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ASIEN/812: Nepal - Versöhnungskommission mit Amnestiebefugnis, Präsident soll Beschluss kippen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 3. September 2012

Nepal: Versöhnungskommission mit Amnestiebefugnis - Präsident soll Kabinettsbeschluss kippen

von Carey L. Biron



Washington, 3. September (IPS) - In Nepal wird sich eine Wahrheits- und Versöhnungskommission mit den im Bürgerkrieg von 1994 bis 2006 begangenen Menschenrechtsverletzungen befassen. Dass das Gremium jedoch befähigt sein soll, Kriegsverbrecher zu begnadigen, hat in- und ausländische Menschenrechtsorganisationen zu massiven Protesten veranlasst. Befürchtet wird, dass die Entscheidung der Straffreiheit Vorschub leistet.

Die Nepalesische Menschenrechtskommission sei nicht zu Beratungen im Vorfeld des Kabinettsbeschlusses hinzugezogen worden, beschwerte sich der Leiter der Institution, Bishal Kanal. Kritik kam auch von nepalesischen Menschenrechtsaktivisten, die der Regierung vorwarfen, die Entscheidung an der Öffentlichkeit vorbei getroffen zu haben.

Die Bildung einer Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC) gilt vor dem Hintergrund, dass der Bürgerkrieg 13.000 Menschen das Leben forderte, als überfällig. Mehr als 1.000 Menschen werden vermisst. Menschenrechtsexperten befürchten, dass die Befähigung der TRC, Einzelpersonen und Gruppen zu amnestieren, die Täter davonkommen lassen wird.

Am 31. August appellierten 'Human Rights Watch', 'Amnesty International', die Internationale Juristenkommission und TRIAL, eine Schweizer Vereinigung gegen die Straffreiheit, an den nepalesischen Staatspräsidenten Ram Baran Yadav, den Kabinettsbeschluss zu kippen. Dieser werde dazu führen, dass die Verantwortlichen für Menschenrechtsverbrechen geschont würden, die Straflosigkeit gefördert und dem nepalesischen Volk Gerechtigkeit vorenthalten werde, heißt es in einem Schreiben. Außerdem sei der Plan weder mit nationalen noch mit internationalen Abkommen vereinbar.

Großbritannien, die USA, die Europäischen Union und neun weitere ausländische Missionen forderten die nepalesische Regierung auf, die NHRC und die Opfergruppen anzuhören, bevor sie derartig weitreichende Entscheidungen treffe. Staatspräsident Yadav hat bereits erkennen lassen, dass er den Beschluss ablehnt.


Handverlesene Kommissionsmitglieder

Umstritten ist der Kabinettsbeschluss auch deshalb, weil er die Ernennung sämtlicher Kommissionsmitglieder einschließlich des Generalstaatsanwalts durch die Regierung vorsieht. Dieser Umstand mache die Kommissionsmitglieder für politischen Druck anfällig, was nach internationalem Standard vermieden werde sollte, so die Menschenrechtsorganisationen in ihrem Brief.

"Dieses Gesetz unterläuft komplett den Versöhnungsgedanken", warnte der HRW-Südostasienexperte Phelim Kine. Der Plan, die TRC mit einem Amnestiemandat auszustatten, lasse die Regierung, die eine Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit angekündigt hatte, unglaubwürdig erscheinen.

Straffreiheit und schwache Rechtsstaatlichkeit sind langjährige Probleme, die der Übergangsprozess im Nachkriegsnepal nun zum Vorschein bringt. Die Schwäche zeigt sich nicht zuletzt an der bisherigen Unfähigkeit, eine neue Verfassung zustande zu bringen. Im Mai wurde die Verfassungsgebende Versammlung durch ein Urteil des Obersten Gerichtshofs aufgelöst. Ein neues Gremium soll im November gewählt werden.

Die an der Regierung beteiligten Maoisten haben nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie einen Wahrheits- und Versöhnungsprozess ablehnen, in dem Amnestien nicht vorgesehen sind. Sie haben sich sogar mit der nepalesischen Armee zugunsten einer Amnestie verbündet. Dahinter steht die Sorge, dass sich ihre höchsten politischen Führer irgendwann einmal vor dem Internationalen Strafgerichtshof verantworten müssten.

Angesichts der ohnehin heiklen politischen Machtverhältnisse in der Übergangszeit sind diejenigen, die die Macht in Händen halten, die Letzten, die sich für einen robusten Wahrheits- und Versöhnungsprozess einsetzen. "Das veranlasst die Opposition, jeden Hebel in Bewegung zu setzen, um die Regierung in der Öffentlichkeit zu diskreditieren", meinte der politische Analyst Prashant Jha in Kathmandu.

Jha zufolge gibt es aber auch innerhalb der demokratischen Parteien Sektoren, die einer Amnestierung von Kriegsverbrechern nicht abgeneigt sind. "Somit kommt der größte Widerstand von der internationalen Gemeinschaft, der nepalesischen Zivilgesellschaft, Anwälten und einzelnen Medien."


TRC vor allem vom Ausland gefordert

In Nepal gibt es zudem Stimmen, die die internationale Gemeinschaft als die treibende Kraft hinter einem starken Wahrheits- und Versöhnungsprozeß sieht. "Es herrscht die allgemeine Ansicht vor, dass es eine Amnestie geben sollte und die internatonale Gemeinschaft mit ihrer Forderung nach einer mächtigen TRC, die den Parteien und der Armee soviel Kopfschmerzen verursacht, erst die Probleme im Lande schafft", sagte ein Journalist in Katmandu, der sich Anonymität ausbat.

Kline von HRW zufolge lehren Erfahrungen aus anderen Ländern, dass eine Amnestie die Gräben, die Bürgerkriege aufreißen, eher vertiefen werde. Nepals Zivilgesellschaft scheint jedoch fest entschlossen, den Übergang im Sinne einer nachhaltigen nationalen Versöhnung zu nutzen. So zogen Ende August Kriegsopfer, Rechtsanwälte, Menschenrechtsaktivisten und Politiker auf die Straße, um gegen den Kabinettsbeschluss zu protestieren.

Einem Bericht einer führenden Menschenrechtsorganisation zufolge hat der ehemalige Maoistenführer Ekraj Bhandari auf einer Veranstaltung in Katmandu am 29. August den politischen Führern vorgeworfen, sich aus Machtkalkül nicht für eine starke TRC zu engagieren. Die von ihnen vorgeschlagene Kommission werde nicht dafür sorgen, die Probleme der Kriegsopfer anzugehen. (Ende/IPS/kb/2012)


Links:

http://nhrcnepal.org/
http://www.ipsnews.net/2012/08/nepali-president-urged-to-reject-war-era-amnesty/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. September 2012