zeiten beweisen, dass Schleswig-Holstein politikfähig ist", gab die neue Fraktionsvorsitzende der Grünen, Eka von Kalben, in ihrer ersten Rede im Landtag als Motto aus. Die Politik müsse "raus aus den Schützengräben" und "Brücken bauen" hin zu den Bürgern. So solle es künftig "keine Schulpolitik von oben" geben. Auf der angekündigten "Bildungskonferenz" sollten Betroffene zu Beteiligten werden, damit ein Schulfrieden erreicht wird, "der ein Jahrzehnt hält".

Auch bei der Gestaltung der Energiewende sollten die Menschen mitbestimmen: "Wer frühzeitig Bürgerbeteiligung organisiert, muss später nicht mit Bürgerprotest leben." Und: Es gelte den Menschen zu erklären, "warum wir aus der Schuldenfalle heraus müssen". Jeder Euro für Zinsen und Tilgung fehle an anderer Stelle, unterstrich von Kalben.

Kubicki: Viel "Lyrik aber keine Visionen

FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki nannte die Pläne der neuen Regierungskoalition "scheu, mutlos und rückwärtsgewandt". Kritik übte er vor allem an der Verkehrspolitik von SPD, Grünen und SSW: "Mit Ihrem Richtungswechsel bei der festen Fehmarnbelt-Querung und der A20 sorgen Sie dafür, dass das Zusammenwachsen Europas behindert und nicht gefördert wird."

Auch an der geplanten Abschaffung der Bäderregelung, der Umgestaltung der Regionalschulen und der vorgesehenen Kennzeichnungspflicht für Polizisten ließ Kubicki kein gutes Haar. Und: Der Koalition gehe es "vor allem um das Mehr-Geld-Ausgeben". Mit der Haushaltskonsolidierung wolle sich die "Nord-Ampel" nicht beschäftigen. Kubicki zog das Fazit: "Der Koalitionsvertrag ist gespickt mit viel Lyrik, wenig Politik, kaum Ideen und keinen Visionen."

Piraten: Lob und Tadel für die Koalition

Viel Lob, aber auch Kritik an den Regierungsplänen kam von Seiten der Piraten. Wolfgang Dudda, der sich mit drei Kollegen seiner Fraktion die Redezeit teilte, begrüßte vor allem die ablehnende Haltung der Koalition zur Vorratsdatenspeicherung. Dudda lobte auch die sozialpolitischen Ziele des neuen Regierungsbündnisses, kritisierte aber, dass es für "viele gute Ideen" bislang keine Gegenfinanzierung gebe. Sein Fraktionskollege Sven Krumbeck warf SPD, Grünen und SSW vor, in der Schulpolitik gegen den selbst auferlegten Politikstil des Dialogs zu verstoßen. Ohne mit den betroffenen Gymnasien zu sprechen, werde "von oben herab" bestimmt, dass sie sich zwischen G8 und G9 entscheiden müssten. Angelika Beer monierte, die europapolitischen Vorstellungen der Koalition seien "sehr unkonkret". Mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung bei der Arbeit des Landtages forderte Uli König. So sollten Ausschusssitzungen grundsätzlich direkt im Internet übertragen werden.

Harms: "gerechtere und klügere Politik"

Die erstmalige Beteiligung des SSW an der Landesregierung sei "ein historischer Schritt, der in ganz Europa von Bedeutung ist", betonte der neue Vorsitzende des SSW im Landtag, Lars Harms. Er verwahrte sich zugleich gegen die Kritik, die "Nord-Ampel" lege den Schwerpunkt auf den nördlichen Landesteil: "Die Koalition tritt für das ganze Land an."

Harms warf Schwarz-Gelb in Bund und Land Versäumnisse bei den großen Verkehrsprojekten vor. So sei es "längst überfällig", die Kostenschätzung für die geplante Fehrmarnbelt-Querung zu überprüfen, wie es die neue Koalition nun anmahnt. Grundsätzlich wolle das rot-grün-blaue Bündnis eine "gerechtere, klügere und weitsichtigere Politik" betreiben. Man werde den Haushalt konsolidieren, ohne "mit dem Sparschäler durchs Land zu ziehen", so Harms.

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Quelle:
Der Landtag Schleswig-Holstein, Nr. 06 im Juni 2012, S. 10-11
Mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. August 2012