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AFRIKA/1090: Kamerun - Furcht vor "Boko Haram" wächst, Wirtschaft bekommt Grenzblockade zu spüren (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. Februar 2012

Kamerun: Furcht vor 'Boko Haram' wächst - Wirtschaft bekommt Grenzblockade zu spüren

von Ngala Killian Chimtom


Jaunde, 8. Februar (IPS) - Für den Kameruner Ahmadou Lamine bedeutet die Schließung der Grenze zu Nigeria den geschäftlichen Ruin. Bis vor kurzem hatte er in Maroua, der Hauptstadt der Far North-Region, nigerianisches Benzin verkauft, das in der Gegend als 'zoa-zoa' bekannt ist. Seine Lieferanten brachten es regelmäßig auf Motorrädern über die Grenze. Jetzt sind die Vorräte aufgebraucht und Lamine hat sein Geschäft geschlossen.

Seit Wochen sind Nigerias Grenzen zu den Nachbarländern geschlossen. Die Regierung will dadurch verhindern, dass Mitglieder der radikalen Islamistengruppe 'Boko Haram' ('Westliche Bildung verboten') nach ihren zahlreichen Bombenanschlägen in Kamerun und Niger neue Operationsbasen aufbauen.

Die Folgen der geschlossenen Grenzen machen dem eng mit dem Nachbarland verflochtenen Geschäftsleben der Far North-Region zu schaffen. Hier leben mehr als zwei Millionen Menschen, überwiegend Muslime. Der Benzinpreis ist von 50 US-Cent pro Liter auf rund einen Dollar gestiegen. Auch die Preise für aus Nigeria importierte Nahrungsmittel wie Zucker, Milch, Mehl und Orangen haben kräftig angezogen. Das Angebot auf Marouas Großmarkt ist dürftig. "Wie soll ich meine Familie satt kriegen", klagt die Hausfrau Alima Aissatou und zeigt auf ihren fast leeren Einkaufskorb.

Auch die Einnahmen der regionalen Zollbehörden in Limani, Fotokol, Kolofata und Kouseri sind deutlich zurückgegangen. Über Telefon berichtete Alain Symphorien Nzie, Zollbeamter in der Grenzstadt Limani, vor der Grenzschließung habe man monatlich umgerechnet 718.000 Dollar eingenommen. Jetzt, wenige Wochen nach der Grenzblockade, seien es keine 50.000 Dollar mehr. Mit einem weiteren Einnahmerückgang müsse gerechnet werden.

Auch in der Grenzstadt Fotokol sind die Zolleinnahmen geschrumpft: in ersten zehn Tagen des Januar von 40.000 auf 4.000 Dollar.

Wikileaks zufolge hatte Kameruns Präsident Paul Biya kürzlich in einem Gespräch mit der US-Botschafterin Janet Garvey seine Sorge zum Ausdruck gebracht, dass islamistische Extremisten über die Moscheen in Kamerun neue Anhänger rekrutieren könnten. Ähnliche Befürchtungen soll auch Marafa Hamidou Yaya, Kameruns ehemaliger Minister für territoriale Verwaltung und Dezentralisierung, geäußert haben.


Geld für neue Anhänger

"In den muslimischen Gemeinden im Norden sind viele Menschen verzweifelt. Doch plötzlich gibt es vor allem in Kameruns Wirtschaftszentrum Douala Leute, die viel Geld in der Tasche haben", berichtete Yaya.

Auch in Lagdo in der Far North-Region machet man sich Sorgen über hier in jüngster Zeit auftauchende bärtige Männer mit schwarzen oder roten Kopftüchern, die extremistische Lehren verbreiten. "Sie kamen zu mir und erklärten, dass die westliche Erziehung schuld an all unseren Problemen sei", erfuhr IPS von einem in Lagdo lebenden Mann. "Sie versprachen mir viel Geld, wenn ich mich ihrer Gruppe anschließen würde. Weil sie so gefährlich aussahen, habe ich gelogen und gesagt, ich würde über ihr Angebot nachdenken. Jetzt habe ich Angst, dass sie wiederkommen", berichtete er.

Die Furcht, Boko Haram könne sich in Kamerun ausbreiten, hat regionale Politiker, Sicherheitskräfte und traditionelle Autoritäten in Alarmbereitschaft versetzt. Gambo Haman, Gouverneur der Far North-Region, erklärte: "Wir müsse nicht nur die im Norden Nigerias verfolgten radikalen Islamisten kontrollieren, sondern auch die vielen tausend fahnenflüchtigen Soldaten aus dem Tschad, die sich hier aufhalten."

Man habe die Überwachung verstärkt und zahlreiche Koranschulen geschlossen. Ihre Lehrer würden vom Geheimdienst beobachtet, berichtete Haman.

Inzwischen verbünden sich die Behörden auch mit religiösen Gruppen, damit sie sie bei der Abwehr der Boko Haram unterstützen. Bernard Okalia Bilai, ein für Wouri in Douala zuständiger Beamter, lud kürzlich Imame und Autoritäten der muslimischen Gemeinde zu einem Treffen ein, um mit ihnen Strategien gegen die Ausbreitung der Radikalen zu erarbeiten.

"Ihre Lehre ist anti-sozial", sagte Bilai. "Sie fordern Universitätsabsolventen auf, ihre Diplome zu zerreißen. Sie verabscheuen alles, was unsere gesellschaftlichen Werte ausmacht. Wir müssen auf der Hut sein, denn diese Hasstiraden können wir in unseren Gemeinden nicht dulden."

Es ist allerdings zu befürchten, dass diese Anstrengungen nicht ausreichen und zu spät kommen. In einem Exklusiv-Interview mit der britischen Tageszeitung 'The Guardian' erklärte Ende Januar ein führendes Mitglied der Boko Haram, man habe in Kamerun, Niger und Tschad bereits neue Anhänger anwerben können. (Ende/IPS/mp/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Februar 2012