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EUROPA/775: Richter vor Abschuß - Spaniens Starrichter Garzón droht Prozeß wegen Rechtsbeugung (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 10. Februar 2010

Richter vor Abschuß
Spaniens Starrichter Garzón droht Prozeß wegen Rechtsbeugung

Von Ingo Niebel


Spaniens umstrittener Starrichter Baltasar Garzón sieht schlechten Zeiten entgegen: Ihm droht die Suspendierung vom Amt des Ermittlungsrichters an der Audiencia Nacional, dem Madrider Sondergericht für Terror- und Drogendelikte. Das wäre das Ende einer Karriere, die sich ohne die Unterstützung aus der Politik und ohne Garzóns Geltungsdrang nicht erklären ließe. Aber der Richter steht jetzt allein auf weiter Flur. Für die Regierung Zapatero ist er ein politisches Risiko; die postfranquistische Volkspartei (PP) will Garzón zu Fall bringen, weil er ihr Korruptionssystem aufgedeckt hat. Und beiden Seiten hat der Richter die nötige Munition für seinen Abschuß geliefert, indem er sich handwerkliche Fehler geleistet hat, die sich nur durch Unvermögen oder Narzißmus erklären lassen.

Beispielhaft für Garzóns Probleme ist, daß die spanische Justiz den baskischen EU-Parlamentarier Karmelo Landa am Montag abend gegen Zahlung einer Kaution von 50000 Euro aus einer zweijährigen Untersuchungshaft entlassen hat. Dorthin hatte Garzón den Universitätsdozenten geschickt, weil er ihn und weitere 40 Politiker der verbotenen Linkspartei Batasuna (Einheit) verdächtigt, die Untergrundorganisation Euskadi Ta Askatasuna (ETA, Baskenland und Freiheit) finanziert zu haben. Symptomatisch an dem Verfahren gegen Landa ist, daß Garzón ihn bereits 1997 präventiv festnahm und das Oberste Gericht diese Maßnahme als rechtswidrig kassierte. Und auch jetzt sind die Ermittlungsergebnisse so dürftig, daß es bisher nicht für einen Prozeß gereicht hat. Auch das ist nichts Neues. Sein Kollege Joaquín Navarro urteilte über Garzón: »Das ist ein Richter, der fast alles erfindet.«

Das war für Madrid kein Problem, solange Garzón den baskischen Widerstand wegschloß. Im Gegenzug half ihm zum Beispiel die postfranquistische Regierung José María Aznar (1996-2004), indem sie die Richter der 4. Kammer der Audiencia Nacional kaltstellte, als diese aus juristischen Gründen gegen seine Ermittlungspraktiken intervenierten.

Die Protektion von oben hörte auf, als Garzón sich anmaßte, die Massenexekutionen des Franquismus gerichtlich aufzuarbeiten. Sein Vergehen war nicht das politisch notwendige Vorhaben an sich, sondern wieder einmal das juristische Vorgehen. Selbstverständlich war es Spaniens Rechte, die aus politischem Selbstschutz, da sie niemals für ihre Verbrechen während der Franco-Diktatur büßen mußte, Garzón wegen Rechtsbeugung anzeigte. Aber er war es, der das Amnestiegesetz von 1977 ignorierte, das sowohl die linken Widerstandskämpfer als auch die faschistischen Täter straffrei stellte. Die erste Ohrfeige kassierte Garzón, als das Oberste Gericht die Anklage annahm, die zweite, als es auch noch die faschistische Falange-Partei als Nebenklägerin zuließ. Garzón versucht, sich jetzt als Opfer des ewiggestrigen Spanien darzustellen, was aber nur ein Teil der Wahrheit ist.

Seine Ermittlungstätigkeit macht ihn auch für die Regierung Zapatero untragbar. Er gefährdet die schwierigen Beziehungen zu den USA, weil er gegen Mitglieder der Regierung Bush wegen des Folterknastes Guantánamo und des Irak-Kriegs ermittelt. Andererseits laufen Ermittlungen gegen Garzón, weil die Santander-Bank seinen Studienaufenthalt in den USA finanzierte. Außerdem kassierte er ein weiteres Verfahren, da er im PP-Korruptionsskandal Gespräche zwischen Verteidigern und inhaftierten Mandanten abhören ließ.

Madrid hat dem Richter einen Ausweg gezeigt: Er soll als Verbindungsrichter nach Kolumbien gehen. Garzón hat das Angebot nicht akzeptiert.


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Quelle:
junge Welt vom 10.02.2010
mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Februar 2010