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FRAGEN/031: Rückblick mit dem scheidenden Botschafter Ecuadors, Jorge Jurado, in Berlin - Teil 1 (Pressenza)


Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin

Rückblick mit dem scheidenden Botschafter Ecuadors in Berlin

Interview von Sabine Bock, 25. Mai 2016 [*]



Bild: © Tobias Baumann

Sabine Bock führte das Interview mit Botschafter Jorge Jurado in seinem Amtszimmer
Bild: © Tobias Baumann

Berlin - 25.05.2016. Am 7. April 2016 fand ein ausführliches Interview mit dem Botschafter der Republik Ecuador, Herrn Jorge Jurado statt. Direkt in der "City von Berlin" am U-Bahnhof Kurfürstendamm in der Joachimsthaler Straße befinden sich die modernen, großen Räume der Botschaft. Am Eingang weht die Nationalfahne von Ecuador. Der Herr Botschafter Jurado wird sein Amt in den nächsten Wochen abgeben. Er ist ein hoch engagierter Diplomat. Ich freute mich sehr, dieses abschließende Interview mit ihm im Namen unserer internationalen Nachrichtenagentur "Pressenza" führen zu dürfen.


Immer alles gut gewesen? Nein, die Yasuní-ITT-Initiative ist gescheitert!

Sabine Bock: Guten Tag, Herr Botschafter Jurado. Wir haben gehört, dass Sie als Botschafter der Republik Ecuador Ihr Amt und Ihre Akkreditierungen in nächster Zeit abgeben werden. Wir, die Journalisten von Pressenza, kennen Sie bereits als engagierten Diplomaten und Experten. Sie haben sich auf eine ganz besondere Art und Weise für gute Beziehungen zwischen Ecuador und Deutschland eingesetzt und die deutsche Bevölkerung durch Ihre Öffentlichkeitsarbeit mit einbezogen. Wir bedauern, dass Sie Ihr Amt beenden werden. Was haben Sie für Erfolge in den letzten Jahren realisieren können? Wie haben sich die Beziehungen zwischen Ecuador und Deutschland gestaltet? Wie sieht Ihre Bilanz aus?

Jorge Jurado: Vielen herzlichen Dank für die Möglichkeit des Interviews bei Pressenza. Wir haben schon mehrere erfolgreiche Interviews mit Pressenza geführt, um die Öffentlichkeit besser über unser Land Ecuador zu informieren und um eine größere Bevölkerung erreichen können.

Das Allerwichtigste für mich ist aber, Ihnen erst einmal zu erzählen, wie unsere Arbeit hier in der Botschaft in den letzten fünf Jahren organisiert wurde. Ich möchte Ihnen gern die verschiedenen Arbeitsgebiete und Projekte vorstellen, auf denen wir uns sehr stark engagiert haben.

In der Rückblende sind die Beziehungen zwischen der Republik Ecuador und der Bundesrepublik Deutschland immer sehr gut gewesen. Allerdings haben wir auch zeitweise erfahren müssen, dass die Beziehungen teilweise etwas schwierig waren.

Einer dieser schwierigen Momente ereignete sich ab dem Jahr 2009. Als der damalige Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im Kabinett Merkel sich weigerte, den einvernehmlichen Beschluss des Bundestages umzusetzen und die Yasuní-ITT-Initiative finanziell zu unterstützen, kam es zum Tiefpunkt der Beziehungen. Es gab zahlreiche Destabilisierungskampagnen gegen die ecuadorianische Regierung. Es war nicht immer alles gut gewesen. Die Yasuní-ITT-Initiative ist auch seitens der fehlenden Unterstützung der Bundesrepublik gescheitert.

Sabine Bock: Wann sind Sie als Botschafter nach Deutschland gekommen?

Jorge Jurado: Im Jahr 2011 bin ich daraufhin als Botschafter der Republik Ecuador nach Deutschland gekommen und habe mein Amt hier in Berlin angetreten.

Es hat mich viel Mühe gekostet, aber wir haben es geschafft, dass die Beziehungen sich dann sehr gut gestaltet haben. Wir haben überhaupt eine große Unterstützung seitens der Zivilgesellschaft in Deutschland besonders für die Yasuní-ITT-Initiative erfahren. Diese Initiative ist aus einer international arbeitenden Nichtregierungsorganisation (NGO) mit dem Ziel entstanden, die Emissionsreduktion durch die Nichtausbeutung fossiler Brennstoffe und den besonderen Schutz der Artenvielfalt Ecuadors sowie die soziale Entwicklung im Yasuni-Nationalpark voranzutreiben.


Der Staatsbesuch des Präsidenten Rafael Correa im April 2013 in der Bundesrepublik Deutschland

Sabine Bock: Wann ist der Staatspräsident Rafael Correa nach Deutschland gekommen? Was hat dies für Auswirkungen auf die Beziehungen beider Länder und für die Initiativen gehabt?

Jorge Jurado: Der Besuch des Staatspräsidenten der Republik Ecuador, Dr. Rafael Correa, fand im Jahr April 2013 in der Bundesrepublik Deutschland stand und bildete einen der Höhepunkte unserer Arbeit in den Beziehungen zwischen unseren Ländern.

Um die Zusammenhänge besser verstehen zu können, muss ich etwas weiter ausführen. Staatspräsident Correa sollte eigentlich bereits im November 2010 nach Deutschland kommen, aber im August 2010 kam die Aussage des damaligen Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, dass er die Yasuní-Initiative nicht umsetzen würde, obwohl dies der Bundestag beschlossen hatte. Daraufhin hat sich Staatspräsident Correa anders entschieden und sich geweigert, nach Deutschland zu kommen. Es kam in den diplomatischen und politischen Beziehungen wirklich zu erheblichen Schwierigkeiten, die wir aber später aufgearbeitet und neu erarbeitet haben. Präsident Correa ist dann daraufhin erst im April 2013 nach Deutschland gekommen.

Sabine Bock: Was haben Sie für den Besuch des Staatspräsidenten Correa in Deutschland organisiert? Ich bin auch bei dem Vortrag des Staatspräsidenten im Audimax an der Technischen Universität in Berlin dabei gewesen. Was können Sie uns im Einzelnen darüber berichten?

Jorge Jurado: Es ist ein offizieller Staatsbesuch gewesen. Staatspräsident Correa hat Gespräche sowie direkte Interviews mit Bundespräsident Gauck, Frau Bundeskanzlerin Merkel sowie mit dem Präsidenten des Deutschen Bundestages Lammert geführt. Außerdem hat er mehrere Gesprächsmöglichkeiten mit verschiedenen Medien und Wirtschaftsunternehmen genutzt, um die Beziehungen zu verbessern. Es ergab sich die Möglichkeit, dass er einen Vortrag an einer deutschen Universität halten konnte. Höhepunkt bildete dann dieser hervorragende Vortrag Correas an der Technischen Universität Berlin.

Ich möchte mich recht herzlich bedanken bei der TU Berlin, die sich bereit erklärt hat, den Saal "Audimax" dafür zur Verfügung zu stellen. Das war wirklich eine sehr gute Veranstaltung, weil über 1.700 Menschen zum Vortrag des Staatspräsidenten gekommen waren. Der Hauptsaal H0104 war komplett voll mit interessierten Zuhörern gefüllt. Und wir mussten die Direktionsleitung um einen zusätzlichen Hörsaal neben dem "Alumni" für eine Videoübertragung bitten, damit alle Interessierten den Vortrag Correas sehen konnten. Das war wirklich ein sehr wichtiger Vortrag, der durch unsere Botschaft organisiert wurde. Es war nicht nur gut für unsere Regierung, sondern auch für unsere ecuadorianische Bevölkerung, zu sehen, wie interessiert die deutsche Zivilgesellschaft ist. Dabei ist wirklich eine sehr interessante Entwicklung entstanden, weil es das erste Mal gewesen ist, dass ein Staatspräsident eines ausländischen Landes, außerhalb Europas, einen Vortrag an einer Universität gehalten hat, um die Entwicklung und die Politik seines Landes zu erläutern. Es konnten sehr viele Erkenntnisse über die Politik und die Wirtschaft in Ecuador nachvollzogen werden. Er hat auch Fragen aus dem Publikum beantwortet. Man konnte seine Meinung und seine positive Ausstrahlung "live" erfahren.

Sabine Bock: Was haben Sie für den Staatsbesuch mit organisiert? Waren Sie nicht ein Absolvent der TU Berlin?

Jorge Jurado: Die Beziehungen zur TU Berlin waren immer sehr gut gewesen. Ja, ich habe dort studiert und meinen Abschluss als Diplom-Ingenieur für Maschinenbau und Verfahrenstechnik vor etwas längerer Zeit absolviert. Das hat mich wirklich sehr gefreut, dass meine Alma Mater und die Verbundenheit mit der TU Berlin so stark gehalten hat. Und das sich meine "alte" Uni sich bereit erklärte, den Vortrag unseres Staatspräsidenten in ihrem größten Hörsaal stattfinden zu lassen.

Ich habe die Reise des Staatspräsidenten selbstverständlich mit organisiert. Der damalige Direktor der Technischen Universität, Herr Dr. Steinbach, war vollkommen dafür, den Staatspräsidenten zu empfangen. Im Grund genommen haben wir die Wiederbelebung der Beziehungen zwischen Ecuador und der Bundesrepublik Deutschland damit geschaffen.

Sabine Bock: Was gibt es über die Gespräche des Präsidenten Correa im EU-Parlament im letzten Jahr zu berichten?

Jorge Jurado: Ja, Staatspräsident Correa hat als Vorsitzender der Organisation aller lateinamerikanischen und karibischen Länder (CELAC) eine wichtige Konferenz im letzten Jahr im EU-Parlament in Brüssel abgehalten. Er stimmte der Bitte seitens der Bundesregierung zu wichtigen Gesprächen zu. Es konnten zwischen Frau Bundeskanzlerin Merkel und ihm viele Probleme geklärt werden. Es war ein sehr interessantes und intensives Gespräch, das dazu beigetragen hat, die etwas stagnierende Situation in den Beziehungen zu verbessern und wieder in Gang zu setzen. Wir hatten sechs Monate zuvor erhebliche Probleme mit einer Reise von deutschen Parlamentariern gehabt, die nicht genug koordiniert wurde und deswegen abgesagt werden musste. Es gilt in diesem Zusammenhang hervorzuheben, dass auffallend viele der ecuadorianischen Gesprächspartner der Parlamentarier Organisationen oder Personen waren, die in der Vergangenheit mittels Realitätsverzerrung, bisweilen durch rechtswidrige Verleumdung und mit der Absicht, politischen Schaden und einen Ansehensverlust der ecuadorianischen Regierung zu erzeugen, die ecuadorianische Regierung attackiert haben. Diese geplanten Termine und Unterredungen deutscher Abgeordneter mit Personen, die jenseits der demokratischen Streitkultur agieren, sind nicht mit dem Ministerium für auswärtige Angelegenheiten und menschliche Mobilität Ecuadors koordiniert worden. Informationen sollten Abgeordnete bei einer offiziellen Parlamentarierreise von mehreren Stellen, auch staatlichen, einholen und nicht ausschließlich von der Oppositionsseite. Man darf nicht vergessen, dass Ecuador hierbei seit 2007 eine absolute Vorreiterrolle hat durch die Yasuní-Initiative, die unter anderem wegen einer fehlenden Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland gescheitert ist sowie aufgrund der Initiative bezüglich der Kompensation vermiedener CO2-Nettoemissionen von Entwicklungsländern, welche ebenfalls die ökologischen Schulden der Industrieländer berücksichtigt.

Erst durch die Gespräche mit Frau Merkel und Präsident Correa in Brüssel im vergangenen Jahr hat sich die Situation verbessert. Daran haben wir sehr intensiv gearbeitet.


Die Stellungnahmen und Öffentlichkeitsarbeit der Botschaft über die Politik der Regierung in Ecuador

Sabine Bock: Was für Stellungnahmen aus den deutschen Medien mussten Sie korrigieren, damit die Wahrheit über die Politik der ecuadorianischen Regierung klargestellt wird? Wie viele?

Jorge Jurado: Es gab Destabilisierungskampagnen gegen die ecuadorianische Regierung seitens der deutschen Medien. Sie versuchten, oftmals die Unwahrheit zu verbreiten. Wir haben als Botschaft daraufhin rund 120 Stellungnahmen herausbringen müssen, um diese verschiedenen falschen oder auch tendenziös unkorrekten Meldungen der Medien zu widerlegen. Das ist nicht der wichtigste Punkt unserer Öffentlichkeitsarbeit und meiner Arbeit gewesen, es ist aber für uns in Ecuador und für alle progressistischen Politiker in Lateinamerika wichtig, dass wir uns für die Wahrheit unserer Politik einsetzen und auch diese verbreiten und klarstellen. Diese unkorrekten Meldungen der Medien oder auch Aussagen der deutschen Politiker sind immer aus einem bestimmten Blickpunkt entstanden, der nicht immer objektiv genug gewesen ist. Es wurden oftmals die wahren Tatsachen verdreht. Das konnte ich nicht dulden und habe deswegen immer diese Richtigstellung gefordert.

Ich habe jede Möglichkeit ausgenutzt, um unseren politischen und wirtschaftlichen Standpunkt der Öffentlichkeit nahezubringen. Ich habe Vorträge, Veranstaltungen und Diskussionsrunden in verschiedenen Versammlungen bei Bürgervereinen, politischen Gruppen, aber auch in Kirchengemeinden oder selbst in kleineren Gruppen von Schülern und Studenten, oder auch bei Veranstaltungen mit Künstlern und Seniorengruppen gehalten.

Sabine Bock: Haben Sie nicht im vergangenen Jahr auch an einem Kirchentag teilgenommen? Was haben Sie dort gesagt?

Jorge Jurado: Ja, ich habe im Juni 2015 am Evangelischen Kirchentag als Gastredner teilgenommen. Das war für mich eine besondere Möglichkeit und das erste Mal, dass ich eine Rede auf einem Kirchentag gehalten habe und die Politik Ecuadors erklären konnte. Ich hatte sonst nicht die Möglichkeit gehabt, an einem Kirchentag teilzunehmen. Ich war äußerst beeindruckt, in welcher Größenordnung die Gläubigen zusammengekommen sind. Ich habe dann zu mehr als 4.000 Menschen auf dem Auditorium sprechen dürfen. Es war ein sehr schönes und eindrucksvolles Erlebnis.

Es fand hier eine Diskussionsrunde u.a. über Ecuador und die Menschenrechte statt, wozu ich auch eine Stellungnahme bzw. einen offenen Brief geschrieben habe.

Sabine Bock: Über was und an wen haben Sie einen offenen Brief über den Evangelischen Kirchentag veröffentlicht?

Jorge Jurado: Es wurde ein offener Brief an Armin Laschet, MdL, Fraktionsvorsitzender in Düsseldorf, durch mich als Botschafter der Republik Ecuador in Deutschland geschrieben und veröffentlicht.

In diesem offenen Brief ging es um eine öffentliche Diskussion während des Evangelischen Kirchentages und um das diplomatische Asyl für Julian Assange.

Gemäß der in jedem Rechtsstaat geltenden Präsumtion der Unschuld (in dubio pro reo) gilt Herr Assange solange als unschuldig, bis das Gegenteil nachgewiesen ist. Bislang hat noch nicht einmal ein Verhör in der Botschaft von Ecuador in London stattgefunden, welches Ecuador bereits vor fast vier Jahren den schwedischen Behörden anbot, um die Wahrheit zu ermitteln und um zugleich die Sicherheit Herrn Assanges zu gewährleisten.

Dazu habe ich Stellung bezogen und dem Herrn Armin Laschet, MdL, diesen Brief zugesandt.

Aber ich bin auch in kleineren Gruppen hier in den Bezirken Berlins, aber auch in anderen deutschen Städten unterwegs gewesen, die sich einmal gewünscht haben, etwas mehr über die Politik und die Geschichte Ecuadors zu hören und kennenzulernen. Es gab auch Buchvorstellungen mit Schriftstellern und Darbietungen von Künstlern auf zahlreichen kulturellen Veranstaltungen, die wir organisiert haben und die wir in allen möglichen Formen benutzt haben, um die Öffentlichkeitsarbeit zu stärken.


Stadt des Wissens

Sabine Bock: Was wurde mit der Initiative "Stadt des Wissens" verbreitet? Was steckt dahinter?

Jorge Jurado: Das ist auf jeden Fall ein sehr wichtiger Teil der Politik unseres Landes, die ich unbedingt erklären möchte. Die Initiative "Ciudad de la Ciencia - die Stadt des Wissens" ist jetzt im vollen Aufbau, bei der über vierzig Professoren an der Universität beschäftigt sind, ein Bildungsprogramm umzusetzen. Diese Universität arbeitet schon mit diesen Professoren und einem Gründerzentrum zusammen. Es sollen hierfür auch ein Technologie- und Industriezentrum gebaut werden.

Sabine Bock: Wie sieht es mit der Chancengleichheit im Bildungsbereich in Ecuador aus? Was macht Ecuador besser als andere lateinamerikanische Staaten?

Jorge Jurado: Der Auftrag, den wir bereits umsetzen, lautet, dass Bildung nicht vom Geldbeutel des Elternhauses abhängen darf. Es ist nur eine Frage der ausreichenden Kapazität, um die Nachfragen zu erfüllen. Wer die vorgeschriebenen Eignungsprüfungen bzw. Examen schafft, kann auch kostenlos studieren. Es ist uns wichtig, dass es eine Chancengleichheit in Ecuador gibt, denn das ist in Lateinamerika nicht selbstverständlich. Aber für uns ist es eine Selbstverständlichkeit, dass Bildung eine der wichtigsten Investitionen darstellt und zur Verfügung gestellt werden muss. Das haben wir auch in der Bildungspolitik gezeigt. Wir stehen immer noch an der Spitze der Länder mit den besten und meisten Bildungsabschlüssen, wenn man dies mit vielen anderen OSZE-Ländern vergleicht. Die ist für uns auch eine Verpflichtung, um eine Verbesserung der Lebensbedingungen für unsere Bevölkerung zu erreichen und vor allem die Armut damit zu bekämpfen.

Sabine Bock: Der US-amerikanische Erdölkonzern Texaco (Chevron übernahm Texaco 2001) hat zwischen 1967 und 1992 als einziges Unternehmen in Ecuador Erdöl gefördert und dabei weder auf die Umwelt noch auf die lokale Bevölkerung Rücksicht genommen.

Jorge Jurado: In den Anfängen waren es zwei Unternehmen, Texaco und Gulf Oil. Mitte der 70er Jahre zog sich Gulf Oil zurück. Texaco bildete den Kopf des Konsortiums zusammen mit dem von der ecuadorianischen Regierung neu gegründeten Erdölunternehmen CEPE (staatliches ecuadorianisches Erdölunternehmen). Ecuador selbst verfügte damals über keine Erfahrung in der Erdölförderung im großen Rahmen. Die technische Leitung übernahm deshalb vollumfänglich Texaco. Auf der Halbinsel Santa Elena besaß Ecuador seit den 40er Jahren eine kleine Raffinerie mit einigen Ölfeldern, alles sehr klein. Erst 1972, als man das erste Barrel Rohöl an die Oberfläche holte, wurde Ecuador zum Erdölförderungsland.

Sabine Bock: Wie hoch ist der Schaden für die Natur und die dort lebenden Menschen?

Der Schaden wurde im Bezug auf die kontaminierte Fläche quantifiziert, der aus dieser 20-jährigen Förderung von 1972 bis 1992 resultierte. Alle Aktivitäten vor 1972 bezogen sich rein auf die Erdölsuche. Texaco führte 356 Erdölbohrlöcher aus und öffnete 1000 Gruben ohne Abdeckung. Dort hinein gab das Unternehmen Rückstände jeder Art, vor allem Erdöl, Bohrschlamm und verunreinigtes Wasser. Die Reinigung von 162 dieser Gruben diente als Vorwand für die Behauptung, als das Unternehmen das Land verliess, Texaco hätte eine komplette Umweltsanierung durchgeführt. Anstatt der Reinigung wurden diese Gruben aber nur mit Erde zugeschüttet. Die Regierung von Präsident Mahuad traf die äußerst unglückliche Entscheidung, den Vergleichsvertrag über die Reinigung dieser 162 Becken zu unterschreiben. Es ist ein sehr irritierender Vertrag, da die restlichen Gruben darin nicht erwähnt sind. Ein Vertrag, der die tatsächliche Situation unerwähnt ließ. Das Ganze war, um es etwas salopp auszudrücken, eine große Bauernfängerei, eine Falle, in welche die Regierung Mahuad tappte.

Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es drei verschiedene Rechtsstreitigkeiten. Den Forderungen der indigenen Gemeinschaften gegen Chevron-Texaco wurde Recht gegeben und Chevron zur Zahlung von 9,5 Milliarden Dollar verurteilt und dieses Urteil wurde vom Kassationsgericht bestätigt, der höchsten Gerichtsinstanz in Ecuador. Dieser Rechtsstreit ist abgeschlossen. Es ist aber bis heute noch kein Geld geflossen, im Gegenteil! Das Unternehmen hat mit Klagen gegen die betroffenen indigenen Gemeinschaften und mit einer Klage gegen den ecuadorianischen Staat geantwortet.

In Deutschland existiert bereits seit einigen Jahren eine breite Zivilgesellschaft, die sich für den Umweltschutz und die Entschädigung der betroffenen Bevölkerung in Ecuador einsetzt. Dies ist ein bedeutendes Solidaritätskomitee, EcuaSoli genannt, bei dem sich verschiedene lateinamerikanische Vereine, Gesellschaften, Experten, Künstler und die Bürgerschaft engagieren. Sie haben mit ihren Aktivitäten und Demonstrationen gegen den Erdölkonzern, aber auch mit dem Beschaffen von Finanzmitteln die Gerichtsprozesse am Leben erhalten und die legalen Hindernisse, die Chevron aufbaut, versucht zu überwinden.

Sabine Bock: Was gibt es für weitere Berichte und Netzwerke zum Thema: "La Mano Sucia de Chevron" (Die schmutzige Hand Chevrons)?

Jorge Jurado: Die Zivilgesellschaft und EcuaSoli haben mit der Kampagne "La Mano Sucia de Chevron" einen wichtigen Beitrag zur Öffentlichkeitsarbeit geschaffen, um über die Umweltverschmutzung zu berichten. Es waren Aktivisten von EcuaSoli in Hamburg dabei, die bei einer Tochtergesellschaft von Chevron protestiert haben und einen offiziellen Brief übergeben haben. Es wurde im Oktober 2015 unter dem Motto "Dirty Hands Chevron!" ein Protest an der TU Berlin gemeinsam mit Studenten organisiert.

Hier ist eine faszinierende Öffentlichkeitsarbeit entstanden mit der breiten Zivilgesellschaft in Deutschland. Ich bin sehr stolz, dass wir es geschafft haben, diese Solidarität tatkräftig auf die Beine zu bringen z. B. mit EcuaSoli und die Arbeit mit anderen verschiedenen Bürgergruppen. Die ecuadorianische Bevölkerung kann damit rechnen, dass hier sehr progressistische und sehr gewissenhafte Menschen bereit sind, sich für diese sehr gerechte Sache einzusetzen.

Es war auch eine tolle Bereicherung, das so eine große Breite der Zivilgesellschaft dahinter steht. Nicht nur linksorientierte Gruppen, die sich selbstverständlich für die leidende Bevölkerung einsetzen, sondern auch die große Breite der Bevölkerung und nicht nur Parteien.

Dieser Konflikt mit Chevron zeigt, welche schlimme Entwicklung und Umstände auch hier in Europa entstehen könnten. Was Chevron versucht mit Ecuador zu machen, ist der beste Beweis einer Darstellung der Macht eines einzelnen Konzerns gegenüber einem souveränen Staat. Leider habe ich den Eindruck, dass mit der Unterzeichnung von TTIP es auch in Europa zu dieser unbegrenzten Macht der Konzerne kommen könne. Die Monopolkapitalisten stehen dann wirklich über allen und über der Souveränität der Länder und der Bevölkerung. Dies wäre eine Bewahrheitung des reinen puren neoliberalen Kapitalismus.

Sabine Bock: Deutschlandweit gab es schon mehrfache, große Demonstrationen mit über hunderttausend Menschen gegen TTIP. Sehen das die Bürger richtig?

Jorge Jurado: Der Konflikt zwischen Ecuador mit dem Konzern Chevron ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie ein einzelner Konzern mit Zivilcourage und friedlichen Protest bekämpft werden muss. Ich bin zuversichtlich, dass diese Solidarität innerhalb der Bevölkerung laufen wird und ihre Einsatzbereitschaft gegen TTIP ist bemerkenswert.

Sabine Bock: Was gibt es über den Gerichtsprozess gegen den Erdölkonzern Chevron aus Kanada und über die Geschädigten zu berichten? Wie ist der aktuelle Stand?

Jorge Jurado: In Kanada läuft ein Verfahren für die Entschädigung der ecuadorianischen Opfer durch Chevron. Das Gericht hat den Geschädigten erlaubt, einen Rechtsstreit gegen den Konzern weiterzuführen und Entschädigungsgelder in Ecuador erhalten zu können. Die kanadische Justiz hat dieses Verfahren akzeptiert und die Prozesse laufen in diese Richtung. Ich hoffe, dass wir bald einen positiven Erfolg erleben können.

Leider ist die milliardenschwere Entschädigungssumme vom Erdölkonzern Chevron-Texaco bisher noch nicht gezahlt worden. Obwohl das Gericht in Ecuador den Erdölkonzern dazu verurteilt hat, die Entschädigungen zu zahlen. Jetzt hat sogar der Erdölkonzern gegen Ecuador geklagt und beim Schiedsgerichtshof in Den Haag recht bekommen. Chevron hat sich geweigert, das Urteil der souveränen, ecuadorianischen Justiz zu akzeptieren. Die Konzerne gehen über Leichen, die Hauptsache sind ihre eigenen profitorientierten Interessen. Es ist eine Strategie, mit der diese Konzerne der Bevölkerung in Ecuador das Leben schwer machen. Damit das Urteil außerhalb von Ecuador nicht anerkannt wird, führen sie diese Gegenprozesse, damit sie keine Entschädigungen zahlen müssen. Die juristischen Rechtsprinzipien werden einfach mit Füßen getreten.

Sabine Bock: Wie sieht der Stand bei den Prozessen von Chevron II und III aus?

Jorge Jurado: Der oberste Staatsanwalt Ecuadors hat eine Beschwerde gegen den Schiedsgerichtshof in Den Haag eingelegt. In erster Instanz hat der Staat Ecuador verloren. Damit konnte das erste Resultat des Verfahrens Chevron (II) gegen Ecuador widerrufen werden. Allerdings hat der Schiedsgerichtshof keine Argumente wahrgenommen bzw. berücksichtigt. Es wurde nur im Interesse des Konzerns entschieden. Der Prozess läuft noch weiter und ist ein sehr langwieriger.


Über die Autorin

Sabine Bock ist Sportfachwirtin, Vereinsmanagerin, Kommunalpolitikerin und freiberufliche Journalistin mit Abschluss der Freien Journalisten Schule in Berlin. Sie ist als Sozialdemokratin in der Bezirksverordnetenversammlung von Berlin in Treptow-Köpenick. Ihre journalistischen Themenschwerpunkte sind regional bezogen auf die Gebiete Schule, Bildung und Sport sowie internationale Themen wie die Einhaltung der Friedens- und Menschenrechte, Umweltschutz und Ökologie. Aktiv ist sie auch im Solidaritätskomitee "Ecua Soli". Sie schreibt für Pressenza Berlin sowie SPD-Zeitungen.


[*] Der Schattenblick veröffentlicht das Interview in zwei Teilen.


Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

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Quelle:
Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Johanna Heuveling
E-Mail: johanna.heuveling@pressenza.com
Internet: www.pressenza.com/de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Mai 2016

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