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ITALIEN/020: Europapolitik der Demokratischen Partei Italiens (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 6/2012

Europapolitik der Demokratischen Partei Italiens

Von Jacopo Pepe



Die Demokratische Partei Italiens hat im Jahr 2010 das erste und bis dato einzige europapolitische Strategiepapier verabschiedet, das einige Vorschläge zur Zukunft Europas beinhaltet. Das Dokument wurde allerdings in einer Zeit verfasst, in der die globale Wirtschafts- und Finanzkrise Italien - und Europa - noch nicht mit voller Wucht erfasst hatte. Wie ist der Stand heute?


Nach dem Ende des "Berlusconismus" und während der dramatischen Monate der Zuspitzung der Krise (Sommer/Herbst 2011) hätte man erwartet, dass die PD (Partito Democratico), als größte Oppositionspartei, eine wegweisende Vision für das Land in Europa entwickeln würde. Daher erscheint es umso erstaunlicher, dass dem ersten europapolitischen Strategiepapier keine "neue" und der Zeit angemessene Vision Europas gefolgt ist.

Die Europapolitik der Partei scheint wie aus der Zeit gefallen. Sie gleicht einer farblosen Neuauflage der Ideen Jacques Delors und folgt der Lissabon-Strategie, aber sie liefert keine klaren Antworten zur Lösung der Wachstums- und Wirtschaftskrise und ihren dramatischen Nebenwirkungen: der Verschuldung der Staatshaushalte, der Krise der Sozialversicherungssysteme und der wachsenden Arbeitslosigkeit.

Auch in der praktischen Europapolitik folgt die Partei anderen Initiativen und bringt keine eigenen innovativen Visionen für ein Europa der Zukunft ein.

Dieser Zustand ist auf drei strategisch ungelöste Fragenkomplexe zurückzuführen: Erstens, die widersprüchliche Positionierung der Partei in der aktuellen politischen Machtkonstellation Italiens sowie ihr gespaltenes Verhältnis zu den anderen sozialistischen/sozialdemokratischen Parteien Europas. Zweitens, die unsichere Positionierung der Partei in Bezug auf den Begriff des nationalen Interesses sowie ihre getrübte Sichtweise auf Italiens Rolle in Europa. Drittens schließlich, ihr konfuses Verständnis zur Neuvermessung der transatlantischen Beziehungen.

Zum ersten Punkt ist festzustellen, dass die Wirtschaftskrise, die drohende Zahlungsunfähigkeit des Landes und der Druck der europäischen Partner die PD völlig unvorbereitet getroffen haben, so dass sie sich gezwungen sah, einer technokratischen Regierung ihr Vertrauen auszusprechen und deren Entscheidungen passiv mitzutragen, statt Neuwahlen zu fordern. Die aus dem Milieu der privaten katholisch-liberalen Universitäten stammende technokratische Regierung von Mario Monti hat zwar dem Land - bis jetzt - einen Schein der Stabilität und neues internationales Ansehen verliehen, kann allerdings weder als demokratisch legitimiert noch als wirklich progressiv gewertet werden. Sozial- und arbeitspolitisch verkündet die Regierung (Spar-)Maßnahmen und harte Reformen, ohne dass sie dafür eine vergleichbare demokratische Legitimationsbasis besäße.

Europapolitisch ist ihre strategische Ausrichtung noch verhängnisvoller. Zwar scheinen die Bemühungen des Premierministers Monti um eine deutsch-französisch-italienische Trias durchaus berechtigt. Allerdings dienen sie wohl eher dem kurzfristigen Ziel, Italien aus der Krise zu führen, als dass sie eine langfristige Strategie verfolgen würden, eine dauerhafte Allianz des Landes mit den deutschen und französischen Partnern einzugehen. Der Regierung mangelt es an einer ausgearbeiteten europapolitischen Strategie. Der Premierminister scheint eher auf die vertraute diplomatische Mediationspraxis technokratischer supranationaler (europäischer und internationaler) Institutionen als auf eine zwischenstaatliche Interessenmediation zu setzen. Somit droht dem Land und Europa die Gefahr, dass diese Bemühungen einen rein taktischen und kurzfristigen Charakter annehmen: Sie drohen die erprobte außenpolitische Tradition des Landes fortsetzen und lediglich sprunghafte, taktische und wechselhafte Allianzen einzugehen.

In Europa mehr Demokratie und soziale Gerechtigkeit zu verlangen, aber sich in Italien bedingungslos der katholisch-liberal-konservativen Regierung Montis zu unterwerfen sowie deren europapolitischen Kurs unreflektiert mitzutragen, stellt einen Widerspruch dar, der sich aus einer Fehleinschätzung der Rolle und der Interessen des Landes in Europa erklären lässt.

Womit ich beim zweiten Fragenkomplex wäre: Worin besteht das nationale Interesse Italiens in Europa?

Dieser Widerspruch zeigte sich zuletzt im März, als am Tag des Pariser Treffens zwischen Pier Luigi Bersani (PD), François Hollande (PSF) und Sigmar Gabriel (SPD) 15 hochrangige PD-Politiker (meistens ehemalige Christdemokraten) sich in einem Brief an den Generalsekretär Bersani wandten, um vor einer "Sozialdemokratisierung" der PD und dem Anti-Europäismus eines Hollande zu warnen und sich von der möglichen Allianz mit PSF und SPD zu distanzierten.


Mehr Europa, weniger nationale Souveränität

Das europäische Selbstverständnis der PD scheint in einer für ganz Italien typischen Tradition "naiver" Vorstellungen zur europäischen Integration zu wurzeln, die Europa als Instrument für die Überwindung der eigenen schwachen nationalen Identität sowie der schwachen demokratisch-parlamentarischen Institutionen begreift. Somit scheint die Unterstützung für die "technokratische" und "taktische" Europapolitik der Regierung kohärent zu sein. Die Krise zeigt allerdings, dass "mehr Europa" zweifelsohne größere Abstriche an nationaler Souveränität voraussetzt. Der Teilverlust nationaler Souveränität wird aber wohl weder zu einer Überwindung des Nationalstaates führen, noch zu einer - wenngleich wünschenswerten - Gleichstellung aller Staaten Europas. Zu erwarten ist vielmehr eine weitere Ausdifferenzierung und Hierarchisierung der Mitgliedsstaaten in der EU. Diese Tendenz erfordert folglich auch eine Neubestimmung der Rolle und Funktionen des Nationalstaates.

In diesem Zusammenhang sollte das europapolitische Ziel der PD darin bestehen, eine langfristige Strategie zu formulieren, die das nationale Interesse Italiens als "Mittelmeermacht" mit dem, aus der Sonderbeziehung mit Frankreich entstandenen, Führungsanspruch Deutschlands dauerhaft vereint. Zumal die immer deutlicher zu Tage tretende deutsch-italienische Führungsrolle als Ergänzung zu der deutsch-französischen Achse nicht einfach das vorübergehende Ergebnis der Zusammenarbeit konservativer Regierungen ist, sondern auf gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen der zwei größten Industrieländer in der EU basiert und daher eine mittel- bis langfristige geopolitische und geoökonomische Machtverschiebung darstellt. Ein funktionierendes deutsch-französisch-italienisches Dreieck nach dem Modell des Weimarer Dreiecks aus Frankreich, Polen und der Bundesrepublik würde zu einer verstärkten geostrategischen Kooperation führen und könnte ein wichtiger Schritt in Richtung einer politischen Vereinigung Europas entlang der Nord-Süd-Achse sein. Ein solcher innovativer und pro-aktiver Beitrag einer progressiven Partei aus dem Mittelmeer-Raum wäre daher mehr als wünschenswert. Dieser sollte den anderen sozialdemokratischen Parteien, insbesondere der PSF und der SPD, eine eigene, konsistente und ausgearbeitete strategische Vision anbieten und in dieser die Funktion des eigenen Landes und die eigenen europapolitischen Vorstellungen kohärent vereinen können.


Transatlantische Positionierung

Ein solcher, ebenso programmatisch wie konzeptionell substanzieller, Beitrag kann sich allerdings nur aus einem klaren und kohärenten Verständnis der Rolle Europas in der Welt des 21. Jahrhunderts ableiten. Damit wäre der dritte Fragenkomplex angesprochen: die transatlantische Positionierung der PD und ihre Rolle im europäisch-US-amerikanischen Verhältnis.

Nicht zuletzt die Finanz- und Wirtschaftskrise hat offenbart, dass die USA andere strategische Prioritäten setzen und ihren Fokus stärker auf den transpazifischen und transeurasischen als auf den transatlantischen Raum legen. Eine Interessengleichheit mit Europa wie zur Zeit des Kalten Krieges besteht nicht mehr. Aus einer Schicksalsgemeinschaft ist in den letzten 20 Jahren langsam eine Interessengemeinschaft geworden, die nicht konfliktfrei ist.

Europa muss sich deshalb neu erfinden und als selbstständiger außenpolitischer Akteur handeln. Dies erfordert die Emanzipation von den US-amerikanischen Partnern genauso, "(...) wie jeder junge Mensch, der volljährig wird, sich von seinen Eltern emanzipiert, ohne deshalb zum Feind ihrer Eltern zu werden", wie Egon Bahr in seinem letzten Buch Ostwärts und nichts vergessen betont hat. Dafür ist der alte Transatlantismus als einzige strategische Option des Kontinents eine längst zu kurzsichtige Perspektive. Seine Neuvermessung und Neujustierung ist ein Prozess, über den schon längst in anderen europäischen Ländern - in Deutschland und in der SPD nicht zuletzt - nachgedacht wurde und immer noch debattiert wird. Ein klares und überzeugtes Bekenntnis zum Modell der sozialen Marktwirtschaft als einer Errungenschaft der europäischen Andersartigkeit wäre hierfür ein erster, wichtiger Schritt.

Die notwendige und erwünschte "Europäisierung" der PD sollte kein ahnungsloser Selbstläufer sein, sondern im Rahmen eines neuen Verständnisses der eigenen politischen Positionierung auf nationaler und europäischer Ebene, und unter Beachtung einer neuen Machtkonstellation auf dem Kontinent sowie veränderter transatlantischer Beziehungen erfolgen. Nur so kann ein wirklicher Beitrag zu "mehr Europa" geleistet werden. Es bleibt nur abzuwarten und zu hoffen, dass diese drei strategischen Fragenkomplexe bis zu den nächsten Parlamentswahlen in Italien 2013 positiv gelöst werden.


Jacopo Pepe (*1984) ist Doktorand und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Berlin Centre for Caspian Region Studies der FU Berlin. Er beschäftigt sich mit den deutsch-italienischen politischen und gewerkschaftspolitischen Beziehungen.
(jacopo.pepe@virgilio.it)

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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 6/2012, S. 42-45
herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Siegmar Gabriel,
Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka, Thomas Meyer, Bascha Mika und Peter Struck
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juni 2012