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ASIEN/717: Taiwan - Justizirrtum bringt Todesstrafe erneut ins Gespräch (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. Februar 2011

Taiwan: Justizirrtum bringt Todesstrafe erneut ins Gespräch

Von Dennis Engbarth


Taipeh, 7. Februar - In Taiwan hat ein Justizirrtum von 1997 Wasser auf die Mühlen der Todesstrafengegner gegossen. Der Fall veranlasste den Staatspräsidenten des ostasiatischen Landes, Ma Ying-jeou, sich bei den Eltern des Opfers zu entschuldigen, die mehr als zehn Jahre versucht hatten, den guten Namen ihres Sohnes wiederherzustellen.

Der ehemalige Gefreite der Luftwaffe, Chiang Kuo-ching, war im Alter von 21 Jahren von einem Militärgericht wegen Vergewaltigung und Ermordung einer Fünfjährigen zum Tode verurteilt und von einem Erschießungskommando exekutiert worden. Am 28. Januar gaben die Staatsanwälte der Bezirke Taipeh und Taichung bekannt, dass der Fall wieder aufgerollt wird, nachdem ein anderer ehemaliger Angehöriger der Luftwaffe die Tat gestanden hat.

Im Anschluss an die Mitteilung entschuldigte sich Staatschef Ma Ying-jeou bei Chiangs Mutter und versprach alle Rechtsmittel auszuschöpfen, um ihren Sohn posthum zu rehabilitieren und der Familie Entschädigung zu leisten. Der Vater, der mehr als zehn Jahre die Unschuld seines Sohnes beteuert hatte, war im letzten Jahr gestorben. Wenige Wochen zuvor hatte 'Control Yuan', die oberste Kontrollstelle Taiwans, das Verteidigungsministerium aufgefordert, die Beweismittel erneut zu überprüfen.

Wie Lin Hsin-yi von der Taiwanischen Menschenrechtsorganisation 'Alliance to End the Death Penalty' (TAEDP) gegenüber IPS erklärte, werden sich die neuen Untersuchungsergebnisse "definitiv auf die Debatte über die Todesstrafe auswirken". Der Chiang-Fall beweise, dass Richter keinesfalls unfehlbar seien und somit das Festhalten an Hinrichtungen dringend überdacht werden müsse.


Rückkehr zur Todesstrafe nach Vollstreckungsmoratorium

Die Hoffnung auf eine Abschaffung der Todesstrafe hatte April letzten Jahres ein jähes Ende gefunden, als nach einem 52-monatigen Vollstreckungsmoratorium vier Todeskandidaten exekutiert wurden. Angeordnet hatte die Hinrichtungen Justizminister Tseng Yung-fu. Seine Amtsvorgängerin Wang Ching-feng war zurückgetreten, nachdem ihre Ankündigung, sich Hinrichtungsbefehlen grundsätzlich zu widersetzen, einen Eklat ausgelöst hatte.

In ihrem Bericht hatte die Kommissare des Control Yuan herausgefunden, dass der damalige Kommandant des Luftwaffenhauptquartiers, Chen Chao-min, gegen geltendes Militärrecht verstoßen hatte, indem er Mitarbeitern der Spionageabwehr erlaubt hatte, die Untersuchungen zu führen, obwohl sie keinen Rechtsstatus besaßen. Chiang wurde 37 Stunden verhört und gefoltert, bis er die Tat gestand.

Control Yuan bemängelte ferner, dass Chen in der Verhandlung vor dem Militärgericht die Tatsache unberücksichtigt ließ, dass der Angeklagte das Geständnis mit dem Hinweis widerrief, dass es durch Folter zustande gekommen war. Chen, der in Mas erstem Kabinett im Mai 2008 zum Verteidigungsminister ernannt worden war, wurde ebenfalls vorgeworfen, die Verurteilung und Hinrichtung Chiangs beschleunigt zu haben.


Neuer Tatverdächtiger

Seit der Revision der forensischen Beweismittel [steht] nun ein weiterer ehemaliger Angehöriger der Luftwaffe unter Tatverdacht. Hsu Jung-chou saß wegen ähnlicher Delikte bereits 1996 und 2003 im Gefängnis. Er soll das Verbrechen an der Fünfjährigen während eines Verhörs durch Staatsanwälte des Taichung-Bezirks gestanden haben.

Wie aus einer jüngsten Umfrage des Zentrums für Verbrechensforschung der Nationalen Chung-Cheng-Universität hervorgeht, haben 78 Prozent der Bevölkerung erhebliche Zweifel an der strafrechtlichen Kompetenz von Richtern und Staatsanwälten. Dennoch erklärten 59 Prozent der Befragten, Befürworter der Todesstrafe zu sein. Nur 2,2 Prozent äußersten sich klar für eine Abschaffung der Kapitalstrafe. (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Februar 2011