Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

ASIEN/737: Pakistan - Massenproteste nach Osamas Tod ausgeblieben, Ruf nach Abzug von US-Drohnen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. Mai 2011

Pakistan: Massenproteste nach Osamas Tod ausgeblieben - Ruf nach Abzug von US-Drohnen

Von Ashfaq Yusufzai und Zofeen Ebrahim


Abbottabad, Karachi, 5. Mai (IPS) - Nach der Tötung von Al-Kaida-Chef Osama bin Laden durch ein US-Geheimkommando am 1. Mai in Pakistan sind die erwarteten Demonstrationen in dem südasiatischen Land ausgeblieben. Die Zurückhaltung der 170 Millionen Menschen zählenden Bevölkerung offenbart den Popularitätsverlust des einst glühend verehrten Terroristenführers und den Wunsch nach Frieden - auch vor den US-Drohnen.

USA und NATO sollen "zusammenpacken und verschwinden", fordert der Politiker Imran Khan, ein ehemaliger Kricket-Spieler. "Ihr Ziel ist erreicht. Osama bin Laden ist nicht mehr. Es gibt also keinen Grund zu bleiben", sagte er in einem Telefongespräch mit IPS.

Khan ist Vorsitzender der Partei 'Pakistan Tehreek-Insaf' (PTI), die für ein Ende der US- und NATO-Präsenz sowie der zunehmenden Zahl von US-Drohneneinsätzen eintritt. Die unbemannten Flugzeuge werden ausgeschickt, um geheimdienstliche Informationen zu sammeln und Angriffe auf terroristische Ziele zu fliegen. Von 2004 bis 2007 kam es zu zehn, zwischen 2008 und 2011 zu 226 Drohnenangriffen, die etwa 2.000 Pakistaner das Leben kosteten.

Vom 23. bis 24. April organisierte Khan einen Sitzstreik in Peschawar, um den Transport von NATO-Kontainern nach Afghanistan zu verhindern. Solche Streikaktionen sollen in Zukunft fortgesetzt werden. "Sollte es zu einem weiteren Drohnenangriff kommen, werden wir die Routen blockieren, die die NATO für die Versorgung ihrer Truppen in Afghanistan nutzt", kündigte Khan an.

Die Menschen in Pakistan sind die Drohnenangriffe ebenso leid wie die Organisationen, gegen die sie gerichtet sind. Dies erklärt, warum größere Proteste nach dem Tod von bin Laden ausgeblieben sind. Lediglich in Quetta, der Hauptstadt der südwestpakistanischen Provinz Belutschistan, kam es zu kleineren Kundgebungen. Im Rest des Landes herrschte Ruhe.

"Dabei hatten wir mit Mammut-Demonstrationen aufgebrachter Menschenmassen, Säureattacken und Brandanschlägen gerechnet", berichtete Mustafa Khan, Ladenbesitzer in Abbottabad. In der 150 Kilometer nördlich von Islamabad gelegenen Stadt steht die Villa, in der bin Laden im Verlauf einer 40-minütigen Erstürmung den Tod fand. "Überraschenderweise passierte nichts, alles blieb normal", so der Ladenbesitzer.


Vom Helden zum Feind

Das wäre vor zehn Jahren noch undenkbar gewesen. Khan erinnert sich noch gut daran, wie Pakistaner in Scharen auf die Straßen gingen, um gegen die US-geführte Intervention in Afghanistan im Oktober 2001 gegen die damalige Taliban-Regierung zu protestieren.

Damals seien die Pakistaner massenweise durch die Straßen gezogen. "Ich erinnere mich noch gut daran, wie tausende Studenten und andere Menschen in Peschawar und anderswo im Land ihre Solidarität mit den Taliban bekundeten", sagte der Händler aus Abbottabad.

"In einem Land wie Pakistan wird gegen alles Mögliche demonstriert, Proteste gehören zum Alltag", meinte Javid Ali, Student des Instituts für Informationstechnologie in Abbottabad. "Doch Osama bin Laden, der noch vor einem Jahrzehnt auf so viel Unterstützung zählen konnte, interessiert nicht mehr."

Auch die USA hatten Großkundgebungen erwartet und sicherheitshalber am 2. Mai ihre Botschaft und Konsulate in dem südasiatischen Land geschlossen. Doch bereits am nächsten Tag wurden angesichts der ruhigen Lage die Sicherheitsvorkehrungen wieder aufgehoben.


Von Al-Kaida die Nase voll

Taj Muhammad, ein lokaler Anhänger der 'Awami National Parti (ANP), sagt, dass Al-Kaida und Taliban von den Pakistanern inzwischen verabscheut werden. Als Grund führt er die vielen Selbstmordattentate auf Schulen, Bazare, Moscheen und Trauerzüge an, die unzählige unschuldige Menschen das Leben kosteten. "Die Attacken richteten sich gegen Frauen und Kinder und die Armen im Lande. Selten attackierten die Islamisten US-Amerikaner oder Europäer, die sie so gern als Feinde des Islam hinstellen", sagte Muhammed.

Ähnlich denkt Bahir Biour, ANP-Parteiführer und Minister der nordpakistanischen Provinz Khyber Pakthunkhwa. Mit der Popularität der Taliban ging es seiner Ansicht nach abwärts, seitdem die Kämpfer dazu übergingen, Zivilisten zu töten und an Strommasten aufzuhängen. Selbst die Leichen bereits verstorbener Gegner wurden ausgegraben und aufgeknüpft. "Osama war der größte Terrorist der Welt, der den armen Menschen in den Stammesgebieten unter Bundesverwaltung und in Khyber Pakhtunkhwa viele schlaflose Nächte bereitete", sagte Biour.

Ein Englischlehrer am staatlichen Charsadda-College erinnerte daran, dass sich die US-Angriffe auf Afghanistan für die Religionsschulen in großzügigen Spenden niederschlugen. "Die Menschen gaben reichlich", sagte er. "Keiner weiß, was mit den enorm hohen Beträgen geschehen ist. Doch die Spendenbereitschaft wurde stets mit der großen Liebe zu bin Laden erklärt."

Dem ANP-Vertreter Amjad Ali zufolge haben religiöse Parteien wie die 'Jamiat Ulemi' von Maulana Fazlur Rehman und die 'Jamaat Islami' am meisten von der langjährigen Al-Kaida-Popularität profitiert. "Die Allianz dieser Parteien konnte sich 70 Sitze in der Nationalversammlung sichern. Nach den Wahlen 2003 gelang es ihr sogar, in den Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa die Regierung zu bilden.

Nach Ansicht von Jan Alam, einem Geschichtsprofessor am staatlichen Mardan-College, ist das Ausbleiben von Protesten gegen die Tötung Osamas für diese Religionsgruppen eine Schande. (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=55489
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=55501

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 6. Mai 2011
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2011