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EUROPA/754: Österreich - "Die Menschen erkennen uns nicht mehr" (Sozialismus)


Sozialismus Heft 7-8/2009

"Die Menschen erkennen uns nicht mehr"
Die Krise der österreichischen Sozialdemokratie und das Brüchigwerden der Dämme

Von Wilhelm Kriehebauer


Der Ausgang der Wahlen zum EU-Parlament vom 7. Juni 2009 wird massive Auswirkungen auf die österreichische Innenpolitik haben. Bei einer Wahlbeteiligung von etwas mehr als 42% hat die Sozialdemokratie eine historische Niederlage erlitten. Sie verlor gegenüber der EU-Wahl des Jahres 2004 fast zehn Prozentpunkte und erreichte nun 23,9%. Dieser dramatische Niedergang wird noch dadurch verdeutlicht, dass die Partei in ihren früheren Hochburgen, etwa in den Industriegebieten der Steiermark, weit über den Bundesdurchschnitt verlor. Nicht weniger drastisch war der Rückgang in den klassischen proletarischen Bezirken Wiens, minus 14,6% im 10. und minus 19% im 11. Wiener Gemeindebezirk. Die Konsequenzen für die österreichische Innenpolitik, insbesondere mit Fokus auf die SPÖ, analysiert im Folgenden Wilhelm Kriehebauer.


Bemerkenswert ist die Tatsache, dass die SPÖ bei allen Wahlen der letzten Zeit deutliche Niederlagen hinnehmen musste. Bei den Landtagswahlen in Kärnten und Salzburg, die Anfang März durchgeführt wurden, verlor sie zehn bzw. sechs Prozent. Gravierend aber auch das Minus von 13% bei den Wiener Arbeiterkammerwahlen. Bei diesen gab es andererseits einen gewaltigen Stimmenzuwachs der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) (bis zu 39%) in vielen Betrieben, in denen "freiwilliger" Lohnverzicht, so genannte Krisenopfer erzwungen worden waren. Der SPÖ stehen massive interne Diskussionen bevor und es ist kaum vorstellbar, dass diese Diskussionen ohne Auswirkungen auf die Regierungsarbeit der SPÖ bleiben werden. Vier große Landesorganisationen der SPÖ müssen sich noch in diesem Jahr (Oberösterreich) bzw. im Jahr 2010 (Wien, Steiermark und Burgenland) Wahlgängen stellen. Vor allem in Wien hier wird im Frühjahr gewählt - wird die FPÖ alle Register ihrer politischen Demagogie ziehen.

Die inhaltlichen Schwerpunkte der in der SPÖ nun einsetzenden Diskussion sind unschwer auszumachen. Bedenken wir doch, dass aus den Wahlen vom 28. September 2008 eine Koalitions-Regierung hervorging, die nicht nur personell, sondern auch inhaltlich eindeutig von der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) geprägt wurde. Eine Mixtur von bürokratischen Eigeninteressen, staatspolitischem Verantwortungsbewusstsein und natürlich auch der Sorge vor einem weiteren Erstarken der Rechten im Falle eines Scheiterns der Koalitionsverhandlungen hatte auf Seiten der SPÖ einen weitgehenden Verzicht auf sozialdemokratische und gewerkschaftliche Zielsetzungen zur Folge - erinnert sei nur an die Steuer- und an die Schulpolitik. In diesem Bereich wehrt die ÖVP alle Ansätze zur Modernisierung, sprich Gesamtschule, bislang erfolgreich ab.

Bereits im Dezember 2008 sprach die konservative "Presse" höhnisch von den "neuen Leiden des Rudolf Hundstorfer" (SP-Sozialminister), und meinte damit nicht nur die zu erwartende Steigerung der Arbeitslosigkeit. "Das ist zwar mit Abstand das größte, aber nicht das einzige Problem, mit dem der frühere ÖGB-Präsident seit seinem Wechsel in die rot-schwarze Bundesregierung Anfang Dezember kämpft. Denn Hundstorfer macht auch zu schaffen, dass er sich in seiner jetzigen Funktion von Forderungen verabschiedet hat, die er als ÖGB-Chef noch vehement vertreten hatte. Egal, ob es dabei um den Wunsch nach einer Vermögenssteuer oder um die Einführung einer Wertschöpfungsabgabe geht".

Bei der zu Beginn dieses Jahres in Kraft getretenen "Steuerreform" wurde eindeutig die Klientel der ÖVP begünstigt. Konkret sank die Steuerbelastung bei einem Einkommen von 2.000 Euro brutto um 45 Euro monatlich, während sie bei Einkommen von 5.000 Euro um 64 Euro geringer wurde. Einkommen von 7.000 Euro wurden gar um 112 Euro entlastet. Die Umverteilung zugunsten der höheren Einkommen wurde mit dieser Reform also weiter forciert. Dies kann nicht im Sinne des ÖGB sein. Die SPÖ droht zerrieben zu werden. Zerrieben zwischen staatspolitischer Verantwortung und inhaltlicher Unterordnung unter die ÖVP - die ja immer die Option zur Bildung einer rechten Regierung hat! - einerseits und einer Welle sozialer Demagogie von Seiten der so genannten "Freiheitlichen" andererseits. Die FPÖ ist zwar in sozialpolitischen und gewerkschaftlichen Fragen absolut inkompetent, doch spielt dies beim Aufgreifen und Verstärken von Angst und Unsicherheit keinerlei Rolle.


"Wir müssen uns durchsetzen"

Wie nicht anders zu erwarten war, kam unmittelbar nach dem Desaster vom 7. Juni die SP-interne Kritik deutlicher zum Ausdruck. Diese Kritik formuliert immer wieder den Vorwurf der "Profillosigkeit", der "Schönwetterpolitik" und einer fehlenden sozialen Orientierung ("die Menschen erkennen uns nicht mehr"). Klare und schärfere Standpunkte in sozialen Fragen müssen von der SPÖ in der Regierung vertreten werden. Am deutlichsten drückte sich zum wiederholten Male der sozialdemokratische Landeshauptmann der Steiermark, Franz Voves aus: Seine Landesorganisation werde die Gewerkschaftsforderungen nach Vermögenssteuern und nach einer Wiedereinführung der Erbschafts- und Schenkungssteuer übernehmen. In einem Interview mit dem "Standard" vom 9. Juni meinte er: "Ich weiß, dass es viele Passagen im Koalitionspapier gibt, die einen Interpretationsspielraum offenlassen. Da wird man hält dem Koalitionspartner erklären müssen: In dieser oder jener Causa wirst du akzeptieren, dass wir uns auch durchsetzen müssen, noch dazu, wenn wir drei Prozent bei der Wahl vor euch gelegen sind. Man darf sich nicht vom Zweiten immer über den Tisch ziehen lassen. Wir müssen für unsere Wähler erkennbar bleiben, dass wir uns in den entscheidenden Fragen durchgesetzt haben". Angesichts dieser Deutlichkeit sind Zweifel angebracht, ob der Appell von Werner Faymann an die Einheit der Partei längerfristig gesehen erfolgreich sein wird.

Die Neuauflage der großen Koalition wird kaum über die volle Legislaturperiode Bestand haben. Es mag schon sein, dass die momentan die Innenpolitik bestimmenden Persönlichkeiten in beiden Parteien "besser" miteinander umzugehen wissen, als dies in der Regierung Gusenbauer der Fall war. Und darüber hinaus ist die Gefahr einer weiteren Stärkung der Strache-Partei natürlich auch ein nicht zu unterschätzendes politisches Bindemittel. Doch mit jeder neuen Schreckensmeldung aus den ökonomischen Sektoren der Gesellschaft werden die Differenzen zwischen den beiden Parteien an Schärfe zunehmen. So muss nach dem Auslaufen der Kurzarbeits-Regelungen im Herbst dieses Jahres mit einem deutlichen Anstieg der Erwerbslosigkeit gerechnet werden. Die zentrifugalen Kräfte innerhalb dieser Koalitionsregierung werden sich, eine logische Folge der Wirtschaftskrise, als weit bedeutender und folgenschwerer erweisen, als dies bei der vorangegangenen großen Koalition der Fall war. Es regieren gegenwärtig zwei Parteien einen immer stärker in den Strudel der Krise gezogenen Staat, die in Kernbereichen unterschiedliche Vorstellungen von der Gestaltung der Zukunft dieser Gesellschaft haben.

Zwei Beispiele sollen diese Aussage verdeutlichen: Bereits im Oktober des Vorjahres meinte der Generalsekretär des VP-Wirtschaftsbundes, Kopf, im Rahmen der Koalitionsverhandlungen zum Thema Privatisierungen: "Die Post ist sicher kein Tabu, der ganze Telekom-Bereich ist kein Tabu, die ÖBB sind kein Tabu. Die Energieversorgung ist im Prinzip auch kein Tabu. Hier muss man natürlich auf lokale Sensibilitäten Rücksichten nehmen. Aber das gehört diskutiert". ("Standard", 27.10.2008) Mit Sicherheit, so Kopf weiter, wird das Koalitionsabkommen keinen Satz aufweisen, in dem ein Nein zu weiteren Privatisierungen steht. Der VP-Politiker forderte überdies eine Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose und äußerte auch die Absicht, erwerbslose Menschen für "gemeinnützige Tätigkeiten" einzusetzen. Zweites Beispiel: Im Februar dieses Jahres sprach sich ein führendes Mitglied des Gewerkschaftsbundes für die Verstaatlichung von Banken aus, wenn dies nötig sein sollte, und meinte wörtlich: "Und zweitens brauchen wir eine Auffanggesellschaft für Betriebe, die Potenzial haben und die Beschäftigung sichern können und in der Krise jetzt quasi unverschuldet zum Handkuss kommen ... Es soll um Betriebe geben, die besonders gefährdet, aber eigentlich kerngesund sind. Diese Firmen sollte man nicht den Private-Equity-Firmen überlassen. Der Staat kann diese Betriebe nach der Krise selbst wieder mit Gewinn voll privatisieren oder samt einer Mitarbeiterbeteiligung verkaufen oder in einer neuen ÖIAG als strategisch wichtig behalten". ("Kurier", 5.2.2009)


Wahlkampfslogan und Realität

Einer der Slogans der SPÖ im Wahlkampf lautete "Wer sorgt für sichere Arbeitsplätze in Europa?" Gemeint war natürlich die Sozialdemokratie. Nun hat die SPÖ in der steirischen Industriegemeinde Leoben nahezu 19% der Stimmen verloren. In dieser Gemeinde produziert der Betrieb AT&S Leiterplatten, der Vorstandsvorsitzende ist Hannes Androsch, der Finanzminister der SPÖ in der Ära Kreisky. Kurz vor den Wahlen vom 7. Juni wurde von der Betriebsleitung verkündet, dass 300 Arbeitsplätze nach Shanghai verlagert werden. Erwähnt werden soll aber auch, dass Androsch wirtschaftspolitischer Berater der SPÖ ist. Und da es sich um keinen dummen Menschen handelt, musste Androsch wissen, dass diese "globalisierungskonforme" Maßnahme sofort von ÖVP und FPÖ freudig aufgegriffen und polemisch gegen die SPÖ gerichtet werden würde. Ein zweites Beispiel dafür, wie sehr die persönliche Karriere mancher Mitglieder der Sozialdemokratie der Partei nicht immer unbedingt nützt: Der Siemens-Konzern wird in Österreich einigen hundert hochqualifizierten Software-Produzenten kündigen. Die Schaffung dieser Arbeitsplätze wurde - nebenbei bemerkt - vom Staat finanziell gefördert. An der Spitze von Siemens Österreich steht die frühere sozialdemokratische Politikerin Brigitte Ederer.

Es wäre natürlich naiv anzunehmen, dass Sozialdemokraten in unternehmerischen Führungspositionen die Entwicklungstendenzen des Kapitalismus und deren reale Konsequenzen einfach aufheben könnten. Aber die erwähnten Beispiele bieten der politischen Konkurrenz eine Steilvorlage, auf die Diskrepanz zwischen Wahlversprechen und Realität hinzuweisen. In dieser nämlich würden Angehörige der Partei, sofern sie sich in wirtschaftlichen Entscheidungsfunktionen befinden, nicht anders handeln als völlig "normale" Manager, die bekanntlich nur eine einzige Weltanschauung haben - die Höhe des eigenen Vermögens.


Der "Triumph" der Volkspartei

Die Volkspartei ging erfolgreich aus den EU-Wahlen hervor. Dies klingt zwar etwas seltsam, hat die Partei doch drei Prozent der Stimmen verloren. Dennoch stellt sie nunmehr die stärkste österreichische Fraktion im Europäischen Parlament, indem sie 29,7% erzielte. Wie nicht anders zu erwarten, leitete die ÖVP-Führung aus dem Wahlergebnis den Anspruch der politischen Führung für Österreich ab. Womit wir also rechnen müssen, ist ein noch offensiveres, selbstbewussteres Agieren der ÖVP. Allerdings ist einem Kommentar in der Tageszeitung "Kurier" (8.6.2009) durchaus zuzustimmen, in dem es heißt: "Tatsächlich hat Josef Pröll gute Gründe, dass die ÖVP ihren Triumph über die Sozialdemokraten nicht allzu offen zur Schau trägt". Die ÖVP, so heißt es weiter, muss damit rechnen, dass die Regierung nach diesem Wahlergebnis "in Turbulenzen" kommen könnte. "Wenn das eintritt, soll klar sein, dass dies allein die Schuld der SPÖ ist, und dass die ÖVP nichts damit zu tun hat, indem sie eben kein Öl ins Feuer gießt". Wir werden es sehen. Doch unabhängig von politischen Spekulationen, lässt sieh feststellen, dass es in Zeiten der schweren Wirtschaftskrise den Konservativen bis jetzt besser als der Sozialdemokratie gelingt, das bei großen Teilen der Bevölkerung zweifellos vorhandene Bedürfnis nach Sicherheit und Stabilität zu befriedigen. Es ist ja alles andere als ein österreichisches Phänomen, dass große Teile der sozialdemokratischen Kernschichten stärker zu politischer Resignation oder zu einer "rabiaten Oppositionshaltung" tendieren, die nicht selten in eine Rechtsentwicklung mündet, als diejenigen der Konservativen.

Ein Blick auf die Wählerstromanalyse zeigt uns, dass die Volkspartei am 7. Juni weit weniger an die Nichtwähler verlor als die SPÖ. 72% der ÖVP-Wähler aus dem Jahr 2004 wählten wieder schwarz, aber nur 60% der SPÖ-Wähler blieben bei ihrer Stimmabgabe. Die SPÖ verlor vor allem an die Nichtwähler und an die "Liste Martin", weniger an die FPÖ. Die Wiener Wahlen werden deutlicher zeigen, ob die Stimmenzuwächse der FPÖ aus dem traditionellen SP-Bereich bereits ausgeschöpft sind. In der politischen Resignation von großen Teilen der sozialdemokratischen Wählerschichten kommt die nicht unberechtigte Sorge und Wut darüber zum Ausdruck, dass sie es sind, die für die Wirtschaftskrise zahlen müssen. Einerseits, indem sie auf Kurzarbeit gesetzt werden, Lohn- und Gehaltskürzungen hinnehmen müssen, oder in die Arbeitslosigkeit gedrängt werden. Der durch die Wirtschaftskrise ausgelöste Schock wird von der Unternehmerseite zunehmend genutzt, um Löhne und Sozialleistungen zu kürzen und bestehende kollektivvertragliche Vereinbarungen mit den Gewerkschaften zu unterlaufen. Kurz: um das soziale Niveau nachhaltig zu senken. Und andererseits müssen diese Schichten damit rechnen, dass schon in naher Zukunft "Sparpakete" zu ihren Ungunsten für die Sanierung der Staatsfinanzen verabschiedet werden. Dies alles in einer Situation, in der nach einer Analyse der Arbeiterkammern die 570 wichtigsten Kapitalgesellschaften des Landes ihren Gewinn zwischen 2004 und 2006 um 38% steigern konnten, während ihre reale Steuerleistung in diesem Zeitraum von 21 auf 17,4% zurückging.

Die sozialdemokratischen Kernschichten erleben also einen Niedergang ihrer gesellschaftlichen Vorstellungen und sie machen die Partei - aber auch die Gewerkschaften - dafür verantwortlich. Tatsächlich vermittelt sozialdemokratische Politik schon seit vielen Jahren immer weniger den Eindruck, Gesellschaft gestalten zu können. Man könnte auch sagen, dass die Sozialdemokratie eher von der gesellschaftlichen Entwicklung geprägt wurde als umgekehrt. Vor allem von großen Teilen der jüngeren Generationen wird die SPÖ als Teil des "etablierten Systems", als "alte Partei" wahrgenommen, während es der FPÖ bemerkenswerterweise noch immer gelingt, sich als "junge Opposition" darzustellen. Hervorhebenswert ist dies deshalb, weil die "Freiheitlichen" einige Jahre lang in einer Koalitionsregierung mit der ÖVP waren und extremer Postenschacher sowie der Abbau von sozialstaatlichen Standards zu den Wesensmerkmalen dieser Regierungsperiode gehörten. Die Faktizität der ökonomischen Entwicklung, der vielzitierte wirtschaftliche "Sachzwang" hinterließ zwar auch bei den Konservativen Spuren und Schrammen. Aber sie haben diese Entwicklung bislang besser überstanden als die Sozialdemokratie, der heute eine Welle von Wut und Enttäuschung entgegenschlägt. Eine Welle, die auch ihre rechten Ausläufer hat: "Das österreichische politische System, das so lange erfolgreich war, leidet unter Zerfallserscheinungen: Verlotterung der demokratischen Sitten, Aufstieg der extremen Rechten und von bizarren Rappelköpfen, Schwäche der zivilisierten Kräfte. Wenn ÖVP oder SPÖ wider alle Erfahrung die extreme Rechte doch weiter als Partner sehen, statt sie energisch und einfallsreich zu bekämpfen, dann wird das in der Zerstörung des demokratischen Systems enden". ("Standard", 10.6.2009)


Ein Wahlerfolg der "Kronen-Zeitung"?

Wenden wir uns den anderen Parteien zu. Bemerkenswert ist das Ergebnis der Liste des Journalisten und EU-Abgeordneten Hans-Peter Martin. Diese Liste konnte ihren Stimmenanteil um 3,9 auf 17,9% erhöhen. Hans-Peter Martin (der Autor von Globalisierungs- und EU-kritischen Büchern) hat sich vor einigen Jahren von der SPÖ getrennt und wurde Kolumnist der "Kronen-Zeitung", womit wir schon eine Erklärung für seinen Wahlerfolg angesprochen haben. Denn diese Zeitung - eine der weltweit größten Tageszeitungen - unterstützte diese Liste massiv. Täglich wurden Martin zwei Seiten des Blattes zu Verfügung gestellt. Seine politische Linie ist eine Mischung aus einer Kritik an der EU-Bürokratie, an den Privilegien des EU-Apparates einerseits, bei einer gleichzeitigen deutlichen Abgrenzung gegen Rechtspopulismus andererseits.

Es ist durchaus möglich, dass dieser Wahlerfolg Ansporn genug war, um bei kommenden Wahlen auf regionaler oder nationaler Ebene eine Kandidatur anzustreben. Es gab in den letzten Jahren in diesem Land wiederholt Versuche, "bürgernahe" Listen zu positionieren, die zwar die etablierten Parteien kritisieren, sich aber gleichzeitig von der FPÖ abgrenzten. Es ist vorstellbar, dass Martin bei der Bündelung all dieser Bestrebungen in der Zukunft eine zentrale Rolle einnehmen wird. Wenn derartige Kandidaturen indes zustande kommen sollten, wird Martin vermutlich Probleme mit der inhaltlichen Ausrichtung der "Kronen-Zeitung" bekommen. Denn wie kaum eine andere Zeitung, die "Presse" einmal ausgenommen, wettert dieses Blatt gegen die Vermögensbesteuerung. Sozialdemokraten und Grüne, die für Änderungen im österreichischen Steuersystem eintreten, sich für eine stärkere Belastung von Vermögen, für Erbschaftssteuern und für die Besteuerung von Stiftungen aussprechen, werden in der "Kronen-Zeitung" auf eine rabiate und denunziatorische Art und Weise als "Kommunisten" diffamiert und die Vermutung, nach der die Eigeninteressen des milliardenschweren Eigentümers des Blattes den wirklichen Grund für diese Blattlinie abgeben, sind wahrscheinlich nicht ganz unberechtigt. Martin wird sich also entscheiden müssen. Setzt er weiter auf die Unterstützung dieses Blattes oder konkretisiert er seine Aussage, nach der die SPÖ in sozialen Fragen versagt habe. Letzteres wird aber ohne Forderungen nach einer Änderung der Steuerpolitik nicht möglich sein.


Den Keynesianismus im Visier

Die "Kronen-Zeitung" führt allerdings nicht nur eine Kampagne gegen Politiker, die sich für Änderungen im Steuersystem aussprechen. Im Zentrum ihrer Angriffe steht das "Wirtschaftsforschungsinstitut" (Wifo), in dem eine Reihe von keynesianisch orientierten Wissenschaftlerinnen arbeitet. Am 19. April dieses Jahres war der "Kronen-Zeitung" unter dem Titel "Woher die vielen Millionen des Wifo kommen und wer dort am Werk ist" zu entnehmen, dass es sich um "ein seltsames Treiben der Wirtschaftsforscher" handeln würde, das im Finanzministerium mit "Argwohn beobachtet" wird. "Da führt beispielsweise eine Frau Schratzenstaller, die für die weit links angesiedelte Rosa-Luxemburg-Stiftung Grundsatzpapiere geschrieben hat, das große Wort". Es geht dem Blatt aber nicht allein um eine inhaltliche Diffamierung des Wifo, sondern auch darum, dem Institut finanziell zu schaden. Wenn etwa aufgelistet wird, aus welchen Quellen ("öffentlichen Töpfen") das Institut seine Arbeit finanziell absichert, dann ist unschwer ein nicht ausgesprochener Appell zu erkennen, das Institut finanziell auszuhungern. Am 12. Juni 2009 meldete der "Standard", dass die Industriellenvereinigung die finanzielle Förderung des Wifo halbiert habe. "Die Industrie argumentiert mit Sparnotwendigkeiten, macht aber auch keinen Hehl daraus, dass die Vorschläge einzelner Wirtschaftsforscher einige industrielle Kragen zum Platzen gebracht haben - vor allem jene in Richtung Vermögenszuwachssteuer". Halten wir noch fest, dass das Wifo bereits im Jahr 2002 vom damaligen FPÖ-Finanzminister Grasser angegriffen wurde. "Dem glühenden Anhänger des damals hippen Neoliberalismus schien das keynesianisch ausgerichtete Wifo ebenfalls als Hort staatsfreundlicher Umtriebe. Grassers Budgets wurden regelmäßig kritisch hinterfragt".


Ein Probelauf für die Wien-Wahlen

Die FPÖ führte einen sehr harten und konsequenten Wahlkampf, in dem alle Register der rechtspopulistischen Demagogie gezogen wurden. Völlig zutreffend stellen viele kommentierende Stimmen fest, dass dieser Wahlkampf für die "Freiheitlichen" gewissermaßen so etwas wie ein Probelauf für die im Frühjahr 2010 anstehende "Schlacht um Wien" war. Nach den aktuellen Umfragen wird die SPÖ maximal 43% der Stimmen in Wien bekommen und die FPÖ mehr als 25%. Volkspartei und Grüne werden in dieser Auseinandersetzung mit Sicherheit keine bedeutende Rolle spielen. Im EU-Wahlkampf der FPÖ wurde von "Verrätern" gesprochen und der "Tag der Abrechnung" beschworen. Da wurde ein simples Holzkreuz von Heinz-Christian Strache zum Himmel gehoben - ganz so, als würde es heute wieder um die Abwehr des "Türkenansturms" aus den Jahren 1529 und 1683 gehen. Fehlte nur noch der Aufruf, einen neuen Kreuzzug zu beginnen. Aber das kann ja noch kommen. Dieser Appell an die "christlichen Wurzeln" Europas zeigt einmal mehr die absolute ideologische Beliebigkeit der FPÖ. Denn das so genannte dritte Lager war ja historisch eher antiklerikal geprägt. Doch die absolute ideologische Beliebigkeit wurde schon von Jörg Haider erfolgreich praktiziert und Strache folgt hier ganz den Spuren seines "Meisters".

Es wurde von der FPÖ aber nicht nur das "Abendland" beschworen, das doch weiter in "Christenhand" bleiben solle, es wurde auch ganz bewusst die antisemitische "Karte" gespielt. Drohe doch nicht nur ein EU-Beitritt der Türkei, sondern auch Israels. Der Spitzenkandidat der FPÖ, ein mäßig begabter deutsch-nationaler Ideologe namens Andreas Mölzer, ist auch Herausgeber einer Zeitung die sich "Zur Zeit" nennt. In diesem Blatt wurde Ende April behauptet, dass es "überwiegend Angehörige des jüdischen Volkes waren, welche die derzeitige schwere weltweite Wirtschaftskrise ausgelöst haben". Diese historisch wie auch aktuell blödsinnige und jeder Realität widersprechende Anspielung auf das "raffende" - also jüdische Kapital - konnte nicht ausbleiben.

Und schließlich wurde der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Muzicant, von dem Dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf - ebenfalls FPÖ - (auf den ich noch zu sprechen komme) als "geistiger Ziehvater des Linksterrorismus" diffamiert. Muzicant hatte gegen die Wahlkampfmethoden der FPÖ protestiert - so wie Vertreter von SPÖ, ÖVP, Grünen, aber auch der Kirchenverbände. Sozialdemokraten und Grüne sprachen sich daraufhin für eine Abwahl von Graf aus, was allerdings von der ÖVP abgelehnt wurde. Ein weiteres Indiz dafür, dass sich die Volkspartei die Option einer rechten Regierung offen lässt.

Es ist in diesem Zusammenhang zu betonen, dass die Gegner einer Regierungsbildung mit der SPÖ innerhalb der Volkspartei nach dem 28. September 2008 durchaus einflussreich waren. Hier sei vor allem auf die ÖVP-Landesorganisation der Steiermark verwiesen. Im "Standard" vom 16. Oktober 2008 heißt es dazu: "Die Steirer, die Pröll am Donnerstag bis nach Mitternacht laut ihre Meinung gesagt hatten, sind ja nicht nur aus Eigensinn gegen die Neuauflage der rot-schwarzen Koalition. Sie zählen zum Teil zu jener Gruppe in der ÖVP mit Ex-Klubchef Wolfgang Schüssel, Vizekanzler Wilhelm Molterer und Wirtschaftsminister Martin Bartenstein, die es noch einmal mit dem rechten Lager versuchen wollen. ‹Lieber Heinz-Christian Strache an der Macht teilhaben lassen, als ihm später die ganze Macht geben‹, erläutert einer aus diesem Kreis das Kalkül. Natürlich kommt hinzu, dass sich diese Gruppe den Blauen und Orangen näher fühlt, als den verhassten Roten". Diese Gruppierungen innerhalb der Volkspartei sind nach dem Dezember des Vorjahres - dem Zeitpunkt der Regierungsbildung - für das erste in den Hintergrund getreten. Aufgegeben haben sie aber die Zielsetzung einer Wiederholung des Jahres 2000 - die Bildung einer Regierung mit der FPÖ - keineswegs. Sollte die Sozialdemokratie in naher Zukunft ihre Inhalte stärker betonen und vor allem auf deren Realisierung drängen (Stichwort Steuerpolitik), wird das politische Gewicht der FPÖ-orientierten Fraktion innerhalb der Volkspartei wieder zunehmen.


Getrennt marschieren, vereint...

Die Reaktion der FPÖ auf die Kritik an ihrem Wahlkampf erfolgte nach einer schon vom "Meister" erfolgreich angewandten Methode: Man erklärt sich zum eigentlichen Opfer. Da wird von "Kampagnen gegen Österreich", die in der Kritik an der FPÖ zum Ausdruck kommen würden, gefaselt. Eine "Hetze gegen die Freiheitlichen" würde von Seiten der "Heimatnestbeschmutzer" stattfinden, die Medien permanent "manipulieren". "Man will uns offenbar zum Freiwild erklären, zu den Verfolgten der Neuzeit machen", lamentierte Strache im Wahlkampf Und immer wieder wird bei derartigen Veranstaltungen die rechte Hand zum Hitler-Gruß gehoben, wenngleich meist mit den drei gespreizten Fingern. Eine offene Verhöhnung des demokratischen Rechtsstaates, wie sie in der Zwischenkriegszeit gang und gäbe war. Denn der offen gezeigte Hitler-Gruß steht unter Strafandrohung, fällt er doch unter das Verbotsgesetz. Man wolle ja nur drei Bier bestellen, so die inzwischen gängige "Erklärung" für diese Bewegung des rechten Arms.

Das Wahlergebnis der FPÖ stellte allerdings alles andere als den erwarteten Erdrutsch-Sieg dar. Die Partei hatte bei den EU-Wahlen des Jahres 2004 nur etwas mehr als sechs Prozent erreicht. Dies zu einem Zeitpunkt, an dem die "Bewegung" in schwere innere Auseinandersetzungen verwickelt war, die in der Haider-Schöpfung BZÖ (Bewegung Zukunft Österreich) mündeten, also zur Spaltung der Partei führten. Die nun erreichte Verdoppelung der Stimmenanzahl wurde von der FPÖ-Führung zwar entsprechend gefeiert, doch sollte das Triumphgeheul nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Partei weit hinter ihren Erwartungen zurückgeblieben ist.

Das BZÖ konnte die Fünf-Prozent-Hürde nicht überschreiten und ist damit nicht im Europäischen Parlament vertreten. Noch im März dieses Jahres hatte diese Partei einen klaren Wahlsieg in Kärnten gefeiert (hier wurde der Totenkult zum ausschlaggebenden Faktor der Wahl). Dieser Wahlsieg, aber vor allem das Ergebnis bei den Nationalratswahlen vom 28. September 2008, wo die Haider-Partei erstaunlich viele Stimmen von der ÖVP auf sich ziehen konnte, lassen eine Wiedervereinigung der zerstrittenen politischen Rechten kurzfristig als sehr unwahrscheinlich erscheinen.

Die Strategie könnte perfekter nicht sein. Das BZÖ vermittelt seine rechten Inhalte eher in einem moderaten Ton, vermeidet Straches schrilles, geradezu hysterisches Auftreten. Die Haider-Schöpfung gibt sich verantwortungsbewusst, erklärt immer die Bereitschaft, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Kurz: Zielgruppe des BZÖ sind vor allem klassische kleinbürgerliche ÖVP-Wählerbereiche, die vor der verbalen Radikalität einer FPÖ eher zurückschrecken. So marschieren die beiden zerstrittenen "feindlichen Brüder" zwar getrennt, haben aber eine Zielsetzung, die sie irgendwann wieder vereinigen wird: die beiden "Systemparteien" zu schwächen - jeder auf seine Art und Weise.


Keine Chance für Rot-Grün

In der gegenwärtigen zugespitzten gesellschaftlichen Auseinandersetzung haben es die Grünen als Oppositionspartei nicht gerade leicht, ihre Inhalte und Zielsetzungen zu vermitteln. Der Verlust von fast drei Prozent der Stimmen gegenüber der EU-Wahl des Jahres 2004 - die Partei kam am 7. Juni auf 9,8% der Stimmen - lässt sich aber nicht alleine auf dieses Faktum zurückführen. Innerparteiliche personelle Veränderungen spielen dabei ebenso eine Rolle, wie eine damit verbundene gemäßigte Linksentwicklung. Die neue Parteiführung steht der Entwicklung der EU, vor allem in sozialen Fragestellungen, kritischer gegenüber als dies in der Vergangenheit der Fall war. Und auch in der innerösterreichischen Debatte um eine stärkere Besteuerung von Vermögen hat die neue Parteiführung eine klare Position auf Seiten der Gewerkschaften und der SPÖ-internen Kritiker bezogen. Diese durchaus gemäßigte Linksentwicklung ist vielleicht auch die Erklärung dafür, dass die Grünen am 7. Juni relativ viele Stimmen an die Volkspartei verloren haben. Es gibt eben ein gesellschaftliches Segment, das sich demokratiepolitisch durchaus an den Grünen orientiert, in Wirtschaftsfragen sich aber eher der Volkspartei verbunden fühlt. Die strategische Ausrichtung auf eine Koalitionsbildung zwischen SPÖ und Grünen zu diskutieren, ist in der momentanen Situation leider müßig.


Der "lange Marsch" der Rechten

Es gehört zu den parlamentarischen Gepflogenheiten in diesem Land, dass die drei Präsidenten des Nationalrates dem Wahlergebnis entsprechend gewählt werden. Dies ist ein Reglement, das weder in der Verfassung verankert ist, noch einem Gesetz entsprechend durchgeführt wird. Nach der Angelobung der neuen Koalitionsregierung im Dezember 2008 nominierte die FPÖ als an Stimmen drittstärkste Partei also den schon erwähnten Martin Graf für das Amt des Dritten Nationalratspräsidenten. Dieser Martin Graf ist Mitglied einer durchaus traditionsreichen Burschenschaft namens "Olympia". Denn schon 1889, so ist es einer Festschrift aus dem Jahr 1996 zu entnehmen, wurden "dem Gebot der Zeit folgend die jüdischen Mitglieder entlassen". Welche Rolle die Mitglieder dieser Burschenschaft in der Zwischenkriegszeit, vor allem nach dem "Anschluss" des Jahres 1938 spielten, ist unschwer zu denken. Im Jahr 1961 wurde die "Olympia" behördlich aufgelöst, weil einige ihrer Mitglieder sich an den Sprengstoffattentaten in Südtirol beteiligt hatten. Auch Norbert Burger, Gründer der kleinen österreichischen Nazi-Partei NDP, war Mitglied dieser "feinen Gesellschaft". Im "Ring Freiheitlicher Jugend" lernte Graf in den späten 1980er Jahren Strache kennen und so bekam dieser Kontakt zu Burger und dessen Töchtern. Es kamen die Jahre, in denen die so genannten Keller-Nazis (so nannte der damalige FPÖ-Vorsitzende Steger jene "Grüppchen", die versuchten, in der FPÖ und mit Hilfe dieser Partei Karriere zu machen) ihren "langen Marsch" durch die Institutionen antraten. Diese Bemühungen wurden natürlich durch Haiders innerparteiliche Machtübernahme 1986 außerordentlich begünstigt und sie erhielten mit der Bildung der ÖVP/FPÖ-Regierung im Jahr 2000 einen gewaltigen Schub in Richtung Besetzung von Bastionen innerhalb der Institutionen. "Unter Schwarz-Blau waren Graf und Freunde salonfähig geworden. Als FPÖ-Wissenschaftssprecher schlug Graf für die neu geschaffenen Uniräte ein halbes Dutzend Verbindungsbrüder vor". ("profil", 8.6.2009)

Es waren einzig die Grünen, die sich im Dezember offen gegen die Wahl Martin Grafs zum Dritten Präsidenten des Nationalrates aussprachen. Sozialdemokratie und Volkspartei gestatteten zwar ihren Abgeordneten die freie Abstimmung, d.h. es gab keinen Klubzwang, dennoch wurde Graf mit einer Mehrheit gewählt. Mit anderen Worten: Viele Abgeordnete der Volkspartei, aber auch der Sozialdemokratie müssen für ihn gestimmt haben. Schon wenige Wochen nach seiner Wahl in eines der höchsten Ämter der Republik sorgten parlamentarische Mitarbeiter von Martin Graf für politische Turbulenzen. Hatten diese doch "einschlägiges Material" beim rechtsextremen deutschen "Aufruhr"-Versand bestellt - Lieferadresse war natürlich die "Ostmark". Unter den bestellten Artikeln befanden sich T-Shirts mit der Aufschrift "Es lebe das Deutsche Reich" und Musik von einschlägig orientierten Bands wie "Weiße Wölfe" oder dem Nazi-Barden Michael Müller ("Mit sechs Millionen Juden, da fängt der Spaß erst an"). Auf die entsprechende Empörung von Grünen, Sozialdemokratie und Volkspartei reagierte Graf sehr gelassen. Er selbst würde derartigen "Nazi-Schund" natürlich nicht bestellen, meinte er. Aber seine Mitarbeiter hätten doch keine strafbare Handlung begangen. Es ist das alte Lied. Auf die Provokation der parlamentarischen Demokratie, auf die Verharmlosung des Nationalsozialismus, folgt ein kleiner Rückzieher, vielleicht auch eine Entschuldigung, um hernach, nachdem sich die Aufregung ein wenig gelegt hat, munter weiter zu machen - mithin eine Strategie der Gewöhnung.

Bezeichnend auch die Reaktion von Graf und Strache auf die Vorfälle von Ebensee. Im Mai dieses Jahres fand eine Gedenkfeier im ehemaligen KZ-Nebenlager Ebensee (Oberösterreich) statt. Die Teilnehmer dieses Gedenkens wurden von mehreren maskierten Jugendlichen beschimpft, es wurde "Sieg Heil" und "Heil Hitler" gebrüllt. Aber auch Plastikgeschosse wurden auf die Menschen abgefeuert. Für den Parteiobmann der FPÖ stellte diese Ungeheuerlichkeit einen "Lausbubenstreich" dar. Und auf die Forderung nach einer verstärkten politischen Bildung in den Schulen eingehend, meinte Martin Graf: "Die politische Linke will eingreifen... Sie will die Jungen politisch indoktrinieren, damit sie SPÖ oder Grüne wählen".


Antifaschismus als Delikt

Die politische Diskriminierung des Antifaschismus durch die politische Rechte findet nicht nur in Österreich schon seit vielen Jahren statt und ist als Bestandteil einer hegemonialen Strategie, als Inhalt eines Kulturkampfes zu betrachten. Als im Dezember 1993 eine Serie von Briefbomben-Attentaten ihren Anfang nahm, der vier Menschen zum Opfer fielen, elf weitere wurden zum Teil schwer verletzt, versuchte die Rechte immer wieder, den Linksextremismus und den Antifaschismus dafür verantwortlich zu machen. Der so genannte Anti-Antifaschismus ist ja nichts anderes als eine Weiterentwicklung der antikommunistischen Ideologie aus Zeiten des Kalten Krieges. Den konservativen Kräften soll verdeutlicht werden, dass der Antifaschismus letztlich nur eine Fortsetzung des Kommunismus wäre.

In einer Broschüre von Tiroler Burschenschaften aus dem Jahr 1994 heißt es etwa: "Seit dem Niedergang und Scheitern der marxistischen Ideologie wurde der sogenannte )Antifaschismus als Klammer für die Machterhaltung marxistischer Kreise erfunden. Der Vorwurf des ‹Faschismus‹ kann leicht erhoben werden gegen Gruppierungen, die dem Neomarxismus Widerstand leisten". In diesem Zusammenhang ist der bereits erwähnte Angriff des Dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf auf den Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde, Muzicant, wonach dieser ein "geistiger Ziehvater des linksterroristischen Antifaschismus" sei, zu begreifen. Diese auf historische Umdeutung ("Revisionismus") ausgerichtete hegemoniale Bestrebung hat durchaus Erfolge aufzuweisen. Für ein größer werdendes Segment der Bevölkerung verlieren die warnenden Hinweise, nach denen die FPÖ mehr oder weniger offen in einer faschistischen Tradition steht, an abschreckender Wirkungskraft. Dieser Teil der Bevölkerung schenkt also, anders formuliert, der Strache-Partei zunehmend Glauben, wenn diese behauptet, derartige Vorwürfe hätten nur das Ziel, die "freiheitliche" Kritik am politischen System zu diskreditieren. Festzuhalten ist aber auch, dass es bedauerlicherweise eine Tendenz gibt, den Faschismus-Begriff inflationär anzuwenden und ihn dadurch beliebig und inhaltslos zu machen.


Marschiert die Jugend nach rechts?

Bevor wir uns kurz der Frage annehmen, ob die Jugend nach rechts marschiert, sei auf eine unlängst veröffentlichte Studie verwiesen, der zufolge etwa 20% der österreichischen Bevölkerung es sich durchaus vorstellen können, "einen starken Führer zu haben, der sich nicht um das Parlament oder Wahlen kümmern" muss. Deutlich zugenommen hat in den letzten Jahren auch das Misstrauen gegenüber Parteien und staatlichen Institutionen. Wir nähern uns also einer schweren Krise der parlamentarischen Demokratie und das brüchig werden der Dämme gegen Rechts, die Aufweichung des antifaschistischen Konsenses - der in Österreich allerdings zu keinem Zeitpunkt nach 1945 besonders ausgeprägt war - ist ein Ausdruck dieses Krisenprozesses. Wir haben es also nicht mit einem simplen "Jugendproblem" zu tun, sondern mit einer alle Generationen erfassenden Gleichgültigkeit gegenüber demokratischen Prozessen und Institutionen. Und diese Gleichgültigkeit kann die politische Rechte für ihre Zielsetzungen nutzen. Während viele Angehörige der älteren Generationen diese Abwendung von der parlamentarischen Demokratie allerdings passiv vollziehen ("Alle Politiker sind Gauner und ich gehe einfach nicht mehr zu Wahl"), äußert sich diese Haltung bei Teilen der Jugend offensiver und aggressiver mit dem Vollziehen eines Tabubruches, mit dem Setzen einer Provokation. Eine Minderheit unter diesen Jugendlichen meint mit "Sieg Heil"-Rufen und einem entsprechenden Verhalten so etwas wie Opposition gegen die politischen Eliten ausdrücken zu können.

Dies ist einerseits inferior. Andererseits kommt dabei aber auch ein historisches Versagen dieser politischen Eliten zum Ausdruck. Denn die gesellschaftliche Entwicklung nach 1945 war ganz wesentlich geprägt von einem Verdrängen, aber auch von einer Umdeutung der gesellschaftspolitischen Krise der Zwischenkriegszeit ("alle waren irgendwie schuld"). Eine Grundhaltung, die erst mit der so genannten Waldheim-Affäre in den späten 1980er Jahren ins Wanken geriet. Sehr kurz ins Wanken geriet, muss man hinzufügen. Denn schon etwa 14 Jahre später saß der ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel vergnüglich und zufrieden grinsend mit Haider im schicken Sportwagen, die FPÖ war in der Regierung und heute stellt sie den Dritten Nationalratspräsidenten. Was also soll an dieser Partei so verwerflich sein?

Nach allen vorliegenden Umfragen erreicht die FPÖ heute etwa 30% der Menschen im Alter zwischen 16 und 29 Jahren. Katastrophal und besorgniserregend sind diese Umfragewerte für die Sozialdemokratie. Nur 18% der Menschen in dieser Altersgruppe würden dieser politischen Strömung das Vertrauen aussprechen. Die Grünen kommen auf ähnliche Werte und der Volkspartei vertrauen gar nur 16% der jüngeren Generationen. Die FPÖ versucht natürlich, diese Stimmungslage auf ihre Art und Weise auszunützen. So erhielten Ende Mai dieses Jahres rund 500.000 JungwählerInnen ein 60 Seiten umfassendes EU-Comic-Heft des "FPÖ-Bildungsinstituts". "Der Blaue Planet - HCs Kampf für die Freiheit und gegen die zentrale EU", lautet der Titel des Machwerks. Es geht, wir ahnen es, um den "Freiheitskampf" gegen den EU-Zentralismus, gegen die "Überfremdung": "Jo schon in a paar Jahr do wird alles wahr ... Die Freunde von Radikal-Islam, Hamas und Taliban, sind dann bei uns daham." Aber da gibt es natürlich noch den Helden HC, der all dies abwehrt. Dieses FPÖ-"Bildungsinstitut" erhält übrigens jährlich rund zwei Millionen Euro an staatlicher Förderung. Mit diesem Schund will die Strache-Partei eine Stimmung unter Jugendlichen bedienen. Dieser HC Strache ist "cool und locker", er taucht in Discos auf, es gibt Freibier und seine Signatur auf blankem Mädchenbusen. Er schafft es, den Eindruck zu erwecken, als kenne er sie alle, als sei er einer von "ihnen". Indem er sich in Habitus und Sprache deutlich von den "alten" und "steifen" Politikern der anderen Parteien abgrenzt, mit jedem gleich per-Du ist, wird eine verlogene "Nahe" hergestellt, aus der nicht selten die Illusion erwächst, dass sich ein Politiker "dieser Art" auch wirklich um "meine Probleme" kümmern würde. Auch auf dieser Ebene folgt er ganz dem Vorbild des "Meisters".

Doch dies ist nur eine Seite, nur ein Aspekt der Problematik. Nach einer im "profil" vom 6. April dieses Jahres veröffentlichten Studie ist es vor allem Zukunftsangst, die das Verhalten von großen Teilen der Jugend prägt. "Angst ist der große Gewinner aller akuten Jugendumfragen. Die Angst, den Lebensstandard der Eltern nicht halten zu können, im Berufsleben nicht Fuß fassen zu können". Vor dem Hintergrund einer sich ständig verschärfenden Konkurrenzsituation verlieren Werte wie soziale Verantwortung und gesellschaftlicher Veränderungswille permanent an Bedeutung. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass die Jugendarbeitslosigkeit in einem Jahr (April 2008 bis April 2009) um 34,2% zugenommen hat.

Auf eine diffuse und irrationale Art und Weise meint ein Teil der jüngeren Generation, gegen diese Zustände, die ihrer Meinung nach von den "alten Parteien" verschuldet bzw. nicht verändert wurden, durch die Hinwendung zur FPÖ protestieren zu können. Doch in dieser Haltung, die auch eine stärkere Betonung von konservativen Grundwerten einschließt - Familie, privates Glück, Abwendung von gesellschaftsorientierten Aktivitäten - unterscheiden sich die jüngeren Generationen keineswegs grundsätzlich von einer die gesamte Gesellschaft erfassenden Sicht der Dinge. Wir haben es nur in einem abgeleiteten Sinne mit einem "Jugendproblem" zu tun. Was wir erleben, ist die zunehmende Verdeutlichung des Unvermögens, mit den Mitteln der formalen Demokratie einer substanziellen Krise der Gesellschaft adäquat begegnen zu können. Und die Sozialdemokratie -die historische Musterschülerin der formalen Demokratie - bezahlt als erste den politischen Preis für dieses Unvermögen.


Wilhelm Kriehebauer lebt in Wien.


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Quelle:
Sozialismus Heft 7-8/2009, Seite 13 - 20
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. September 2009