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SCHLESWIG-HOLSTEIN/2056: Die Landesverfassung wird moderner und bürgernäher (Landtag)


Der Landtag - Nr. 02 / Juli 2014
Die Parlamentszeitschrift für Schleswig-Holstein

Die Landesverfassung wird moderner und bürgernäher - mit oder ohne Gottesbezug



Schleswig-Holsteins Landesverfassung bekommt einen neuen Anstrich. Die Rechte der Bürger werden gestärkt, und die digitale Welt hält Einzug. So sollen künftig niedrigere Hürden gelten, wenn Bürger ein Volksbegehren und einen Volksentscheid anstoßen wollen. Das Land will die digitale Privatsphäre schützen und sich für eine unbürokratische Verwaltung einsetzen. Außerdem sollen die dänischen Schulen finanziell den deutschen gleichgestellt werden, und auch die Inklusion von Behinderten und Nichtbehinderten erhält wohl Verfassungsrang. Dieses Vorschlagspaket hat ein Sonderausschuss des Landtages ein Jahr lang erarbeitet. Im Juli-Plenum gab es viel Zuspruch für den neuen Verfassungstext, und es zeichnet sich eine breite Mehrheit ab. Lediglich die Piraten ließen es offen, ob sie zustimmen. Umstritten bleibt der Gottesbezug.


Die CDU will die "Verantwortung vor Gott und den Menschen" in der neuen Präambel verankern und hat einen entsprechenden Änderungsantrag zum Vorschlag des Sonderausschusses vorgelegt. Der Gottesbezug "würde diesem Land und diesem Landtag gut zu Gesicht stehen", warb Fraktionschef Johannes Callsen um Unterstützung: "Die Mehrheit der Menschen in Schleswig-Holstein eint der Glaube an Gott." Auch Landtagspräsident Klaus Schlie, Vorsitzender des siebenköpfigen Sonderausschusses, unterstrich: Es gehe nicht darum, "die Verfassung auf ein bestimmtes religiöses Bekenntnis festzulegen". Es sei vielmehr "eine Absage an totalitäre Willkür und eine Zusage an Freiheit und Menschenrechte", den Passus in die Verfassung zu schreiben. Doch auch wenn der Hinweis auf Gott keine ausreichende Mehrheit findet, will die CDU dem Gesamtpaket zustimmen, wie Callsen ankündigte.

Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) hielt eine Verfassung ohne Gott für "unvorstellbar". Rund 60 Prozent der Menschen in Schleswig-Holstein seien Mitglied einer Kirche. Entsprechend brauche das Land "eine Verfassung, die zu diesem Glaubens- und Wertegerüst passt".

Ob die Formulierung in den Verfassungstext aufgenommen wird, entscheidet sich wohl erst im Herbst. Dann stimmt der Landtag endgültig ab. Nötig wäre eine Zwei-Drittel-Mehrheit von 46 der 69 Abgeordneten. Bis dahin berät der Innen- und Rechtsausschuss und lotet aus, ob ein Kompromiss zwischen beiden Lagern möglich ist. Denn: In der Debatte wurden auch kritische Stimmen zur Gottesformel laut. Heiner Garg (FDP) verwies auf die "weltanschauliche Neutralität" des Staates. "Ich glaube, aber ich glaube nicht an eine Institution", sagte Garg und attackierte die katholische Kirche, die Frauen "ausgrenzt". Wolfgang Kubicki (FDP) stellte klar, es gebe "keine höhere sittliche Reife" bei denen, "die Gott vor sich hertragen". "Gott gehört nicht in die Verfassung, er gehört ins tägliche Leben", betonte Kubicki. Die Verfassung sei lediglich ein "Organisationsmodell". Sie dürfe den Menschen keine Werte-Entscheidung vorgeben.

Ein weiterer Kernpunkt: Die Hürden für Bürger, die direkt auf die Politik Einfluss nehmen wollen, werden heruntergesetzt. Eine Volksinitiative benötigt zwar immer noch 20.000 Unterschriften, damit sich der Landtag mit dem Anliegen befasst. Lehnt der Landtag die Initiative ab, reichen künftig aber 80.000 Unterschriften für ein Volksbegehren. Bisher liegt das Quorum bei fünf Prozent der Wahlbevölkerung: rund 112.000 Stimmen. Ist das Begehren erfolgreich, stimmen die Schleswig-Holsteiner in einem Volksentscheid ab. Der Vorschlag tritt in Kraft, wenn er eine Mehrheit erreicht und wenn diese Mehrheit mindestens aus 15 Prozent der Wähler besteht. Bislang sind 25 Prozent erforderlich. Das heißt, dass nur noch 330.000 Stimmberechtigte und nicht mehr 520.000 notwendig sind.

Diese neue Regelung bereite ihm "Bauchschmerzen", bekannte CDU-Mann Callsen: "Ich bezweifle, dass 15 Prozent aller Wahlberechtigten ausreichen, um eine Gesetzesänderung zu legitimieren." Patrick Breyer (Piraten) nannte die niedrigeren Hürden dagegen den "wichtigsten Erfolg der Verfassungsreform". Wenn Hunderttausende eine Entscheidung träfen, dann sei das eine genauso gute Repräsentationsbasis wie 69 Abgeordnete. Breyer forderte, die gesamte Verfassung den Bürgern zur Abstimmung vorzulegen.

Künftig sollen auch die Rechte des Landtages gestärkt werden. Das Parlament kann "zur Wahrung seiner Rechte" die Regierung zwingen, eine Klage beim Bundesverfassungsgericht einzureichen. Bisher kann sich die Landesregierung weigern, nach Karlsruhe zu ziehen. Deswegen scheiterte 2011 die Klage des Landtages gegen die Schuldenbremse im Grundgesetz. "Der Landtag nimmt hier selbstbewusst die Gestaltung des Verfassungsraumes in die Hand und schützt die Wahrung der Königsrechte des Parlaments", freute sich Eka von Kalben (Grüne).

Lars Harms (SSW) hob die Minderheiten-Aspekte hervor. Jetzt werde die kulturelle und sprachliche Vielfalt der Deutschen, der Dänen, der Friesen sowie der Sinti und Roma anerkannt. "Wir schreiben damit ein wenig europäische Geschichte", bemerkte Harms. Die Finanzierung der dänischen Schulen erhält voraussichtlich ebenfalls Verfassungsrang. "Damit wird eine Frage auch verfassungsrechtlich geklärt, die im Prinzip fast die letzten 70 Jahre immer wieder umstritten war."

Außerdem sollen mehrere neue Grundwerte festgeschrieben werden. Dazu gehören die norddeutsche Zusammenarbeit, die Partnerschaft im Nord- und Ostseeraum, die Politik für künftige Generationen sowie gesellschaftliche Werte wie Demokratie, Freiheit, Toleranz und Solidarität. Dies sei ein "in sich stimmiges Paket", lobte Birgit Herdejürgen (SPD): "Schleswig-Holstein wird eine moderne, ausgewogene Verfassung haben."

(Drucksachen 18/2095, /2115, /2116)

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Quelle:
Der Landtag, Nr. 02 / Juli 2014, S. 4-5
Mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers:
Der Präsident des Schleswig-Holsteinischen Landtages
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. September 2014