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ASIEN/772: Taiwan - EU als Modell für bessere Beziehungen zwischen Taipeh und Peking (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. Oktober 2011

Taiwan: EU als Modell für bessere Beziehungen zwischen Taipeh und Peking

von Antoaneta Becker


London, 5. Oktober (IPS) - Auch wenn die Europäische Union (EU) derzeit in schwerer wirtschaftlicher See dümpelt, eignet sie sich nach Ansicht einiger Analysten in Fernost als Zukunftsmodell für bessere Beziehungen zwischen Peking und Taipeh.

Auf einem Symposium in London diskutierten Politikwissenschaftler aus Europa und Taiwan kürzlich über Möglichkeiten einer dauerhaften Entspannung beiderseits der Taiwanstraße, die die Inselrepublik Taiwan geographisch von der Volksrepublik China trennt.

Peking sieht in Taiwan weiterhin eine abtrünnige Provinz von Festlandchina, während die Regierung in Taipeh auf Souveränität besteht, auch wenn diese bislang international nur von wenigen Staaten anerkannt wird. In Taiwan wird im Januar 2012 ein neuer Präsident gewählt. Ein paar Monate später steht in Chinas regierender kommunistischer Partei ein Führungswechsel bevor.

Politisch hat Peking seinen Anspruch auf Wiedervereinigung mit Taiwan nicht aufgegeben. Auf dem Festland sind 1.300 Raketen auf die Insel gerichtet. Präsident Ma Ying-jeou ist dennoch zuversichtlich. Nach seinem Amtsantritt 2008 sagte er in einem Interview mit der Deutschen Welle: "Ich hoffe, dass sich die Straße von Taiwan von einem potenziellen Kriegsschauplatz in einen Weg des Friedens und der Prosperität wandelt."

Taiwans derzeitige Regierung der nationalistischen Partei (KTM) setzt auf den Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen zu China. Eine Aussprache über die entscheidenden politischen Differenzen mit Peking soll der Zukunft überlassen bleiben.

Auf Dauer werde Taipeh mit dieser Einstellung scheitern, warnten die in London versammelten Experten. Ohne die gegenseitige politische Anerkennung sei die in der Europäischen Union auf breiter Basis erzielte Integration nicht zu erreichen gewesen, betonten sie. "Ohne ein Konzept und die Bereitschaft, das Thema Souveränität anzusprechen, setzt man an der Taiwan-Straße den gesamten Versöhnungsprozess aufs Spiel", erklärte der Politikwissenschafter Thomas Diez von der Tübinger Universität.

Anders sieht die Zukunftsperspektive Dai Bingran vom Zentrum für europäische Studien an der Fudan-Universität in Schanghai. "Man sollte die Lösung des strittigen Themas Souveränität künftigen Generationen überlassen. Vielleicht ist das Problem in 40, 50 Jahren ohnehin verschwunden. Auch in der EU hat es immer mehr an Bedeutung verloren. Es gibt heute so viele multilaterale internationale Abkommen. Bei jeder Unterzeichnung geben wir etwas von unserer Souveränität auf", betonte er.

Im Rahmen der von Ma verkündeten 'diplomatischen Waffenruhe' hat Taipeh 15 bilaterale Verträge mit Peking abgeschlossen. Sie regeln den direkten Handel sowie Transporte und Postdienste. Seitdem florieren der Austausch von Wissenschaftlern und die private Kommunikation. Allein 2009 waren 1,6 Millionen Festlandchinesen in Taiwan zu Besuch.


Ungewisse Zukunft

Taiwans oppositionelle Demokratische Fortschrittspartei (DPP) befürchtet, dass engere bilaterale Wirtschafts- und Handelsbeziehungen unausweichlich zu einer Vereinigung nach Pekings Regeln führen. Der Präsidentschaftskandidat der DPP, Tsai Ing-wen, kritisiert die KMT. Mit dem Tempo, mit dem sie sich um bessere Beziehungen zu China bemühe, gefährde sie Taiwans De-facto-Unabhängigkeit, meinte der Oppositionspolitiker.

Auch Chinas eindrucksvoller Aufstieg zur Weltmacht ist nach Ansicht der in London versammelten Experten ein Unsicherheitsfaktor, der die Beziehungen der beiden Länder beeinflussen dürfte. Chen Hsin-chih, Dozent an Taiwans nationaler Chen Kung-Universität, sagte IPS: "In diesem Zusammenhang ändern sich Pekings nationale Interessen. Seine lange verfolgte Strategie der Zurückhaltung ist überholt. Festland-China ist zu einer internationalen Macht geworden, mit der zu rechnen ist." (Ende/IPS/mp/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Oktober 2011