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ASIEN/848: Pakistan - Proteste gegen US-Drohnenattacken an der Grenze zu Afghanistan (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. Juni 2013

PAKISTAN: 'Ground Zero' an Grenze zu Afghanistan - Proteste gegen US-Drohnenattacken

von Ashfaq Yusufzai


Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Opfer eines Drohnenangriffs in Nord-Waziristan
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Peshawar, Pakistan, 17. Juni (IPS) - Obwohl das ständige Brummen der unbemannten Luftfahrzeuge ein guter Grund wäre, um im Haus zu bleiben, strömen die Menschen im pakistanischen Nord-Waziristan in Scharen aus ihren einfachen Unterkünften. Sie protestieren gegen die vielen Drohnenangriffe in der geschundenen Region, die als Hochburg islamistischer Extremisten gilt.

Nord-Waziristan, an Pakistans nördlicher Grenze zu Afghanistan gelegen, wird im Anti-Terror-Kampf der USA rasch zu einem neuen 'Ground Zero'. Seit 2004 sind bei Drohneneinsätzen 3.336 Menschen getötet worden, wie die 'New America Foundation' berichtet.

Während die Regierung in Washington darauf beharrt, mit ihren Drohnenanschlägen gezielt Kämpfer und Verbündete des Terrornetzwerks 'Al Qaeda' ins Visier zu nehmen, berichten Bewohner der Region, dass die ferngesteuerten Flugkörper, die Raketen aus über 3.000 Metern Höhe abschießen können, vor allem Zivilisten treffen.

Imad Ali, der sein gesamtes bisheriges Leben in Nord-Waziristan verbracht hat, verlor bereits zwei Söhne bei solchen Attacken. Die Drohnen seien offenbar nicht in der Lage, zwischen zivilen und militärischen Zielen zu unterscheiden. Ali kritisierte die Luftangriffe als "wahllos und inakzeptabel".


Partei von Ex-Kricketstar Khan ruft zu Demonstrationen auf

Von den rund 30.000 Bewohnern Nord-Waziristans folgen zahlreiche den Protestaufrufen der großen Oppositionspartei 'Pakistan Tehreek Insaf' (PTI), die von dem ehemaligen Kricketstar Imran Khan angeführt wird. Auf Demonstrationen wird ein Ende der Drohnenangriffe auf unbeteiligte Zivilisten gefordert.

"Im Februar habe ich meine Frau und meine älteste Tochter durch Drohnenattacken verloren", klagt der Lehrer Muhammad Rafiq aus Süd-Waziristan. Solange unschuldige Menschen den unbemannten Flugkörpern zum Opfer fielen, werde die Zahl der Gegner immer weiter zunehmen, ist er überzeugt. "Wir verbringen schlaflose Nächte, weil wir ständig mit Drohnen rechnen", sagt er. "Vor allem die Kinder leiden. Sie fürchten, dass sie in der nächsten Minute getötet werden könnten."

Angesichts der hohen Zahl der Toten drohen die Verletzten zu bloßen Fußnoten zu werden. Rasool Bacha ist ein solches Opfer. Er wurde im Januar von einem Granatsplitter getroffen, als er in seinem Haus in dem Dorf Dattakhlel nahe der Grenze zu Afghanistan im tiefen Schlaf lag. "Am Morgen stellte ich dann fest, dass vier meiner Nachbarn tot waren", erzählt der Mann, der noch im Krankenhaus behandelt wird. Nach einem chirurgischen Eingriff erhält er jetzt eine Physiotherapie. "Alle Opfer waren arme Bauern, sie hatten keine Beziehungen zu militanten Gruppen", versichert er.

Bacha berichtet, jeden Tag zwischen acht bis zwölf Drohnen am Himmel zu beobachten. "Wir leben den ganzen Tag über in Angst, obwohl wir wissen, dass die meisten Attacken nach Sonnenuntergang stattfinden."

Während sich die Anwohner vorrangig um ihre persönliche Sicherheit sorgen, nehmen politische Parteien den verbreiteten Unmut in der Bevölkerung zum Anlass, um den USA die Verletzung der Souveränität Pakistans vorzuwerfen.

Nach der jüngsten Angriffsserie, bei der am 29. Mai auch der Vizechef der islamistischen Terrorgruppe 'Tehreek Taliban Pakistan' (TTP), Waliur Rehman, in Nord-Waziristan getötet wurde, sprach der neu gewählte Ministerpräsident Nawaz Sharif von einem "Verstoß gegen das Völkerrecht". Er hielt die USA dazu an, "die Souveränität anderer Staaten zu respektieren".

Am 4. Juni brachte die PTI, die nach einem Erdrutschsieg bei den pakistanischen Parlamentswahlen am 11. Mai eine Koalitionsregierung in der nördlichen Provinz Khyber Pakhtunkhwa (KP) gebildet hat, eine Resolution in das Parlament ein, in der ein sofortiges Ende der Angriffe gefordert wird.

PTI-Sprecher Shaukat Ali Yousafzai beruft sich wie Sharif auf die Souveränität Pakistans und weist darauf hin, dass seine Partei das Problem bereits am 21. Mai 2011 thematisiert habe. Zuvor hatte ein Angriff einen NATO-Konvoi gestoppt, der durch Khyber Pakhtunkhwa in Richtung Afghanistan fuhr.


Parteien nutzen Ressentiments gegen USA für sich aus

Der Widerstand gegen die Drohneneinsätze zur 'Säuberung' der Grenzgebiete von Extremisten wachse, berichtet Muhammad Azeem, der ehemalige Bürgermeister des Distrikts Mardan. Inzwischen verteidigen Parteien wie 'Jamaat Islam' (JI) und 'Jamiat Ulemai Islam' (JUI) die Interessen von Zivilisten, die in Angst vor den unbemannten Luftfahrzeugen leben. Die beiden Parteien versprachen zudem, Angehörige von Volksstämmen zudem vor Militäroffensiven der Regierung zu schützen.

Doch die Operationen, gegen die die Parteien jetzt protestieren, sind bereits seit 2005 in allen sieben Verwaltungsbezirken der so genannten Stammesgebiete unter Bundesverwaltung (FATA) im Gang. Von den 5,8 Millionen Einwohnern der FATA wurden nach Schätzungen des politischen Analysten Javir Hussain etwa 300.000 Menschen durch die Militäreinsätze obdachlos.

Anfang Juni erklärte das Hohe Gericht in Peshawar die Drohnenangriffe für illegal und forderte die Regierung auf, bei den Vereinten Nationen eine Resolution gegen den Einsatz der unbemannten Flugobjekte voranzutreiben. Das Gericht folgte damit einer Petition der Stiftung für Grundrechte in Islamabad, die die Interessen der Angehörigen von etwa 50 bei Raketenangriffen getöteten Teilnehmern einer Stammesversammlung im März 2011 vertritt.

US-Präsident Barack Obama hat jedoch inzwischen angekündigt, an den Drohnenangriffen "gegen Al Qaeda und deren Verbündeten" festzuhalten, weil US-Bürger betroffen seien. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.newamerica.net/
http://rightsadvocacy.org/
http://www.ipsnews.net/2013/06/coming-out-in-droves-against-drones/

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IPS-Tagesdienst vom 17. Juni 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juni 2013