Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

FRAGEN/013: Guinea-Bissau - "Gefährlich nah am Abgrund", UN-Sondergesandter Ramos-Horta im Interview (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. Oktober 2013

Guinea-Bissau: 'Gefährlich nah am Abgrund' - UN-Sondergesandter Ramos-Horta im Interview

von Mario Queiroz


Bild: © Katalin Muharay/IPS

José Manuel Ramos-Horta
Bild: © Katalin Muharay/IPS

Lissabon, 7. Oktober (IPS) - "Guinea-Bissau ist nah daran, als Staat zu scheitern", warnt der UN-Sondergesandte und Friedensnobelpreisträger José Manuel Ramos-Horta im IPS-Gespräch. Anders als gern behauptet seien aber nicht ethnische und religiöse Gewalt die Wurzel des Übels, sondern das Versäumnis von Politik und Militär, ihre Beziehungen zueinander zu verbessern.

"Ethnische und religiöse Probleme hat es in Guinea-Bissau nie gegeben", erklärte Ramos-Horta, der seinem Land Osttimor bereits als Staatschef, Ministerpräsident und Außenminister gedient hatte, bei einem jüngsten Besuch in Lissabon. Er wurde von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon beauftragt, in dem Konflikt zu vermitteln. Seinen bisher letzten Militärputsch erlebte Guinea-Bissau im April 2012.

Allerdings wird sich der ursprüngliche Zeitplan für eine Rückkehr zur Demokratie nicht einhalten lassen. Der Termin für die Wahlen am 24. November kann aufgrund politischer und organisatorischer Probleme nicht eingehalten werden, wie die Außenminister von sieben der acht Mitgliedsländer der Gemeinschaft der portugiesischsprachigen Länder (CPLP) am 25. September bekannt gaben. Der CPLP gehören Angola, Brasilien, die Kapverden, Mosambik, Portugal, São Tomé und Príncipe sowie Osttimor an. Das Bündnis hat die Verhandlungen mit dem Regime in Guinea-Bissau abgebrochen.

Der UN-Sondergesandte widerspricht im IPS-Gespräch entschieden der ebenso verbreiteten Ansicht, dass sich Guinea-Bissau zu einem Drogenstaat entwickele. Das sei blanker Unsinn, der auf realitätsfremden Untersuchungen basiere und von den Medien ungeprüft wiedergekäut werde, kritisierte er. Es folgen Auszüge aus dem Interview.


IPS: Wie stehen die Chancen für einen wirklichen Frieden in dem Land?

José Manuel Ramos-Horta: Ich bin sowohl Realist als auch Optimist. Anders als in anderen Teilen der Welt einschließlich Europa hat es in Guinea-Bissau nie ethnische oder religiöse Gewalt gegeben. Kirchen oder Moscheen wurden dort nie in Brand gesetzt. Um Frieden zu gewährleisten und demokratische Verhältnisse wiederherzustellen, ist es wichtig, dass Politiker und Militärs das Volk nicht länger bedrängen.

IPS: Hat der letzte Putsch die Geduld der internationalen Gemeinschaft ausgereizt?

Ramos-Horta: Ja, das stimmt. Es gab nicht den leisesten Hinweis darauf, dass es zu einem solchen Staatsstreich kommen könnte. Er fällt in die Verantwortung der politischen und militärischen Eliten. Sie haben diese Sequenz der Gewalt zu verantworten, die mit João Bernardo 'Nino' Vieira 1980 ihren Anfang nahm, als dieser den damaligen Präsidenten Luís Cabral stürzte und sechs erfolgreiche Jahre zunichte machte, die Guinea-Bissau nach der Unabhängigkeit von Portugal erlebt hatte.

Vor 20 bis 30 Jahren waren Staatsstreiche in Afrika an der Tagesordnung. Heute nimmt die Afrikanische Union (AU) in der Frage der Verteidigung der Demokratie sogar radikalere Positionen als die EU an. Dennoch muss mit denjenigen pragmatisch verhandelt werden, die die Waffen besitzen. Wenn es zu keinem Dialog kommt, wozu wäre die Demokratie dann noch nütze? Allein um Verständigungskanäle aufzubauen, hat mich der UN-Generalsekretär zu seinem Vertreter ernannt. Ergebnisse konnten bereits erzielt werden.

IPS: Kurz nach dem Putsch hatten AU, CPLP, die EU, die USA und die UN die Haltung der Wirtschaftsgemeinschaft der westafrikanischen Staaten (ECOWAS) gegenüber dem Putsch in Guinea-Bissau als lauwarm bezeichnet. Wie beurteilen Sie Lage nach neun Monaten, die Sie nun im Amt des UN- Sondergesandten sind?

Ramos-Horta: Die Haltung dieser Institutionen und Länder ist richtig, doch müssen wir auch zur Kenntnis nehmen, dass die ECOWAS an das Problem pragmatisch herangegangen ist, um zu vermeiden, dass sich die Lage weiter verschärft. Dadurch ist es ihr gelungen, die Auflösung des Parlaments und die Abschaffung der Verfassung zu verhindern.

Viel Geld ist inzwischen nach Guinea-Bissau geflossen, doch ist die Situation unhaltbar. Wichtig in dieser Etappe ist es nun, möglichst früh Wahlen abzuhalten - ich hoffe auf eine Zeitspanne von höchstens fünf bis sechs Monaten -, damit die demokratische Ordnung wiederhergestellt und eine Strategie der Erholung des Landes gefahren werden kann.

IPS: Wer spricht mit dem Regime Guinea-Bissaus?

Ramos-Horta: Wichtige Regierungen und Institutionen haben das Regime zwar nicht anerkennt. Doch kommt es zwischen den USA und Großbritannien mit den Militärs in Guinea-Bissau durchaus zu Verhandlungen. Spanien wiederum hat seinen Botschafter im westafrikanischen Land belassen, und Frankreich ist über seinen Geschäftsbeauftragten aktiv geblieben.

Die EU hat einige Sanktionen verhängt, die Sozial- und Hilfsprogramme blieben davon jedoch unberührt. Portugal setzt seine Zusammenarbeit über Nichtregierungs- und Kirchenorganisationen fort. Die portugiesische Haltung folgt einem einfachen Prinzip: der säkularen Beziehung zu der Bevölkerung von Guinea-Bissau.

IPS: Abgesehen von der Zerbrechlichkeit des Landes - was sind die größten Probleme, mit denen Guinea-Bissau zu kämpfen hat?

Ramos-Horta: Die extreme Armut, die geringen sozialen Indikatoren, die fortgesetzte politische Instabilität, die Schwächen und Risse innerhalb der Armee, die häufige Einmischung der Militärmacht in die Politik und das Vordringen der lateinamerikanischen Drogenmafia in den letzten fünf Jahren. Weil es neue Räume für das organisierte Verbrechen, Spannungen und Gefahren gibt, werden sich die Schwierigkeiten Guinea-Bissaus und vieler anderer Staaten der Region weiter vergrößern.

IPS: Verwandelt sich Guinea-Bissau in einen Drogenstaat?

Ramos-Horas: Das ist grober Unfug, den sich einige Wissenschaftler in wenig fundierten Untersuchungen aus dem Finger gesaugt haben und der von den Kommunikationsmedien nachgeplappert wird. Ein Wissenschaftler unternimmt eine Analyse, eine Nachrichtenagentur eines wichtigen Landes im Norden greift sie auf und gibt den Bericht an die Zeitungen weiter. Die Inhalte werden ungeprüft übernommen.

Guinea-Bissau ist nur ein kleines Opfer der lateinamerikanischen Drogenkartelle und der europäischen und russischen Mafia, den eigentlichen Verantwortlichen des Problems. Als Vertreter des UN- Generalsekretärs steht es mir nicht frei, die großen Städte namentlich zu nennen, die sich zu wahren Zentren der Drogengeldwäsche entwickelt haben und mit ihren großen Hotels, imposanten Gebäuden und Luxuslimousinen von einem unerhörten Wohlstand zeugen, während es in den Straßen von Bissau nur Ziegen und Kühe zu sehen gibt.

IPS: Häufig ist von 'ethnischen Quoten' innerhalb der Streitkräfte die Rede, die die ethnischen Balanta angeblich übervorteilen...

Ramos-Horta: Wenn falsche Probleme aufgebracht werden, schafft man damit große Schwierigkeiten. Guinea-Bissau ist ein multiethnisches, multikulturelles Land, mit vielen Glaubensrichtungen. Das ist ein Reichtum, kein Nachteil.

Die Balanta widmen sich historisch gesehen der Land- und der Viehwirtschaft. Sie sind aber auch ein Volk mit kriegerischer Tradition. Es gibt andere Gruppen, die kein Interesse an Waffen haben, sondern lieber Handel treiben. Andere ziehen es vor, dem Staat zu dienen.

Dennoch ist von vielen westlichen Experten zu hören, die die Realität nicht kennen, dass es wichtig ist, für ein ethnisches Gleichgewicht innerhalb der Streitkräfte zu sorgen. Das ist völlig unrealistisch, weil man von einem Händler kaum verlangen kann, zum Militär zu werden. (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=43867&Cr=bissau&Cr1
http://www.ipsnews.net/2013/10/qa-guinea-bissau-is-dangerously-close-to-becoming-a-failed-state/
http://www.ipsnoticias.net/2013/10/guinea-bissau-esta-peligrosamente-cerca-de-ser-un-estado-fracasado/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 7. Oktober 2013
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Oktober 2013