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ASIEN/813: Philippinen - Kirche blockiert Gesetz über Geburtenkontrolle (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. September 2012

Philippinen: Kirche blockiert Gesetz über Geburtenkontrolle - Millenniumsziel in Gefahr

von Marwaan Macan-Markar



Bangkok, 7. September (IPS) - In seiner jährlichen Rede an die Nation appellierte der philippinische Staatspräsident Benigno Aquino III. an die Parlamentarier, die festgefahrene Debatte über fortschrittliche Gesetze zur Geburtenkontrolle wieder in Gang zu bringen.

In dem südostasiatischen Land, dessen Bevölkerung mehrheitlich katholisch ist, sterben nach Erkenntnissen der Regierung jeden Tag schätzungsweise 15 Frauen an schwangerschaftsbedingten Komplikationen. Vor einem Jahrzehnt lag der Durchschnitt bei elf Frauen pro Tag. Somit hat sich das Problem weiter verschärft. In vielen Fällen handelt es sich bei den Opfern um Teenager aus den unteren Bevölkerungsschichten in Städten und ländlichen Regionen.

Seit das Reformgesetz vor mehr als zehn Jahren erstmals ins Parlament eingebracht wurde, sei der Anteil der ungewollten Schwangerschaften um 54 Prozent gestiegen, heißt es in der Untersuchung 'Family Health Survey-2011'. Das geplante Gesetz sieht mehr Wahlmöglichkeiten bei der Empfängnisverhütung, eine bessere Versorgung von Schwangeren und Müttern sowie Sexualkundeunterricht an Schulen vor. Der Studie zufolge lag die Müttersterblichkeitsrate im Zeitraum 2006 bis 2010 mit 221 Todesfällen pro 10.000 Lebendgeburten um 36 Prozent höher als in der Periode von 2000 bis 2005.

Anfang August hatten die Unterstützer des Staatschefs im Repräsentantenhaus Grund zur Freude, als das Parlament durch ein Votum die in einem Ausschuss entstandene Pattsituation hinsichtlich des Gesetzes über verantwortliche Elternschaft, Fortpflanzungsgesundheit und Bevölkerungsentwicklung auflösen konnte. Auf seinem Weg durch den Senat und die Instanzen für Gesetzesreformen trifft der Entwurf jedoch auf den Widerstand einer Minderheit, die eine Verabschiedung des Gesetzes vor dem Ende der Legislaturperiode am 15. Oktober verhindern will.


Verabschiedung während des Wahlkampfs unwahrscheinlich

Die Gegner des Gesetzes wüssten, dass die Befürworter zurzeit die Mehrheit haben dürften. Ihre Strategie bestehe darin, das parlamentarische Verfahren in die Länge zu ziehen, sagte der Abgeordnete Walden Bello von der Partei für Bürgeraktion. "Ab Mitte Oktober wird es dagegen schwierig werden, eine beschlussfähige Zahl von Parlamentariern zusammenzubekommen, weil die meisten von ihnen mit dem Wahlkampf beschäftigt sein werden."

Im kommenden Mai sind auf den 96,4 Millionen Menschen zählenden Philippinen die nächsten Parlamentswahlen geplant.

Nach Ansicht von Bello will eine Minderheit von 120 Abgeordneten im Unterhaus mit insgesamt 285 Mitgliedern der katholischen Kirche helfen, ihren politischen Einfluss auch in der Volksvertretung geltend zu machen. "Die Gegner des Gesetzes hoffen, dass einige Befürworter wankelmütig werden und dagegen stimmen, weil sie befürchten, dass die Kirchenoberen die katholische Wählerschaft gegen sie beeinflussen", meinte Bello.

Lokale Medien berichteten, dass in der von Jesuiten geleiteten Universität von Manila etwa 190 Wissenschaftler, die die Reform gutheißen, von der Kirche unter Druck gesetzt und der Häresie beschuldigt werden. "Das oberste Prinzip des Kanonischen Rechts besteht darin, dass keine Lehre gestattet ist, die gegen die offiziellen Lehren der Kirche verstößt", sagte Bischof Leonardo Medroso einem Radiosender. "Sobald jemand Instruktionen gibt, die den Lehren der Kirche widersprechen, muss gegen ihn ermittelt werden."


Kirche unterstützt Straßenproteste gegen Gesetz

Die katholische Kirche begrüßte Straßenproteste gegen das Gesetzesvorhaben. Bei einer solchen Kundgebung in der Hauptstadt Manila kamen schätzungsweise 10.000 Menschen zusammen. Die Gegner des Gesetzes warnten vor dem Verlust von Familienwerten in einer "Gesellschaft der Verhütung" und warfen dem Staat eine Einmischung in einen Bereich vor, der ihrer Meinung nach der Kirche vorbehalten sein solle.

Die Aquino-Regierung ist durch die Kontroverse international unter Druck geraten. Sollte das Gesetz nicht in Kraft treten, könnte ihr vorgehalten werden, nicht konsequent genug auf die UN-Millenniumsentwicklungsziele zur Armutsbekämpfung hinzuarbeiten. Bis 2015 soll unter anderem die Müttersterblichkeitsrate um 75 Prozent im Verhältnis zu 1990 gesenkt werden.

Philippinische Frauenrechtsorganisationen und UN-Organisationen gehen davon aus, dass sich die anvisierten Fortschritte bei der Müttergesundheit in dem Land nicht erreichen lassen. Der erste Entwurf, der 2001 in das Abgeordnetenhaus eingebracht wurde, sollte auf Tabuthemen wie die Geburtenkontrolle bei Teenagern, Aufklärungsunterricht und die Nachsorge nach Abtreibungen aufmerksam machen, sagte Junice L. Demeterio-Melgar, die das Frauengesundheitszentrum 'Likhaan' leitet. Außerdem sollte das Gesetz der Dezentralisierung des Gesundheitswesens auf den Philippinen entgegenwirken.

Nachdem das Gesetz im Parlament nicht verabschiedet worden war, warnten Experten davor, dass dadurch auch die Armutsbekämpfung behindert werde. Etwa 20 Prozent der Bevölkerung haben täglich weniger als 1,25 US-Dollar zur Verfügung und leben damit unterhalb der von den Vereinten Nationen festgelegten Armutsgrenze. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.un.org/millenniumgoals/
http://www.likhaan.org/
http://www.ipsnews.net/2012/09/nearer-the-church-farther-from-mdgs/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. September 2012