Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

AFRIKA/878: Neuere Erkenntnisse zur Landreform in Simbabwe (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 3, Juli / August 2010

Der Mythos vom Kollaps
Neuere Erkenntnisse zur Landreform in Simbabwe

Von Ben Cousins


Seit 2000 verfolgt die Regierung unter Robert Mugabe eine Landreform, die "Fast Track Reform". Die meisten Großgrundbesitzer wurden enteignet, das Land an Kleinbauern, aber auch an getreue Parteileute verteilt. Die Enteignungen wurden brutal und rücksichtslos durchgezogen, gegen jedes Recht und Gesetz. Das Gericht der Regionalgemeinschaft, das SADC-Tribunal, hat unlängst klagenden Eigentümern bestätigt, sie seien ungesetzlich enteignet worden, und Simbabwe zur Revidierung seiner Maßnahmen verurteilt.

Die Regierung denkt jedoch nicht daran, das Urteil umzusetzen. Auch in der Einheitsregierung besteht Einvernehmen darin, die geschaffenen Verhältnisse nicht wieder rückgängig zu machen. Offen ist die Frage, ob Kompensation für konfisziertes Eigentum und begangenes Unrecht geleistet werden soll.

Nach allgemeiner Meinung hat die "Reform" Mugabes nicht nur politisch und rechtlich ein Desaster angerichtet. Auch wirtschaftlich seien die Grundlagen für eine florierende Agrarproduktion, die Simbabwe einst besessen hat, für Jahrzehnte zerstört. Als hinreichender Beweis galt die prekäre Nahrungsversorgung des Landes. Auch der Autor dieses Beitrags vertrat bis vor wenigen Jahren diese Ansicht. Seine Feldstudien im vergangenen Jahr in zwei Provinzen zeigten jedoch, dass diese pauschale Beurteilung nicht zutrifft. In vielen Bereichen konnte die Produktion erhöht werden. Probleme bereiten allerdings die Bereitstellung und Versorgung mit Betriebsmitteln durch die oft korrupten Regierungsprogramme.


Nach gängigem Verständnis war die Landreform in Simbabwe, die 2000/01 durchgesetzt wurde, kaum mehr als ein korrupter Landraub zugunsten der Zanu-PF und ihrer Parteigänger. Mit ihr sei ein verhängnisvoller Niedergang der Landwirtschaft eingeleitet worden, von der sie sich nie erholt hat. Simbabwe sei vom Brotkorb zur Bettelschale verkommen, hänge am Tropf internationaler Nothilfe, um seine Bevölkerung halbwegs zu ernähren. Die Phrase vom Zusammenbruch der kommerziellen Landwirtschaft macht die Runde, begleitet von Bildern leer stehender Farmen und verwüsteter Landstriche.

Doch dieses Stereotyp der simbabwischen Landreform hilft einfach nicht weiter. Es beruht nicht auf empirischen Erhebungen oder auf einem Verständnis der hoch komplexen neuen Realitäten, denen sich Farmer, Regierungsbeamte, politische Parteien und andere Interessenten stellen müssen, um einen Weg nach vorn zu finden.

Die nachstehend vorgestellten Befunde beruhen auf einer dreijährigen Untersuchung in der Provinz Masvingo. Dabei wurden 400 Haushalte auf umverteilten Farmen befragt. Die Betriebe liegen in vier Regionen der Provinz, deren agro-ökologisches Potenzial höchst unterschiedlich strukturiert ist. Die Betriebe fallen unter verschiedene Typen von Feldanbau - Baumwolle, Getreide, Ölsaaten, Zuckerrohr u.a. - und Viehzucht - Rinder, Schafe und Ziegen. In die Untersuchung einbezogen wurden mittelgroße Farmen (das sog. A2-Modell) und Kleinbetriebe (Modell A1). Die Betriebe lagen entweder in Dörfern oder waren Einzelhöfe.

Anders als der Mythos vom totalen Versagen konnte die Studie feststellen, dass die Ernten und Erträge auf den umverteilten Farmen, vor allem bei den Kleinbetrieben des Modells A1, seit 2000 gesteigert werden konnten. Von 2006 an ernteten zwei Drittel der Haushalte mehr Mais, als sie selbst konsumierten, wenn nur der Niederschlag ausreichend war. Die Baumwollproduktion in einer der untersuchten Regionen war bemerkenswert. Unterstützt wurde eine Produktion von der Baumwolle verarbeitenden Industrie, die Produktionsmittel bereitstellte und für die Vermarktung sorgte. Der Bestand konnte bei den Tierhaltern ständig erhöht werden. Viele der Neusiedler gaben an, dass ihr Lebensunterhalt sich nach der Landreform deutlich verbessert habe, obwohl es in den letzten zehn Jahren vier Dürreperioden gegeben hat. In der Provinz Masvingo versorgen die ehemaligen Rinder-Ranches und Wildtierfarmen einen viel größeren Teil der Bevölkerung als vor der Umverteilung.


Differenzierteres Bild

Auch die Daten der FAO zu den Ernteerträgen zeigen, dass das Bild vom Kollaps in die Irre führt. Die Trends variieren zwar von Frucht zu Frucht beträchtlich - sie zeigen bei Mais, Tabak und Weizen signifikant nach unten -, doch die Erträge der kleinbäuerlichen Betriebe, bei anderen Getreidesorten, Erdnüssen und Bohnen weisen Wachstumsraten auf. Die Baumwollproduktion, die seit Mitte der 1980er Jahre von den Kleinbauern dominiert wird, konnte gegenüber 1990 an Fläche und Ertrag gesteigert werden. Anbau und Erträge bei Exportgütern wie Tee, Kaffee und Zucker haben dagegen deutlich abgenommen, sind aber nicht völlig zum Erliegen gekommen.

Die Ernten beim Grundnahrungsmittel Mais haben schwer darunter gelitten, dass die Produktion von Düngemitteln und Saatgut zurückgegangen ist. Diese Probleme sind in erster Linie den unzureichenden (in vielen Fällen auch korruptionsanfälligen) Programmen der Regierung geschuldet. Die Bereitstellung der nötigen Produktionsmittel für die Neusiedler funktioniert nicht in nötigem Umfang. Mais reagiert obendrein empfindlich auf Niederschläge. Verglichen mit den 1990er Jahren, in denen im Mittel Ernten von 1,6 Millionen Tonnen eingefahren wurden, hat es in den letzten neun Jahren Einbrüche zwischen 1,1 Prozent (2004/05) und 65 Prozent (2007/08) gegeben. Auch die Maisernten im guten Regenjahr 2008/09 brachten nur 1,2 Millionen Tonnen, 25 Prozent unter den Durchschnittsernten der 1990er Jahre.

Die Landwirtschaft in Simbabwe hat gewiss in den Jahren nach dem radikalen Einschnitt Probleme gehabt. Von einem totalen Kollaps zu reden, ist jedoch falsch. Eine neue Agrarstruktur ist im Entstehen mit einer größeren Vielfalt an Farmgrößen und Nutzungssystemen als in der Vergangenheit und löst die höchst ungleiche Verteilung und dualistische Struktur ab. Neue Konsumketten für die Produkte aus Ackerbau und Viehzucht bilden sich heraus, mit einer Zulieferindustrie und Vermarktung. Die Kapazitäten für Saatgut- und Düngemittelproduktion sind allmählich wieder intakt.


Farmarbeiter sind Verlierer

Bleibt die Frage, wie viele Farmen haben sich die politische Elite und die Securocrats unter den Nagel gerissen. In der Provinz Masvingo sind es der Untersuchung zufolge sehr wenige. Drei Viertel des Landes ist an Kleinbauern nach Modell A1 gegangen. Die Hälfte aller Nutznießer sind normale Leute, die aus ländlichen Gebieten kommen, etwa 18 Prozent kommen aus der Stadt. Weitere 16 Prozent sind ehemalige Angestellte des öffentlichen Dienstes, aus den Sicherheitsdiensten und der Geschäftswelt kommen fünf Prozent, ehemalige Farmarbeiter stellen sieben Prozent der Neufarmer. Städter und Angestellte des öffentlichen Dienstes stellen jedoch das Gros der A2-Siedler auf mittelgroßen Farmen.

Das Verteilungsmuster unterscheidet sich zweifelsohne von den Hochleistungsfarmen in den Mashona-Provinzen und um Harare. Doch auch hier belegen Studien, dass große Teile des Landes an Leute mit niedrigem Einkommen und wenig Rücklagen gegangen sind. Die großen Verlierer sind allerdings die Farmarbeiter, manche von ihnen verdingen sich heute bei den Neufarmern, aber viele mussten gehen und wurden an den Rand der Wirtschaft gedrängt.

Unsere Untersuchungen in Masvingo haben eine soziale Differenzierung unter den Neusiedlern festgestellt. Einige haben gut Fuß gefasst, manche konnten ihre Einkommen diversifizieren, andere kommen gerade so über die Runden und ein Teil arbeitet völlig unwirtschaftlich. Insgesamt profitieren Frauen weniger als Männer.

Die Untersuchungsergebnisse zeigen allgemein, dass die Landverteilung in Simbabwe die großen Ungleichheiten im Landbesitz zwischen den Rassen und Klassen vermindert und auch die Grundlage für eine potenziell produktive Agrarstruktur gelegt hat. Damit sollen aber nicht die höchst problematischen Aspekte dieses Eingriffs beiseite gewischt werden.

Es ist weithin bekannt, dass die Landinvasionen in allen Teilen Simbabwes von Gewalt und mit klaren Verstößen gegen die Menschenrechte begleitet waren. Die Sicherheitskräfte haben das geduldet oder sich selbst daran beteiligt. Die Herrschaft des Gesetzes wurde selbst von Richtern außer Kraft gesetzt. Mitglieder der Zanu-PF-Elite haben sich mehrfache Farmen zugeschanzt, vor allem im Highveld, eines der Kernprobleme, mit denen sich derzeit ein Prüfungsausschuss beschäftigt. Viele Farmarbeiter wurden misshandelt und verloren ihren Arbeitsplatz.

Wie kann es nun weiter gehen? Vorschläge, eine neue simbabwische Regierung sollte versuchen, das Rad zurückzudrehen und die alten Zustände einer dualistischen, von kommerziellen Großfarmen dominierten Landwirtschaft wieder herstellen, dürfte auf heftigen politischen Widerstand vieler Bürger stoßen, die von der Umverteilung profitiert haben. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist es Konsens in der Einheitsregierung, dass die Umverteilung nicht wieder rückgängig zu machen ist und auch nicht soll.

Die zentrale Herausforderung der Landpolitik in Simbabwe wird es sein, auf dem Erfolg der Neufarmer aufzubauen und eine dynamische und effiziente Landwirtschaft zu fördern und starke Verbindungen zur Industrie und der städtischen Wirtschaft herzustellen. Ebenso entscheidend wird es sein, die Unklarheiten und Ungewissheiten im Landrecht und in der Landverwaltung zu beseitigen. Auf diese Fragen sollten sich die Medienberichte und Kommentare sowie die öffentlichen Diskussionen über die Landreform in Simbabwe konzentrieren und nicht weiter das Stereotyp von Desaster oder Versagen kolportieren.


Der Autor ist Forschungsleiter der "Poverty, Land and Agrarian Studies" (PLAAS) an der Universität des Westkaps, wo auch die englische Fassung seines Beitrags veröffentlicht ist (http://anothercountryside.wordpress.com/). *

Weitere Artikel in afrika süd Nr. 3, Juli / August 2010


Auf großem Fuß
Kommentar von Hein Möllers zum Raubbau an natürlichen Ressourcen.

aktuell

angola
Vergangenheit und Zukunft neu erfinden
Angolas Elite stützt ihre politische und militärische Macht auf den Ölreichtum des Landes. Wenn die Ölquellen einmal versiegen, könnte sich die herrschende MPLA an die fortschrittlichen, heute längst vergessenen Ziele aus den Tagen der Befreiung erinnern. Von David Sogge.

Bohren und beten
Ein Öl-Gau wie im Golf von Mexiko kann auch woanders passieren. Auf die gefährliche Offshore-Ölförderung in Angola in immer größerer Tiefe weist Louise Redvers hin.

Reiches Land - Arme Bauern
Mit Öl und Diamanten lassen sich Gewinne machen, nicht aber mit der sträflich vernachlässigten Landwirtschaft. Dabei könnte sie bei entsprechender Subventionierung die Ernährung des Landes sichern. Ein IRIN-Bericht.

Stichwort: Saure Böden

mosambik
Dynamik im APRM-Prozess
Mosambik hat einen erstaunlich kritischen Bericht zum African Peer Review Mechanism vorgelegt. Mit diesem Instrument überprüfen die beteiligten Länder ihre Leistungen im Bereich der Regierungsführung auf freiwilliger Basis. Von Henrik Malhak und Manfred Öhm.

simbabwe
Der Mythos vom Kollaps
Neuere Erkenntnisse zur Landreform in Simbabwe zeigen, dass pauschale Urteile über die desaströsen Folgen der "Fast Track Reform" der Realität nicht immer gerecht werden. Ben Cousins hat nach Feldstudien in zwei Provinzen seine Ansichten revidiert.


It's Africa's Time: afrika süd zur WM 2010 - Folge 7

Südafrika träumt vom Olymp
Die Fußball-WM 2010 ist vorbei. Wer sind die Gewinner, wer die Verlierer des Großturniers? Hein Möllers versucht eine erste Bilanz.


namibia
"Die Swapo hat ihre Ideale verloren"
Mit dem früheren Minister im Kabinett von Sam Nujoma und heutigen Oppositionspolitiker Anton von Wietersheim sprach Henning Hintze.

Wahlanfechtungsklage

Gefahr in Verzug
Namibia wehrt sich gegen das EPA-Handelsabkommen der EU. Von Henning Hintze.

Wider die altkoloniale Arroganz
Auszüge aus der Rede von Handelsminister Hage Geingob vor dem namibischen Parlament.

Uranabbau in Namibia - Segen oder Fluch?
Namibia ist ein Eldorado für die Uranindustrie, doch Umweltrisiko und Ressourcenverschwendung beim Uranabbau sind enorm, meint Bertchen Kohrs.

südafrika
Weltmeister der Verschwendung?
Etwa eine Milliarde Euro hat die Entwicklung des Hochtemperaturreaktors PBMR gekostet, doch Südafrika hat sich jetzt von dem Pleitereaktor verabschiedet. Horst Blume berichtet.

Zurück ins Carbon-Zeitalter
Mit Finanzierungshilfe der Weltbank baut Südafrika zwei Großkraftwerke, die mit Steinkohle betrieben werden und trotz modernster Technik die Umwelt belasten. Dabei verfügt das Land über genügend Windenergiereserven, meint Khadija Sharife.

Waffengeschäfte
Südafrika rüstet auf, zu Lande, zu Wasser, in der Luft. Doch wegen zu hoher Kosten und nicht eingehaltener Lieferfristen wurde ein Auftrag bei Airbus gesperrt. Gottfried Wellmer fasst südafrikanische Medienberichte zusammen.

Deutsche Rüstungsexporte nach Südafrika

service
Nord-Süd-Infos, Rezensionen


*


Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 3, Juli / August 2010, S. 17 - 18
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
Königswinterer Straße 116, 53227 Bonn
Tel.: 0228 / 46 43 69, Fax: 0228 / 46 81 77
E-Mail: issa@comlink.org
Internet: www.issa-bonn.org

"afrika süd" erscheint mit 6 Heften im Jahr
Jahresabonnement Euro 35,-


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Oktober 2010