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ASIEN/617: Afghanistan - Ein Land im Spannungsfeld geopolitischer Interessen (ROBIN WOOD-Magazin)


ROBIN WOOD-Magazin Nr. 105/2.2010
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie

energie
Afghanistan - Ein Land im Spannungsfeld geopolitischer Interessen

Von Dirk Natusch, dnatusch[at]web.de


Die Importabhängigkeit der Energie-Großverbraucher EU, China, Indien, USA und Japan von Erdöl und Erdgas wird in den kommenden zwei Jahrzehnten voraussichtlich stark ansteigen. Dabei wird das Streben nach Energieversorgungssicherheit zunehmend von einem Wettbewerb um den Zugang zu diesen Ressourcen bestimmt. Besonders in Zentralasien und am Kaspischen Meer treffen die Energiebedürfnisse dieser Wirtschaftsräume aufeinander. Schon in den 90er Jahren forderten deshalb in Deutschland Interessengruppen aus Politik, Militär und Wirtschaft die militärische Absicherung des Ressourcenzugangs außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der NATO.

Während viele Menschen nach Ende der Ost-West-Konfrontation auf eine Friedensdividende hofften, fand im September 1991 das "Fürstenfelder Symposium für Führungskräfte aus Bundeswehr und Wirtschaft" statt. Bereits dort wurde die Weichenstellung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik in Richtung Militarisierung offenbar. Militärische und ökonomische Eliten zeigten Politikern auf, wie sie sich die Zukunft der Bundeswehr vorstellten.

Deutschland müsse nun endlich "normal" werden und sich, als stärkstes Land Europas, als "Macht" begreifen, die Verantwortung übernehme, ohne eine "Sonderrolle" zu spielen.

Deutschland müsse UNO-Militäraktionen unterstützen und mit Truppen daran teilnehmen.

Der NATO-Vertrag solle geändert werden, damit die NATO als Nordatlantikpakt auch an anderen Meeren ("out of area") tätig werden könne.

UNO, WEU oder NATO sollen Militäreinsätze auch gegen den Willen der Betroffenen, etwa gegen das damalige Jugoslawien, durchführen, um das Selbstbestimmungsrecht, wozu auch die Sezession gehört, zu erzwingen.

Die Sicherheitspolitik habe sich einzustellen auf die Gefährdung der Werte der westlichen Gemeinschaft, die mögliche Verweigerung strategischer Rohstoffe und die Massenauswanderung nach Westen.

Deutsche Auslandseinsätze seien ohne Änderung des Grundgesetzes möglich.

Diese sechs Punkte sind nur ein Teil der Arbeitsergebnisse von Treffen, mit denen militärische Kreise ihre Forderungen an die Politik anmeldeten.

Den europäischen Eliten aus Politik und Wirtschaft war schon damals bewusst, dass für weiteres Wirtschaftswachstum in Europa neue Energiequellen in den Ländern der europäischen Peripherie erschlossen werden müssen und dafür politische Stabilität erforderlich ist. Die wiederum gilt es auf militärischem Wege herzustellen. Afghanistan bildet in diesem Zusammenhang einen strategisch wichtigen Standort: Das Land liegt in der sogenannten "Strategischen Ellipse". Das ist ein Gebiet, das sich vom Persischen Golf über den kaspisch-kaukasischen Raum bis hinein nach Russland erstreckt. Dort konzentrieren sich achtzig Prozent der fossilen Brennstoffe. Bis auf den Iran und Russland besitzen die Länder dieser Region jedoch eine geringe politische Stabilität.

So lag 1998 der Septemberausgabe der Bundeswehrzeitschrift "Information für die Truppe" ein "Reader Sicherheitspolitik" bei, der mit "Risikofaktoren und Risikofelder - Politik/Ökonomie/Ökologie/Militär: Erdölpoker am Kaukasus" überschrieben ist. Eine Karte zeigt die "unerschöpflichen" Ölreserven und Gaslager, die im Kaspischen Becken vermutet werden, zugleich werden potentielle Konfliktgebiete in den Kaukasusländern, Afghanistan, am Schwarzen Meer und in der Türkei ausgewiesen. Zusammenfassend heißt es: "Damit die Anrainerstaaten ihre Ressourcen anbieten können, sind jedoch sichere Besitzrechte, Transportwege zu den Weltmärkten und hinreichende politische Stabilität erforderlich."

In dieser Zeitschrift wird immer wieder der "Wandel der NATO von einer Verteidigungsallianz aus Zeiten des Kalten Krieges hin zu einer Ordnungs- und Stabilitätsunion in und für das Europa des 21. Jahrhunderts, ein Europa mit absehbaren Instabilitäten an seiner Peripherie" propagiert. Das Feindbild der Bundeswehr: "Proliferation, politischer Fundamentalismus und Terrorismus stellen eine Bedrohung für alle dar. Darüber hinaus wirken sich Verknappung von Ressourcen und Migrations- und Flüchtlingsbewegugen auch auf die europäische Sicherheitslage aus." In der Ausgabe "50 Jahre NATO" vom März 1999 wirbt die Zeitschrift unverhohlen für die Selbstmandatierung der NATO unter dem Vorwand, "humanitäre Katastrophen" zu bekämpfen. OSZE und UNO werden beiseite geschoben, da ihre Beschlüsse eine "unzulässige Einschränkung des Handlungsrahmens der Atlantischen Allianz" erbringen könnten. Unter der Überschrift "Eine globale Rolle für die NATO?" wurde dem Krisenmanagement "jenseits der Bündnisgrenzen", also militärischen Einsätzen in aller Welt, bereits damals das Wort geredet.

Im Lichte dieser Interessenlage und der gegenwärtigen Ausweitung der deutschen Militäreinsätze in Afghanistan ist es naheliegend, dass die Bundesrepublik 2001 die "uneingeschränkte Solidarität" gegenüber den USA dazu nutzte, um "einen Fuß" in diese geopolitisch wichtige Region zu bekommen. Es ist deshalb zu befürchten, dass die EU und die USA in den nächsten Jahren im Sinne der Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS) und der National Security Strategy (NSS) u. a. unter dem Deckmantel humanitärer Motive zu einer aggressiven Durchsetzung ihrer energiepolitischen Bedürfnisse übergehen werden. Mit dem European Defense Paper (EDP) aus dem Jahr 2004 liegt für die europäische Ebene bereits ein Planungsdokument zur Legitimation kommender Kriege vor. In diesem Zusammenhang wird der Ruf nach einer "Energie-NATO" immer lauter. Dabei wird die "drohende Unterbrechung der Versorgung mit vitalen Ressourcen" als Verstoß gegen die Sicherheitsinteressen der Mitgliedsstaaten der Allianz gewertet, auf den militärisch reagiert werden soll.

Anstatt durch einen schnellstmöglichen Atomausstieg eine bürgernahe, dezentrale Energieversorgung aufzubauen, mit der die Abhängigkeit von fossilen Ressourcen aus Krisenregionen reduziert wird, werden von Deutschland - unter maßgeblicher Beteiligung von Frankreich und England - in Brüssel die Weichen auf verfassungswidrige Militär interventionen gestellt. Falls sich diese Entwicklung durchsetzt, wird sie dazu beitragen, dass überholte Energieversorgungsstrukturen in Europa konserviert und Klimaschutzziele nicht eingehalten werden können.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Wenn Erdöl und Erdgas knapp werden, wird in Europa und den USA der Ruf nach einer "Energie-NATO" laut werden (Foto: Pixelio/Schütz)
- In der "Strategischen Ellipse", blau markiert, lagern achtzig Prozent der fossilen Energie vorräte weltweit


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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juli 2010