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AFRIKA/1137: Äthiopien nach dem Tod von Premierminister Meles Zenawi (FES)


Friedrich-Ebert-Stiftung
Internationale Politikanalyse

Äthiopien nach dem Tod von Premierminister Meles Zenawi
Die schwierige Suche nach einem Nachfolger

von Arne Schildberg, August 2012



• Der Tod von Premierminister Meles Zenawi stellt für Äthiopien und die gesamte Region eine tiefe Zäsur mit potenziell weitreichenden Folgen dar.

• Ein Nachfolger, der innen und nach außen eine ähnlich bedeutende Rolle wie Meles spielen könnte, ist nicht in Sicht. Hailemariam Desalegn, der die Amtsgeschäfte übernahm, wird allgemein nur als »Übergangslösung« angesehen.

• Es wird davon ausgegangen, dass Hailemariam mindestens bis Februar 2013 als Premier agieren soll, da die endgültige Entscheidung über die Nachfolge mit hoher Wahrscheinlichkeit erst nach den Parteikongressen der EPRDF-Parteien und der Gesamt-EPRDF fallen wird.

• Bislang konnte das fein austarierte Kräfteverhältnis innerhalb der Regierungsfront durch die politische Macht und das taktische Geschick von Meles Zenawi stabilisiert werden. Die Frage nach der Nachfolge wird zeigen, ob dieses System auch zukünftig Bestand haben wird.

• Falls man sich nicht auf einen Nachfolger einigen kann, wäre Hailemariam Desalegn die ideale Besetzung für das »Amt des Übergangskandidaten« und eventuell sogar die Lösung für die Nachfolge über das Jahr 2015 hinaus.


Das Vermächtnis

Der äthiopische Premierminister Meles Zenawi verstarb nach langer schwerer Krankheit am 20. August in Brüssel, wo er sich in den letzten Wochen zur Behandlung aufgehalten hatte. Die Regierung wird seitdem durch den stellvertretenden Premierminister und Außenminister Hailemariam Desalegn geführt. Er leitet als amtierender Vorsitzender auch die Regierungspartei EPRDF(1), zu deren Vize-Präsidenten er im September 2010 gewählt worden war.

Der Tod von Premierminister Meles Zenawi stellt für Äthiopien und die gesamte Region eine tiefe Zäsur mit potenziell weitreichenden Folgen dar. Meles dominierte das politische Geschehen im Land als Führer der regierenden EPRDF. Unter seiner Führung konnte die EPRDF seit der Machtübernahme Ende Mai 1991 ein komplexes System der Herrschaftssicherung aufbauen, durch das jegliche Opposition, sowohl innerhalb der Regierungsparteien als auch außerhalb, neutralisiert, marginalisiert oder ausgeschaltet wurde.

Gleichzeitig hat die EPRDF aber auch tief greifende wirtschaftliche Strukturreformen durchgesetzt. Kontinuierlich hohe Wachstumsraten in den letzten zehn Jahren legen Zeugnis ab für die Entwicklungserfolge, die für breite Bevölkerungsschichten spürbare Verbesserungen der Lebenssituation mit sich brachten.

Außenpolitisch war Äthiopien unter Meles trotz des fortdauernden Konflikts mit Eritrea und den wiederholten militärischen Interventionen in Somalia ein Stabilitätsfaktor in der Region am Horn von Afrika. Äthiopien war und ist ein fester Verbündeter der westlichen Staaten, vor allem auch der USA, in deren Krieg gegen den Terrorismus. Im Konflikt zwischen Sudan und Südsudan spielte Meles eine wichtige Vermittlerrolle und konnte durch die kurzfristige Entsendung einer Friedenstruppe eine Eskalation vermeiden.

Meles Zenawi war darüber hinaus in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Sprecher Afrikas geworden. Er war Vorsitzender des NEPAD-Forums der Regierungs- und Staatschefs und gleichzeitig repräsentierte er die Afrika-Gruppe in den internationalen Klimaverhandlungen.

Meles, der zwar immer als pragmatischer Autokrat bezeichnet wurde, aber auch immer eingebunden blieb in das komplexe, ethnisch austarierte Führungs- und Herrschaftssystem der Regierungsfront, bestimmte wie kein Zweiter die Geschicke des Landes. Er war das Gesicht des »neuen Äthiopiens«. Gleichzeitig versuchte er, sein Land in der internationalen Politik neu zu positionieren und eine konstruktive Rolle in der konfliktbelasteten Region am Horn von Afrika zu spielen. Weder innen- noch außenpolitisch ist ein Nachfolger im engeren Sinne des Begriffs zu erkennen, was in einem autokratischen Regime auch nicht anders zu erwarten ist. Doch zumindest ein neuer Regierungschef muss gefunden werden.


Kein Nachfolger, aber ein neuer Premier

Sofort nach Bekanntgabe der Todesnachricht wurde entsprechend der Verfassung der stellvertretende Premierminister und amtierende Außenminister zum neuen Premier ernannt. Hailemariam Desalegn ist Führer der SEPDM und von Beruf Wasserbauingenieur. Er war Hochschullehrer, bevor er 1992 in die Politik wechselte und innerhalb seiner Partei Karriere machte. Zwischen 2001 und 2006 war er Präsident der Südregion. Seine Ablösung erfolgte offiziell aus Gesundheitsgründen, es wurde aber vermutet, dass er offensichtlich nicht in der Lage war, die verschiedenen Machtgruppierungen im Süden zu kontrollieren. Nach Stationen als Berater des Premiers und Fraktionsvorsitzender im Parlament wurde er im Oktober 2010 Außenminister und Vizepremier. Da er nicht am Guerillakampf gegen das Mengistu-Regime teilgenommen hatte, wird allgemein unterstellt, dass er über weniger Rückhalt im Sicherheitsdienst und im Militär verfügt.

Es wird davon ausgegangen, dass Hailemariam mindestens bis Februar 2013 als Premier agieren soll, da die endgültige Entscheidung über die Nachfolge mit hoher Wahrscheinlichkeit erst nach den Parteikongressen der EPRDF-Parteien und der Gesamt-EPRDF fallen wird.

Bis zu den Parteikongressen innerhalb der EPRDF dürfte es dennoch heftige Personaldebatten geben. Von besonderem Interesse wird sein, wer TPLF-Vorsitzender wird und ob dieser erneut EPRDF-Vorsitzender und Premier werden wird. Obwohl die Mitgliedsparteien der Front gleichberechtigt sind, dominierte bis jetzt die TPLF die EPRDF und gab unter der straffen Führung von Meles die politische Richtung vor.

Fraglich ist einerseits, welche Machtansprüche die Parteien in der EPRDF erheben, und andererseits, welche Fraktionen in den Mitgliedsparteien dominieren: Innerhalb der TPLF hat Meles' Frau Azieb Mesfin eine eigene Gefolgschaft aufgebaut, die sich von den alten Kadern aus der Zeit des Guerillakriegs abzugrenzen versucht. Ähnlich sieht die Situation in der ANDM aus, wo es ebenfalls Konflikte zwischen den jüngeren, meist besser ausgebildeten Funktionären und der älteren Generation der Guerillakämpfer gibt. In der OPDO gibt es zahlreiche Fraktionen, die sich entweder als Gefolgschaft von einzelnen Führungspersonen verstehen oder sich aus einzelnen Regionen rekrutieren. In der SEPDM basiert die Fraktionierung vor allem auf ethno-regionaler Zugehörigkeit. Bislang konnten diese zentrifugalen Kräfte innerhalb der Regierungsfront durch die politische Macht und das taktische Geschick von Meles Zenawi neutralisiert werden. Mit Meles Tod könnte bei den einzelnen Mitgliedsparteien nun aber die Versuchung aufkommen, gegenüber der Gesamtorganisation größeren Einfluss und Eigenständigkeit zu erlangen und in ihren Regionen eine eigenständigere Regionalpolitik zu betreiben.

Es bleibt zu fragen, ob auch ohne eine starke zentrale Instanz das bislang erfolgreiche Modell eines ethnischen Föderalismus Bestand haben wird. Zweifel sind angebracht. In den letzten 20 Jahren haben die Mitgliedsparteien der EPRDF in ihren jeweiligen Regionen fest verankerte regionale Nomenklaturen hervorgebracht, die zur Sicherung ihrer Legitimität und ihres Machtanspruchs eine stärker klientelistische Politik fordern könnten, die nicht mehr mit den übergeordneten Interessen des Gesamtstaats, wie sie durch Meles und die EPRDF definiert wurden, übereinstimmen.

Neben den Parteien werden auch das Militär und der Sicherheitsapparat eine wichtige Rolle bei den Nachfolgeregelungen spielen. Das Verteidigungsministerium, die Teilstreitkräfte, die regionalen Militärkorps, die Sondertruppen und die meisten operativen Divisionen unterstehen Tigray-Offizieren, die bis 1994 der TPLF angehörten, oder Offizieren, die aus den Reihen des ANDM kamen. Zwar dürfen laut Verfassung Militärs seit 1994 nicht mehr politischen Parteien angehören, sie sind aber auch weiterhin eng mit der TPLF und ANDM verbunden und üben einen gewichtigen Einfluss aus. Ähnliches gilt für den Nationalen Nachrichten- und Sicherheitsdienst und für die Bundespolizei.

Die Nachfolge des verstorbenen Premierministers wird damit in den kleinen Zirkeln der herrschenden Elite ausgehandelt werden. Obwohl ein Konflikt zwischen den verschiedenen Gruppen mit einem alles entscheidenden Showdown nicht ausgeschlossen werden kann, ist es wahrscheinlicher, dass man die endgültige Entscheidung vertagt und sich zwischenzeitlich darauf verständigt, den bereits bestellten Premierminister in seinem Amt zu belassen. Die Zeit für eine Entscheidung ist knapp und die Folgen eines Elitenkonfliktes für das Land und die Eliten selber sind beträchtlich. Keiner möchte das Erreichte aufs Spiel setzen.

Hailemariam Desalegn, der als perfekter »zweiter Mann« beschriebene amtierende Premierminister, den man nur als Statthalter bis Februar sah, hätte damit eine weitere Chance und wäre die ideale Besetzung für das »Amt des Übergangskandidaten« und eventuell sogar die Lösung für die Nachfolge über das Jahr 2015 hinaus.


Anmerkung

(1) Die »Revolutionäre Demokratische Front der Äthiopischen Völker«, auf Englisch Ethiopian Peoples' Revolutionary Democratic Front, EPRDF, ist eine Parteienkoalition, die seit 1991 das Land regiert.
Sie ist eine Allianz von vier Parteien, der Demokratischen Organisation des Oromovolkes (OPDO) in der Region Oromia, der National-Demokratischen Bewegung der Amharen (ANDM) in Amhara, der Demokratischen Front der Südäthiopischen Völker (SEPDM) im Süden des Landes und der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) aus der gleichnamigen Region. Die einzelnen Parteien der EPRDF haben nach eigenen Angaben etwa vier Millionen Mitglieder. Die vier Mitgliedsparteien der Revolutionären Demokratischen Front der Äthiopischen Völker regieren jeweils auch in »ihren« Regionen.


Über den Autor

Arne Schildberg ist Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Addis Abeba/Äthiopien.


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ISBN 978-3-86498-260-6

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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. September 2012