Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

EUROPA/764: Spanisch-baskischer Konflikt - neue Friedensinitiative (Euskal Herriaren Lagunak)


Euskal Herriaren Lagunak - Freundinnen und Freunde des Baskenlands

Spanisch-baskischer Konflikt:
neue Friedensinitiative der baskischen Unabhängigkeitsbewegung / internationale Unterstützung

14. November 2009


Die baskische abertzale Linke veröffentlichte am vergangenen Samstag eine neue Initiative für eine demokratische und friedliche Lösung des Konfliktes zwischen dem spanischen und dem französischen Staat auf der einen und dem Baskenland auf der anderen Seite. Das Dokument "ERSTER SCHRITT FÜR EINE DEMOKRATISCHE LÖSUNG DES BASKISCHEN KONFLIKTS - PRINZIPIEN DER BASKISCHEN ABERTZALEN LINKEN" wurde am vergangenen Samstag zeitgleich in Venedig und im baskischen Altsasu der Öffentlichkeit vorgestellt.

Sieben Punkte erklären den Willen zu einem umfassenden
Demokratisierungsprozess:

Der auf friedlichem und demokratischem Weg ausgedrückte Wille der Bevölkerung ist der einzige Bezugspunkt für eine demokratische Lösung ... Die baskische abertzale Linke verpflichtet sich dazu, so wie es auch die anderen Akteure tun sollten, in jeder Etappe des Prozesses die von den baskischen Bürgerinnen und Bürgern frei, friedlich und demokratisch getroffenen Entscheidungen anzuerkennen ... Wir bleiben dem Friedensvorschlag von Anoeta verpflichtet. Ihm zufolge sollten alle politische Kräfte des Baskenlandes unter gleichen Voraussetzungen in einen Dialogprozess treten, um einen demokratischen Mechanismus zu vereinbaren, mit dem die Bürgerinnen und Bürger frei über ihre Zukunft entscheiden können. Dieser Prozess sollte auf den Prinzipien beruhen, die der US-Senator Mitchell für den irischen Konflikt ausgearbeitet und vorgelegt hat.

Die Friedensinitiative ist ein unilateraler Schritt, der inhaltlich bereits zu Beginn weitergehender ist als alle bisherigen Prozesse der Konfliktlösung. Insbesondere die explizite Anerkennung der so genannten Mitchell-Prinzipien der Gewaltfreiheit, die im irischen Prozess die Grundlage für die Verhandlungen zum Friedensabkommen bildeten, soll die festgefahrende Diskussion um die Gewaltfrage aufbrechen und klare, international bereits anerkannte Prinzipien für alle Konfliktparteien festlegen. Der südafrikanische Anwalt Brian Currin, der international als Berater in politischen Konflikten bekannt ist, hat die Erstellung des Dokuments begleitet und ist von der Tragweite der Initiative und der Aufrichtigkeit der baskischen Linken überzeugt.

Die Initiative fällt auf den 5. Jahrestag der Deklaration von Anoeta, mit der Arnaldo Otegi, Sprecher der baskischen abertzalen Linken, den letzten Versuch eines Konfliktlösungsprozesses startete. Arnaldo Otegi befindet sich in Untersuchungshaft, seit er mit anderen Führungspersönlichkeiten der abertzalen Linken am 13. Oktober von Balthasar Garzon verhaftet wurde. Die Verhaftungen haben im Baskenland zu Massenprotesten geführt und konnten die neue Konfliktlösungsinitiative der abertzalen Linken nicht verhindern.

In Venedig wurde das Dokument im Rahmen einer Konferenz für Konfliktlösung vorgestellt, auf der Lehren aus südafrikanischer und irischer Erfahrungen gezogen und ihre Anwendung auf den kurdischen und den baskischen Konflikt diskutiert wurden. Im baskischen Altsasu versammelten sich mehr als hundert führende Aktivisten der abertzalen Linken, um gemeinsam das Dokument der baskischen Öffentlichkeit vorzustellen. In Altsasu wurde vor 31 Jahren Herri Batasuna gegründet.

Der Präsident der irisch-republikanischen Partei Sinn Féin, Gerry Adams, unterstützt die Initiative und fordert die Entlassung von Arnaldo Otegi und seinen Kollegen:

"Die derzeitige Gewalt, die Toten, die Menschenrechtsverletzungen und die Verhaftungen führen nicht zu einer Lösung des Konflikts im Baskenland ... Der einzige Sieg, der für die Regierung in Madrid und für die baskische Unabhängigkeitsbewegung erreichbar ist, ist ein Rahmen und ein Prozess, in dem politische Differenzen mit ausschliesslich politischen Mitteln addressiert und ausgetragen werden können. Die Verhaftung Arnaldo Otegis und seiner Kollegen behindert aus meiner Sicht eine solche Entwicklung. Ich kenne Arnaldo Otegi nun seit einigen Jahren. Ich halte ihn für einen Friedensstifter. Ich glaube, diese Ansicht teilen auch die tausende Demonstranten ganz unterschiedlicher politischer Einstellung, die öffentlich gegen seine Verhaftung protestierten. Ich bin der Meinung, die kürzlich von Otegi and Rufi Etxeberria veröffentlichten Positionen zeigen den Willen, gegen Widerstände und Schwierigkeiten für einen Friedensprozess zu arbeiten ... Ich fordere deshalb, dass Arnaldo Otegi und seine Kollegen ohne Auflagen aus der Haft entlassen werden, damit sie ihre wichtige Arbeit fortsetzen können ..."

Beiliegend dokumentieren wir den vollständigen Wortlaut des Dokuments in deutscher Übersetzung. Eine Definition des baskischen Begriffs "Abertzale" finden Sie im Anschluss an das Dokument.

Sie finden diese Informationen auch auf Info Baskenland unter:
http://www.info-baskenland.de/352-0-Initiative+der+baskischen+abertzalen+Linken.html


*


ERSTER SCHRITT FÜR EINE DEMOKRATISCHE LÖSUNG DES BASKISCHEN KONFLIKTS

PRINZIPIEN DER BASKISCHEN ABERTZALEN LINKEN


Wir sind Männer und Frauen verschiedener Generationen, die für eine soziale Befreiung und die Unabhängigkeit des Baskenlandes gearbeitet haben und weiterhin eintreten. Unser Ziel ist die Bildung eines eigenen Staates, weil wir davon ausgehen, dass dies die einzige Form ist, um das Überleben und die Entfaltung des Baskenlandes in Einklang und in Solidarität mit den anderen Völkern Europas und der Welt zu garantieren. Dies ist unser legitimes politisches Projekt, das wir mit Unterstützung der Mehrheit der baskischen Bevölkerung erreichen wollen.

Die aktuelle politische Aufteilung, die das Baskenland in zwei Autonomieregionen (Euskadi und Navarra) und einen französischen Teil aufteilt und unsere Rechte als Bürgerinnen und Bürger beschränkt, hat sich als Rahmen erwiesen, der den politischen und bewaffneten Konflikt in unserem Land perpetuiert.

Er verhindert, dass die Bürgerinnen und Bürger im Baskenland selbst über ihre Zukunft entscheiden können. In diesem Sinne ist der gewalttätige bewaffnete Konflikt, mit den allgemein bekannten menschlichen und politischen Kosten, über Jahrzehnte verlängert worden. Unser wichtigstes Ziel ist heute, diese Situation zu überwinden.

Die letzten drei Jahrzehnte des Konflikts eröffnen ein anderes Panorama: Wir sind eine politische Bewegung, der die Geschichte immer wieder Recht gegeben hat - angefangen mit der Forderung nach einem demokratischen Bruch mit dem franquistischen Regime 1976 über das NEIN der Baskinnen und Basken zur spanischen Verfassung 1978, die Verhinderung des AKW Lemoiz 1976-83 und das NEIN zur NATO 1986. Das zeigt sich aber auch in unseren Anstrengungen, den Betrug des Autonomiestatuts sichtbar zu machen, und in unserer grundsätzlichen Opposition gegen den neoliberalen Kapitalismus.

Die Unabhängigkeitsbewegung hat aber nicht nur auf dem Feld der Opposition und des Protestes politische und ideologische Kämpfe gewonnen. Die von der baskischen abertzalen Linken unterbreiteten Lösungsvorschläge sind von wichtigen Teilen der Gesellschaft, oft auch der Mehrheit aufgegriffen worden. Die Initiativen für eine Verhandlungslösung und für den Aufbau nationalstaatlicher Institutionen und die von uns unterbreiteten Demokratisierungsvorschläge haben den politischen Prozess im Baskenland ohne jeden Zweifel vorangebracht.

In den letzten Jahren hat es in wichtigen Fragen Entwicklungen gegeben, die einen grundlegenden Wandel der politischen Situation nicht nur wünschenswert, sondern auch möglich machen: In der politischen Debatte sind im letzten Jahrzehnt die Schlüsselprobleme klar benannt worden, die es zu lösen gilt; die unermüdliche Arbeit Tausender Personen und gesellschaftlicher Akteure haben uns nah an die ersehnte Verhandlungslösung herangeführt. Die Notwendigkeit, die fatalen Konsequenzen des Konflikts hinter uns zu lassen, ist allgemein deutlich geworden. Ein Ende des bewaffneten Konflikts und der politischen Blockade sind heute ebenso wie eine gerechte, stabile und dauerhafte Verhandlungslösung möglich.

Wir haben auf dem Weg zur Befreiung Manches richtig, Anderes falsch gemacht und stehen an der Schwelle eines politischen Wandels. Heute geht es darum, diesen Wandel unumkehrbar zu machen. Um diese Veränderung zu verwirklichen, müssen wir auch uns selbst verändern. Eine grundlegende Selbstkritik war notwendig, und wir haben sie geleistet.

Die baskische abertzale Linke wird nicht darauf warten, was andere politische Akteure zu tun bereit sind. Für uns klar, dass wir selbst handeln müssen. In der neuen politischen Phase sind neue Strategien, neue politische Bündnisse und neue Instrumente nötig.

In der neuen Phase geht es darum, eine nationale Anerkennung des Baskenlands und seines Selbstbestimmungsrechtes zu erreichen. Dafür müssen wir Kräfte sammeln und die Konfrontation mit dem spanischen und französischen Staat auf jenes Terrain zu führen, auf dem diese am schwächsten sind: auf das Terrain der Politik. Massenmobilisierung, die Arbeit in demokratischen Institutionen, ideologischer Kampf und die Suche nach internationaler Unterstützung - das werden die zentralen Säulen der neuen Strategie sein müssen.

Das grundlegende Instrument dieser neuen politischen Phase ist der Demokratisierungsprozess. Dass wir ihn in Angriff nehmen, ist eine unilaterale Entscheidung der baskischen abertzalen Linken. Zu seiner Umsetzung und zur Überwindung des Konflikts werden wir uns um bilaterale und multilaterale Vereinbarungen bemühen: mit den politischen Akteuren im Baskenland, der internationalen Gemeinschaft und den Staaten. Anders ausgedrückt: Die baskische abertzale Linke setzt auf die Demokratisierung, um den politischen und sozialen Wandel zu erreichen.

Diese Entscheidung ist in den Reihen der baskischen abertzalen Linken mi Rahmen einer breiten und verantwortungsvoll geführten Diskussion gereift. In dieser Debatte haben sich die soziale Basis und die Aktivisten der baskischen abertzalen Linken auf folgende Prinzipien verständigt, die wir der Bevölkerung des Baskenlandes, den politischen, gewerkschaftlichen und gesellschaftlichen Akteuren des Landes sowie der Internationalen Gemeinschaft hiermit bekannt geben wollen:

1. Der auf friedlichem und demokratischem Weg ausgedrückte Wille der Bevölkerung ist der einzige Bezugspunkt für eine demokratische Lösung. Das gilt sowohl für den Beginn und die Entwicklung des Demokratisierungsprozesses als auch für die Vereinbarungen, die einer freien Abstimmung der Bevölkerung unterzogen werden sollten. Die baskische abertzale Linke verpflichtet sich dazu, so wie es auch die anderen Akteure tun sollten, in jeder Etappe des Prozesses die von den baskischen Bürgerinnen und Bürgern frei, friedlich und demokratisch getroffenen Entscheidungen anzuerkennen.

2. Die politisch-territoriale Ordnung des Baskenlandes muss Ergebnis des demokratischen Volkswillens sein und die Rechte aller Bürgerinnen und Bürgern gewährleisten. Der heute bestehende gesetzliche Rahmen darf den freien und demokratischen Entscheidungen der Bevölkerung nicht im Weg stehen, sondern muss die Ausübung der demokratischen Rechte sicherstellen.

3. Die Vereinbarungen, die im Verlauf eines Demokratisierungsprozesses getroffen werden, müssen die allgemeinen - individuellen oder kollektiven - Rechte gewährleisten, wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, im UNSozialpakt und im UN-Zivilpakt sowie in den anderen internationalen Menschenrechtsvereinbarungen festgehalten sind.

4. Der gleichberechtigte politische Dialog zwischen allen politischen und gesellschaftlichen Akteuren ist das wichtigste Werkzeug, um zu einer Übereinkunft zwischen den unterschiedlichen politischen und kulturellen Identitäten im Baskenland zu kommen. Die baskische abertzale Linke bekräftigt ihren Wunsch, sich an diesem Dialog zu beteiligen.

5. Aus dem Dialog zwischen den politischen Akteuren im Baskenland sollte eine Vereinbarung hervorgehen, die einem allgemeinen Referendum unterzogen wird. Dieses Abkommen sollte nicht nur gewährleisten, dass alle politischen Projekte unter gleichen Voraussetzungen und ohne jede gewalttätige Beschränkung verteidigt werden können. Es sollte auch beinhalten, dass alle Projekte umgesetzt werden können, wenn diese von einer Bevölkerungsmehrheit im Baskenland erwünscht und unterstützt werden.

6. Der Demokratisierungsprozess muss sich ohne jede Gewalt, Zwang und Einmischung entfalten können und ausschließlich auf politische und demokratische Mittel stützen. Wir sind davon überzeugt, dass diese politische Strategie Fortschritte bei der Demokratisierung ermöglichen wird. Südafrika und Irland sind Beispiele hierfür.

7. Wir bleiben dem Friedensvorschlag von Anoeta verpflichtet. Ihm zufolge sollten alle politische Kräfte des Baskenlandes unter gleichen Voraussetzungen in einen Dialogprozess treten, um einen demokratischen Mechanismus zu vereinbaren, mit dem die Bürgerinnen und Bürger frei über ihre Zukunft entscheiden können. Dieser Prozess sollte auf den Prinzipien beruhen, die der US-Senator Mitchell für den irischen Konflikt ausgearbeitet und vorgelegt hat. Auf der anderen Seite sollten ETA und der spanische Staat Verhandlungen über die Demilitarisierung des Landes, die Freilassung der baskischen politischen Gefangenen, die Rückkehr der Flüchtlinge und eine gerechte und gleiche Behandlung aller Opfer des Konflikts aufnehmen.

Wir bekräftigen unsere bedingungslose Unterstützung eines friedlichen und demokratischen Prozesses, damit das baskische Volk frei und ohne jede Einschüchterung über seine Zukunft entscheiden kann.

Baskenland, 14. November 2009


Definition des baskischen Begriffs "Abertzale": Die Bedeutung des baskischen Begriffs "Abertzale" ist eng verknüpft mit der speziellen Ausprägung der baskischen Unabhängigkeitsbewegung als progressive und internationalistische Bewegung. Als solche umfasst sie ein breites Spektrum von Organisationen, wie zum Beispiel politische Parteien, Gewerkschaften und kulturelle Organisationen, sowie bedeutende Teile der Frauen- , Umwelt- und Internationalismusbewegungen, die das gemeinsame Ziel der Befreiung des Baskenlandes haben. So wie Republikanismus eine besondere Bedeutung im irischen Kontext besitzt, kann der Begriff Abertzale nicht nur einfach als Unabhängigkeitsbewegung übersetzt werden, ohne seine progressive Bedeutung zu betonen.


*


Quelle:
Euskal Herriaren Lagunak - Freundinnen und Freunde des Baskenlands
Dr. Uschi Grandel
Holzhaussiedlung 15, 84069 Schierling - Deutschland
E-Mail: info@info-baskenland.de
Internet: http://www.info-baskenland.de/


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. November 2009