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INNEN/2222: Sigmar Gabriel gratuliert Egon Bahr zum 90. Geburtstag


SPD-Pressemitteilung 76/12 vom 16. März 2012

Sigmar Gabriel gratuliert Egon Bahr


Der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel gratuliert Egon Bahr zu dessen 90. Geburtstag am 18. März 2012 mit folgendem Schreiben:

Zu Deinem 90. Geburtstag gratuliere ich Dir, auch im Namen der SPD, ganz herzlich. Du hast unserem Land und auch der SPD in den 56 Jahren Deiner Mitgliedschaft als Bundesminister, Bundesgeschäftsführer und als kritischer, produktiver Begleiter viel gegeben. Dafür danke ich Dir auch sehr persönlich!

Du verkörperst für viele Menschen in unserem Land geradezu anschaulich deutsche Zeitgeschichte. An Deinem 90. Geburtstag kannst Du stolz für Dich in Anspruch nehmen, einen wichtigen Beitrag zum besseren Teil davon geleistet zu haben.

Du bist Stratege ebenso wie ein ganz praktischer und dazu überaus erfolgreicher Politiker. Dein Name ist zuallererst mit der Entspannungspolitik verbunden, die Du gemeinsam mit Willy Brandt konzipiert und vermittelt hast. Gemeinsam habt Ihr Gräben überbrückt, die der Zweite Weltkrieg und der Systemgegensatz aufgerissen hatten. Dich als den Architekten der Ostpolitik zu bezeichnen, wird der mehr als ungewöhnlichen Mischung Deiner intellektuellen und praktischen Talente durchaus gerecht.

Deutschlandpolitik, also die deutsche Nation und ihr Platz in Europa: Das war über viele Jahrzehnte hinweg Dein Lebensthema. Der Erfolg der von Dir und Willy Brandt entwickelten Politik hat dieses Thema den Nationalisten geraubt. Sie beanspruchten seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, allein die Antwort auf die Frage nach Deutschlands Platz in Europa geben zu können. Und sie waren es, die bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg Sozialdemokraten in Deutschland als vaterlandslose Gesellen verleumdeten. Doch nach 1945 waren es gerade Sozialdemokraten wie Kurt Schumacher, Willy Brandt, Helmut Schmidt und eben Egon Bahr, die entscheidenden Anteil an der Neuformulierung einer Politik im Interesse Deutschlands hatten.

Die von Dir maßgeblich mitgestaltete Entspannungspolitik steht historisch in scharfem Kontrast zum rechten deutschen Nationalismus. Statt nach dem verlorenen Weltkrieg erneut einen deutschen Sonderweg zu beschreiten, hat die neue Ostpolitik dem demokratischen Teil Deutschlands eine partnerschaftliche Rolle im Kreise seiner Nachbarn gesichert. Für das Schicksal Deutschlands bedeutete dies eine glückliche Fügung. Sie zeigte ein für allemal, dass der Frieden für Deutschland in Europa nur durch Verständigung und nicht durch militärische Stärke zu sichern ist.

Darin besteht Dein bleibendes Verdienst. Du hast zusammen mit anderen sozialdemokratischen Patrioten eine Strategie entwickelt, welche die westdeutsche Teilrepublik nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und der Teilung Europas langfristig zu einem "guten Nachbarn" machte. Die wichtigste Voraussetzung dafür bestand darin, die totale Niederlage von 1945 und die daraus resultierende Aufteilung Deutschlands als Ausgangspunkt zu respektieren und einen deutschen Hegemonieanspruch vollständig aufzugeben.

"Wandel durch Annäherung": Die von Dir geprägte Formel für eine neue Entspannungspolitik basierte auf einer Anerkennung der Realität und nicht auf der Anerkennung der DDR. Für diese intellektuelle und politische Leistung warfen Konservative und Deutsch-Nationale Dir alles erdenklich Böse vor. Sie wollten in Deiner Verständigungspolitik nur Ausverkauf und Verrat erkennen. Bis zum Beginn der 1990er Jahren konnten sich viele konservative Nationalisten nur eine bezahlte Agententätigkeit für Moskau als Motiv für Deine patriotische Politik im nationalen Interesse Deutschlands vorstellen. Heute sind die Vorwürfe verstummt und Deine Verdienste für Deutschland allgemein anerkannt.

Die sozialdemokratische Entspannungspolitik hat die Voraussetzungen für die deutsche Einheit geschaffen. Zwanzig Jahre nach der Vereinigung ist Deutschland nun ein normaler europäischer Staat, der in Frieden und Freiheit mit allen Nachbarn lebt. Ich bin sicher, dass dies das schönste Geschenk ist, das man Dir an Deinem Geburtstag machen kann.

Lieber Egon, Du hast in einem Interview einmal gesagt, dass Du nicht in die SPD eingetreten seist, um Banken zu sozialisieren. Vielleicht sind sie deshalb heute noch private Unternehmen, jedenfalls die meisten davon. Trotzdem, oder gerade deswegen, war die Partei immer froh, einen wie Dich in unseren Reihen zu wissen. Deine unermüdliche und zugleich loyale und kritische Begleitung der Sozialdemokratie ist für uns alle unverzichtbar. Es gibt nicht viele in der SPD, die große Linien denken und zugleich tagespolitisch handeln können. Das macht Deinen Rat für mich wie für die ganze Partei so wertvoll. Und deshalb freue ich mich immer wieder, wenn wir uns zu Gesprächen treffen. So soll und wird es weiter bleiben!


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Quelle:
SPD-Pressemitteilung 76/12 vom 16. März 2012
Herausgeber: SPD Parteivorstand, Pressestelle
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. März 2012