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AFRIKA/1092: Sierra Leone - Trübe Bilanz nach 50 Jahren Unabhängigkeit, Entwicklungsplan in Arbeit (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. Februar 2012

Sierra Leone: Trübe Bilanz nach 50 Jahren Unabhängigkeit - Ehrgeiziger Entwicklungsplan in Arbeit

von Tamba Tengbeh und Damon van der Linde

Teilnehmer der Konferenz für Entwicklung und Transformation - Bild: © Damon van der Linde/IPS

Teilnehmer der Konferenz für Entwicklung und
Transformation
Bild: © Damon van der Linde/IPS
Freetown, 10. Februar (IPS) - Sierra Leone hat vor 50 Jahren seine Unabhängigkeit erlangt. Die Hoffnungen, die die Menschen mit dem Ende der 150-jährigen Kolonialherrschaft verbanden, waren groß - und wurden enttäuscht. Nach 13 Militärcoups und einem elfjährigen Bürgerkrieg, der das Land in den wirtschaftlichen Ruin und in die Abhängigkeit der Geber trieb, soll es mit Hilfe eines ehrgeizigen Entwicklungsplans nun endlich vorangehen.

Das zumindest ist der Plan, der kürzlich auf der Konferenz für Entwicklung und Transformation in der sierraleonischen Hauptstadt Freetown geschmiedet wurde. "Wir begehen unsere 50-jährige Unabhängigkeit und mussten in diesen 50 Jahren zusehen, wie Wirtschaft und Gesellschaft den Bach runter gingen und wir in einen Bürgerkrieg abdrifteten", sagte Herbert McLeod, der nationale Koordinator der Konferenz. Das Joch der britischen Kolonialisierung hatte Sierra Leone am 27. April 1951 abgeworfen.

"Obwohl der Konflikt nun hinter uns liegt, kämpfen wir immer noch um einen festen Stand", meinte McLeod. "Die entscheidende Frage lautet doch: Wenn wir weitermachen wie bisher, werden wir nicht wieder in das gleiche Kielwasser geraten?"

Die Voraussetzungen für einen viel versprechenden Neubeginn sind gegeben. So ist Sierra Leone reich an natürlichen Ressourcen wie Holz, Fisch, Mineralien und Öl. Bisher jedoch rangiert es auf dem Index für menschliche Entwicklung auf dem 180. von 187 Plätzen. Konkret bedeutet dies, dass den Bürgern bisher ein langes und gesundes Leben, Bildung und ein halbwegs annehmbarer Lebensstandard vorenthalten wird.

Auf der Konferenz vom 30. Januar bis 1. Februar wurden die Empfehlungen erarbeitet, die dem Land aus der Krise helfen sollen. Die Vorschläge weichen in vielen Fällen von den Erfolgsrezepten ab, wie sie Wirtschafts- und Finanzexperten geben würden. So geht es weniger darum, ausländische Direktinvestitionen ins Land zu holen, sondern um nachhaltige Entwicklungsziele wie Bildung, Gesundheit und den Ausbau der Infrastruktur.


Zivile Mitsprache bei Bergbauprojekten

Wie aus einem gemeinsamen Papier hervorgeht, sollen die politischen Entscheidungsträger ohne vorherige Rücksprache mit der Bevölkerung keine Verträge mehr mit Bergbauunternehmen eingehen dürfen. "Uns interessiert weniger ein System, das auf ein schnelles Wachstum aus ist", betonte McLeod. "Wir wollen ein System, dass sicherstellt, dass wir in Frieden leben und ein Mitspracherecht haben, wenn es um unsere Ressourcen geht."

Dem Konferenzkommuniqué zufolge besteht auch nach wie vor die Gefahr, dass sich die nationalen Ressourcen als durchaus gefährlich herausstellen könnten - etwa wie im Fall der 'Blutdiamanten', die den Bürgerkrieg im westafrikanischen Land lange Zeit am Laufen hielten. Auch könne es passieren, dass sich die Ungleichheit im Lande noch weiter vergrößern und nur einen winzigen Bevölkerungsteil begünstigen werde, heißt es in dem Papier.


Mehr Macht den Frauen

Der Entwicklungsplan beinhaltet auch die Forderung nach einer Frauenquote mit Blick auf die politischen Ämter, einer entsprechenden Verfassungsreform und der Gründung einer staatlichen Frauenkommission.

"Frauen in Sierra Leone leiden in hohem Maße unter Analphabetismus, einem niedrigen Status, sexueller Ausbeutung und Belästigung", sagte Nasu Fofana vom UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA) "Frauen sind für unser Land wichtig, doch fehlt es an Kapazitäten, um die Probleme von Frauen und Mädchen lösen zu können."

Das Dokument empfiehlt ferner die Einrichtung eines vom Präsidenten des Landes geführten 'Bürgerkomitees'. Der Vorschlag stammt von der oppositionellen Volkspartei Sierra Leones (SLPP), die auf den möglichen politischen Nutzen eines solchen Gremiums für Staatspräsident Ernest Bai Koroma und seinen regierenden Allgemeinen Volkskongress (APC) verweist. Obwohl die Wahlen erst im November stattfinden, ist es bereits jetzt schon zwischen Anhängern der APC und der SLPP zu Zusammenstößen gekommen. Die Gewalt hat in der Bevölkerung Angst vor einer erneuten Spaltung des Landes ausgelöst.

"Die Konferenz war schon wichtig, doch müssen wir sicherstellen, dass die Vorschläge von allen politischen Parteien mitgetragen werden", meinte Thomas Babadi vom Forum des sierraleonischen Jugendnetzwerks. "Was als Volksmanifest gedacht ist, sollte den Rückhalt aller politischen Parteien und der gewählten Volksvertreter genießen."


Papier wird Parlament zur Abstimmung vorgelegt

McLeod ist zwar der Meinung, dass Regierungen in der Verantwortung stehen, im Interesse ihrer Bürger zu handeln. Doch müssten Veränderungen, die Entwicklungen herbeiführten von den Menschen selbst kommen. "Wir geben unseren Politikern gern die Schuld, dabei sollten wie sie bei uns selbst suchen", meint er. Den Organisatoren der Konferenz zufolge wird der Entwicklungsplan nach seiner Fertigstellung dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt.

"Alles, was sie sagen, mag sicherlich gut sein. Aber ich habe meine Zweifel an der Wirksamkeit der Konferenz", meinte die 18-jährige Hawanatu Sheriff, die als Siegerin des nationalen Essay-Wettbewerbs an der Konferenz teilgenommen hatte. "Wenn wir wollen, dass sich etwas in unserem Lande ändert, müssen wir alle für unser Tun Verantwortung übernehmen." (Ende/IPS/kb/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Februar 2012