Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

AFRIKA/782: Bram Fischer und das heutige Südafrika (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 5, Oktober/November 2009

Bram Fischer und das heutige Südafrika

Von Raymond Suttner


Bram Fischer war ein unbeugsamer Kämpfer gegen Apartheid. Die Gemeinde Bramfischerville in Roodepprt im Großraum Johannesburg trägt ebenso seinen Namen wie die dortige Bram-Fischer-Mehrzweckhalle. Zu ihrer Einweihung am 6. September hielt der Autor, Dozent an der Universität von Südafrika UNISA und früher selbst als Mitglied der Kommunistischen Partei inhaftierter Anti-Apartheid-Aktivist, eine Rede, die den Geist Fischers wach ruft.


Heute - 35 Jahre nach seinem Tod - nähere ich mich diesem Thema auf eine andere Weise, als ich es zuvor getan hätte. Früher hätte ich mich auf die rein politischen Aspekte fokussiert, doch nun möchte ich mich auf eine persönlichere und subjektivere Art und Weise mit Bram Fischers Entscheidungen befassen, welche ihn so teuer zu stehen kamen. Ich gehe dabei von Chief Albert Luthulis berühmter Rede "The road to freedom is via the cross" und seiner ständigen Betonung aus, dass es ein "Evangelium des Dienstes" und ohne Kreuz auch keine Krone gäbe. Hierbei bleibt der Begriff Krone uneindeutig, da es sich negativ konnotiert auch um eine Dornenkrone handeln kann. Das Kreuz verstehe ich als Metapher für die Nachfolge des Pfades des Herren und zugleich als die Bereitschaft zum Märtyrertum wie bei Jesus Christus.

Chief Luthuli erkannte, dass der Weg des Kreuzes durchaus dazu führen kann, ausgepeitscht, eingesperrt, verhöhnt und getötet zu werden. In diesem Sinne ist Bram Fischers Entscheidung, in den Untergrund zu gehen, zu verstehen: "Ich kann der Gerechtigkeit keinen Dienst mehr erweisen auf die Art, in der ich es in den vergangenen dreißig Jahren versucht habe. Ich kann dies nur in der Weise erreichen, welche ich nun gewählt habe." Er war bereit, die härteste Strafe zu akzeptieren.

Im September 1964 war Fischer aufgrund seiner Mitgliedschaft in der verbotenen Kommunistischen Partei angeklagt, aber gegen Kaution freigelassen worden, um als Kronanwalt einen Gerichtstermin in London wahrnehmen zu können. Er versprach seine Rückkehr: "Ek is ,n Afrikaner en sal nooit hierdie land verlaat" ("Ich bin ein Afrikaaner und werde dieses Land niemals verlassen"). Tatsächlich erschien er, blieb jedoch nach dem ersten Prozesstag dem Gericht fern, nicht um zu fliehen, sondern - wie wir damals sagten - um im Untergrund zu arbeiten.

Es gibt eine Konvergenz zwischen dem Christ Luthuli und dem Kommunist Fischer, denn beide schlugen den Kurs der Selbstaufopferung ein, einen Weg, der keinen persönlichen Nutzen bringt und auf dem der eigene Tod in Kauf genommen wird. Das Ausmaß unangenehmer Erfahrungen, der Spott und die Misshandlung Bram Fischers im Gefängnis, nachdem man ihn 1966 aufgespürt hatte, waren ebenso vorhersehbar wie sogar die Rachsucht, mit der die Gefängnisleitung 1974 die Urne mit der Asche Fischers einbehielt und verschwinden ließ. Chief Luthuli erlitt wiederholte Verbannung und schließlich einen mysteriösen Tod. "Mysteriös" bedeutet, dass wir nicht einfach akzeptieren, es sei ein natürlicher Tod gewesen. Eine Untersuchung durch das Apartheidregime kann nicht automatisch als Aufklärung des Falls gelten.

Dieser Vergleich kann weiter ausgearbeitet werden, was jedoch nicht meine Absicht ist. Vielmehr möchte ich untersuchen, was Bram Fischers Vermächtnis für uns heute bedeutet. Ich sage dies als jemand, der durch sein Beispiel inspiriert wurde, selbst Befreiungsziele zu verfolgen und dafür eingesperrt zu werden. Es gibt einen wichtigen Unterschied: Man kann um seines Lebens willen davon rennen oder man kann den Fallen der Polizei ausweichen, während man gegen sie ankämpft. Fischer wählte den zweiten Weg.

Die erste Lehre, welche ich aus Bram Fischer ziehe, ist, dass es, obwohl er ein Anhänger marxistischer Maximen und Methoden war, nicht Theorien waren, die ihm Stärke gaben in Momenten der Gefahren, Sorgen und Beschwerden. Die Gemeinsamkeit zwischen Fischer und Luthuli besteht darin, dass es Texte und Werte waren, an die sie glaubten. Ihr Leben wurde durch eine moralische Verpflichtung und Hingabe bestimmt. Ihr Leben war dem Kampf gewidmet, bereit, es für die Sache der Freiheit aufzugeben.

Zwar gibt es viele Menschen, denen christliche und marxistische Lehren vermittelt wurden, die jedoch dem Druck nicht standhielten, wenn es hart auf hart kam. Ein solches Verhalten verachte ich zwar nicht, aber das Vorbild Fischers und Luthulis weist einen anderen Weg, nämlich intellektuelle Hingabe in subjektive, persönliche Leidensbereitschaft umzusetzen. Dies unterscheidet sich deutlich davon, lediglich mit Theorien und Texten vertraut zu sein. Wie es Chief Luthuli sagte, geht es um "Mut, der aus Gefahr erwächst".

Der Geist Bram Fischers lebt noch heute oder lässt sich zum Leben erwecken, wenn wir das Credo der eigenen Bereicherung um jeden Preis und mit allen Mittel zurückweisen. Dies bedeutet, sich frei zumachen vom Streben nach persönlicher Macht, die nur auf Schmeichelei und dem Verlust an Würde beruht.

Ich habe Bram Fischer nie getroffen. Er starb kurz bevor ich inhaftiert wurde, doch ich erwarb seine Aufnahmen, welche die Wärter jede Nacht abspielten. Darauf waren seine Kommentare zu hören, mit Lob für die Klassiker und der Bemerkung "schrrrecklich" für die Rolling Stones.

Fischer stammte aus der burischen Aristokratie des Oranje Freistaates und hätte jede Position im Land erlangen können. Er gab all die konventionellen Ehren auf und wählte einen Weg, der zu unzähligen Tragödien führte was dieser Rolle entsprechend auch den tragischen Tod seiner Frau und seiner engsten Genossin Molly mit einschloss.

Bram Fischer war ein Befreiungskämpfer, der im Einklang mit den letzten Worten der Freiheitscharter stand: "Alle, die ihr Volk und Land lieben, mögen uns nachsprechen: Für diese Freiheitsrechte wollen wir Seite an Seite unser Leben lang kämpfen, bis wir unsere Freiheit gewonnen haben."

Damit definierte er neu, was ein Bure sein kann, und zeigte, dass nicht alle Buren Rassisten waren. Er offenbarte sich selbst als Repräsentant einer neuen burischen Kultur, die nicht an der Apartheid festhing, sondern sich neu formieren und sich kreativ zu einer neuen Gesellschaft zusammenschließen konnte, zu einer Gemeinschaft, die den Qualitäten und individuellen Ansprüchen jeder sprachlichen, religiösen und rituellen Identität Rechnung trägt. Fischer zeigte, dass man aus dem Lager der Buren kommen und sein eigenes Leben reflektieren konnte. Er hatte die Bereitschaft, seine eigene Identität zu ändern, sein eigenes Verständnis, ein Bure zu sein, worauf er stolz war bis zum letzten Tag.

Von dieser Selbstreflektion können wir lernen. Ihren unvergesslichen Ausdruck findet sie in Fischers Rede von der Anklagebank aus im Jahre 1966. Darin verweist er auf die enorme Willensanstrengung, die er als junger Mann aufbringen musste, wenn er einem Schwarzen die Hand geben sollte, obwohl er mit Menschen dieser Gruppe noch als Kind gemeinsam gespielt hatte. Damals erkannte er, dass es nicht der Schwarze war, der sich verändert hatte, sondern er selbst.

Es waren vor allem Bram Fischers wie auch Albert Luthulis Integrität, die aus ihren anderen Qualitäten herausragte. Solche Integrität und ethische Eigenschaften werden heutzutage ignoriert oder fast schon ins Lächerliche gezogen. Wir müssen sie wiederbeleben und zurück ins öffentliche und private Leben bringen. Jeder, der sich für Emanzipation, Befreiung und Freiheit einsetzt, muss einen starken Integritätssinn aufweisen. Solchen Menschen dürfen wir vertrauen, wie wir Fischer und Luthuli absolut vertrauen konnten.

Bram Fischer starb vor 35 Jahren. Heute müssen wir seine humanistischen Perspektive fortdenken. Ich bin mir sicher, dass er sich in der heutigen Gesellschaft dafür eingesetzt hätte, gewaltbereite Maskulinität und geschlechtsbezogene Gewalt zu beenden. Wir zollen Bram Fischer Tribut zu einer Zeit, in der wir dringend - vor allem männliche - Vorbilder brauchen. Zu einer Zeit, in welcher der harte Kerl Frauen missbraucht und ihnen Kondome verbietet, zu einer Zeit der offen aggressiven Sprache. Dazu müssen wir ein alternatives Führungsmodell entwickeln. Ein solches verkörpert Bram Fischer. Wir haben bisher seine Aufopferung, seine Absage an das privilegierte Leben nicht genug wertgeschätzt. Lasst uns das Leben Bram Fischers ehren und feiern. Lasst uns denjenigen, die dem Weg der Raffgier, Gewalt und asozialer Praktiken folgen, sagen, dass sie Bram Fischer nicht das Wasser reichen können. Für jene von uns, die in der Öffentlichkeit stehen, reicht es nicht zu sagen, wie großartig Bram Fischer war. Wir müssen nach seinem Vorbild leben.


Der Autor ist Professor an der Universität von Südafrika UNISA und Autor u.a. des Buches "The ANC Underground", das 2008 bei Jacana erschien.


*


Weitere Artikel in afrika süd Nr. 5, Oktober/November 2009


Frelimo forever?
Ein Kommentar zu den Wahlen in Mosambik von Lothar Berger.

aktuell

südafrika
Der tägliche Tod der Demokratie
Einen "stillen Staatsstreich" nennen Nigel Gibson und Raj Patel die jüngsten Übergriffe des Staates gegen die Interessenvertretung der Einwohner der Wellblechsiedlung "Kennedy Road" in Durban.

Der reduzierte Widerspruch
Der Gewerkschaftsbund Cosatu hat auf dem 10. Kongress im September sein Verhältnis zum ANC debattiert. Von Sigrid Thomsen.

simbabwe
Konfusion in Simbabwe
Simbabwes Premierminister Morgan Tsvangirai hatte seine Zusammenarbeit mit Staatspräsident Mugabe ausgesetzt, weil dieser sich nicht an die gemeinsamen Vereinbarungen hält. Einmal mehr versucht die Regionalgemeinschaft SADC zu vermitteln. Von Hein Möllers.

Zwischen Hoffen und Bangen
Ein Jahr nach Unterzeichnung des "Global Political Agreement" zwischen den Parteien in Simbabwe zieht Dumisani F. Nengomasha eine private Bilanz.

Testfall für den Kimberley-Prozess
Wegen der Verletzung der Menschenrechte in seinen Diamantenfeldern von Marange soll Simbabwe vom Kimberley-Prozess, mit dem der Handel mit Blutdiamanten unterbunden werden soll, suspendiert werden. Von Barbara Müller und Simone Knapp.


It's Africa's time: afrika süd zur WM 2010 - Folge 4

Satanische Verve
Mit den Vuvuzelas, den lautstarken Tröten, werden die Fußballfans bei der WM 2010 ihre südafrikanische Mannschaft anfeuern. Von Evans Macingwone

Fußball hat mein Leben verändert
Von Irene Lukassowitz

Viagra aus Affenfleisch
Von Jojo Cobbinah

Im Schatten der Weltmeisterschaft
Die Fußball-Afrikameisterschaften finden im Januar 2010 in Angola statt. Von Andreas Bohne


botswana
Same procedure as...?
Bei den Parlamentswahlen in Botswana im Oktober konnte die seit 1965 regierende BDP trotz Wirtschaftskrise und Flügelkämpfen ihre absolute Mehrheit ausbauen, berichtet Hein Möllers.

Funkelndes Strohfeuer
Von Refentse Moekena.

südafrika: eliten
Eine Geschichte - zwei Nationalismen
Südafrika steht heute vor einem VerteiIungskampf zwischen der schwarzen Elite, staatlichen Angestellten und der Masse der Armen. Moeletsi Mbeki blickt auf die Geschichte von zwei Nationalbewegungen, die diese Entwicklung begünstigt haben.

Die Oligarchen sind noch an der Macht
Die Politik des "Black Economic Empowerment" ist ein Geistesprodukt des weißen Kapitals und fördert nur eine kleine Klasse schwarzer Kapitalisten, meint Moeletsi Mbeki.

Bram Fischer und das heutige Südafrika
Er war ein unbeugsamer Kämpfer gegen Apartheid. Raymond Suttner, selbst ehemaliger Anti-Apartheid-Aktivist, ruft den Geist Bram Fischers für das heutige Südafrika wach.

südliches afrika: eliten
Sozioökonomische Entwicklungen im Südlichen Afrika
Mainstream-Modelle sozioökonomischer Entwicklungen im Südlichen Afrika konzentrieren sich auf die Eliten und vernachlässigen die Mehrheit. Henning Melber fordert deshalb fundamental neue Ansätze.

namibia
"Ein weißer Elefant, ein totes Projekt"
Der Linken-Bundestagsabgeordnete Norman Paech hat das Herero-Kulturzentrum bei Okakarara besucht und seinen heruntergekommenen Zustand beklagt. Rolf-Henning Hintze hat Paech für afrika süd interviewt.

dr kongo
Scham, Schmerz und Verzweiflung
Für ein Ende der alltäglichen Gewalt gegen Frauen im Ostkongo setzen sich zwei Organisationen in Bukavu ein. Solveig Schurr hat sie besucht.

service
Nord-Süd-Infos, Rezensionen, Leserbriefe


*


Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
38. Jahrgang, Nr. 5, Oktober/November 2009, S. 29 - 30
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
Königswinterer Straße 116, 53227 Bonn
Tel.: 0228 / 46 43 69, Fax: 0228 / 46 81 77
E-Mail: issa@comlink.org
Internet: www.issa-bonn.org

"afrika süd" erscheint mit 6 Heften im Jahr
Jahresabonnement Euro 35,-


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Februar 2010