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AFRIKA/1205: Re-Kolonialisierung und Neo-Imperialismus in der Sahara (inamo)


inamo Heft 72 - Berichte & Analysen - Winter 2012
Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten

Re-Kolonialisierung und Neo-Imperialismus in der Sahara

von Ines Kohl



50 Jahre nach der Dekolonialisierung und der Unabhängigkeit der Nord- und Westafrikanischen Staaten findet ein weiterer Wettlauf in der Sahara um Ressourcen, Militarisierung, Macht und Vorherrschaft statt. Altbekannte und neue Akteure treffen dabei auf regionale Hegemone und Szenarien, in denen islamistische Terroristen, die sich mittels Drogenschmuggel und Entführungen finanzieren, und Tuareg-Rebellen, die um politische Autonomie und ökonomische Teilhabe kämpfen, eine Rolle spielen. Die Sahara ist auf einem Spielplatz neo-beziehungsweise rekolonialer und imperialer Akteure gelandet, deren Aktionen die gesamte Region in eine Phase der Krise und Unsicherheit gestürzt haben. Ein kleiner Einblick in eine große Sache, bei der neben Anderen Frankreich, USA, China und Algerien eine tragende Rolle spielen.


Der Zugang zu Rohstoffen und die Öffnung und Sicherung von profitablen Märkten scheint in Zeiten unseres überhandnehmenden Kapitalismus und Neoliberalismus die einzige Politik zu sein um internationale Vorherrschaft erreichen und ausbauen zu können. Dass diese auf Kosten von Mensch, Tier und Umwelt basiert, interessiert die Akteure nicht. Was zählen sind Profit, Gewinn, Einfluss und Macht.

Jahrzehntelang wurde die Sahara als eine aus ökonomischer Sicht uninteressante Region und unprofitable Barriere zwischen Maghreb und Sahel verstanden, neuerdings steht sie im Brennpunkt der EU-Politik als Schleuse für Subsaharische Migrantinnen und Migranten auf dem Weg nach Europa. Saharische Anrainerstaaten wie Algerien und Libyen haben daher ihre südlichen Grenzen zu kontrollieren, um den Migrantenstrom zu unterbinden. Aber neben dem ihr anhaftenden human trafficking Schreckgespenst punktet die Sahara vielmehr für enorme Ressourcen an Phosphaten, Öl, Gas und Uran. Ihre Exploration hat einen neuen kolonialen Wettlauf eingeläutet, in dem ökonomische und politisch-militärische Interessen verschmelzen, und die Akteure sich weder an realpolitische Tatsachen halten, noch Menschenrechte beachten oder Umweltauflagen einhalten, sondern ihre zuvor beschlossene Politik mit allen Mitteln realisieren und legitimisieren.


Der Wettlauf um Uran

Beginnen wir mit einem altbekannten Akteur, Frankreich. Alhassan, ein Tuareg-Schmied aus der nordnigrischen Stadt Arlit, der jeden Sommer nach Frankreich kommt um Tuaregschmuck und Kunsthandwerk zu verkaufen, erklärt zynisch: "Wenn mich jemand fragt, woher ich komme, dann sage ich, 'Auch ich bin Franzose!' Und wenn die Leute dann verwundert schauen, dann sage ich 'Euer Strom kommt aus dem Niger!' Areva exploriert jedes Jahr mehr, und uns, den Tuareg, bleibt nichts. Da will ich zumindest französischer Staatsbürger sein."

Der Energiehunger Frankreichs wird zu 40 % mit Uran aus dem Niger getilgt. In der nordnigrischen Stadt Arlit werden hier seit den frühen 1970er Jahren zwei Minen betrieben: Die in Tagbau betriebene Mine Somair und einige Kilometer entfernt Cominak (Akokan), mit einem Abbau unter Tag. Der französische Kernenergie-Konzern Areva ist zum größten Teil in Besitz des französischen Staates und der Weltmarktführer in der Nukleartechnik. Auf seiner homepage wirbt Areva mit sustainable development und seiner Verantwortung in Bezug auf the world's energy issues.(1) Weder nachhaltig noch verantwortlich zeigt sich der globale Riese den Menschen und der Umwelt gegenüber in Nord-Niger.

Arlit ist eine staubige Stadt aus fast ausschließlich Lehmhäusern mitten auf einem vegetationslosen ebenen Plateau. Früher lebten Tuareg-Nomaden in der Region, seit Beginn der Uranexploration ist die Bevölkerung auf 80.000 Menschen angewachsen: Hausa aus dem Süden Nigers und Afrikaner aus den umliegenden Staaten. Tuareg findet man konzentriert nur in wenigen Vierteln. Ein Teil der Bevölkerung lebt mittel- oder unmittelbar von den Minen, ein anderer Teil hofft, dass irgendetwas für ihn abfällt. Die Armut ist enorm und trotz der florierenden Mine gibt es keine ausreichende Infrastruktur und die meisten Haushalte haben weder Strom noch fließendes Wasser.

Nähert man sich der Stadt Arlit, so sieht man schon aus der Ferne ein riesiges Gebirge auf türmen, das aus rund 35 Millionen Tonnen Abraum besteht, jenes Gestein, das von der Urangewinnung übrig bleibt. Jedes Jahr kommen ein paar hunderttausend Tonnen hinzu. Selbstverständlich handelt es sich dabei um unbedenkliches Erdreich versichert Areva. Greenpeace hingegen konnte beweisen, dass bei der Urangewinnung nicht nur die Gesundheit der Minenarbeiter gefährdet ist, sondern dass auch das gesamte Umfeld der Mine bis zu 500fach über dem Normalwert radioaktiv verstrahlt ist.(2) Kontaminierter Schrott aus der Mine wird auf dem lokalen Markt verkauft, Sand in den Höfen der Häuser ist hoch verstrahlt, das Wasser, mit dem der Uranstaub gebunden wird, geht ungefiltert zurück ins Grundwasser, und Altmetall aus der Mine wird in Form von Kochtöpfen wiederverwertet. Areva streitet jegliche Gesundheitsgefährdung ab, hat aber seit der zunehmenden Kritik von nationalen und internationalen NGOs und Aktivistinnen und Aktivisten zumindest Schutzkleidung und Atemmasken für die Minenerbeiter bereit gestellt. Fast 30 Jahre lang arbeiteten die Minenarbeiter ohne jeglichen Schutz. Die häufigen Krebserkrankungen unter ehemaligen französischen Minenarbeitern werden nicht als Berufskrankheit anerkannt und beider Lokalbevölkerung gibt es laut Auskunft des von Areva gesponserten Krankenhauses überhaupt keinen Krebs, sondern die Menschen stürben an Aids.(3)

Die lokale Bevölkerung ist sich der Gefährlichkeit der Mine nicht bewusst, zudem fehlen Bildung und zivilgesellschaftliches Engagement, um sich dagegen zu wehren. Niger ist der zweitärmste Staat der Welt, rund 80 % Erwachsenen sind Analphabetinnen und ein Großteil der Bevölkerung lebt von Almosengaben und internationalen Hilfslieferungen. Die rund um Arlit lebenden Tuareg können durch klimatische Veränderungen kaum noch Viehzucht betreiben. Die einst wohlhabenden Nomaden sind zu einer verarmten und von der Regierung vergessenen Bevölkerungsgruppe geworden. In den Minen finden sie keine Arbeit weil sie keine Qualifikationen haben, sodass dort fast ausschließlich Hausa aus dem Süden und Afrikaner aus den Nachbarstaaten arbeiten.


Letzter Ausweg Rebellion

Das soziale Ungleichgewicht der Region führte bereits zu zwei Tuareg-Rebellionen im Niger: eine in den 1990ern und eine weitere von 2007 bis 2009. Beide Male zählten Teilhabe am wirtschaftlichen Gewinn des Uranabbaus und ein Ausbau sozialer Einrichtungen zu den Forderungen der Rebellen. Die erste Rebellion endete in leeren Versprechungen. Während der Zweiten wurde von Mu'ammar al-Qaddhafi ein Friedensplan ausgehandelt, der den Tuareg ökonomische und politische Partizipation versprach und die Rebellenführer gut ausbezahlte, sodass sie ihre Forderungen vergaßen. Die politische Teilhabe sieht seitdem so aus, dass alle Rebellenchefs als Berater der Minister eingesetzt wurden, um sie ruhig zustellen.

Doch weitere Rebellionen drohen, sollten die Anliegen der Tuareg nicht erst genommen werden, wie aktuelle Entwicklungen in Mali zeigen. Hier begnügen sich die Tuareg nicht mehr mit dem Ruf nach Dezentralisierung, sondern fordern die Unabhängigkeit ihrer Region Azawad.

Im Niger stehen Rebellionsvorhaben derzeit auf standby , da sich die Hoffnung vieler junger Tuareg auf Arbeit in den neuen Uranminen stützt. Der Nordwesten Nigers wurde parzellenartig aufgeteilt und an neue Uraninteressenten verpachtet: die größten Gebiete gingen an Kanada, Australien, Frankreich und Südafrika, weitere Parzellen an China, Russland, Indien, Saudi-Arabien, USA und Großbritannien. Für die dort lebenden Peul- und Tuareg Nomaden, deren Wirtschaft nach wie vor auf Weidenwirtschaft von riesigen Tierherden basiert, wird jedoch kein Platz mehr bleiben, wenn alle Firmen ihr Gebiet so wie die neue ebenfalls von Areva betriebene französische Mine Imouraren mit Stacheldraht und Sicherheitszonen hermetisch abdichten. Noch sind nicht alle Minen in Betrieb, aber China und Frankreich beginnen in Kürze mit der Exploration.

Frankreich hat ein sehr großes Interesse daran, dass es nicht zu Aufständen und auch nicht zu unkontrollierten Regierungswechseln kommt und hat sich dazu eine neue Strategie ausgedacht um die ansässige Bevölkerung zufriedenzustellen und in Folge eine weitere Rebellion oder ein vermehrtes Banditenwesen zu verhindern: Ihre Einstellung.

In der neuen Mine Imouraren, die ab 2013 mit der Förderung beginnen soll, werden explizit junge Tuareg aus der Region beschäftigt. Ihre Arbeitsbedingungen sind an die Region angepasst: Die jungen Männer arbeiten zwei Wochen, haben danach zwei Wochen frei, gehen zurück zu ihren Familien und können sich um ihre Tierherden kümmern. Das Gehalt ist selbst für jene, die keine Qualifikationen besitzen, für nigrische Verhältnisse überdurchschnittlich hoch. Damit wurde Imouraren die neue Hoffnung für alle nigrischen Tuareg, denn viele aus Libyen Geflohene wollen nicht mehr zurück, da sie ihre Lage in Post-Qaddhafis Libyen sehr schlecht einschätzen. In der Tat sind die malischen und nigrischen Tuareg, die seit rund 25 Jahren in einer vielfach halb-legalen Situation in Libyen leben und al-Qaddhafis persönlichen Interessen dienten, im aktuellen Libyen in einer Position ohne politische Stimme.

Doch die durchaus zu befürwortende Integration der Lokalbevölkerung in die neue Mine löste ein partielles Erstarken tribaler Differenzen aus. Differenzen, die in den letzten Jahrzehnten durch die politisch-ökonomisch marginale Position der Tuareg und ihrer Auswegstrategien in Libyen und Algerien unwichtig geworden sind.

Nationale Zugehörigkeiten wurden wichtiger als tribale, und unter den jungen Tuareg entwickelte sich eine Art von Jugendkultur, die sich jenseits tribaler, nationaler und traditioneller Systeme verortete. Jene zwei Stämme, die rund um Imouraren leben versuchen die Einstellung anderer Gruppen des östlich gelegenen Air-Gebirges zu verhindern, indem sie diese als potentielle Rebellen und Banditen denunzieren, die nur die Geräte und Fahrzeuge der Minen stehlen würden. Damit versuchen sie vehement ihre eigenen Leute unterzubringen, selbst wenn sie über keine geeigneten Diplome verfügen. Viele junge Tuareg, die dem "falschen" Stamm angehören haben somit wenig bis keine Chance jemals in der französischen Mine Arbeit zu finden. Und in der Chinesischen will niemand arbeiten. Zum einen sind die Arbeitsbedingungen an die chinesische Arbeitsmoral angepasst, die für die Tuareg schwer bis kaum durchzuhalten sind, zum anderen ist die Bezahlung schlecht. Außerdem hat sich Chinas schlechter Ruf chinesische Gefangene als Sträflingsarbeiter in seinen Betrieben einzustellen, mittlerweile verbreitet, und abgesehen davon minimieren chinesische Firmen lokale Mitarbeiter sowieso auf ein absolutes Minimum.


Chinas Vormarsch

Chinas enormes Wirtschaftswachstum giert nach allem, aber vor allem nach Erdöl, Gas, Metallen und agrarischen Rohstoffen. Weil sich westliche Konzerne aufgrund der politischen Situation in einigen Ländern nicht oder nicht mehr engagieren, ist die Konkurrenz für chinesische Unternehmen oft gering. So auch in der Sahara. Die Tuareg-Rebellionen in Niger und Mali, die Entführungen von Areva-Mitarbeitern durch islamistische Terroristen, und die allgemeine politische Instabilität und Unsicherheit in der Sahara haben es den potentiellen Uran-Interessenten schwer gemacht. Nur Frankreich und China ließen sich in ihren schnellen Explorationsvorhaben davon nicht abhalten.

Während Frankreich als vorbelasteter Kolonialherr von der Lokalbevölkerung sehr mit Missbilligung betrachtet wird (auch wenn das Ziel Frankreich zu erreichen groß ist, und es als Synonym für Europa allgemein gesehen wird), so ist man dem chinesischen Vormarsch auf dem Bausektor wohlgesonnen. Die Chinesen bauten in Libyen unzählige Sozialwohnbauten, in Algerien realisierten drei chinesische und zwei algerische Firmen ein Jahrhundertprojekt, ähnlich dem Man-Made-River in Libyen: eine fast 800 Kilometer lange Pipeline, die die südalgerische Stadt Tamanrasset mit pluvialem Wasser aus den nördlich gelegenen In Salah versorgt.

Die Chinesen bauen schnell und gut, so der einheitliche Tenor, und sie sind billiger als europäische Investoren. Aber langsam regt sich Kritik. Im Osten Nigers an der Grenze zum Tschad exploriert eine chinesische Firma Erdöl. Damit wurde die Hoffnung auf Reduktion des Treibstoffpreises genährt. Diesel und Benzin kosten beinahe so viel wie in Europa, und machen es der Bevölkerung fast unmöglich Transporte durchzuführen. Tuareg-Nomaden, die auf Gartenwirtschaft umgesattelt sind, damit das lokale Warenangebot stärken, ihre Nahrung verbessern, und den Wirren des Klimas entkommen konnten, können ihre Produkte nicht auf die Märkte liefern, da der Treibstoff zu teuer und damit der Transport unerschwinglich ist. Zwiebeln und Tomaten verrotten daher oft auf den Feldern. Mit der chinesischen Ölexploration erwartete man sich fallende Preise. Der nigrische Staat hingegen erklärte, die Schulden an die Chinesen wären so hoch, dass erst in mehreren Jahren, wenn überhaupt, mit einem niedrigeren Preis gerechnet werden könne. Seitdem gibt es Proteste in den südnigrischen Städten, vor allem in Zinder.

Chinas Ziel ist es auch Afrika als Absatzmarkt für Waren zu gewinnen. Von billigen Textilien, über Plastikwaren bis hin zu Elektrogeräten, ganz Afrika ist ein Riesenmarkt für deren boomende Industrie. Zunächst von der Lokalbevölkerung gut geheißen, da sich plötzlich auch untere soziale Schichten billige Handys, Fernseher und Radios erwerben konnten, ist die anfängliche Euphorie schnell einer Resignation gewichen. Chinesische Produkte haben eine immens schlechte Qualität und geringe Lebensdauer, dass selbst schlechteste Secondhand-Produkte aus Europa besser sind. In Arlit türmen sich ausrangierte Kühltruhen aus Europa. Den Großteil kann man selbst mit afrikanischer Ausgeklügeltheit nicht mehr reparieren, dennoch finden sie als Alternative zu nagelneuen chinesischen Produkten einen Absatz: In den kaputten Truhen werden Eisblöcke gelagert, die zum Kühlen der Getränke dienen. Ein paar Meter weiter liegt Müll aus Europa. Kaputte Autobatterien, Elektroschrott und Metallteile werden soweit möglich wiederverwertet, der Rest bleibt liegen, verrostet, gelangt ins Grundwasser. Europa weiß nicht mehr wohin mit seinem Müll, und lagert ihn in Afrika ab. Die billige Lösung.


Libyens Öl rechtfertigt Krieg

In Zeiten von Neoliberalismus, übersteigertem Kapitalismus und knapp werdenden förderbaren Ressourcen geht es nicht mehr ausschließlich um deren ökonomische Nutzung, sondern es geht vielmehr um eine militärische Sicherung dieser Rohstoffe. Die USA, am absterbenden Ast ihrer ehemaligen Wirtschaftsprosperität, beobachtet mit Argusaugen vor allem die chinesische Expansionspolitik, tut ihrerseits alles, um ihre Position zurückzugewinnen und verfolgt dabei einen harten Kurs. Kriege sind dabei sehr hilfreich. Der Krieg in Libyen öffnete das Tor nach Afrika, das die USA brauchen wird um ihren enormen Energiehunger in den Griff zu bekommen. Bis 2015 werden 25 % des Erdöl- und Erdgasverbrauchs der USA von Nord- und Westafrika geliefert werden müssen.(4) Libyen verfügt dabei über die größten Öl- und Gasvorkommen in Afrika.

In Libyen meldeten jene Staaten, die am Nato-Angriff beteiligt waren, schnell ihre Ansprüche an den zukünftigen Geschäften an. Ganz zufällig waren das jene Länder, die unter al-Qaddhafi kein großes Stück vom Ölkuchen oder anderen profitablen Geschäften abbekommen haben. Für die USA beginnt damit auch ein ganz neues Kapitel in der Militarisierung Afrikas. Beginnend mit der Revolution von 1969 warf Mu'ammar al-Qaddhafi alle ausländischen Interessenten, die sich bis dato mit der Monarchie die Reichtümer aufgeteilt hatten, aus dem Land, vereinbarte neue Verträge mit Konzernen in denen Libyen stets mindestens 51 %) Anteile behielt. Außerdem musste ein gewisser Prozentsatz an Libyern in Unternehmen eingestellt werden. Zudem schloss Libyen den amerikanischen Militärstützpunkt Wheelus Air Base, an dem die USA seit 1945 mit rund 14.000 Soldaten stationiert war.(5) Ein Ereignis, das in den Mainstream-Medien keine Erwähnung fand. Was auch keine Erwähnung fand ist die Tatsache, dass al-Qaddhafis Afrikapolitik sich um die Einheit und Unabhängigkeit Afrikas bemühte und damit versuchte den Kontinent aus der Abhängigkeit von Weltbank, Internationalen Währungsfond, USA und Europa zu lösen. Libysches Kapital ermöglichte den ersten afrikanischen Telekommunikationssatelliten, nachdem sich 45 Staaten seit 1992 vergeblich darum bemühten eine Finanzierung vom Internationalen Währungsfond zu bekommen um sich von den Gebühren europäischer und amerikanischer Firmen zu befreien. Al-Qaddhafi förderte den Aufbau dreier unabhängiger Finanzinstitute, die Afrikanische Investmentbank, den afrikanischen Währungsfond und die Afrikanische Zentralbank, um sich der Kontrolle von Weltbank und Internationalem Währungsfond entziehen zu können, den Instrumenten neokolonialer Herrschaft.(6)


Inszenierter Terror

Die neokoloniale imperiale Herrschaft Afrikas braucht auch eine militärische Basis. Diese wurde von George Bush initiiert, von Algerien mitgetragen, ist als "Kampf gegen den Terror" bekannt geworden und manifestiert sich in PSI, TSCTI, ATA, TIP, IMET, GPOI und schließlich AFRICOM. Die US-Sicherheitspolitik engagiert sich seit 2003/2004 aktiv in der Sahara und hat mehrere Programme entwickelt um gegen den Terrorismus zu kämpfen. Pan-Sahel Initiative (PSI), Trans-Saharan-Counter-Terrorism Initiative (TSCTI), Anti-Terrorist Assistance (ATA), Terrorist Interdiction Program (TIP), International Military Education and Training (IMET) und Global Peace Operations Initiative (GPOI) mündeten 2008 in die Gründung von AFRICOM, dem Oberkommando der US-amerikanischen Militäroperationen in ganz Afrika, mit Ausnahme von Ägypten, mit dem Ziel von Sicherheitsberatung- und Training lokaler Militärs zum Zwecke einer Kriegsprävention. Das heißt, afrikanische Truppen werden in Kriegstechnik ausgebildet um Kriege zu verhindern (und nicht in Friedenspolitik geschult, sic!) oder wie im Fall der Sahara unterstützt, um den Terrorismus zu unterbinden. Terrorismus in der Sahara? Ursprünglich gab es in der Sahara keinerlei terroristischen Aktivitäten. Um diesen äußerst unpassenden Zustand zu ändern und die geplante Militarisierung zu rechtfertigen, inszenierten die USA mit der Hilfe von Algerien Terrorismus in der Sahara und führten damit zu einer eskalierenden Phase der Destabilisierung und Unsicherheit in der gesamten Region. Man kann dieses schwarze Kapitel der US-Algerischen Politik mit dem Untertitel "Wie mit Terror und Geheimdienstspielchen Ressourcensicherung betrieben wird" versehen.

Die Anschläge von 9/11 ließen in den USA Handlungsbedarf entstehen. George Bush brandmarkte die Sahara und den Sahel als eine potentielle Zone des Terrors, die als Rückzugsgebiet und Ausbildungscamp für Al-Qaeda Kämpfer diene. Um dieses Gerücht zu erhärten inszenierten algerische und amerikanische Geheimdienste 2003 eine Entführung von 23 europäischen Touristen, die von der GSPC (Groupe Salafiste pour la Prédication et le Combat) die sich später in AQMI (Al-Qaeda du Maghreb Islamique) umbenannte, begangen wurde. Daraufhin konnten die USA offiziell mit der Pan-Sahel-Initiative und mit Unterstützung lokaler Regierungen den angeblichen Terrorismus bekämpfen. Der "terroristische Gürtel", von Jeremy Keenan (2007) sarkastisch als "banana theory of terrorism" bezeichnet, ziehe sich von Mauretanien, über Mali, Niger, Tschad, Sudan, bis nach Somalia, und geht weiter über Irak, Iran, Pakistan bis nach Afghanistan, so die USA.

Dabei ließen sich US-amerikanische und algerische Interessen gut vereinen. Die USA benötigten eine ideologische Basis für die Militarisierung Afrikas um sich die Kontrolle der Ressourcen zu sichern, und im Wettlauf gegen europäische und chinesische Konkurrenten gewinnen zu können. Algeriens Motivation am inszenierten Kampf gegen den Terror mitzuwirken lag in seinem Wunsch der internationalen politischen Re-Etablierung nach dem Bürgerkrieg und verfolgt seit den 1980ern einen pro-amerikanischen Kurs, da es sich davon eine verlässlichere Rückendeckung als die mit Ambivalenzen behafteten Beziehungen zu Frankreich und Europa versprach. Zudem benötigte Algerien militärische Unterstützung um seine politischen hegemonialen Ziele in Westafrika zu erreichen und sich gegen al-Qaddhafis Libyen behaupten zu können. Die USA wiederum brauchten einen Verbündeten in Afrika und fanden in Algerien einen geostrategisch prädestinierten Partner.


Spielplatz Sahara

Mittlerweile haben sich in der Sahara Splittergruppen von AQMI breit gemacht, die offiziell als islamistische salafistische Terroristen bezeichnet werden, im Grunde genommen aber Narko-Trafikanten sind, die Kokain aus Südamerika durch die Sahara nach Europa liefern und deren Anführer enge Beziehungen zum algerischen Geheimdienst haben bzw. von diesem finanziert und geschützt werden. Sie sind für die zahlreichen Entführungen der letzten Jahre verantwortlich, waren eng in die malische Wirtschaft eingebunden und haben den Norden Malis zu ihrem Spielplatz auserkoren. Dort greifen sie auf den Schutz des algerischen Militärs zurück, das den Norden Malis als seinen Hinterhof betrachtet. Die USA haben Trainingslager u.a. in Niger, Mali und Mauretanien errichtet, bilden lokale Militärs aus und sichern die Region.

Die Tuareg, die als einzige mit staatlicher Unterstützung die Trafikanten in ihre Grenzen hätten weisen können, wurden bezichtigt Kontakte zu AQMI zu haben. Die Bevölkerung weist die Verbindungen aufs heftigste zurück, und beschuldigt den nigrischen, malischen und algerischen Staat ein derartiges Amalgam zu betreiben, um Gelder für den Kampf gegen den Terrorismus und die Unterstützung der USA zu erlangen. Weiteres Ziel sei es Ihr Recht auf politische und ökonomische Teilhabe zu vereiteln. Auch Algerien wendet sieh trotz seiner früheren vordergründigen Bemühungen als Vermittler zwischen den malischen Tuareg und dem Staat, gegen die Unabhängigkeit der Tuareg in Mali, da es ein Erstarken ihrer Kabylei-Berber und der in Südalgerien lebenden Tuareg befürchtet.

Durch den inszenierten Kampf gegen den Terror, den Krieg in Libyen und die allgemeine Destabilisierung der saharischen Staaten wurde einer ganzen Generation von jungen Tuareg die Lebensbasis entzogen. Der Anfang des Jahrtausends florierende Wüstentourismus brach zusammen, Grenzüberschreitungen wurden zunehmend schwieriger, und Strategien von lokalem transnationalem Handel und Schmuggel wurden hochgradig kriminalisiert. Der lokale Schmuggel zwischen Algerien, Niger, Mali und Libyen von Lebensmitteln, Kamelen, Benzin und Diesel und neuerdings Kartoffelsamen und Eiern untergräbt jedoch nicht die nationalen Wirtschaften, sondern im Gegenteil, bessert das lokale Warenangebot auf, zu dem die korrupten Regierungen nicht fähig sind. Von staatlicher Seite wird dieser translokale Verkehr mittlerweile auf die gleiche Stufe gestellt wie die mafiös operierenden Waffen- und Drogenschmuggler und massiv eingeschränkt.

Der Krieg in Libyen verschärft die allgemeine unsichere Situation in der Sahara und im Sahel und ließ eine große Anzahl an geflüchteten arbeitslosen Sahariern und Sub-Sahariern zurück. Während die Lokalbevölkerung nach Auswegstrategien aus ihrer ökonomisch und sozialen kritischen Lage sucht, und sich zudem mit den ändernden klimatischen Bedingungen, die zwischen extremer Dürre und Hochwasser schwanken, arrangieren muss, pokern globale player mit hohem Einsatz und ziehen die politisch Einflussreichen an den Fäden ihrer gut positionierten Marionetten.


Unsicherheit, Chaos und Destabilisierung

Was die neokolonialen und imperialen Kämpfe um Ressourcen letztendlich für die Sahara und den angrenzenden Sahel bis jetzt gebracht haben sind Unsicherheit, Chaos und zunehmende Destabilisierung:

Putschversuche und gestürzte Regierungen in mehreren westafrikanischen Ländern, Zunahme und Ausbreitung militanter islamistischer Gruppierungen, ein Arabischer Frühling, der in eine Winterdepression zu münden scheint, weitere Rebellionen von Tuareg, die sich in ihren politisch-ökonomisch und sozialen Rechten übergangen fühlen, ein zunehmendes Banditenwesen ausgelöst durch strukturelle Armut, islamistisch motivierte mafiös operierende Drogen- und Waffenschmuggler, die ganze Landstriche terrorisieren und Menschen in die Flucht treiben, Geheimdienstoperationen, die sich über nationale Vereinbarungen hinwegsetzen, überquellende Flüchtlingslager und stillgelegte internationale Hilfsprogramme, die aufgrund der unsicheren Situation in der Sahara und im Sahel nicht mehr weitergeführt werden.

Den Akteuren im neokolonialen Spiel geht es nicht um Demokratisierung, Friedenssicherung oder um humanitäre Hilfsoperationen, wie vordergründig erklärt. Ihre Interessen sind die Sicherung der Rohstoffzufuhr und die Erhaltung und/oder Ausdehnung ihrer Macht. Solange unsere Welt von kapitalistischer Macht angetrieben, von ressourcenfressenden multinationalen Konzernen ausgebeutet, und von Marionetten in der Politik beherrscht wird, solange wird die Sahara ein Spielplatz des Neokolonialismus bleiben.


Ines Kohl ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin am Institut für Sozialanthropologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Sie lebt in Österreich, Niger und Libyen und beschäftigt sich mit transnationaler Mobilität der Tuareg in Libyen, Algerien und Niger.


Anmerkungen

(1) http://www.areva.coni

(2) Greenpeace International Report 2010:6,
http://www.greenpeace.org/international/Global/international/publications/nuclear/2010/AREVA_ Niger_report.pdf

(3) Idrissou Mora Kpais Film "Arlit, deuxieme Paris" 2007.

(4) Keenan 2009: 125 nach CIA Global Trends 2015.

(5) Friedmann Ronald (2011): Wheelus Air Base: Historischer Rückblick,
http://www.ronald-friedmann.de/ausgewaehlte-artikel/2011/wheelus-air-base/

(6) Guilliard Joachim (2011): Der Krieg gegen Libyen und die Rekolonialisierung Afrikas,
http://www.hintergrund.de/201105021526/politik/welt/der-krieg-gegen-libyen-und-die-rekolonialisierung-afrikas.html


Literaturhinweise:

Claudot-Hawad Hélène (2012): Business, profits souterrains et stratégie de la terreur: La recolonisation du Sahara,
http://temoust.org/business-profits-souterrains-et,15758

Greenpeace International (2010): Left in the Dust: AREVA's radioactive legacy in the desert towns of Niger,
http://www.greenpeace.org/international/en/publications/reports/Left-in-the-dust/

Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg (2011/1): NATO-Krieg gegen Libyen: Hintergrund, Akteure, Ziele,
http://www.antikriegsforum-heidelberg.de/afrika/libyen/krieg2011/_doku_libyen_krieg_01-05-2011.pdf

Keenan Jeremy (2013): The Dying Sahara: US Imperialism and Terror in Africa, Pluto Press

Keenan Jeremy (2009): The Dark Sahara: America's War on Terror in Africa, Pluto Press: New York

Keenan Jeremy (2007): The Banana Theory of Terrorism: Alternative Truth and the Collapse oft be Second (Saharan) Front in the War on Terror, Journal of Contemporary African Studies 25/1,
http://cgirs.ucsc.edu/oil/oildocs/keenan2.pdf

Kohl, Ines (2009): Beautiful Modern Nomads: Bordercrossing Tuareg between Niger, Algeria and Libya, Reimer: Berlin

Ruf, Werner: Terror, Geheimdienste und Geopolitik: Wie die Achse Washington-Algier Ressourcensicherung betreibt: in: Albrecht, Holger (Hrsg.): Der Vordere Orient. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, Baden-Baden 2007, S. 63-79.

Ruf, Werner: Terrorismus und US-Geopolitik - Algeriens Rolle im Anti-Terrorkampf, inamo Nr. 50, Sommer 2007, Jahrg. 13, S. 37-40.

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Inhaltsverzeichnis - inamo Nr. 72, Winter 2012

Gastkommentar:
- Von der Pan-Sahel-Initiative zum neuen Grenzregime in der Sahara. Von Helmut Dietrich

Neokolonialismus:
- Europäische Nachbarschaftspolitik: Imperialer Neoliberalismus an der südlichen Peripherie. Von Jürgen Wagner
- Über "Boats4People" zu "Watch the Med": Euro-afrikanische Initiativen contra EU-Grenzregime. Von Helmut Dietrich
- Re-Kolonisierung und Neo-Imperialismus in der Sahara - Der Kampf um Ressourcen und Macht. Von Ines Kohl
- Die letzte Kolonie Afrikas. Über die marokkanische Besetzung der Westsahara. Von Malainin Lakhal
- Die französische Armee in Afrika. Von Bernhard Schmid
- Frankreich in Afrika: Sonderfall Äquatorialguinea. Von Joaquín Mbomio Bacheng
- Afrika wird ausgequetscht: Hinter jedem Landraub steckt ein Wasserraub. Von GRAIN
- "Entwicklungshilfe" in Afrika - eine Masche des Neokolonialismus. Von Aissa Halidou
- Auf der Jagd nach Herzen (und Konys Kopf) - AFRICOM: Armut- und Aufstandsbekämpfung. Von Jan Bachmann
- Sicherheit und Entwicklungsarchitektur in Afghanistan. Von Thomas Zitelmann
- Zur Aktualität Frantz Fanons. Von Jörg Tiedjen

Iran:
- Eine handvoll Exiliraner und über 120 Privatsender. Von Kaveh Parand

Israel/Palästina:
- Besuch im Gazastreifen: Demütigen und Erniedrigen. Von Noam Chomsky

Libanon:
- Der Sondergerichtshof für den Libanon und internationales Recht. Von Anna Oehmichen

Saudi-Arabien:
- Die Macht des Wortes und der Kampf der Saud-Familie um Legitimität. Von Christine Straßmaier

Syrien:
- Versuchsweiser Jihad: Syriens fundamentalistische Opposition. Von International Crisis Group
- Recht und Rechtswirklichkeit in Syrien zwischen Funktionsfähigkeit und Reformbedürftigkeit. Von Naseef Naeem

Türkei:
- Kritische Intellektuelle hinter Gittern. Von Büsra Ersanli

Sudan:
- Die Botschaft hinter dem Botschaftssturm. Von Roman Deckert / Tobias Simon

Wirtschaftskommentar:
- Lang lebe der Tyrann! Die Mär von den gutartigen Sanktionen. Von Ali Fathollah-Nejad

Zeitensprung:
- Denkmal für einen Schlächter. Von Dagmar Schatz

Nachruf:
- Friedemann Büttner. Von Eberhard Kienle / Peter von Sivers

Kritik & Meinung:
- Matin Baraki zu Thomas Ruttig

Ex mediis:
- M. Machover: Israelis & Palestinians / S. Wippel: Wirtschaft, Politik & Raum / S. Fayazmanesh: The United States & Iran. Von Alexander Flores; Heiko Schuß; Mirijam Koch

Nachrichten//Ticker

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Quelle:
INAMO Nr. 72, Jahrgang 18, Winter 2012, Seite 12 - 16
Berichte & Analysen zu Politik und Gesellschaft des Nahen und
Mittleren Ostens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Mai 2013