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ASIEN/738: Taiwan - Tsai-Ing-wen will Präsidentin werden (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. Mai 2011

Taiwan: Tsai-Ing-wen will Präsidentin werden - Gute Chancen für erste Staatschefin Ostasiens

Von Dennis Engbarth


Taipeh, 9. Mai (IPS) - Die Republik China (Taiwan) könnte zum ersten Staat Ostasiens mit einer Frau an der Spitze werden. Den Umfragen zufolge liefert sich Tsai Ing-wen von der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) derzeit ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Staatschef Ma Ying-jeou von der Chinesischen Nationalistenpartei (Kuomintang oder KMT), der den Umfragen zufolge an Rückhalt verliert.

Die DPP nominierte die 55-jährige Wirtschaftswissenschaftlerin, die 1984 ihren Doktor an der 'London School of Economics' gemacht hatte, am 4. Mai zur gemeinsamen Kandidatin für die fünften Präsidentschaftswahlen des Landes. Wenige Tage zuvor hatte die Kuomintang Ma als ihren Kandidaten aufgestellt. Taiwans Demokratisierungsprozess geht auf Juli 1987 zurück. Damals wurde ein 40 Jahre altes, drakonisches Gesetzesdekret aus der Zeit des autoritären KMT-Regimes unter Führung von Chiang Kai-shek aufgehoben.

"In Sachen Gleichberechtigung kann sich Taiwan inzwischen durchaus mit westlichen Ländern messen", meint Hsu Kuang-jung, Professor für Atmosphärenwissenschaften an der Nationalen Universität von Taiwan. "Die Wahl einer Frau zur Staatspräsidentin wäre zweifelsohne ein Durchbruch."

Als Tsais Wegbereiterin gilt Annette Lu, Vorkämpferin der taiwanesischen Frauenbewegung und politische Gefangene während der Zeit der KMT-Herrschaft. Unter dem DPP-Präsidenten Chen Shui-bian diente sie ihrem Land von Mai 2000 bis Mai 2008 acht Jahre lang als Vizepräsidentin.


Politisch erfahren

Tsai wurde Mitte der 1990er-Jahre Beraterin des Nationalen Sicherheitsrats unter Lee Teng-hui, dem ersten in Taiwan geborenen Präsidenten der Republik China und Vorsitzenden der Kuomintang. Sie leitete ferner den Rat für Festlandsangelegenheiten, der für die Beziehungen mit der Volksrepublik China zuständig ist. Sie war DPP-Abgeordnete und Vize-Regierungschefin. Nach der verheerenden Wahlschlappe von 2008 - Ma konnte 58 Prozent der Stimmen und die KMT drei Viertel aller Parlamentssitze erringen - stellte sie sich an die Spitze ihrer Partei und führte sie aus der politischen Krise.

Dass sie sich im Kampf um die Führungsspitze nun als ernstzunehmende Herausforderin positionieren konnte, wird nicht zuletzt der allgemeinen Enttäuschung über die Ma-Politik zugeschrieben. So ergab eine von der 'Global Views Survey Research Company' durchgeführte Umfrage Mitte August, dass knapp 33 Prozent von 1.001 interviewten Taiwanern mit seiner Regierung zufrieden sind. Außerdem erklärte die Mehrheit der Umfrageteilnehmer, Tsai mehr zu vertrauen.


Stern von Ma sinkt

Politischen Analysten zufolge hat Mas Popularitätsverlust verschiedene Ursachen. So hält er sein Wahlversprechen nicht ein, das Wirtschaftswachstum auf mehr als sechs Prozent zu steigern. Außerdem werden ihm Inkompetenz im Umgang mit der Flutkatastrophe vom August 2009, der Rückgang bürgerlicher Partizipation in der Politik und ein Mangel an Transparenz bei den Verhandlungen mit der Volksrepublik China angelastet.

Wie Sun You-lien von der Taiwanischen Arbeitsfront erklärt, könnten sich die Positionen zu Umweltfragen, Entwicklung, wirtschaftliche Ungleichheit und Globalisierung als Zünglein an der Waage herausstellen. Tsai tritt für ein atomwaffenfreies Taiwan bis 2025 ein. Sie gibt ferner der Einrichtung von Arbeitsplätzen vor Wirtschaftswachstum den Vorrang und setzt sich für ein Sozialversicherungssystem ein.

"Wenn Tsai gewinnt, wäre dies eine große Ehre für Taiwan und eine Inspiration für viele patriarchalische Gesellschaften Ostasiens einschließlich Chinas", meint der Generalsekretär der Gewerkschaft 'Taiwan Solidarity Union'.

Inzwischen versuchen die Konservativen, die unverheiratete Tsai mit Fragen nach ihrer sexuellen Veranlagung in Misskredit zu bringen. Die Politikerin lässt sich jedoch nicht provozieren. Niemand habe das Recht, so Tsai, Antworten auf solche Fragen einzufordern. (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Mai 2011