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ASIEN/794: Pakistan - Gräuel in Belutschistan leisten Separatismusbestrebungen Vorschub (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. März 2012

Pakistan: Gräuel in Belutschistan leisten Separatismusbestrebungen Vorschub

von Zofeen Ebrahim

Zarmine Baloch hält ein Foto ihres getöteten Bruders hoch - Bild: © Fahim Siddiqi/IPS

Zarmine Baloch hält ein Foto ihres
getöteten Bruders hoch
Bild: © Fahim Siddiqi/IPS
Karachi, 9. März (IPS) - "Wir wollen unser Heimatland und Unabhängigkeit von Pakistan", sagt Zarmine Baloch. "Dafür werden wir bis zum letzten Atemzug kämpfen. Die 23-Jährige aus der pakistanischen Provinz Belutschistan hat kürzlich ihren älteren Bruder Sangat Sana verloren, der als Mitglied der Republikanischen Partei der Belutschen (BRP) gleiche Rechte für die Volksgruppe forderte. Neben ihr sitzt Maheen Baloch, deren Bruder im Mai 2011 unter ähnlichen Umständen ums Leben gekommen ist.

Zarmine ist sich sicher, dass der Tod von Sana ein Racheakt der pakistanischen Armee war, die von internationalen Organisationen wie 'Amnesty International' und 'Human Rights Watch' gravierender Menschenrechtsverstöße in der Region bezichtigt wurde. Vertreter der Organisationen äußerten ihre Anschuldigungen im Februar vor einem Unterausschuss für auswärtige Angelegenheiten des US-Kongresses.

"Die Botschaft war ziemlich deutlich", sagt Zarmine, eingehüllt in einen Ganzkörperschleier, kürzlich im Gespräch mit IPS während eines Sit-ins vor dem Presseclub in der größten pakistanischen Stadt Karachi. Unterstützt wird die Aktion von der Gruppe 'Stimme der Vermissten Belutschistans'. Sana wurde nur eine Woche nach der Anhörung vor dem US-Kongress am 13. Februar getötet.


Vorwürfe gegen pakistanische Geheimdienste

Zwei Tage vorher hatten Zarmine und ihre Schwester der internationalen Presse mitgeteilt, dass sie die Geheimdienste der pakistanischen Armee hinter Sanes Entführung im Dezember 2009 vermuten. Er sei schließlich mit 28 Kugeln getötet und aus einem Hubschrauber abgeworfen worden.

Belutschistan, die größte der vier pakistanischen Provinzen, war ein unabhängiger Staat, bis 1947 Pakistan den Osten und der Iran den westlichen Teil annektierte. Separatistische Rebellen waren in dem Gebiet aktiv, bis 1972 der damalige pakistanische Präsident Zulfikar Ali Bhutto den Aufstand vom Militär niederschlagen ließ. Bis dahin waren bereits Tausende Menschen bei Kämpfen umgekommen. Der Tod des Rebellenführers Nawab Akbar Bugti bei Gefechten mit der Armee führte ebenso wenig dazu, dass der Ruf nach Autonomie in der Provinz verstummte.

Entführungen und gezielte Morde an Separatisten sind in Belutschistan an der Tagesordnung. Seit Jahren schon schlägt die unabhängige Menschenrechtskommission Pakistans Alarm angesichts der Beteiligung der Sicherheitskräfte an den Verbrechen in der dünnbesiedelten Provinz, die unter anderem an den Iran und Afghanistan angrenzt und wertvolle Bodenschätze besitzt.

Sana war einer von rund 14.000 Menschen, die im Laufe der vergangenen Jahre 'verschwanden'. Er gehörte zu den 350 Opfern, deren grausam entstellte Leichen bisher aufgefunden wurden.

"Behandeln Pakistaner so ihre Landsleute?" fragt sich die 16-jährige Shadri Baloch, die die geschundenen Leichen ihres Vaters und zweier Onkel sah. Ihr 20-jähriger Bruder Mazar wird vermisst. "Unsere Bewegung wird durch diese Morde aber nicht geschwächt", meint die junge Frau, in deren Stimme Hass und Schmerz mitschwingen.

Die Anhörung vor dem US-Kongress hat den Konflikt in Belutschistan stärker in den Fokus der internationalen Öffentlichkeit gerückt. Der von dem Abgeordneten Dana Rohrabacher am 17. Februar eingebrachte Resolutionsentwurf, in dem den Belutschen das Recht auf Selbstbestimmung und auf einen souveränen Staat zugestanden wird, hat in Pakistan auf beiden Seiten extreme Reaktionen ausgelöst.

Die pakistanische Regierung und die Medien sehen hinter dem Vorstoß des US-Kongresses "eine Verschwörung, die das Land auseinanderbrechen soll". Die Separatisten in Belutschistan nahmen die Initiative aus Washington dagegen mit Begeisterung auf.


Geteilte Reaktionen auf Rohrabacher-Resolution

Ali Dayan Hasan, der Direktor von 'Human Rights Watch' in Pakistan hat kein Verständnis für die Empörung der Regierung in Islamabad. "Länder werden durch Anhörungen oder Resolutionen des US-Kongresses weder gegründet noch auseinandergebrochen", sagte er. Dies sei allein Angelegenheit der Bürger des betreffenden Staates. Rohrabachers Resolution habe bewirkt, dass die politischen und militärischen Führer Pakistans den Menschenrechtsverletzungen in Belutschistan nun größere Aufmerksamkeit schenkten.

Der Politiker Nawabzada Brahamdagh Bugti, der im selbst gewählten Exil in der Schweiz lebt, hat dagegen das Ausland öffentlich um Unterstützung gebeten. In einer Tele-Konferenz am 22. Februar forderte er die USA zum Einmarsch in Belutschistan auf, damit sie die "ethnischen Säuberungen" beenden. Er sprach sich außerdem für "jede Form der internationalen Intervention" aus, sei es seitens der USA, der NATO oder Indiens.

Der Ministerpräsident von Belutschistan, Nawab Aslam Raisani, hat nach eigenen Angaben Bestätigungen für Berichte erhalten, denen zufolge bereits Ausländer in die Provinz vorgedrungen seien. Er warnte den EU-Botschafter in Pakistan, Lars-Gunner Wigemark, davor, dass eine auswärtige Unterstützung der Separatisten die Provinz an den Rand eines Bürgerkriegs bringen könnte. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://rohrabacher.house.gov/News/DocumentSingle.aspx?DocumentID=281121
http://www.hrw.org/asia/pakistan
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=106972

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 9. März 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. März 2012