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ASIEN/760: Malaysia - Revolution im Internet, 'Bersih'-Bewegung setzt Regierung unter Druck (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. Juli 2011

Malaysia: Revolution im Internet - 'Bersih'-Bewegung setzt Regierung unter Druck

Von Lim Li Min


Kuala Lumpur, 28. Juli (IPS) - Nach einer Großdemonstration für Wahlreformen in Malaysia hat ein Regierungskritiker auf einer Seite des sozialen Netzwerks 'Facebook' Ministerpräsident Najib Razak zum Rücktritt aufgefordert. Binnen zehn Tagen haben sich mehr als 200.000 Internet-User der Initiative angeschlossen.

Die Demonstration mit mehreren Zehntausend Teilnehmern und ihr Echo im Internet sind für Beobachter ein Beweis dafür, dass vor allem der Unmut der städtischen Mittelschicht über die Regierung wächst. Najib habe diese Gefahr bisher womöglich unterschätzt, meinen seine Kritiker.

Angehörige unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen haben jetzt gemeinsam gegen den Regierungschef Position bezogen. Bisher waren Parteien in dem südostasiatischen Staat zwischen den Ethnien aufgeteilt. Neben den Malaien, die 60 Prozent der Bevölkerung stellen, leben in den südostasiatischen Staat noch Chinesen und Inder. Etwa 70 Prozent der Malaysier wohnen in Städten, wo sich der Zugang zum Internet immer weiter verbessert.

Der Protest im Internet wurde auch durch das harte Vorgehen der Behörden gegen die Demonstranten in den gelben T-Shirts mit der Aufschrift 'Bersih' (Sauber) geschürt. Bei der Kundgebung am 9. Juli, zu der ein Bündnis unabhängiger Organisationen aufgerufen hatte, nahm die Polizei fast 1.700 Teilnehmer fest. Die meisten wurden kurz darauf wieder freigelassen.


Schläge und Tränengas gegen Demonstranten

Der Fernsehsender 'Al Jazeera' zeigte Bilder von Polizisten, die auf Demonstranten einschlugen, die sich zu friedlichen Sitzblockaden versammelt hatten, und Tränengas einsetzten.

Politischen Beobachtern zufolge steht Najib unter dem Einfluss von Hardlinern, die die Privilegien der malaiischen Bevölkerungsmehrheit verteidigen. Kritikern zufolge ist die Facebook-Kampagne ein ernstzunehmendes Warnsignal, das der seit 2009 amtierende Regierungschef auch im Hinblick auf die kommenden Wahlen ernst nehmen sollte.

"Die Wähler kommen aus der malaysischen Mittelschicht, die ethnisch sehr gemischt ist", sagte der Politikexperte Karim Raslan. Die Regierung müsse diese Gruppen stärker an sich binden. Die Analystin Tricia Yeoh interpretiert das Vorgehen gegen die Demonstranten als Zeichen staatlicher Unsicherheit. "Jetzt sehen immer mehr Menschen, wie viele Risse das System hat."

Die Repressalien gegen die Opposition gehen weiter. Die gelben 'Bersih'-T-Shirts sind nach wie vor verboten. Einige Personen aus dem Umfeld eines oppositionellen Parlamentsabgeordneten wurden festgenommen, weil sie die Hemden in ihren Hotelzimmern getragen hatten. Sechs Mitglieder der Sozialistischen Partei sitzen noch in Haft, weil sie den Protestmarsch öffentlich unterstützt hatten.

Die Hetzjagd auf die Veranstalter der Demonstration hat die Unzufriedenheit in der Bevölkerung weiter gesteigert. Selbst diejenigen, die sich immer als unpolitisch betrachtet haben, beziehen jetzt Stellung.

Die nächsten allgemeinen Wahlen in Malaysia sind für April 2013 angesetzt. Politische Beobachter spekulieren bereits, dass der Urnengang auf dieses Jahr vorgezogen werden könnte. Angesichts der neuen 'Bersih'-Proteste erscheint diese Möglichkeit aber als zunehmend unrealistisch.

Die letzten Wahlen 2008 fanden vier Monate nach der ersten 'Bersih'-Kundgebung statt. Die regierende Nationale Front verlor damals zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit 1957 ihre Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament. Die Opposition setzte sich in vier Bundesstaaten durch.


Regierungschef in der Zwickmühle

Der Zeitpunkt der nächsten Wahlen dürfte also für Najib und die Nationale Front von entscheidender Wichtigkeit sein. Sollte sich Najib zu vorgezogenen Neuwahlen veranlasst sehen, muss er mit Protesten derjenigen rechnen, die das harte Vorgehen gegen die 'Bersih'-Aktivisten nicht billigen. Wartet er zu lange, könnten sich die Wirtschaftslage und somit auch die Wahlchancen erheblich verschlechtern.

Vor dem 9. Juli konnte genoss der Regierungschef in der Bevölkerung ein hohes Ansehen. Nachdem er ehrgeizige Wirtschaftsreformen umgesetzt hatte, stieg die Zustimmung für seine Politik von 45 auf 69 Prozent im Februar, wie das unabhängige 'Merdeka Centre' feststellte.

Dafür ließ Najib aber offensichtlich die schwelenden politischen und sozialen Konflikte außer Acht. Der Ministerpräsident liege mit vielen Malaysiern nicht auf einer Linie, hieß es. Er verstehe vor allem die jungen Leute nicht, die mit dem Internet vertraut seien und keine Angst hätten, offen ihre Meinung zu sagen. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juli 2011