Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → AUSLAND


ASIEN/938: Pakistan - Tausende Vertriebene in Auffanglagern gestrandet (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. März 2015

Pakistan: Erst die Taliban, dann die Armee und jetzt der Hunger - Tausende Vertriebene in Auffanglagern gestrandet

von Ashfaq Yusufzai


Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Vertriebene in einem Aufnahmelager im Norden Pakistans
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Peshawar, Pakistan, 11. März (IPS) - Zeeshan Khan ist Arzt und hat schon sehr viel Elend gesehen. Doch die miserable körperliche Verfassung, in der sich der zehnjährige Ahmed Ali befindet, den er im Jalozai-Flüchtlingslager in der nordpakistanischen Provinz Khyber Pakhtunkhwa untersucht, macht ihm schwer zu schaffen. "Der Junge ist drastisch unterernährt und eine leichte Beute für Durchfall- und andere Infektionskrankheiten", sagt er sichtlich erschüttert.

Der Mediziner weiß, dass er nicht helfen kann. Denn das Problem besteht darin, dass sich in dem Camp 35 Kilometer von der Provinzhauptstadt Peshawar entfernt zu viele Flüchtlinge zu wenig Nahrung teilen müssen. Solange dies der Fall ist, werden Kinder wie Ahmed Ali hungern und Gefahr laufen, dass ihr geschwächter Organismus irgendwann nicht mehr mitmacht.


Drei Millionen Binnenflüchtlinge

Ali kam im vergangenen Jahr mit seinen Eltern und tausenden anderen Menschen nach Jalozai - nach dem Beginn von 'Khyber 1', einer Armeeoffensive in Khyber Pakhtunkhwa. Er, seine Eltern und seine Geschwister gehören zu den etwa drei Millionen Vertriebenen im Norden des Landes, die im Laufe eines Jahrzehnts Städte und Dörfer verlassen mussten. Zuvor waren es Terrorgruppen gewesen, die sie das Weite suchen ließen.

Im vergangenen Juni starteten die pakistanischen Streitkräfte unter dem Codenamen 'Zarb-e-Azab' eine Militäroffensive im Bezirk Nord-Waziristan, in dem die afghanischen Taliban nach ihrer Vertreibung aus Kabul im Jahr 2001 Unterschlupf fanden. Mit der Militäroperation reagierte die Armee auf den Terroranschlag auf den Flughafen von Karachi im Juni 2014.

In die Schusslinie der Soldaten gerieten aber vor allem Zivilisten. Schätzungsweise 900.000 Menschen wurden im vergangenen Jahr vertrieben. Fast alle von ihnen suchten Zuflucht in der alten historischen Stadt Bannu in Khyber Pakhtunkhwa, wo nun rund 90.000 Familien in Zelten leben.


Zu wenig Nahrung und Medikamente

Die vielen Flüchtlinge setzen die Behörden der Provinz unter zunehmenden Druck. Die Neuankömmlinge müssen untergebracht, verpflegt und ärztlich behandelt werden. Zudem sind die ungefähr 2,1 Millionen 'ständigen' Flüchtlinge zu versorgen, die seit der Ankunft der Taliban 2001 aus verschiedenen Teilen der Stammesgebiete unter Bundesverwaltung (FATA) geflohen sind.

Wie der Sprecher der Provinzbehörde für Katastrophenschutz, Adil Khan, erklärt, erhält jede Familie eine monatliche Ration von 90 Kilo Weizen, einem Kilo Tee, fünf Kilo Zucker, zwei Kilo Reis und zwei Litern Speiseöl. Da die meisten Familien aus durchschnittlich mindestens zehn Mitgliedern bestehen, reichen diese Mengen bei weitem nicht aus.


Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Älterer Mann mit Sack voller Lebensmittel
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

In Bannu gelten nach wie vor etwa 454.000 Menschen als Vertriebene, trotz der Bemühungen der Behörden, ihnen feste Unterkünfte zu verschaffen und Familien mit ihren in der Region ansässigen Verwandten zusammenzuführen. Der Leiter der Gesundheitsbehörde, Pervez Kamal, berichtet, dass man im Januar festgestellt habe, dass 15 Prozent der Vertriebenen unterernährt seien.

"Die Nahrungsmittel, die wir bekommen, reichen für meine zehnköpfige Familie nicht aus", berichtet etwa der 60-jährige Darwaish Gul, der früher in dem FATA-Bezirk Bajuar lebte. "Zu Hause waren wir Bauern, die sich selbst versorgen konnten. Wir hatten immer genug Getreide, Gemüse und Obst. Jetzt reicht es nur für eine Mahlzeit am Tag. Wir gehen immer hungrig zu Bett."

Die Provinzregierung indes beharrt darauf, dass Nothilfe und Essensrationen für alle Menschen in den Lagern ausreichen. Die Vereinten Nationen berichteten jedoch im Sommer 2014, dass 31 Prozent der Vertriebenen keine Hilfsgüter erhielten, weil sie keine maschinenlesbaren Personalausweise besäßen.


Kinder ohne Eltern auf der Flucht

Allein von den aus Nord-Waziristan eingetroffenen Flüchtlingen konnten 15 Prozent keine Ansprüche auf Nahrungshilfe geltend machen. Etwa sieben Prozent dieser Familien bestanden ausschließlich aus Frauen und Mädchen. Vier Prozent wurden von Kindern geführt. In anderen Fällen waren Menschen mit Behinderungen oder Ältere die Familienvorstände.


Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Armeeoffiziere überwachen Vertriebene, die Essensrationen in Empfang nehmen
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Viele der Flüchtlinge hatten bei Temperaturen von etwa 45 Grad Celsius einen langen, strapaziösen Fußmarsch hinter sich gebracht. Zahlreiche Menschen brachen auf dem Weg zusammen. Diejenigen, die sich bis zu den Lagern durchschlagen konnten, waren extrem mangelernährt, dehydriert oder auf andere Weise geschwächt.

Da es in den Flüchtlingslagern an Lebensmitteln und Medikamenten fehlt, haben sich Tausende Menschen nicht von den Strapazen erholen können. Sie benötigten eine fachärztliche Behandlung, doch am Ort reicht es nur für eine Basisversorgung. Iqbal Afridi, Repräsentant der pakistanischen Oppositionspartei 'Tehreek-e-Insaf' (PTI) in den FATA, spricht von einer "extrem prekären" Lage.

Viele dieser Menschen warten nur noch auf eine Bescheinigung der Behörden, um aus den Lagern wieder nach Hause zurückkehren zu können. Fast in jeder Woche protestieren in Peshawar Vertriebene gegen die unzureichende Versorgung mit notwendigen Gütern.

Experten warnen inzwischen vor dem Ausbruch von Krankheiten, da es in den Lagern auch an sauberem Wasser fehlt. Für Kinder wie Ahmed Ali könnte dies das Todesurteil bedeuten. Es sei denn, die pakistanische Regierung sorgt für eine nationale Hilfsstrategie, die die Missstände beseitigt. Doch die ist bisher nicht in Sicht. (Ende/IPS/ck/2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/03/first-the-taliban-then-the-army-now-hunger-the-woes-of-pakistans-displaced/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 11. März 2015
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. März 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang