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ASIEN/989: Hinter den Wahlerfolgen - Traum und Wirklichkeit in Nepal (frauen*solidarität)


frauen*solidarität - Nr. 145, 3/18

Hinter den Wahlerfolgen
Traum und Wirklichkeit in Nepal

Ein Kommentar(1) von Radha Paudel


Welche Bedeutung hat die Staatspräsidentin von Nepal für das Leben der Frauen und für den Kampf um Frauenrechte? Welche Hoffnungen haben Feministinnen in sie gesetzt? Und: Welche Bedeutung hat die Frauenquote bei den Wahlen wirklich?


Ich war richtig glücklich und stolz, als Bidhya Devi Bhandari im Oktober 2015 zur Staatspräsidentin gewählt wurde, denn ihr Sieg war auch ein symbolischer Sieg für die Mädchen und Frauen in ganz Nepal. Wenn ich damals Mutter einer Tochter geworden wäre, hätte ich mir dieses Mädchen plötzlich sogar als Staatspräsidentin vorstellen können. Dazu noch die Partei, aus der Bidhya Devi Bhandari kommt: eine linke Partei, die Kommunistische Partei Nepals(2), mit fortschrittlichem Programm. Ich träumte von einer politischen Kultur, in der Frauen in politischen Führungspositionen akzeptiert, in der für Mädchen und Frauen Partei ergriffen wird, sogar in den ländlichen Gebieten. Dieser Wahlsieg war am Anfang total aufregend.


Die Frau an der Spitze...

Mädchen und Frauen haben spezifische Bedürfnisse, Interessen, Kenntnisse und Prioritäten, die von den Männern in der Politik oftmals ignoriert oder als unwichtig abgetan werden. Mit dieser Lage der Mädchen und Frauen haben Aktivist_innen wie ich über Jahrzehnte argumentiert, um mehr Frauen in Entscheidungspositionen zu bekommen. Für eine stärkere politische Partizipation haben wir Petitionen organisiert, haben demonstriert, sind in Hungerstreiks getreten, sind verhaftet worden.

Und nun haben wir eine Frau als Staatspräsidentin! Von Bidhya Devi Bhandari erwarte ich aber eher nur symbolische Akte, die dem Amt entsprechen. Wir als Frauenaktivist_innen sind es gewöhnt, uns isoliert zu fühlen und vom männlichen politischen Führungspersonal komplett ignoriert zu werden. Zum Beispiel starben 2017 innerhalb eines Monats zwei Mädchen, eines 14 und eines 19 Jahre alt, in Menstruationshütten, in denen sie sich aufgrund der Menstruationsrestriktionen aufhalten mussten(3). Von offizieller politischer Seite gab es wie üblich überhaupt keine Reaktion - aber auch Bidhya Devi Bhandari schwieg dazu!

Ich habe mich dann erinnert, dass sie schon vor ihrer Wahl häufig zu Frauenrechtsaktionen geschwiegen hat. Sie hat, bei genauerer Betrachtung, vor und nach ihrer Wahl viele Themen politisch und argumentativ so aufgegriffen, dass die Interessen der männlichen politischen Amtsinhaber gewahrt bleiben.


...ändert für die anderen Frauen nichts!

Inzwischen befindet sich Bidhya Devi Bhandari schon in ihrer zweiten Amtszeit, und die Frauenrechte und Bürger_innenrechte werden immer mehr beschnitten, Mädchen und Frauen immer mehr an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Im Jänner und im Juni 2018 sind wieder zwei junge Frauen, eine 22 Jahre und eine 18 Jahre alt, in Menstruationshütten gestorben. Vergewaltigungen sind zu einem gebräuchlichen Werkzeug geworden, um Frauenrechtsaktivistinnen fertigzumachen.

Obwohl wir also eine Staatspräsidentin haben und eine geschlechtersensible Verfassung, die u. a. eine Quote bei Wahlen vorschreibt, leben 80% der Mädchen und Frauen Nepals in größerer Unsicherheit als je zuvor - in den Familien, Gemeinden, Schulen und auf den Straßen, sie leiden an Diskriminierungen aufgrund ihres Geschlechts, der Kastenzugehörigkeit und Region, in der sie leben.


Die Quote...

Ende 2017 fanden Regional- und Kommunalwahlen statt. Die neue Verfassung schreibt eine Quote an weiblichen Repräsentantinnen von 33% vor - dank dieser Regelung und dank der nepalesischen Frauenbewegung wurden bei diesen Wahlen sogar 41% erreicht(4). Ein großer Erfolg. Aber ein Blick in die jüngere Geschichte Nepals relativiert das. Im mehr als zehnjährigen Bürgerkrieg waren 40% der bewaffneten Kämpfer_innen Frauen. Danach hat Nepal sich zur Umsetzung der Ziele der UN-Resolution 1325 verpflichtet, die in Konflikten alle Parteien dazu aufruft, die Rechte von Frauen zu schützen und Frauen gleichberechtigt in Friedensverhandlungen, Konfliktlösung und Wiederaufbau mit einzubeziehen. Doch real waren Frauen vom Friedensbildungsprozess und dem Allparteiendialog praktisch ausgeschlossen.

Das hat auch damit zu tun, wie die beiden größten kommunistischen Parteien nach dem Ende des Bürgerkriegs agiert haben. Sie versprachen politische Stabilität und verstanden darunter offensichtlich das Unterstützen von Männern bei den ersten Wahlen und den Boykott der weiblichen Kandidatinnen. Inzwischen ist aus den beiden eine einzige Partei geworden: die Kommunistische Partei Nepals, die die Regierung bildet, aber die Frauen offenbar vergessen und ihre Integrität damit verloren hat. Aktuell wird ihr sogar die Registrierung für die nächsten Nationalratswahlen verweigert, weil sie die 33-%-Quote an weiblichen Repräsentantinnen innerhalb der Partei nicht vorweisen kann.


...hat ihre Tücken!

Aus allen diesen Gründen müssen wir unsere Erfolge bei den Regionalwahlen kritisch hinterfragen. Sind die Sitze, die die Frauen errungen haben, wirklich durch Wähler_innenstimmen abgesichert, oder sind sie nur durch die Mandatsverteilungen innerhalb der Parteien zustande gekommen? Gäbe es diese 41% Sitze ohne die Quote? Ist diese Repräsentation wirklich ein Erfolg der Frauenrechtsbewegung?

Tatsächlich wurden nur 9% der Frauen direkt gewählt, im nationalen Parlament sind es noch weniger. Frauen werden durch ihre Parteien weder intellektuell noch finanziell gefördert, um als führende Kandidatinnen in einen Wahlkampf gehen zu können. Die politische Welt in Nepal ist eine sehr patriarchale, und Politikerinnen werden in dieser Welt ebenfalls patriarchal sozialisiert und ordnen sich dem unter. Das zeigt sich am Schweigen der nicht direkt gewählten Politikerinnen zu den vielen dummen Entscheidungen, die in der Regierung und den Parteien getroffen werden.

Auch diese 41% Frauen in den Regionalvertretungen sitzen nun fast alle nur in den zweiten Positionen, sind Vizebürgermeisterinnen oder Vizegouverneurinnen. Offen gesagt, wurden die meisten Frauen bei diesen Wahlen nur zum Schein aufgestellt, um das Leid der Frauen und die Forderungen der Frauenbewegung in den Hintergrund zu drängen. Gewalt und Unterdrückung durch die Ehemänner, aber auch Gewalt aufgrund der Kastenzugehörigkeit, die Menstruationsrestriktionen, das problematische "Brautgeld", Kinderheirat, ökonomische Abhängigkeit und gesellschaftliche Rechtlosigkeit sind nämlich speziell in den ländlichen Regionen nach wie vor Bestandteile des Alltags von Mädchen und Frauen.

Wenn ich also die Wirkung einer weiblichen Staatspräsidentin und große Wahlerfolge von Frauen hinterfrage, sehe ich, dass es bis zu einer als gesellschaftlich wesentlich und wertvoll erachteten Teilhabe der Mädchen und Frauen am sozialen und politischen Leben in Nepal noch ein weiter Weg ist.


Anmerkungen:
(1) Übersetzung aus dem Englischen durch die Redaktion
(2) Ihre Parteifunktionen hat sie nach der Wahl zurückgelegt.
(3) Am 31. Juli 2018 wurde in der Sendereihe "Globale Dialoge" (Radio Orange 94.0) ein Interview mit Radha Paudel zum Thema Menstruationsrestriktionen in Nepal ausgestrahlt. Infos, Links und die Radiosendung zum Nachhören:
http://noso.at/?p=5931
(4) http://result.election.gov.np


Zur Autorin:

Radha Paudel ist feministische Aktivistin in Nepal und Gründerin der NGO Action Works Nepal (https://actionworksnepal.org) sowie der Radha Paudel Foundation. Ihr politisch-autobiografisches Buch "Jumla - A Nurse's Story" (Kathmandu 2016) steht unter der Signatur I E 1189 in der Bibliothek der Frauen*solidarität zur Verfügung. Am 25. April 2018 sprach sie in Wien zum Thema "Women in Emergencies - Opportunities for Change".
Links: www.radhapaudelfoundation.org, www.radhapaudel.org

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Quelle:
Frauen*solidarität Nr. 145, 3/2018, S. 16-17
Text: © 2018 by Frauensolidarität / Radha Paudel
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - feministisch-entwicklungspolitische
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Februar 2019

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