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ASIEN/665: Prügel mit Todesfolgen - Kinderrechte an indischen Schulen missachtet (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. Oktober 2010

Indien:
Prügel mit Todesfolgen - Kinderrechte an indischen Schulen missachtet

Von Ranjit Devraj


Neu-Delhi, 7. Oktober (IPS) - In Indien ist der Direktor einer renommierten Schule festgenommen worden, nachdem ein von ihm geprügelter Schüler Selbstmord begangen hatte. Kinderrechtler hoffen nun, dass der spektakuläre Fall dazu führen wird, dass das Verbot der Prügelstrafe an staatlichen Schulen endlich eingehalten wird.

Sunirmal Chakravarti, der die Schule 'La Martinière' in der ostindischen Stadt Kalkutta leitete, hatte Rouvanjit Rawla im März vor aller Augen mit Stockschlägen bestraft. Kurz darauf erhängte sich der 13-Jährige. Außer dem Direktor wurden drei weitere Lehrer festgenommen. Alle Beschuldigten kamen gegen Kaution zunächst wieder frei.

Chakravarti rechtfertigte sein Handeln damit, dass die Prügelstrafe seit der britischen Kolonialzeit an öffentlichen Schulen gang und gäbe sei. Beobachter rechnen allerdings damit, dass dem Schuldirektor die Missachtung geltender Kinderschutzgesetze zur Last gelegt werden wird.

Der Vorfall hat den guten Ruf der 1836 gegründeten Jungenschule erheblich beschädigt. Zahlreiche einflussreiche Persönlichkeiten, unter ihnen Shashi Taroor, ehemaliger UN-Vizegeneralsekretär, waren in 'La Martinière' ausgebildet worden.

Die Schule hielt sich mit Kritik zurück und stärkte Chakravarti den Rücken. Die Nationale Kommission zum Schutz der Kinderrechte (NCPCR) forderte dagegen nach einer Untersuchung die Absetzung des Direktors. Durch ihre entschiedene Haltung signalisierte die Kommission, dass die Regierung zur Abschaffung der Prügelstrafe an Schulen entschlossen sei.


Staatliche Kommission kämpft für Kinderrechte

NCPCR war 2007 auf der Grundlage eines zwei Jahre zuvor in Kraft getretenen Gesetzes gegründet worden, um die Rechte indischer Kinder zu verteidigen. Die Kommission hoffe, dass die Festnahme von Chakravarti im ganzen Land die Botschaft vermitteln werde, dass die Prügelstrafe nicht mehr hinnehmbar sei, sagte die nationale Koordinatorin von NCPCR, Kiran Bhatti, im Gespräch mit IPS.

"Wir können nicht nachvollziehen, wie jemand in einer solchen Stellung die Übereinkommen zum Kinderschutz verletzen konnte", erklärte Bhatti. "Wir treten dafür ein, dass alle, die vorsätzlich gegen diese Rechte verstoßen, streng bestraft werden."

Ein im April in Kraft getretenes Gesetz, das ein Recht auf Bildung garantiert, erkläre körperliche Züchtigungen in Schulen eindeutig für unzulässig, sagte sie. "Dennoch erreichen uns zahlreiche Beschwerden von Eltern, deren Kinder nach wie vor geschlagen werden."

NCPCR wolle der in der Gesellschaft weit verbreiteten Überzeugung entgegenwirken, dass körperliche Gewalt ein natürlicher Weg sei, um Kinder zu disziplinieren, betonte Bhatti. Den meisten sei nicht bewusst, dass sie mit ihrer Zustimmung zu diesen Praktiken indirekt eine Kultur der Gewalt förderten. Schulleitungen und Lehrer müssten dafür sorgen, dass Kinderrechtsgesetze tatsächlich eingehalten würden, forderte sie.

Indische Zeitungen berichten regelmäßig über brutale körperliche Züchtigungen von Schülern. Im August hatte ein Zwölfjähriger im Bundesstaat Westbengalen die Sprache verloren, nachdem ihm sein Naturkundelehrer mit einem Stock auf den Kopf geschlagen hatte.

Ende September wurde im Bundesstaat Uttar Pradesh ein weiterer Schülerselbstmord bekannt. Ein Mädchen erhängte sich, nachdem sie von einem Lehrer öffentlich gedemütigt und zum Reinigen der Schultoilette gezwungen worden war. Die 13-Jährige gehörte zu den 'Dalit', den einstigen geächteten 'Unberührbaren', die auch nach der offiziellen Abschaffung des Kastensystems gesellschaftlich ausgegrenzt werden.


Elfjährige nach Hitzschlag gestorben

In den vergangenen Jahren waren bereits mehrere Kinder an den Folgen physischer Misshandlungen durch ihre Lehrer gestorben. Im April 2009 starb eine Elfjährige an einem Hitzekollaps. Ein Lehrer hatte sie dazu gezwungen, in der prallen Sonne zu stehen, ohne etwas trinken zu können.

Eine 2007 von der Regierung durchgeführte Studie hatte ergeben, dass es an Schulen häufig zu Misshandlungen kommt. Demnach sind rund 65 Prozent aller indischen Schüler von Lehrern geschlagen worden.

Die in der westindischen Stadt Ahmedabad ansässige Wohlfahrtsorganisation SCT untersuchte vor vier Jahren die Zustände an 41 Schulen in den Staaten Uttar Pradesh, Bihar, Rajasthan und Andhra Pradesh. Dabei stellte sich heraus, dass die meisten Lehrer und Eltern die Prügelstrafe für normal hielten.

In vielen Klassenräumen seien die Stöcke für alle gut sichtbar untergebracht, heißt es in der Studie, die von der Nichtregierungsorganisation 'Plan International - Indien' finanziert wurde.

"Ein Kind wird für ein Vergehen oft mehrmals bestraft", erklärte Chinmay Desai, die an der Studie mitarbeitete. "Erst schlägt der Lehrer zu, dann der Direktor, und am Ende sind die Eltern an der Reihe." Sie alle müssten über andere Bestrafungsmethoden nachdenken und auf das Verbot der körperlichen Züchtigung hingewiesen werden. Die STC-Vizedirektorin Keren Nazareth plädierte dafür, die Kinder auf ihre Rechte aufmerksam zu machen. Dies habe bisher zu den besten Ergebnissen geführt. (Ende/IPS/ck/2010)


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http://ncpcr.gov.in/
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Oktober 2010