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ASIEN/855: Afghanistan - Zwischen Terror und Korruption, Bürger misstrauen Regierung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. September 2013

Afghanistan: Zwischen Terror und Korruption - Bürger misstrauen Regierung

von Giuliano Battiston


Bild: © Anand Gopal/IPS

Von Bomben zerstörtes Gebäude in Afghanistan
Bild: © Anand Gopal/IPS

Herat, 17. September (IPS) - Die Stabilität der afghanischen Regierung von Präsident Hamid Karsai wird weniger von außen als von innen bedroht. Eine der größten Geißeln ist die Korruption, die sich wie ein Geschwür durch sämtliche staatlichen Strukturen frisst.

"Sie untergräbt den Rest Legitimität, die der Regierung geblieben ist", meint Qader Rahimi von der Afghanischen Unabhängigen Menschenrechtskommission. "Die Bürger misstrauen der Regierung. Sie hat ihrer Meinung nach nicht das Wohl der Allgemeinheit im Auge." Die internationale Staatengemeinschaft habe sich bisher auf die Bekämpfung des Terrornetzwerks Al Qaeda und anderer Extremisten konzentriert. Es sei nun an der Zeit, den größten Feind, die Korruption, ins Visier zu nehmen.

Wie aus einer gemeinsamen Untersuchung der obersten afghanischen Anti-Korruptionsbehörde HOOAC und der UN-Drogenbekämpfungsbehörde UNODC hervorgeht, zahlte etwa die Hälfte der Afghanen im vergangenen Jahr bei Behördengängen Schmiergelder. Die im Februar veröffentlichte Studie 'Korruption in Afghanistan: Jüngste Muster und Trends' beziffert den durch Bestechlichkeit entstandenen finanziellen Schaden auf 3,9 Milliarden US-Dollar. 'Transparency International' führt Afghanistan auf seinem Korruptionsindex 2012 nach Somalia und Nordkorea auf dem dritten Platz.

Den NATO-geführten internationalen Truppen bleibt bis zu ihrem Abzug nur noch etwas mehr als ein Jahr, um den Übergangsprozess in Afghanistan zu Ende zu führen. In dem zentralasiatischen Land wird daher kritisch begutachtet, was die internationale Gemeinschaft und die afghanische Regierung seit dem Beginn des Kriegs gegen den Terrorismus 2001 zu Wege gebracht haben. Viele Afghanen fragen sich, warum sie seit nunmehr zwölf Jahren einen Krieg erleben, der immer zerstörerischer wird.


Zahl der Bürgerkriegsopfer steigt

Nach dem jüngsten Halbjahresbericht über den Schutz von Zivilisten in bewaffneten Konflikten, den die UN-Mission in Afghanistan (UNAMA) veröffentlicht hat, ist die Zahl der zivilen Todesopfer in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres um 23 Prozent gestiegen.

Das fehlende Vertrauen der Bürger in die Regierung ist nach Ansicht vieler Afghanen einer der Gründe, die den Konflikt weiter verschärfen und Antipathien gegen die politische Führung in Kabul schüren. "Es tut sich in der Kommunikation zwischen der Bevölkerung und der Regierung ein riesiger Abgrund auf", bestätigt Abdul Khaliq Stanikzai, Regionalmanager der unabhängigen Sanayee-Entwicklungsorganisation. "Die Menschen haben nicht die Mittel, sich Gehör zu verschaffen und Einfluss auf staatliche Entscheidungen zu nehmen."

Stanikzai zufolge wird das Misstrauen gegenüber der Regierung angesichts der wachsenden Kluft zwischen den Erwartungen und den Fortschritten bei Wirtschaftsentwicklung, Rechtsgarantien, Arbeit der Institutionen und vor allem bei sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit noch weiter zunehmen.

"Nach dem Sturz des Taliban-Regimes hatten die Menschen zunächst auf eine transparente Regierungsführung gehofft. Inzwischen erwartet niemand mehr irgendetwas", so Asif Karimi, Projektkoordinator der lokalen Friedensorganisation 'The Liaison Office'. "Die meisten Bürger sind neutral, sie wollen weder die Karsai-Regierung noch die Taliban."

Mirwais Ayobi, der Jura und Politologie an der Universität von Herat lehrt, sieht hingegen Anzeichen für ein zunehmendes Vertrauen in die Taliban. "Wenn man die Taliban bittet, einen Konflikt zu lösen, konzentrieren sie sich auf Aussöhnung, statt Geld zu verlangen", berichtet er.

Laut der Untersuchung von HOOAC und UNODC variiert die Höhe der Schmiergelder von Behörde zu Behörde. "In der Justiz fallen sie eher höher aus", heißt es. "Staatsanwälte und Richter kassieren im Durchschnitt mehr als 300 US-Dollar." An Vertreter der lokalen Behörden und Zollbeamten gehen etwa 200 Dollar, an andere Staatsbeamte im Schnitt 100 bis 150 Dollar.


Auf politische und wirtschaftliche Veränderungen nicht vorbereitet

Viele Beobachter erkennen hinter den Missständen ein strukturelles Problem. "Noch bis vor wenigen Jahren hatten wir im Prinzip ein sozialistisches Wirtschaftssystem, das während der sowjetischen Besatzung entstanden war", erläutert Rahman Salahi, ehemaliger Vorsitzender der unabhängigen 'Herat Professionals Shura', der Verbände von Anwälten, Wirtschaftswissenschaftlern, Lehrern und Ingenieuren in der westlichen Provinz Herat angehören. "Nach der Ankunft der internationalen Gemeinschaft führten wir ein Freihandelssystem ein, für das es keine angemessenen institutionellen Kontrollstrukturen gab."

Antonio Giustozzi, Gastprofessor am Londoner 'King's College' und ausgewiesener Afghanistan-Experte, gibt zu bedenken, dass die staatlichen Institutionen mit dem Umfang der Hilfszahlungen für das Land überfordert gewesen seien. Das Missverhältnis zwischen der Flut der Hilfsgelder und den Voraussetzungen, damit verantwortungsvoll umzugehen, habe die Korruption weiter gefördert, sagt er. Inzwischen sei die Bestechlichkeit mit dem politischen System verwachsen.

Der Staatengemeinschaft wird vorgeworfen, dass sie durch eine Stärkung der afghanischen 'Warlords' eine Kultur der Straffreiheit ermöglicht habe. "Internationale Organisationen übergaben politische Macht und Geld an Verbrecher, die Tausende Unschuldige ermordet haben und nach wie vor in Korruption verstrickt sind", kritisiert Sayed Ikram Afzali von 'Integrity Watch Afghanistan'. "Die Menschen hofften vergeblich, dass sich alles zum Guten wenden und ihnen Gerechtigkeit widerfahren würde." (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.unodc.org/documents/frontpage/Corruption_in_Afghanistan_FINAL.pdf
http://unama.unmissions.org/LinkClick.aspx?fileticket=6ca_2GLcqS0%3D&tabid=12254&language=en
http://www.sanayee.org.af/english/
http://cpi.transparency.org/cpi2012/
http://www.ipsnews.net/2013/09/afghans-caught-between-terror-and-corruption/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 17. September 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. September 2013