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AFRIKA/929: Mosambik - Aufstand gegen den Hunger (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 4, September/Oktober 2010

Aufstand gegen den Hunger

Von Lothar Berger


Wie vor zwei Jahren hat es in Mosambik Anfang September Revolten gegen gestiegene Lebensmittelpreise gegeben. Trotz Wirtschaftswachstums und massiver Gebergelder steigt die Armut vor allem auf dem Lande.

Mosambik ist ein Paradoxon. Ein Erfolgsfall, doch immer noch eines der ärmsten Länder der Welt." Aussagen wie dieser von MediaFax (20.9.2010) zitierte Satz des britischen Botschafters Shaun Cleary begleiten in fast regelmäßigen Abständen die jüngere Geschichte Mosambiks. Schon 2006 haben Unicef und ein Jahr später die Weltbank vom "Paradoxon" steigender chronischer Unterernährung bei Kindern trotz rapide ansteigenden Wirtschaftswachstums gesprochen.

Andererseits hatten Regierung und Geber vor noch nicht allzu langer Zeit lautstark ein beispielloses Sinken der Armut von 69 Prozent in den Jahren 1996/97 auf 54 Prozent in den Jahren 2002/03 verkündet. Doch jüngste Angaben der Regierung aus einer Erhebung zu Familieneinkommen sind ernüchternd. Sie zeigen, dass die Armut bis 2008/09 wieder auf 55 Prozent leicht gestiegen ist. Besonders im Zentrum des Landes nimmt die Armut zu und spiegelt eine zunehmend ungleiche Entwicklung wider. So ist sie in der Zambezia-Provinz von 68 auf 70 Prozent gestiegen, und auch die Provinzen Manica, Sofala sowie die Städte Matola im Süden und Nampula im Norden zeigen gegenüber der letzten Erhebung eine wachsende Verarmung. Auffallend ist, dass landesweit die städtische Armut von 52 auf 50 Prozent zurückgegangen, die ländliche Armut aber von 55 auf 57 Prozent gestiegen ist. Für den negativen Trend in der Armutsentwicklung wird die "fehlende Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität, besonders im Familiensektor" verantwortlich gemacht.

Die aktuelle Erhebung zum Familieneinkommen wurde dem Ministerrat im Juli vorgelegt, blieb aber bislang unter Verschluss. Eine vom Ministerium für Planung und Entwicklung erstellte Power-Point-Präsentation ist aber von der Nichtregierungsorganisation CIP (Centro de Integridade Publica) verbreitet worden. Joseph Hanlon hatte schon früher darauf hingewiesen, dass es zwei verschiedene Berechnungsgrundlagen für Armut gibt. Da Regierung und Geber sich im Sinne der viel beschworenen "Erfolgsgeschichte" in der Erhebung von 2002 für eine künstlich tief angesetzte Berechnungsgrundlage entschieden hätten, erhielten sie jetzt, so Hanlon, die Quittung, denn bei der ungünstigeren Variante wäre die Armut von 1997 bis 2002 von hohen 69 Prozent auf 63 gesunken, die jetzt festgestellten 55 Prozent wären eine Fortsetzung der fallenden Tendenz gewesen. Wie, fragt Hanlon, reagieren die Geber jetzt? Sagten sie: "Unsere Hilfe hat nur zunehmende Armut gebracht." Oder geben sie zu, die Öffentlichkeit in den letzten sechs Jahren bezüglich sinkender Armut irregeführt zu haben (J. Hanlon in: Mozambique 170, News report&clippings, 29 Sept. 2010).

Wie auch immer die Daten gedeutet werden mögen, die anhaltende Armut in Mosambik birgt ein Konfliktpotenzial, das sich bei Untätigkeit des Staates jederzeit wie ein Pulverfass entladen kann. Davor hatte der Soziologe Carlos Serra bereits vor zwei Jahren gewarnt, als sich Anfang 2008 der Unmut der Bevölkerung gegen angekündigte Transportpreiserhöhungen und das Auslaufen von Benzinsubventionen in der Hauptstadt Maputo und anderen Städten in einen "Aufruhr der Armen" (vgl. afrika süd Nr. 2'08) entlud.

Anfang September 2010 haben sich solche gewalttätigen Proteste nach einer angekündigten 25-prozentigen Erhöhung der Preise für Grundnahrungsmittel wie Brot und gestiegener Wasser- und Strompreise um 11 bzw. 13,5 Prozent in noch drastischerer Form wiederholt. Wieder blieben die meisten Geschäfte in Maputo geschlossen und die Zugangsstraßen in die Hauptstadt wurden blockiert. Diesmal griff neben der Polizei auch das Militär zur Unterdrückung der Aufstände ein. Es wurde scharf geschossen und es gab mindestens 13, nach anderen Quellen bis zu 18 Tote, darunter ein Kind, und 288 Verletzte. Die Regierung sperrte das Handynetz für SMS, mit denen auch diesmal die Proteste innerhalb kürzester Zeit organisiert wurden.

Dass die Regierung sich diesmal entschlossener als vor zwei Jahren zeigte, als sie von den spontanen Demonstrationen sichtlich überrascht war, und die als "illegal" eingesehenen Proteste mit Polizei- und Militäreinsatz unterdrückte, hat ihr heftige Kritik von Menschenrechtsorganisationen eingebracht. Die aus Katholiken, Protestanten und Muslimen zusammengesetzte Wahlbeobachtergruppe Observatório Eleitoral hat das Vorgehen der Regierung als Provokation bezeichnet.

In einem CIP-Bericht über die Niederschlagung der Revolte wird die Polizei als "unvorbereitet, schlecht ausgebildet und korrupt" kritisiert. Sie verfüge nicht einmal über so grundlegende Ausrüstung wie Tränengas und Gummigeschosse, stattdessen seien durch den Einsatz scharfer Munition die Menschenrechte eklatant verletzt worden. Als die Gummigeschosse dann zur Verfügung gestellt wurden, sind sie laut CIP-Bericht aus Unkenntnis über ihre Wirkung falsch und aus viel zu naher Distanz auf die Demonstranten abgefeuert worden, was auch zu Todesfällen geführt habe. Statt sich nach den ersten bekannt gewordenen SMS-Botschaften zur Verbreitung der Proteste auf den Einsatz vorzubereiten, habe die Polizei erst spät reagiert und ihre Einsatzkräfte dann in ermüdenden 24-Stunden-Schichten ohne Essenspause erschöpft. Zudem hatte die Polizei keine Schutzschilder gegen die Steinwürfe der Demonstranten. Zunehmend verstörte und verängstigte Polizisten hätten ihre Wut gegen die Demonstranten dann mit tödlichen Schüssen abreagiert. Der CIP-Bericht beklagt außerdem, dass es keine Koordination mit den Spezialisten der Einsatzpolizei gegeben habe. CIP hat zur Feststellung der Verantwortlichkeit einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss über den Polizeieinsatz gefordert, an dem auch Vertreter der Zivilgesellschaft beteiligt werden sollen. Zudem sollen die unschuldigen Opfer und ihre Angehörigen entschädigt werden.

Wie im Jahr 2008 zeigten die Proteste immerhin Wirkung und die verunsicherte Regierung nahm einzelne Preiserhöhungen wieder zurück. In einer Fernsehansprache bezeichnete Präsident Guebuza die Vermeidung von Preiserhöhungen allerdings angesichts der Marktlage als "äußerst schwierig". Im Oktober reagierte der Präsident auf die Krise und wachsende Armut und besetzte seine Ministerien für Landwirtschaft, Industrie und Handel sowie das Gesundheitsministerium neu. Ob diese Maßnahme von Erfolg gekrönt ist, wird auch davon abhängen, ob der neue Landwirtschaftsminister lose Pacheco die Agrarpolitik des Landes tatsächlich so umformen kann, dass der vernachlässigte Familiensektor endlich mehr Unterstützung bekommt.


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 4, September/Oktober 2010, S. 18
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
Königswinterer Straße 116, 53227 Bonn
Tel.: 0228 / 46 43 69, Fax: 0228 / 46 81 77
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Internet: www.issa-bonn.org

"afrika süd" erscheint mit 6 Heften im Jahr
Jahresabonnement Euro 35,-


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Dezember 2010