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AFRIKA/767: Das Piratenleben, das bessere Leben ... nur nicht in Somalia (Tlaxcala)


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Das Piratenleben, das bessere Leben ... nur nicht in Somalia

Von Agustín Velloso, 8.9.2009
Übersetzt von Isolda Bohler


Ach, die Piraten!

Wie gut dieses Wort klingt und welche Erinnerungen an unsere Kindheit es mit sich bringt. Erbarmungslose Wesen ohne Skrupel, schlau und heutzutage mit Repetiergewehren. Wir können es nicht mehr abwarten, sie zu sehen, die - dank Garzón, wer sonst? - uns bald in Handschellen einen Besuch abstatten werden.

Sollen sie uns doch die Seeräuber im Städtebau- und in der Finanzspekulation vom Halse schaffen, die Freibeuter der Finanzen in den politischen Parteien sollten das Maul halten, sollen sie doch im Karibischen Meer ertrinken, die Banditen der SICAV, denn es ist an der Zeit, die wirklichen Piraten kennenzulernen.

Im Unterschied zu den Ersten sind die weiterhin in Freiheit, obwohl sie im Fernsehen kommen und alle sie kennen und es scheint nicht so, dass diese Unbekannten den mutigen Richtern des Staates entkommen. Wie es gemeinhin heißt, sie haben alles gegen sich: Sie sind Schwarze, sie sind pleite, sie sind Muslime und sie wagten es, Spanier anzugreifen.

Recht überlegt sind die Festgenommenen vielleicht nicht so bekümmert, wie es scheinen könnte. Erstens haben sie schließlich drei Mal täglich eine warme Mahlzeit und werden einen Arzt sehen, möglicherweise zum ersten Mal in ihrem Leben. Außerdem sind sie vor den Raketen, die von den USA immer mal wieder über ihrem Land abgeworfen werden, sicher und auch vor den Schüssen, die von den Äthiopiern und von einigen ihrer vom Imperialismus bezahlten Landsleute abgefeuert werden.

Ob es denen, die mit der Entsendung von Kriegsschiffen und Flugzeugen an die Küste Somalias Geld und Position verdienen, passt oder nicht, aber es entspricht nicht der Realität, dass dieses Land von Piraten, die durch die spanischen Fischer, die in ihren Gewässern und in deren Nähe arbeiten, ihren Reibach machen wollten, unsicher gemacht werde, sondern vielmehr das Gegenteil ist der Fall.

Vielleicht könnten die spanischen Fischer den Somaliern verzeihen, dass sie nicht zwischen denen zu unterscheiden wissen, die ohne Benachrichtigung noch Erlaubnis in ihre Meere kommen, ob sie nun Fischer aus Bermeo [baskische Stadt der Bizakia, mit einem Fischereihafen, AdÜ] sind, die ihren Reichtum mitnehmen, Seemänner aus den USA in Militärmission oder italienische Arbeiter, um nukleare Abfälle zu versenken.

Laut dem UN - Entwicklungsprogramm (PNUD) leben die somalischen Fischer in einem der am höchsten verarmten Länder der Welt, dessen Bewohner eine Lebenserwartung von ungefähr 48 Jahren haben, mit mehr als 60 % Analphabetentums und ohne Gesetz für die obligatorische Einschulung, mit 36 % von Kindern unter fünf Jahren, die nicht das ihrem Alter entsprechende Gewicht haben, mit einer halben Million Flüchtlingen und einer Million interner Vertriebener, mit Hunderttausenden von Menschen unter Lebensbedingungen ähnlich denen der Vorhergehenden ... und mit so viel Mangel an allem, besonders an ihren Menschenrechten.

Die Webseite von Unicef besagt, dass "die Möglichkeiten eines somalischen Kindes bis zum Erwachsenenalter zu überleben unter den niedrigsten auf der Welt liegen. Hinzu kommt, dass die Sterberate der Mutter während der Schwangerschaft und der Geburt zu den höchsten des Planeten zählt, (wegen ) Krankheiten, Wassermangels, Unterernährung und dem Fehlen von Trinkwasser. Nur 37 % der Bevölkerung hat Zugang zu entsprechenden hygienischen Bedingungen, währenddessen die Cholera und die Tuberkulose reichlich vorkommt." (http://www.unicef.org/somalia/children.html)

'Vergessen Sie uns nicht, Herr Obama!'. Ben Heine, Tlaxcala

"Vergessen Sie uns nicht, Herr Obama!". Ben Heine, Tlaxcala

Vielleicht könnten die Somalier den spanischen Fischern verzeihen, dass sie nicht den Unterschied kennen zwischen illegitimem Fischen an den somalischen Küsten und an denen von Norwegen, und dass jedes Land unterschiedliche Formen hat, das Seinige zu verteidigen.

Im Jahr 2005 brachte die norwegische Marine wegen illegalen Fischens von blauem Heilbutt in ihren Gewässern ein Schiff mit Schleppnetz aus Galicien auf. Das norwegische Kommuniqué lautete: "Während der Inspektion entdeckten wir, dass das mit Schleppnetz fischende spanische Schiff große Mengen blauen Heilbutts illegal gefischt und an Bord versteckt hatte. Außerdem entdeckten wir, dass das Schiff Fisch über Bord warf, erklärte Steve Olsen, Kommandant - Kapitän und Chef des nördlichen norwegischen Küstenschutzes, in einem Kommuniqué. In Erklärungen an die Digitaltageszeitung Aftenposten ging Olsen soweit, das mit Schleppnetz fischende Schiff als Piraten zu bezeichnen".

Und er fährt fort: "Das Schiff des Küstenschutzes Nordkap brachte das Schiff Monte Meixuerio auf und ordnete ihm an, es solle in Richtung auf die Stadt Tromsø im Nordwesten Norwegens fahren; Anordnungen, denen die spanischen Fischer anscheinend nicht nachkamen." (http://www.skyscrapercity.com/archive/index.php/t-283890.html)

Vielleicht könnte man den Norwegern ihr Lästig - sein verzeihen, denn am Tag nach der Aufbringung des Schiffes, am 20. November 2005, "ergriff die norwegische Marine innerhalb zweier Tage den zweiten galizischen Fischdampfer. Ihm wird, genauso wie dem gestern aufgebrachten Schleppdampfer, Monte Meixueiro, aus Vigo vorgeworfen, mehr als Hundert Tonnen blauen Heilbutts gefischt zu haben".

"Der mit Schleppnetz fischende Dampfer Garoya Segundo wird verdächtigt, blauen Heilbutt gefischt zu haben, schreibt die norwegische Marine. Das Kommuniqué fährt fort, dass der Kapitän angeklagt worden ist, dem Direktorium des Fischfangs - einem verantwortlichen Organ in Bergen - unrichtige Informationen über den Fang gegeben zu haben und wegen Manipulation der Fangmenge im Logbuch". (http://www.skyscrapercity.com/archive/index.php/t-283890.html)

Vielleicht könnte man den spanischen Kommunikationsmedien verzeihen, dass sie es unterlassen, in diesen Tagen über die Geschichte der bis jetzt aufgebrachten spanischen Schiffe, die sich auf den sieben Meeren abspielt, da Spanien an Hand der Patrouillen aus Norwegen, Marokko, Irland, Kanada, Südafrika, Großbritannien, etc. bereits gekapert wurde, zu berichten.

Es ist ein bißchen ironisch, dass sich die Briten heute der Verfolgung spanischer Piraten widmen, aber man könnte es ihnen nachsehen, weil Sir Francis Drake, Lope de Vega, García Márquez und den einen oder anderen Schöpfer von Videospielen, die so sehr unsere Kinder unterhalten, inspirierte.

In Somalia gibt es seit Beginn der 90er Jahre keine dieses Namens würdige Regierung mehr, zufälligerweise die Epoche, in der der Besitzer der Meere (und des Landes und des Weltraums), der größte Pirat aller Zeiten, der Präsident der USA, eine militärische Intervention in dem Land anordnete, mit der er ihm endgültig das Rückgrat brach.

Der Präsident von Somalia, Siad Barre war in den 70er Jahren Mandant der Sowjets, was aber kein Hindernis für die USA war, ihn in den 80er Jahren zu unterstützen. Als sich das Weiße Haus im darauffolgenden Jahrzehnt für die Unterstützung der Herren des Krieges, um die Islamisten zu bekämpfen, entschied, hatte er auch kein Problem.

Man könnte dem Westen verzeihen, sich einzig an den Tod von 19 Marines zu erinnern, die an der Militäroperation von Mogadischu teilnahmen - natürlich dank dem, dass Hollywood einen Film über die Geschehnisse machte -, aber die Somalier vergaßen nicht, dass um die Tausende ihrer Landsleute von Soldaten der USA erschossen wurden.

Trotz seiner blutigen Diktatur zählte Barre jahrelang auf internationale Entwicklungshilfe der USA, was hauptsächlich Waffen heißt, damit sich die Begünstigten unter sich umbringen, und politische Unterstützung zur Rechtfertigung der Toten gemäß der jeweiligen hoch im Kurs stehenden Bedrohung: Kommunismus, Drogenhandel, islamistischer Extremismus, Stammeskämpfe, etc.

Dieser typischen US-Aktivität fügt sich die Überschwemmung des somalischen Ernährungsmarktes mit subventioniertem Getreide und andere Interventionen aus Öl- und geopolitischen Interessen hinzu, was als Ergebnis eine physisch und moralisch zerstörte Nation ergibt, in der nur der Kampf ums Überleben aufblüht, den logischerweise der Stärkste gewinnt.

Die somalischen Meere entkamen auch nicht der ausländischen Intervention. Wie Anfang 2009 Johann Hari in seinem Artikel "Sie werden über die Piraten belogen" im The Independent zeigt, nutzten mehrere westliche Länder das Nichtvorhandensein eines Staates in Somalia aus, um nuklearen Abfall in ihren tiefen Ozean zu versenken. Die Konsequenzen für die Bevölkerung sind wie die der Kriege, die sie zu Land erleiden, obwohl von längerer Dauer.

Um das Maß vollzumachen, beobachteten somalische Fischer von der Küste aus enorme Schiffsfabriken mit ausländischen Flaggen, die Tonnen von Fisch mitnehmen, wohingegen sie es kaum schaffen, mit ihren Schaluppen dem Meer einige Kilo zum Weiterleben zu entreißen.

Vielleicht könnte ihnen verziehen werden, weil sie nicht wollen, dass ihre Kinder vor ihren Augen aus Mangel an den Mitteln und Vorkommen, die andere für die Ihrigen fortbringen, sterben.

Den in somalischen und umgebenden Gewässern fischenden Spaniern und den in Spanien diesen Fisch Essenden könnte verziehen werden, da sie etwas so Einfaches und Vernünftiges wollen, wie in Frieden zu arbeiten und entsprechend Proteine zu essen. Es könnte ihnen auch nachgesehen werden, dass sie Politiker wählen, die ihnen zu jedem Preis, auch dem des Lebens anderer eingeschlossen, die Arbeit und das Essen garantieren.

Auch könnte diesen nationalen Führern die Allianz mit ihren Nachbarn mit dem Ziel, mehrere von Kampfflugzeugen unterstützte Kriegsschiffe zu schicken, mit denen sie den abgerissenen Somaliern das Essen streitig machen, anstatt zuvor die Fischereirechte oder gar die Anzeigen zu bezahlen, mit denen sie hinterher betrogen werden, wie es in vielen Fällen mit spanischen Schiffen geschehen ist, verziehen werden.

Was aber unmöglich zu entschuldigen geht, ist, zumal wissend, auf welch unerbittliche Weise die Somalier zermürbt werden, dass sie beschuldigt und verfolgt werden, wenn sie sich doch nur gegen die wahren Piraten verteidigen.

Die Piraten wurden vom Volk traditionell sehr geschätzt, in den Filmen und den Romanen; seit die Regierung, das Parlament und die Multinationalen sie sich aneigneten, ekeln sie an.


Dank an Ignacio Gutiérrez de Terán, Autor von Somalia, el abismo insondable ("Somalia, der unergründliche Abgrund"), für seine Anregungen.


Quelle:
La vida pirata la vida mejor... menos en Somalia
http://www.tlaxcala.es/pp.asp?reference=8910&lg=es
Originalartikel veröffentlicht am 8.9.2009

Agustín Velloso ist ein assoziierter Autor von Tlaxcala, dem Übersetzernetzwerk für sprachliche Vielfalt, Isolda Bohler und Ben Heine sind Mitglieder von Tlaxcala. Diese Übersetzung kann frei verwendet werden unter der Bedingung, daß der Text nicht verändert wird und daß sowohl der Autor, die Übersetzerin als auch die Quelle genannt werden.

URL dieses Artikels auf Tlaxcala:
http://www.tlaxcala.es/pp.asp?reference=8974&lg=de


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Quelle:
Tlaxcala - das Übersetzernetzwerk für sprachliche Vielfalt
E-Mail: tlaxcala@tlaxcala.es
Internet: www.tlaxcala.es


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. November 2009