afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 6, November/Dezember 2016
SIMBABWE
Menschenrechtsbericht und Kultur der Straflosigkeit
Im Rahmen des universellen periodischen Überprüfungsverfahrens des UN-Menschenrechtsrats (UN-OHCHR), das alle UN-Mitgliedsstaaten wiederholt durchlaufen, stellte Simbabwes Vizepräsident und Justizminister Emmerson Mnangagwa Anfang November 2016 in Genf den Regierungsbericht über die Menschenrechtssituation seines Landes vor. Er sprach von Fortschritten bei der Umsetzung der 131 Empfehlungen, die 2011 bei der UN-Berichterstattung (UPR) zur Menschenrechtslage in Simbabwe aufgelistet worden waren. Die Regierung unter Präsident Robert Mugabe hatte sie damals akzeptiert. Bei diesem zweiten UPR-Verfahren wies Mnangagwa auf die Verabschiedung der neuen Verfassung und auf die Kriminalisierung von Kinderehen hin.
Demgegenüber dokumentierten und kritisierten simbabwische Menschenrechtsorganisationen grundlegende legale und verfahrenstechnische Defizite. Diese umfassten mangelnde Rechtsstaatlichkeit, drakonische und nicht verfassungskonforme Gesetze, die unzureichende Einhaltung internationaler Abkommen wie der Anti-Folterkonvention, der Verbote zu extra-legalen Verhaftungen und dem Verschwindenlassen sowie der Beschränkungen von Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit. Hassreden in staatlichen Medien und gewaltsame Übergriffe auf Journalisten seien weiterhin verbreitet. Zudem belegten sie schwere Verstöße gegen Menschenrechtsaktivisten und Nichtregierungsorganisationen. Im Berichtszeitraum wurden 32 Organisationen in ihrer Arbeit behindert, Büros von Sicherheitskräften durchsucht und teilweise demoliert. 450 Anzeigen dokumentieren die Zerstörungen. Zwischen Januar 2012 und Dezember 2015 wurden 3629 Menschenrechtsverteidiger/-innen verhaftet. 1005 wurden ohne Anklage wieder freigelassen. 520 Gefangene wurden gefoltert und sechs sind in der Polizeihaft gestorben. Auch Anwälte wurden von der Polizei gefoltert. Polizeiliche und staatsanwaltliche Ermittlungen seien nicht frei von Parteipolitik.
Zahlreiche Gewaltakte aus früheren Jahren seien noch nicht aufgeklärt, die Menschenrechtskommission sei schlecht ausgestattet und eine Versöhnungskommission, zu deren Einsetzung die Verfassung verpflichtet, hätte praktisch ihre Arbeit noch nicht aufgenommen. Eine Kultur der Straflosigkeit sei weiterhin prägend. So wurden während zivilgesellschaftlicher Proteste zwischen dem 29. Mai 2016 und dem 30. September 2016 685 Menschen verhaftet. Das Verschwindenlassen von Oppositionellen oder Menschenrechtsverteidigern sei verbreitet.
Hinsichtlich der Situation von Kindern prangerten Menschenrechtsorganisationen die Fortsetzung von Kinderehen, die Reduzierung der Fördergelder für arme Grundschulkinder von 73 auf 15 Mio. US-Dollar und die Problemlage von Kindern im Matabeleland an. So kamen 2013 offiziellen Berichten zufolge 3000 Kinder in der Provinz Matabeleland South nicht mehr zur Schule, weil sie an Hunger und Unterernährung litten.
Zum Kontext: In den Matabeleland Provinzen, deren Bewohner die Regierung seit Jahrzehnten systematisch benachteiligt und ihnen regimefeindliche Agitation unterstellt, richteten Sicherheitskräfte in den 1980er Jahren Massaker an, die mindestens 20.000 Opfer forderten. Viele unschuldige Frauen und Kinder wurden von einer Spezialeinheit, die Präsident Robert Mugabe unterstand, bestialisch umgebracht. Berichten zu Folge lag dem damaligen Sicherheitsminister Emmerson Mnangagwa eine Namensliste sogenannter Dissidenten vor. Vor allem deren Familien gerieten ins Visier der Staatsmacht, die seit der politischen Unabhängigkeit 1980 regiert. Die offizielle Aufarbeitung der Massaker steht bis heute aus. Vize-Präsident Mnangagwa, der als Vorsitzender des Joint Operations Command, der parlamentarisch nicht kontrollierten Schaltstelle von Militär-, Geheimdienst- und Polizeichefs, und als früherer Verteidigungsminister nicht unbelastet von Menschenrechtsverbrechen ist, soll voraussichtlich nächster Präsident Simbabwes werden.
*
DAVID UND GOLIATH
Die Amtszeit von Thuli Madonsela, Südafrikas mutiger Ombudsfrau, ist
beendet. Gottfried Wellmer kommentiert ihren Kampf gegen Korruption.
AKTUELL
SYMPTOM EINER GEBROCHENEN GESELLSCHAFT
Die #FeesMustFall-Studierendenproteste fordern eine freie
Hochschulbildung und die Dekolonisierung der Universitäten Südafrikas.
Maren Denker berichtet aus Johannesburg.
VERBRIEFTE RECHTE EINFORDERN
Derzeit steht die gesamte südafrikanische Goldminenindustrie vor
Gericht. Lehren aus der Sammelklage zu Staublungenfällen erläutern
Tanja Charles und Dean Peacock.
MASAKHANE - GEMEINSAM STÄRKER WERDEN
Dawn Cavanagh von der Coalition of African Lesbians (CAL) im Gespräch
mit Judith Menzel und Uta Schwenke.
SCHWARZ-LESBISCHE LEBENSWELTEN Zanele Muholi fotografiert Lesben und Trans*Menschen in ihrem Lebensumfeld. Irina Turner veranschaulicht das Werk der herausragenden südafrikanischen Fotokünstlerin.
RECHTE FÜR ALLE
Mitte der 1990er Jahre waren homophobe Hetzreden in Namibia an der
Tagesordnung. Auch wenn der jetzige Präsident aufgeschlossen ist,
werden Gesetzesreformen weiterhin abgelehnt. Liz Frank über die Kämpfe
der Lesben- und Homosexuellen-Organisationen in Namibia.
DAS VOLK ZAHLT DIE SCHULDEN
In einem Interview mit der Deutschen Welle äußert sich der
mosambikanische Journalist Adérito Caldeira zu den illegalen Schulden
seines Landes und zur Rolle der Geber, die Mosambik lange als
Musterland der Entwicklungspolitik sahen.
POLITISCHE SPANNUNGEN IM HERZLAND DER MINERALIEN
Kongos frühere Provinz Katanga ist ein Krisenherd mit langer
Geschichte. Während das Kabila-Regime die Wahlen verschiebt, steigen
in der ressourcenreichen Region Spannungen und staatliche Repression.
Die International Crisis Group zeigt die Gründe auf.
LOKALES AGRAR-ÖKOLOGISCHES WISSEN
Elisabeth Mpofu ist Kleinbäuerin in Shashe nahe Masvingo und
Vorsitzende des Zimbabwe Smallholder Organic Farmers Forum. Ihren
Einsatz für eine nachhaltige Landwirtschaft würdigt Gisela Feurle.
STARKE PERFORMANCE
Simbabwes Literatur und Musik sind lebendig. Trotz der politischen und
wirtschaftlichen Krise gibt es positive Entwicklungen. Eine Generation
junger Künstlerinnen haucht der Kulturszene neues Leben ein. Itai
Mushekwe hat ihre Auftritte beobachtet und sieht einen Silberstreif am
Horizont.
MAJI MAJI FLAVA
Der Maji-Maji-Krieg zwischen 1905 und 1907 in der damaligen Kolonie
Ostafrika ist trotz der zahlreichen Todesopfer in der deutschen
Öffentlichkeit kaum bekannt. Nun rief eine Kooperation des
Staatstheaters Kassel mit Flinn Works und dem Asedeva-Theater in
Daressalam die Erinnerung daran wach. Rita Schäfer hat sich die
postkoloniale Theaterperformance angesehen.
JUNGES SOZIALKRITISCHES KINO
Der tansanische Filmemacher Amil Shivji stellte Ende September in Köln
und Berlin seinen Spielfilm "Aisha" vor. Andreas Bohne gibt einen
Einblick in das cineastische Werk des Künstlers und die Bedeutung
gesellschaftskritischer Dokumentarfilme in Tansania.
TOD IN NDOLA AUF WIEDERVORLAGE
Mitte September 1961 starb der frühere UN-Generalsekretär Dag
Hammarskjöld bei einem Flugzeugabsturz. Der scheidende
UN-Generalsekretär Ban Ki-moon schlug vor, die UN-Generalversammlung
solle einen neuerlichen Beschluss fassen, um die Untersuchungen über
die Absturzursache fortzuführen. Henning Melber kennt den
völkerrechtlichen Kontext.
REZENSIONEN
*
Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
45. Jahrgang, Nr. 6, November/Dezember 2016, S. 4
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
Königswinterer Straße 116, 53227 Bonn
Tel.: 0228 / 46 43 69, Fax: 0228 / 46 81 77
E-Mail: info@issa-bonn.org
Internet: www.issa-bonn.org
"afrika süd" erscheint mit 6 Heften im Jahr
Jahresabonnement Euro 40,-
veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Januar 2017
Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang