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ASIEN/748: China - Kleine Zugeständnisse mit geringer Wirkung, Todesstrafe bleibt populär (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. Juni 2011

China: Kleine Zugeständnisse mit geringer Wirkung - Todesstrafe bleibt populär

Von Gordon Ross


Peking, 14. Juni (IPS) - China hat in jüngster Zeit zwar einige Schritte unternommen, um die Zahl der Hinrichtungsopfer zu verringern. Dennoch werden im Reich der Mitte nach wie vor mehr Menschen mit dem Tode bestraft als im Rest der Welt.

Im Februar reduzierte die Regierung die die Zahl der Delikte, die mit der Todesstrafe belegt werden können, von 68 auf 55. Somit richtet sich die Kapitalstrafe künftig nicht mehr gegen Vergehen wie den illegalen Handel mit Gold, Silber, Kulturgütern und seltenen Tieren sowie Steuer- und Finanzbetrügereien. Zudem dürfen Menschen, die über 75 Jahre alt sind, generell nicht mehr hingerichtet werden.

Mit den Änderungen reagierte Peking auf Einwände von Rechtsexperten, dass die Vollstreckung der Todesstrafe an Menschen, die sich lediglich Bagatelldelikten schuldig machten, zutiefst ungerecht sei. Die Juristen hatten der Führung der Kommunistischen Partei die Zusage abgerungen, künftig beim Obersten Gerichtshof die Zustimmung für alle Todesurteile einzuholen und durch Folter erzwungene Geständnisse nicht mehr zuzulassen.

In einem weiteren Schritt, die Zahl der Hinrichtungen zu senken, hat das Oberste Volksgericht Ende Mai die Vollstreckung der Todesstrafe für zwei Jahre in Fällen ausgesetzt, in denen eine unverzügliche Umsetzung des Urteils nicht notwendig erscheint. 2007 forderte das gleiche Tribunal die Behörden auf, alle Todesurteile zu überprüfen. Auch sollten nur noch "extrem schwere Verbrechen" mit der Todesstrafe geahndet werden.

Dass durch die jüngsten Neuerungen weniger Menschen hingerichtet werden, gilt allerdings als unwahrscheinlich, zumal die Todesstrafe in der Regel nur selten gegen Delikte verhängt wurde, die inzwischen von der Liste der Kapitalverbrechen gestrichen sind.


Peking hüllt sich in Schweigen

Peking selbst macht keine Angaben zu der Zahl der Exekutionen. Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International gehen jedoch von tausenden Opfern aus. Aus Protest gegen die chinesische Praxis der geheimen Hinrichtungen verweigerte Amnesty im letzten Jahr die Herausgabe ihrer geschätzten Zahl der 2009 in China durchgeführten Exekutionen. Die Dui-Hua-Stiftung, eine Menschenrechtsorganisation in San Francisco, geht für das gleiche Jahr von fast 5.000 aus.

Obwohl international umstritten ist die Todesstrafe in China selbst äußerst populär. So fand 'Sina.com', Chinas größtes Nachrichtenportal, heraus, dass drei Viertel aller Chinesen für die Beibehaltung der Todesstrafe sind. Nur 13,6 Prozent sprachen sich dagegen aus.

"Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich unterstützte die Todesstrafe", sagte Yu Dahai, ein 24-jähriger Manager in Dandong, einer Stadt in der zentralen Provinz Hubei. Die Entscheidung des Volksgerichts, die Vollstreckung der Todesstrafe zwei Jahre lang auszusetzen, hält er für einen Fehler. Sie wird seiner Meinung nach nur dazu führen, dass verurteilte Verbrecher frühzeitig entlassen werden.

Jiang Bo, ein 26-jähriger Ingenieur in Peking, ist der gleichen Ansicht. "Wird in China die Todesstrafe über mehrere Jahre ausgesetzt, bedeutet dies, dass einige Todeskandidaten ihrer gerechten Strafe entgehen", meinte er. "Menschen, die Böses tun, müssen sterben."

Liu Wenjuan, eine 30-jährige Designerin, hält die Anwendung der Todesstrafe in Fällen von Mord, Drogenhandel und anderen "ruchlosen" Verbrechen, aber auch die Überprüfung einiger Todesurteile für angebracht. "Ich denke, dass es eine bessere Idee ist, einem Verurteilten zwei Jahre Zeit zu geben, seine Verbrechen zu überdenken. So lernt er zwischen Gut und Böse zu unterscheiden."


Inflationärer Missbrauch der Todesstrafe

Nach Ansicht von Zheng Fengtian, Professor an Chinas Renmin-Universität, wird die Todesstrafe viel zu häufig und oftmals an den "Falschen" vollstreckt. "In China werden zwei Drittel aller weltweiten Exekutionen durchgeführt", unterstrich er. "Indien wird bald eine ebenso große Bevölkerung wie wir haben, jährlich aber nur 30 Todesurteile. Selbst wenn wir die Todesstrafe nicht abschaffen, müssen wir die Zahl der Hinrichtungen verringern."

Wie Zhang Qingsong, Leiter der Pekinger Anwaltskanzlei Shangquan und Vizevorsitzender der Vereinigung der Pekinger Rechtsanwälte, erklärte, sind die Reformen ein erster Schritt in die richtige Richtung. "Die Todesstrafe steht auf viel zu vielen gewaltfreien Delikten", erläuterte er gegenüber IPS. "Wir sollten nicht darauf warten, dass die chinesische Bevölkerung die Abschaffung der Todesstrafe fordert." (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juni 2011