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SCHLESWIG-HOLSTEIN/1985: Startschuss für große Verfassungsreform (Landtag)


Der Landtag Schleswig-Holstein
Parlamentszeitung Nr. 05 - Mai 2013

Landtag gibt Startschuss für große Verfassungsreform
Sonderausschuss nimmt im Juni seine Arbeit auf



Die Landtagsfraktionen sind sich einig: Schleswig-Holsteins Landesverfassung soll grundlegend überarbeitet und modernisiert werden. Die Abgeordneten haben einen siebenköpfigen Sonderausschuss beauftragt, Vorschläge zur Änderung oder Ergänzung der Landesverfassung vorzulegen. Den Vorsitz wird Landtagspräsident Klaus Schlie übernehmen, der bereits Ende vergangenen Jahres eine grundlegende Reform angeregt hatte. "Die zahlreichen Ergänzungen in unserer Landesverfassung in der Vergangenheit haben dazu geführt, dass die Systematik überprüft werden muss", so Schlie.


Der Sonderausschuss "Verfassungsreform", den der Landtag mit einstimmigem Votum in der April-Tagung ohne Aussprache eingesetzt hat (Drs. 18/715), wird am 3. Juni erstmals zusammenkommen und sich formal konstituieren. Dem Ausschuss werden je ein Mitglied der im Landtag vertretenen Fraktionen sowie der SSW-Landtagsgruppe angehören. Benannt wurden bereits: Volker Dornquast (CDU), Birgit Herdejürgen (SPD), Burkhard Peters (Grüne), Heiner Garg (FDP), Patrick Breyer (Piraten) sowie Lars Harms (SSW). Außerdem werden drei auf das öffentliche Recht spezialisierte Professoren dem Ausschuss als ständige Berater beiwohnen. Dies sind Dr. Ute Sacksofzky (Goethe-Universität Frankfurt am Main), Dr. Frauke Brosius-Gersdorf (Leibniz Universität Hannover) sowie der ehemalige FDP-Bundesjustizminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig.

Hintergrund: Die Landesverfassung war in den vergangenen Jahren mehrfach ergänzt worden, und weitere Änderungswünsche stehen im Raum. "Nach all den Jahren gibt es zum Teil größere Änderungs- und Ergänzungsvorschläge aus den Fraktionen und aus Bereichen der Gesellschaft", sagt Landtagspräsident Schlie und kündigt an, die Bürger des Landes an dem Reformprozess zu beteiligen. Wie das aussehen könnte, wird der Sonderausschuss voraussichtlich bei seiner ersten Zusammenkunft am 3. Juni in öffentlicher Sitzung (10:00 Uhr im Landeshaus) skizzieren. Angedacht ist unter anderem auch ein offenes Beteiligungsforum im Internet. Seine eigentliche inhaltliche Arbeit wird der Sonderausschuss nach der Sommerpause im August aufnehmen. Geplant ist jeweils eine Sitzung im Monat.

Wann der Ausschuss seine Ergebnisse präsentieren wird, ist derzeit offen - die Themenliste, die der Landtag dem Ausschuss in seinem Einsetzungsbeschluss mit auf den Weg gegeben hat, ist lang. Dem Vernehmen nach wird mit mindestens einem Jahr Beratungsdauer gerechnet.

Die Themen, die der Sonderausschuss per Landtagsbeschluss auf seine Verfassungstauglichkeit prüfen soll (Auszug aus der Drs. 18/715)

1. Der Sonderausschuss erhält den Auftrag, dem Landtag unter Berücksichtigung der Drucksachen 18/178, 18/196 und 18/307 Vorschläge zur Änderung oder Ergänzung der Landesverfassung zu prüfen und vorzulegen, die sich insbesondere beziehen auf:

• die Einführung einer Präambel betreffend das Selbstverständnis Schleswig-Holsteins als Teil der Ostseeregion und als Region in Europa,

• die Einführung eines Grundrechtskatalogs,

• die Aufnahme des Minderheitenschulwesens in Art. 8 LV

• die Stärkung des Parlaments im europäischen Mehrebenensystem, zum Beispiel durch

  • Stärkung der Rolle des Landtages gegenüber der Landesregierung,
  • Erweiterung der Zustimmungserfordernisse zu Staatsverträgen,
  • Weisungsrecht des Landtags gegenüber der Landesregierung in bestimmten Angelegenheiten,
  • Verpflichtung der Landesregierung, auf Verlangen des Landtages Klage vor dem Bundesverfassungsgericht zu erheben,
  • Ermöglichung plenarersetzender Beschlüsse von Parlamentsausschüssen,

• die Verbesserung der Kooperation mit anderen Bundesländern, insbesondere:

  • Möglichkeit, Grundlagen-Staatsverträge abzuschließen,
  • Einführung von Instrumenten für eine intensivierte parlamentarische Zusammenarbeit,

• die Stärkung unmittelbar demokratischer Mitwirkungsmöglichkeiten:

  • die Einführung eines obligatorischen Verfassungsreferendums,
  • die Absenkung der Hürden für Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide,
  • die Ermöglichung öffentlicher Sitzungen des Petitionsausschusses bei öffentlichen Petitionen,

• die Stärkung der Selbstverwaltung der Justiz,

• die Erweiterung der Verfahrensoptionen vor dem Landesverfassungsgericht, speziell

  • Einführung einer Landesverfassungsbeschwerde,
  • Klagerecht des Landesrechnungshofs betreffend haushaltsrechtliche Vorschriften,

• Überprüfung des kommunalen Finanzausgleichs insbesondere betreffend eine aufgabenadäquate Finanzausstattung der Kommunen und den Verzicht auf den Leistungsfähigkeitsvorbehalt in Art. 49 Abs. 1 LV,

• Sicherung der Budgethoheit des Landtages,

• die Bedingungen für die Veräußerung von Landesvermögen und Landeseinrichtungen,

• Herausforderungen der digitalen Gesellschaft.

2. Ferner soll geprüft werden, ob weitere Staatsziele wie

• das Bekenntnis zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit,

• das Bekenntnis zur Stärkung des Ehrenamtes,

• die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im
Landesgebiet,

• die Aufnahme einer Nachhaltigkeitsverpflichtung,

• das Anstreben von Generationengerechtigkeit

in die Verfassung aufgenommen werden sollen.

3. Des Weiteren wird der Sonderausschuss gebeten, den Bedarf einer grundlegenden systematischen Überarbeitung der Landesverfassung zu prüfen.


Kasten
 
DIE LANDESVERFASSUNG IM SPIEGEL DER ZEIT

Die schleswig-holsteinische Landesverfassung stammt aus dem Jahr 1990, als die ursprüngliche Landessatzung von 1949 nach mehrjähriger Diskussion überarbeitet und ergänzt wurde. Sie regelt in über 60 Artikeln Aufbau und Rolle von Parlament, Regierung, Verwaltung und Justiz. Die Verfassung legt wesentliche politische Spielregeln fest und definiert auch inhaltliche Schwerpunkte wie die Förderung der nationalen Minderheiten. Zur Änderung der Verfassung ist sowohl im Landtag als auch bei Volksabstimmungen eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig.

Wie bei der nun anstehenden Überarbeitung wurde auch die Verfassungsreform von 1990 von einem Sonderausschuss vorbereitet.

Anlass für den Verfassungsumbau waren die Erfahrungen der Kieler Affäre des Jahres 1987. Es herrschte parteiübergreifende Einigkeit, dass die Macht der Regierung begrenzt und die Rolle des Parlaments, insbesondere der Opposition, gestärkt werden sollte.

Zu den Kernpunkten der Reform von 1990 zählten das Selbstauflösungsrecht des Parlaments und die Begrenzung der Amtszeit des Ministerpräsidenten auf die Dauer der Wahlperiode. Auch die Auskunftsrechte für die Opposition erhielten Verfassungsrang - von der Aktenvorlage bis zum Untersuchungsausschuss. Zudem wurden Volksinitiativen und Volksentscheide aufgenommen, die Gleichstellung der Frau und der Umweltschutz als Staatsziele festgeschrieben sowie Schutz und Förderung der dänischen Minderheit und der friesischen Volksgruppe verankert.

In den letzten zwei Jahrzehnten hat der Landtag die Landesverfassung mehrmals erweitert. Unter anderem wurden 2006 der Schutz pflegebedürftiger Menschen und 2012 der Schutz der deutschen Sinti und Roma als Staatsziele aufgenommen.

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Quelle:
Der Landtag Schleswig-Holstein, Nr. 05 im Mai 2013, S. 12-13
Mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers:
Der Präsident des Schleswig-Holsteinischen Landtages,
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Telefon: 0431/988-11 16
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Internet: www.sh-landtag.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juli 2013