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AFRIKA/1130: Die Gewerkschaften werden für die Misere in Südafrika verantwortlich gemacht (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 3, Mai/Juni 2012

Eingeübte Reflexe
Die Gewerkschaften werden für die Misere in Südafrika verantwortlich gemacht

von Steven Friedman



Das behaupten interessierte Kreise. Auch die oppositionelle Demokratische Allianz schwimmt auf dieser Welle mit. Die Gewerkschaft reagiert mit ideologischen Reflexen.


Eine hohe Moral ist gerade in einem Klassenkampf alles andere als Luxus, sondern eine entscheidende Waffe, die über Sieg oder Niederlage entscheiden kann. Es ist unschwer zu erkennen, warum der Marsch der Demokratischen Allianz (DA) auf das Haus des Gewerkschaftsverbandes Cosatu die Gewerkschafter aufgebracht und auf die Straße getrieben hat. Ihr Vorwurf, gegen sie würde ein "Klassenkrieg" vom Zaun gebrochen, mag ein wenig überzogen sein; doch steckt in ihm mehr als ein Körnchen Wahrheit.

Die Kampagne der DA, wovon der Marsch ein Teil war, ist lediglich ein Beispiel für einen in der südafrikanischen Gesellschaft verbreiteten Trend - ein anhaltender Angriff aller möglichen Interessenswalter auf alles, was mit Gewerkschaft verbunden wird. Berater in Arbeitsmarktfragen füttern die Medien regelmäßig mit "Forschungsergebnissen", die ihren Propagandacharakter nur notdürftig verbergen. Der Grundtenor lautet: Gewerkschaften sind das Problem, ohne sie liefe alles besser.

Sie erhalten Flankenschutz von unternehmensorientierten Ökonomen, die ebenfalls "Forschungen" vorbringen, die übereinstimmend dasselbe Mantra wiederholen, die Gewerkschaften und ihre Mitglieder dächten gierig nur an den eigenen Vorteil. Keiner von ihnen äußert auch nur die kleinste Kritik an der Wirtschafts- und Finanzwelt. Nur die Arbeiter, Arbeiterinnen und Gewerkschaften seien geldgierig, nicht die Chefetagen, selbst wenn dort mancher ein Jahreseinkommen von 50 Mio. Rand (ca. 5 Mio. Euro) einstreicht.

Die DA hat sich mit Eifer an diese Kampagne angehängt. Seit einiger Zeit schon prangert sie die Gewerkschaften an als Ursache für Arbeitslosigkeit, Armut, geringes Wachstum - praktisch für alles und jedes, was in der Wirtschaft falsch läuft. Sie hofft, auf diese Weise die Stimmen der Arbeitslosen zu gewinnen, die sie überzeugen will, dass nicht die Wirtschafts- und Finanzwelt oder die Mittelklasse in den Vorstädten, sondern die Gewerkschaften für ihre Probleme verantwortlich sind.

Mit diesem Versuch will sich die DA als eine Mitte-Rechts-Partei mit einer signifikanten schwarzen Wählerschaft positionieren; doch der Versuch dürfte scheitern. Aus verschiedenen Gründen - der wichtigste ist jedoch, dass es keinen ersichtlichen Grund dafür gibt, dass Millionen Arbeitsloser in den Gewerkschaften den Grund für ihre Misere sehen, während dafür ganz andere Ursachen auf der Hand liegen.

Cosatu ist deshalb zuzustimmen, wenn der Dachverband in den Attacken der DA einen Angriff auf die organisierte Arbeiterschaft sieht. Mann muss nicht alle Standpunkte der Gewerkschaft teilen; doch ihr die Arbeitslosigkeit in die Schuhe zu schieben, bedeutet nichts anderes, als die besser situierten Schichten der Gesellschaft zu entlasten.


Verpasste Gelegenheiten

Dass die Gewerkschaften die eigentliche Zielscheibe der DA-Aktionen sind, rechtfertigt nicht, sich dem DA-Marsch auf der Straße militant entgegenzustellen. Im Gegenteil - es gibt gute Gründe, solche Reaktionen zu unterlassen.

Der Marsch der DA bot Cosatu eine goldene Gelegenheit, darauf aufmerksam zu machen, dass die Gewerkschaft aus rein ideologischen Gründen als Zielscheibe ausgewählt wurde. Sie hätte die DA einfach marschieren lassen und statt dessen den Scheinwerfer auf die Moral der DA lenken sollen. Sie hätte die Frage stellen müssen, warum sie unter allen möglichen Spielern im sozio-ökonomischen Feld von der DA an den Pranger gestellt wird. Sie hätte darauf hinweisen können, dass die DA keineswegs den Armen und Arbeitslosen eine Stimme geben will, sondern dem rechten Flügel von Wirtschaft und Politik, denen vor jeder Mitsprache der Arbeiterschaft graust.

Warum haben die Gewerkschaften die DA, die selten für ihre eigene Zielvorstellungen auf die Straßen geht, nicht gefragt, warum sie sich mit ihren Forderungen weder an die Regierung noch an die Wirtschaft wendet, sondern ausgerechnet an die Stimme der organisierten Arbeitnehmerschaft. Damit hätte sie Aufschluss über die Fragen fordern können, worin denn die DA ihre Prioritäten sieht und wessen Interessen sie zu schützen gedenkt.

Doch diese Gelegenheit wurde mit der reflexartigen Reaktion auf der Straße vertan, zumal die Cosatu-Führung sich unklar darüber war, welche Stellung sie dazu beziehen sollte. Die DA hat den Gewerkschaften den Knochen hingehalten und die haben wie erwartet zugebissen. Die DA erschien auf einmal nicht mehr als Provokateur, sondern Cosatu galt auf einmal als konfrontativer und intoleranter als die offizielle Opposition.

Und so fand sich die Gewerkschaft in den Medien weniger als eine Sozialbewegung wieder, die gezielt angegriffen wurde, sondern als eine dünnhäutige Gruppe, die auf handgreifliche Aktionen wartet. Statt herauszustellen, dass sie das eigentliche Opfer von Intoleranz sind, porträtiert sich Cosatu schlicht als weitere beliebige Interessengruppe.

Was soll's, werden manche Gewerkschafter fragen. Wir stehen ständig unter Angriffen, einfach weil wir die Macht der Geschäfts- und Finanzwelt herausfordern. Und wie sollen wir das anders deutlich machen, als unsere Muskeln zu zeigen? Ein "Klassenkampf" lässt sich kaum gewinnen, wenn man zeigt, wie nett man ist.

So realistisch das klingt, es entspricht nicht den gegebenen Bedingungen. Die organisierte Arbeiterschaft ist ein entscheidender Mitspieler, hat aber in wohl kaum einer Gesellschaft die Mehrheit hinter sich. Sie ist also gezwungen, sich mit anderen Partnern ähnlicher Zielrichtung zu verbünden. Doch selbst bei einer Mehrheit käme sie nicht um eine Zusammenarbeit herum, wenn sie ihre Ziele verwirklichen will; sie braucht die Qualitäten und Fähigkeiten von anderen.

Und hier kommt die Moral ins Spiel: Die Gewerkschaften müssen zeigen, dass die Moral auf ihrer Seite ist, zumindest, dass sie ihren Opponenten in dieser Hinsicht überlegen sind.

Wir leben in einer Demokratie, in einer Gesellschaft, in der die öffentliche Meinung nicht unerheblichen Einfluss auf Regierung und Interessengruppen hat. Und deshalb dürften die Bürgerinnen und Bürger sich nur hinter die Gewerkschaften stellen, wenn sie von einem moralisch soliden Boden her argumentieren. In den Tagen nach der Reaktion von Cosatu auf den Marsch der DA sind viele Menschen, die ansonsten für die Forderungen der Gewerkschaften offen waren, auf Distanz gegangen. Es gilt, sie zurückzugewinnen.

Die Strategie der DA zielt auf die Moral von Cosatu. Sie will die Gewerkschaften als geldgierig, auf den eigenen Vorteil bedacht und kaltschnäuzig bloßstellen. Es gibt für die Gewerkschaften nur eine Antwort auf diese Darstellung: Zeigen, dass sie es mit der Moral ernster nehmen als ihre Gegner. Doch dafür müssen die Gewerkschaften gewahr werden, welch scharfe Waffe eine hohe Moral ist.


Der Autor leitet das Centre for the Studies of Democracy an der Rhodes Universität und der Universität von Johannesburg.Quelle: Pambazuka 586, 24. Mai 2012

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afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
41. Jahrgang, Nr. 3, Mai/Juni 2012, S. 17 - 18
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. August 2012