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AFRIKA/917: Jemen - Huthi-Rebellen statt Al-Kaida im Visier (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. Dezember 2010

Jemen: Huthi-Rebellen statt Al-Kaida im Visier - Regierung missbraucht US-Militärhilfe

Von William Fisher


New York, 14. Dezember (IPS) - Im Jemen wird ein großer Teil der für die Terrorismusbekämpfung bestimmten US-Militärhilfe von über 115 Millionen US-Dollar zweckentfremdet. Die Regierung in Sana setzt Washingtons Waffenhilfe gegen die einheimischen Rebellen im Norden des Landes ein anstatt gegen Al-Kaida-Kämpfer in der Region. Beweise für diesen Missbrauch hat die Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' (HTW) in von Wikileaks veröffentlichten diplomatischen Depeschen entdeckt.

"Die US-Regierung sollte den missbräuchlichen Einsatz ihrer Militärressourcen nicht hinnehmen, denn er impliziert, dass die USA in das Vorgehen des Jemens verwickelt sind", warnte die HRW-Terrorismusexpertin Letta Tayler gegenüber IPS. Sie appellierte an US-Regierung und Kongress, die Verwendung ihrer Militärhilfe zu untersuchen und diese solange einzustellen, bis der Missbrauch gestoppt ist.

Vergebens hatten vor Ort stationierte US-Diplomaten die jemenitische Regierung aufgefordert, die missbräuchliche Abzweigung der Militärhilfe zu unterlassen. Sie beschwerten sich schließlich in Washington.

Erst in diesem Jahr verdoppelte Washington seine Militärhilfe für den Jemen von 67 Millionen auf 150 Millionen Dollar. Angesichts der Bemühungen von jemenitischen, auf der arabischen Halbinsel ansässigen Al-Kaida-Kämpfern, ausländische Ziele anzugreifen, wird 2011 mit einer weiteren Aufstockung der Militärhilfe auf 250 Millionen Dollar gerechnet.

Seit 2002 haben die USA mehr als 115 Millionen Dollar in jemenitische Anti-Terror-Truppen investiert. Besonders die Elite-Einheit wurde nach internen Berichten von US-Diplomaten häufig im Norden, dem Rebellengebiet der Huthi, eingesetzt. HRW dokumentierte im April dieses Jahres in einem Bericht über den bewaffneten Konflikt zwischen Huthi und Armee ('All Quiet on die Northern Front?'), dass die Armee ohne Rücksicht auf zivile Zonen Huthi beschoss und bombardierte.

Die USA selbst und ihre Beziehungen zu nahöstlichen Waffenbrüdern gerieten beim Studium der diplomatischen Dokumente ebenfalls ins Visier der Aktivisten. HRW stieß auf zahlreiche Hinweise von möglichen Kriegs- und Menschenrechtsverletzungen, die jemenitische Streitkräfte, aber auch die im Norden um Autonomie kämpfende Huthi-Rebellen begangen haben. Dabei soll Saudi-Arabien die jemenitische Armee mit Munition und Kriegsgerät aus US-Arsenalen unterstützt haben.


US-Raketen auf jemenitisches Rebellengebiet

Auch die Herkunft der Raketen, mit denen angeblich einheimische Streitkräfte jemenitische Dörfer beschossen, gerät durch die jetzt veröffentliche Diplomatenpost mehr und mehr ins politische Zwielicht. In einem von Wikileaks veröffentlichten Telegramm, das Jemens Staatspräsident Ali Abdullah Saleh im Dezember 2009 an US-General David H. Petraeus gerichtet hatte, versprach Saleh, er werde auch weiterhin wahrheitswidrig behaupten, dass es sich bei den US-Raketenangriffen auf verdächtige Al-Kaida-Sympathisanten um jemenitische Militäroperationen handele.

Bei einem dieser Angriffe waren am 17. Dezember 2009 in der Südprovinz Abyan mindestens 42 Menschen, überwiegend Frauen und Kinder, getötet worden. Medienberichten zufolge hatten US-Streitkräfte den Luftangriff durchgeführt und dabei die von mehr als 100 Staaten geächteten Streubomben eingesetzt. Washington weigerte sich, diese Berichte öffentlich zu bestätigen.

Tayler verlangt jetzt von den USA eine sofortige unparteiische Untersuchung des Angriffs in Abyan. "Bislang hat die Obama-Regierung nicht geklärt, ob es eine legale Grundlage für diese Angriffe gegeben hat", stellte die Aktivistin fest.

Nach Angaben der von Wikileaks veröffentlichten Dokumente war auch Saudi-Arabien zumindest zwischen November 2009 bis Februar 2010 am inner-jemenitischen Konflikt zwischen Huthi und Armee beteiligt.

Als Saudi-Arabien 2009 bei der US-Regierung Spezialmunition für den Kampf gegen die Huthi-Rebellen orderte, antwortete die US-Botschaft in Riad in einem Telegramm vom 30. Dezember, man werde dieser Bitte unverzüglich nachkommen. Die angeforderte Munition wurde geliefert.

Am 10. November 2009 hatte der stellvertretende saudische Verteidigungsminister Prinz Khaled bin Sultan angekündigt, Saudi-Arabien werde auf jemenitischem Grenzgebiet eine zehn Kilometer breite, für Zivilisten gesperrte Pufferzone einrichten.


US-Botschafter: "Schickt Satellitenkarten nach Riad"

Nach Berichten von HRW hatten Huthi behauptet, am 13. Dezember 2009 hätten saudische Kampfflugzeuge sie mehrmals im Nordjemen angegriffen und dabei auch einen Markt in Bani Mu'in im Bezirk Razih bombardiert. Dabei seien 70 Zivilisten getötet und mehrere hundert Menschen verletzt worden.

HRW entdeckte auch ein Telegramm der US-Botschaft in Riad vom 7. Februar 2010, in dem man sich besorgt nach einem saudischen Luftangriff auf ein jemenitisches Krankenhaus erkundigte. Mit der Bemerkung, Huthi-Kämpfer hätten sich dort aufgehalten, bestätigte Prinz Khaled offenbar den Angriff.

Zuvor hatte er versichert, saudische Streifkräfte würden dafür sorgen, dass in der jemenitischen Konfliktregion keine zivilen Ziele angegriffen werden. Daraufhin kabelte der US-Botschafter in Riad nach Washington, man solle den Saudis zum besseren Überblick Satellitenkarten vom Kampfgebiet im Jemen überlassen. (Ende/IPS/mp/2010)


Links:
http://www.hrw.org
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=53850


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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 14. Dezember 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Dezember 2010