Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

AFRIKA/898: Sudan - Gericht schickt 15-Jährigen in die Todeszelle, Kinderrechtskonvention missachtet (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. November 2010

Sudan: Gericht schickt 15-Jährigen in die Todeszelle - Kinderrechtskonvention missachtet

Von Reem Abbas


Khartum, 10. November (IPS) - In Nyala in Süddafur hat ein sudanesisches Sondergericht vier Minderjährige in die Todeszelle geschickt. Der 15-jährige Abdarazig Daoud Abdelseed, die beiden 16-jährigen Abdalla Abdalla Doud und Altyeb Mohamed Yagoup sowie der 17 Jahre alte Ibrahim Shrief Yousef gehören zu einer Gruppe von insgesamt neun Angeklagten.

Als angebliche Anhänger der größten im Südsudan agierenden Rebellenorganisation JEM ('Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit') sollen sie im Mai dieses Jahres in Khour Baskawit in Süddafur an einem Überfall auf Regierungswagen beteiligt gewesen sein. Allen neun Personen, die wegen Angriffs auf den Staat, wegen bewaffneten Raubüberfalls, Mordes und verbrecherischer Sachbeschädigung verurteilt wurden, droht nun der Tod durch den Strang.

Internationale Menschenrechtsorganisationen wie 'Human Rights Watch' und 'Amnesty International' haben das Urteil des Sondergerichts scharf kritisiert. Es verstoße massiv gegen die auch vom Sudan ratifizierte Kinderrechtskonvention sowie gegen die afrikanische Kinderrechtscharta und den Vertrag über bürgerliche und politische Rechte. Sie alle verbieten, minderjährige Straftäter zum Tode zu verurteilen.

Zudem hat das Anfang 2010 reformierte sudanesische Kinderrecht das Mindestalter für Delinquenten, denen die Todesstrafe drohen kann, von 15 auf 18 Jahre erhöht. Rechtsexperten des im Sudan ansässigen 'Africa Centre for Justice and Peace Studies' (ACJPS) halten diese vermeintliche Reform für mehrdeutig. Danach gelten Personen unter 18 Jahren als Kinder, "sofern andere Gesetze ihnen noch keine Reife bescheinigen".

Doch nach sudanesischem Strafrecht gilt eine Person als erwachsen, sobald sie die Pubertät erreicht hat. "Damit legt sich das Strafgesetz nicht auf ein bestimmtes Alter fest", bemängelt der Menschenrechtsexperte und ehemaliger Richter Mohammed Al Hafiz. "Pubertät ist ein ungenauer Begriff, sie kann schon mit zwölf, 14 oder 15 Jahren erreicht sein."

Umstritten ist auch die islamische Komponente des Urteils. Der den Angeklagten aus Khour Baskawit zur Last gelegte bewaffnete Raubüberfall gilt nach islamischer Rechtsauffassung als 'Huddoud', als strafwürdiges unislamisches Verhalten wie Unzucht, Gotteslästerung und Alkoholkonsum.


"Unter-18-Jährige gelten auch für den Propheten als minderjährig"

Der Rechtsexperte Hamed Emam vom 'National Centre for Legal Work' erklärte gegenüber IPS, bewaffneter Raub müsse zwar als 'Huddoud' bestraft werden, doch das Gericht habe offenbar nicht berücksichtigt, dass Minderjährige unter 18 Jahren nicht unter das Strafrecht fallen. "Die Richter haben ihr Urteil offenbar nach dem äußeren Erscheinungsbild der Jugendlichen gefällt", kritisierte er. "Sie haben sich zu Unrecht auf die Scharia berufen, denn der Prophet selbst bezeichnet in seinen Lehren Personen unter 18 Jahren als Minderjährige."

Ein Beamter aus dem Sozialministerium, der anonym bleiben wollte, stellte fest, selbst wenn sie ein Kapitalverbrechen wie Mord oder Raub begangen hätten, gehörten Minderjährige unter 18 Jahren nicht in ein Gefängnis, sondern in eine Jugendstrafanstalt. In Jeriaf gibt es ein 'Besserungszentrum' für Jungen und Mädchen, und in der Jugendstrafanstalt in Bahri werden nur Jungen untergebracht. "Dort leben sie fünf Jahre lang unter staatlicher Aufsicht", sagte er.

Selbst wenn sie nicht hingerichtet werden, sind die vier in Darfur zum Tode verurteilten Jungen von solchen Reintegrierungsprogrammen ausgeschlossen, solange ihr Fall nicht vor einem Jugendgericht neu verhandelt wird.


"Politisierte Justiz"

Al Hafiz berichtete, in seiner Zeit als Richter habe er mit Erfolg gegen die Todesstrafe für einen wegen Mordes angeklagten 17-Jährigen gestimmt. "Ich bestand auf einer Neuverhandlung des Falles", berichtete er und verwies auf den politischen Hintergrund der in Nyala ausgesprochenen Todesurteile. "Sudans Gerichte sind leider politisiert. Der Prozess wäre vielleicht anders ausgegangen, wenn man den Verurteilten nicht Verbindungen zur JEM unterstellt hätte", meinte er.

Der Rechtsexperte Emam hält den Nachweis einer solchen Verbindung für fragwürdig. "Die im Sudan angewandten Verhörmethoden sind archaisch", klagte er. "Um an Informationen zu kommen, versetzen Polizisten die Angeklagten in Angst und Schrecken und verhören sie bis zur Erschöpfung. Vielleicht haben sie die Jungen auf diese Weise dazu gebracht, Verbindungen zur JEM zuzugeben.", meinte er.

Die Regierung in Khartum begegnet Vorwürfen, sie lasse Minderjährige zum Tode verurteilen, mit dem Hinweis, üblicherweise würden Jugendliche nicht hingerichtet. Diesen Einwand lässt das ACJPS nicht gelten. Die sudanesische Rechtsprechung versetzte die verurteilten Jugendlichen in Todesangst und verstoße damit gegen Kinderrechte, stellten die Aktivisten fest.

Neben Saudi-Arabien und Iran ist der Sudan weltweit das einzige Land, in dem im vergangenen Jahr Minderjährige hingerichtet wurden. Im Mai 2009 wurde Abdulrahman Zakaria Mohammed in El Faher in Norddafur gehängt. Zwei Jahre zuvor hatte ein Gericht den damals 17-Jährigen wegen Raubmord zum Tode verurteilt.

Im ACJPS arbeitet man zurzeit an einem umfassenden Bericht über die Todesstrafe im Sudan. Das Zentrum will gemeinsam mit Human Rights Watch und anderen Menschenrechtsorganisationen den Fall der Khour-Baskawit-Gruppe gründlich analysieren, um dafür sorgen, dass so fundamentale Verstöße gegen die Kinderrechtskonvention wie Todesurteile für Minderjährige in Zukunft nicht mehr möglich sind. (Ende/IPS/mp/2010)


Links:
http://www.acjps.org/
http://hrw.org
http://www.ai.org
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=53495


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 10. November 2010
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. November 2010